Schadensbegriff und Schadenszurechnung

Schadensbegriff und Schadenszurechnung

Die Prüfung eines Schadensersatzanspruchs erfolgt grundsätzlich in zwei Schritten.1 Zunächst ist zu prüfen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer Anspruchsgrundlage erfüllt sind, deren Rechtsfolge auf den Ersatz eines Schadens gerichtet ist (haftungsbegründender Tatbestand).

Beispiele: §§ 122, 179, 280 ff., 823 ff., 989, 990 BGB; 7, 18 StVG; 1 ProdHaftG.

Ist dies der Fall, muss sodann geklärt werden, ob durch die Rechtsgutverletzung ein Schaden eingetreten ist, ob dies kausal durch den haftungsbegründenden Tatbestand erfolgt ist und in welchem Umfang der Schaden zu ersetzen ist (haftungsausfüllender Tatbestand). Dies ist durch die §§ 249 ff. BGB geregelt.

Obwohl die §§ 249 ff. BGB im Schuldrecht eingeordnet sind, gelten sie auch für Schadensersatzansprüche aus anderen Büchern des BGB (z. B. §§ 122, 179, 989, 990 BGB) und aus anderen Gesetzen (z. B. §§ 7, 18 StVG; 1 ProdHaftG). Allerdings können sich aus Spezialregelungen Modifikationen (z. B. §§ 651n II, 842 ff. BGB) und summenmäßige Haftungsbeschränkungen (z. B. §§ 12 StVG, 10 ProdHaftG) ergeben.

Die Schadensersatzleistung dient primär der Wiedergutmachung der dem Gläubiger entstandenen Nachteile (Ausgleichsfunktion). Diese Wiedergutmachung erfolgt dadurch, dass der Schuldner den Gläubiger so zu stellen hat, wie er stünde, wenn das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis nicht eingetreten wäre (§ 249 I BGB; sog. Naturalrestitution).

Weiterhin liegt den §§ 249 ff. BGB der Gedanke der Totalreparation zugrunde.2 Dies bedeutet, dass der Gläubiger sämtliche Einbußen ersetzt bekommt, und zwar ungeachtet ihrer Höhe. Von diesem Grundsatz gibt es aber Ausnahmen, namentlich dann, wenn das Gesetz eine Haftungshöchstgrenze vorsieht.

Prüfungsschema

Bei der Prüfung von Schadensersatzansprüchen empfiehlt sich folgendes allgemeines Prüfungsschema:3

Prüfungsschema: Prüfungsreihenfolge bei Schadensersatzansprüchen

I. Haftungsbegründender Tatbestand

II. Haftungsausfüllender Tatbestand

  1. Vorliegen eines Schadens (Schadensbegriff)

  2. Schadenszurechnung (haftungsausfüllende Kausalität)

  3. Art und Umfang des Schadensersatzes, §§ 249 ff. BGB

  4. Schadensminderung

Schadensbegriff

Ein Schaden ist jede unfreiwillige Vermögenseinbuße, die jemand infolge eines bestimmten Umstands an seinen Rechtsgütern erleidet.4 Zu unterscheiden sind Vermögensschäden und Nichtvermögensschäden. Der sog. normative Schaden ist ein Unterfall des Vermögensschadens.

Ein Vermögensschaden liegt vor, wenn der Geschädigte eine in Geld bezifferbare Vermögenseinbuße an seinen Rechtsgütern erlitten hat. Nach der Differenzhypothese ist ein Vermögensschaden zu bejahen, wenn die tatsächliche Vermögenslage, wie sie sich nach dem schädigenden Ereignis darstellt, negativ von der hypothetischen Lage abweicht, wie sie sich ohne das schädigende Ereignis darstellen würde.

Die Differenzhypothese ist, wenn sie zu nicht sachgerechten Ergebnissen führt, ggf. durch die Lehre vom normativen Schaden zu korrigieren bzw. ergänzen. Der normative Schaden ist ein Unterfall des Vermögensschadens. Er gilt als Schaden im rechtlichen Sinne, obwohl eine strenge Anwendung der Differenzhypothese eigentlich nicht zu einem negativen Saldo führen würde. Erfasst sind solche Fälle, in denen ein schädigendes Ereignis bei wertender Betrachtung trotzdem nicht ohne Ausgleich bleiben darf.

Ein Nichtvermögensschaden (immaterieller Schaden) liegt vor, wenn der Geschädigte durch die Verletzung seines Körpers oder seiner Psyche Schmerzen oder Aufregungen erlitten hat.

Schadenszurechnung

Liegt ein Vermögens- oder ein Nichtvermögensschaden vor, ist einem nächsten Schritt zu prüfen, ob er auch kausal durch das schädigende Ereignis verursacht worden ist (haftungsausfüllende Kausalität).5 Damit ist die Frage der Schadenszurechnung angesprochen.

