Darf ein Tierarzt vor einer Untersuchung dem kranken Tier ein Schmerzmittel geben oder ist er verpflichtet, einen gewerblichen Tierhalter vorab über die Folgen aufzuklären?
A. Sachverhalt
Der Kläger (K) ist Landwirt und betreibt unter anderem eine Rinderzucht. Der Beklagte (B) ist Tierarzt mit mehreren angestellten Tierärzten.
Ein Rind des K hatte sich in einem Bachlauf festgetreten und konnte sich nicht eigenständig befreien. Ein Mitarbeiter des K -A-
hob das Tier mit einer Beckenzange mit dem Frontlader aus der Erde und legte es auf der Wiese ab. Eine beim Beklagten angestellte Tierärztin … traf auf der Weide ein und untersuchte das Tier, welches auf der Seite lag. Sie stellte fest, dass Verletzungen an dem hinteren Klauenschuh vorhanden waren. Das rechte Hinterbein war stark geschwollen. Ebenso waren Abschürfungen vorhanden. Das Tier war zu diesem Zeitpunkt hoch trächtig, die Abkalbung stand in den nächsten 8-10 Wochen an. Das Tier wurde nicht umgedreht.
Die Tierärztin verabreichte eine Antibiose und Schmerzmittel. Die Schürfwunden wurden versorgt und es wurde zum Schutz ein Klauenverband angelegt. Der Mitarbeiter A wurde schriftlich über die Gabe der Medikamente und das Wechseln des Verbandes informiert. Da das Tier abends immer noch nicht aufstehen konnte, verbrachte A es mit der Beckenzange näher zum Stall. Erst drei Tage später veranlasste K eine weitere tierärztliche Untersuchung für den Folgetag.
Es kam eine andere beim Beklagten angestellte Tierärztin namens D. Diese stellte eine große Verletzung an einem Knie des Tieres fest und empfahl dem Kläger, das Tier aufgrund dieser Verletzung einschläfern zu lassen. Dem stimmte der Kläger zu. Das Tier wurde eingeschläfert.
K trägt vor, dass er das Tier ohne vorherige medikamentöse Behandlung notgeschlachtet hätte und bei zu erwartenden 400 kg Fleisch dieses für 100 € je Kilo hätte verkaufen können. Das Tier hätte sofort eingeschläfert werden müssen.
K verlangt von B Schadensersatz i.H.v. 40.000 €.
B. Entscheidung
K macht insofern einen entsprechenden Schadensersatzanspruch geltend.
I. §§ 280, 611 BGB
K könnte von B Schadensersatz i.H.v. 40.000 € nach §§ 280 I 1, 611 BGB verlangen. Ein Schadensersatzanspruch nach § 280 I 1 BGB setzt voraus:
Schuldverhältnis
Pflichtverletzung
Verschulden
Schaden
Kausalität (Pflichtverletzung für Schaden).
1. Schuldverhältnis
Durch den Abschluss eines tierärztlichen Behandlungsvertrages ist zwischen K und B ein Dienstvertrag entstanden nach § 611 BGB. Bei einem tierärztlichen Behandlungsvertrag wird -anders als bei einem Werkvertrag nach § 631 BGB- kein Erfolg geschuldet. Gegenstand ist vielmehr aus Sicht des Tierarztes die Verpflichtung zur Erbringung der versprochenen Dienste.
2. Pflichtverletzung
Ferner müsste B eine Pflicht aus dem Dienstvertrag verletzt haben. B selbst hat nicht gehandelt. Er muss sich jedoch eine etwaige Pflichtverletzung seiner angestellten Tierärztin als Erfüllungsgehilfin nach § 278 S. 1 BGB zurechnen lassen. Nach § 241 II BGB verpflichtet das Schuldverhältnis jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Die angestellte Tierärztin könnte eine entsprechende Aufklärungspflicht verletzt haben. Zudem könnte ein Behandlungsfehler vorgelegen haben.
Nach den Feststellungen der Sachverständigen E sei eine vollständige klinische Untersuchung die Grundlage für eine korrekte Diagnose und weitere Prognose. Bei festliegenden Tieren, die nicht selbstständig aufstehen könnten, solle die Untersuchung der Hintergliedmaßen in rechter und linker Seitenlage erfolgen, sodass mittels Beugung, Streckung, Rotation und Abduktion der obenliegenden Gliedmaße durch eine Fremdperson bei gleichzeitiger Palpation von außen und rektal die Diagnostik von Frakturen und Luxationen erfolgen könne. Hierzu müsse das Tier während der Untersuchung auf die andere Seite umgelagert werden, wobei eine Umlagerung auf die andere Seite ohne Hilfsmittel angezeigt gewesen wäre.
Diese Regeln wurden nicht beachtet, sodass ein Behandlungsfehler vorliegt.
3. Verschulden
Das Verschulden wird nach § 280 I 2 BGB vermutet.
4. Schaden
Es müsste ein Schaden und somit ein unfreiwilliges Vermögensopfer bestehen nach der von § 249 I BGB vorausgesetzten Differenzhypothese (=Differenz zwischen zwei Vermögenslagen, also zwischen der realen und der hypothetischen). K hätte 400 kg Fleisch zu je 100 €/kg verkaufen können. Insofern ist K ein Schaden von insgesamt 40.000 € entstanden.