Die Zurechnung erfolgt zunächst im Wege der sehr weiten Äquivalenztheorie. Mit ihr wird die Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinne beschrieben. Danach ist jede Tatsache für den Schadenseintritt ursächlich, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Schaden in seiner konkreten Gestalt entfiele (conditio sine qua non). Alle Faktoren, die zum Schadenseintritt führen, sind „äquivalent“, also gleichwertig kausal. Dies würde ohne Korrektur dazu führen, dass auch sehr weit entfernte Faktoren als ursächlich für einen Schaden gewertet werden müssten. Deshalb wird die Äquivalenztheorie durch die Adäquanztheorie und die Lehre vom Schutzzweck der Norm eingeschränkt.

Haben zwei Ereignisse einen Schaden herbeigeführt, von denen jedes auch allein für den Schadenseintritt ausgereicht hätte (Doppelkausalität), sind aus normativer Sicht beide ursächlich, also äquivalent kausal. Auch vorausschauende Maßnahmen zur Schadensminderung (Vorhaltekosten) können als normativer Schaden anzusehen sein (Rechtsgedanken des § 254 II BGB).6 Ersatzfähig können allerdings nur solche Positionen sein, die ein wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für erforderlich halten durfte; die Ersatzpflicht ist zudem auf die Höhe des Schadens begrenzt, der ohne die Vorsorgemaßnahme entstanden wäre. Nicht zu ersetzen sind aber die Kosten, die durch das Personal, welches zur Bearbeitung von typischen Schadensfällen angestellt worden ist, verursacht werden.7

Ersatzfähig sind nur solche Schäden, die in einem adäquaten Zusammenhang mit der Rechtsgutverletzung stehen. Nach der Adäquanztheorie ist eine Ursache dann kausal, wenn der Erfolg nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit lag.8

Von der Zurechenbarkeit ausgenommen sind allerdings nur ganz ungewöhnliche, keinesfalls zu erwartende Kausalverläufe. Deshalb bedarf es eines weiteren Korrektivs. Dieses stellt das Kriterium des Schutzzwecks der Norm dar.

Nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm ist ein Schaden nur dann zurechenbar, wenn er nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzweck der verletzten Handlungsnorm fällt. Es muss sich um Nachteile handeln, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte (vor)vertragliche Pflicht übernommen worden ist.9

Ein Schaden fällt nicht unter den Schutzweck der verletzten Norm, wenn er in keinerlei innerem Zusammenhang mit der vom Schädiger geschaffenen Gefahrenlage steht. Man spricht deshalb auch vom Rechtswidrigkeitszusammenhang.10 Verwirklicht sich durch eine schädigende Handlung lediglich das allgemeine Lebensrisiko, steht der dadurch eingetretene Schaden nicht in einem inneren Zusammenhang mit der vom Schädiger geschaffenen Gefahrenlage.11 Schäden, die auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten entstanden wären, sind vom Schutzzweck der Norm regelmäßig nicht erfasst.12 Etwas anderes gilt nur dann, wenn die verletzte Norm den Schaden generell und nicht nur seine Herbeiführung auf einem bestimmten Weg verhindern will.13


  1. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 863 – 866.
  2. Man nennt die Totalreparation auch das schadensrechtliche „Alles oder nichts-Prinzip“ (Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 666).
  3. Zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 868.
  4. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 869 – 873.
  5. Zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 869 – 873. Siehe auch den Fall: „Großer Knall beim Effzeh“.
  6. BGH, Urt. v. 10.01.1978 – VI ZR 164/75, BGHZ 70, 199, 201; BGH, Urt. v. 10.05.1960 – VI ZR 35/59, BGHZ 32, 280, 284.
  7. BGH, Urt. v. 06.11.1979 – VI ZR 254/77, BGHZ 75, 231, 234.
  8. BGH, Urt. v. 23.10.1951 – I ZR 31/51, BGHZ 3, 261, 266.
  9. BGH, Urt. v. 22.09.2016 – VII ZR 14/16, Rn. 14; BGH, Urt. v. 26.02.2013 – VI ZR 116/12, Rn. 12.
  10. Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § Vor § 249 Rn. 29.
  11. Schockschäden fallen grundsätzlich unter das allgemeine Lebensrisiko und sind daher nicht zu ersetzen; Ausnahmen sind nur für nahe Angehörige und Verlobte sowie Lebenspartner denkbar (BGH Urt. v. 27.01.2015 – VI ZR 548/12, Rn. 7 u. 10).
  12. BGH, Urt. v. 26.10.1999 – X ZR 30/98, NJW 2000, 661, 663; BGH, Urt. v. 24.10.1985 – IX ZR 91/84, BGHZ 96, 157, 173.
  13. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 688.