5. Kausalität
Schließlich müsste die Pflichtverletzung auch für den eingetretenen Schaden kausal gewesen sein. Daran fehlt es.
a. Behandlungsfehler
Soweit die für den Beklagten tätige Tierärztin der Kuh Schmerzmittel verabreicht hat, ist dies zwar kausal für die vom Kläger monierte wirtschaftliche Unverwertbarkeit des Fleisches, mithin für den hier geltend gemachten Schaden. Bei der Gabe von Schmerzmitteln an ein verletztes und offensichtlich unter Schmerzen leidendes Tier handelt es sich aber nicht um einen Behandlungsfehler und damit nicht um eine Vertragspflichtverletzung. … In diesem Zusammenhang hat die Sachverständige ausgeführt, es sei aus der Perspektive der die Kuh am 21.06.2021 behandelnden Tierärztin angebracht gewesen, vor der Empfehlung einer Notschlachtung einen Behandlungsversuch zu unternehmen. Dies insbesondere, da die Tierärztin über die Information verfügt habe, dass das Tier bereits hochtragend sei.
Zudem handelte die angestellte Tierärztin im Rahmen des von K erteilten Auftrags.
Wer einen Tierarzt zu einem verletzten Tier ruft, gibt - sofern keine abweichenden Wünsche geäußert werden - regelmäßig zu erkennen, dass er mit einer medikamentösen Behandlung einverstanden ist. Nach Auffassung des Senats darf ein Tierarzt Schmerzmittel grundsätzlich auch schon vor Abschluss einer Untersuchung verabreichen, etwa um die Untersuchung überhaupt erst zu ermöglichen, sie zu erleichtern oder um dem Tier Leid zu ersparen. … Zudem handelt es sich bei der Verabreichung von Schmerzmitteln … nicht um eine kurative Maßnahme, sondern um eine reine Symptombekämpfung, sodass es hierfür keiner vorherigen Abklärung der Ursache bedarf.
b. Aufklärungspflicht
Es liegt auch keine Aufklärungspflichtverletzung vor, welche zu einem kausalen Schaden führt. Zwar hätte direkt erörtert werden können bzw. müssen, ob eine Notschlachtung hätte durchgeführt werden sollen. Dieses Vorgehen hätte den Eintritt eines Schadens allerdings nur dann verhindert, wenn zuvor noch kein Schmerzmittel verabreicht worden wäre. Dies war aber der Fall und
weder dem Grunde nach noch im Hinblick auf den Zeitpunkt der Verabreichung behandlungsfehlerhaft.
Es besteht schon keine tierärztliche Aufklärung- oder Beratungspflicht vor der Gabe eines Schmerzmittels.
Der Tierarzt schuldet seinem Auftraggeber orientiert an dessen wirtschaftlichen Interessen, einem ideellen Wert des Tieres und den Geboten des Tierschutzes vertraglich eine Beratung, zu der die Art und Weise des geplanten Eingriffs in groben Zügen, dessen Erfolgsaussichten und Risiken sowie vorhandene Alternativen gehören. Auf der Grundlage einer solchen Beratung kann der Auftraggeber dann abwägen, welche der vorgeschlagenen Behandlungsmaßnahmen für ihn aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen wünschenswert sind und in welche Eingriffe des Tierarztes er demgemäß einwilligen will. Die Grundsätze über Art und Umfang der humanärztlichen Aufklärungspflicht können dabei nicht ohne weiteres auf den tiermedizinischen Bereich übertragen werden, da das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in der Tiermedizin keine Rolle spielt. Zudem unterscheidet sich die wirtschaftliche und rechtliche Zweckrichtung in der Tiermedizin maßgeblich von der im Bereich der Humanmedizin, da sie sich nach wirtschaftlichen Erwägungen richten muss, die in der Humanmedizin im Rahmen des Möglichen zurückzustellen sind … Das Handeln im Rahmen des vom Tiereigentümer erteilten Auftrags genügt aus diesem Grund regelmäßig unabhängig von einer Risikoaufklärung zur Rechtfertigung des tierärztlichen Eingriffs …
Ergebnis:
K kann von B keinen Schadensersatz i.H.v. 40.000 € nach §§ 280 I 1, 611 BGB verlangen.
II. 831 I 1, 823 I BGB
Insofern scheidet auch ein Schadensersatzanspruch des K gegen B i.H.v. 40.000 € nach §§ 831 I 1, 823 I BGB mangels einer Eigentumsverletzung einer Verrichtungsgehilfin des B aus.
C. Prüfungsrelevanz
Die Verletzung von Vertrag- und Aufklärungspflichten und somit die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach § 280 BGB gehört zu den Klassikern des Prüfungsrechts. In der vorliegenden Entscheidung ging es dabei um die Gabe von Schmerzmitteln für ein verletztes Tier vor dessen Untersuchung und entsprechende Aufklärungspflichten hinsichtlich der Verwertbarkeit.
Die Entscheidung ist höchst prüfungsrelevant, da die Lösung eines entsprechenden Klausurfalles Kenntnisse der grundlegenden Strukturen des Zivilrechts erfordert und sehr viele Themengebiete einbezieht: Dienstvertrag nach § 611 BGB, Schadensersatzanspruch gem. § 280 I BGB sowie Deliktsrecht nach §§ 823 f. BGB.
(OLG Frankfurt a.M. Urt. v. 4.6.2025 – 3 U 9/25)
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