Miet- oder Lagervertrag? LG Hamburg zur Haftung bei Sturmschäden an einer Jacht

Miet- oder Lagervertrag? LG Hamburg zur Haftung bei Sturmschäden an einer Jacht

Der Winterlagerplatz für Boote scheint auf den ersten Blick eine harmlose Nebensache zu sein. Doch rechtlich wirft er komplexe Fragen auf, die zwischen Mietrecht, Lagerrecht und allgemeinem Schuldrecht angesiedelt sind. Das Landgericht Hamburg hatte über einen interessanten Fall zu entscheiden (Urt. v. 8.8.2025 – 417 HKO 47/23): Eine Segeljacht war während eines Orkans im Winterlager umgestürzt und hatte dabei mehrere benachbarte Boote beschädigt. Die Versicherung des Eigentümers verlangte Schadensersatz in Höhe von über 50.000 €. Der Betreiber des Winterlagers sah dagegen höhere Gewalt und wähnte sich aufgrund weitreichender Haftungsausschlüsse im Vertrag auf der sicheren Seite. Doch zu Recht?

Der Fall im Überblick: Wenn der Sturm die Jacht kippt

A ist Besitzer einer Segeljacht, die er bei der Versicherung K mit einer Jachtkaskopolice versichert hat. Im November 2021 mietete er bei der Betreiberin eines Bootshafens, der B, einen sogenannten Winterlagerplatz im Freigelände für seine Jacht „I.“. Der Vertrag enthielt eine Reihe von Regelungen: “Die Zuweisung der entsprechenden Stellfläche erfolgt durch den Vermieter, es besteht kein Anspruch auf eine bestimmte, vom Mieter einseitig festgelegte Standfläche”. Außerdem heißt es, dass die B den Platz ohne „Verpflichtung zur Sorge um die Aufbewahrung vermiete”. A trage das „Einlagerungsrisiko“. Auch die beigefügte Winterlagerordnung erklärte ausdrücklich, dass die Lagerung „ausschließlich auf Risiko des Einlagerers“ erfolge und der Betreiber „keine Bewachungs- oder Obhutspflichten“ übernehme. Zudem enthielt der Vertrag eine umfassende Haftungsbeschränkung.

Die „I.“ wurde von der B auf einem Lagerbock auf dem asphaltierten Hof des Geländes abgestellt – in einer Reihe mit fünf weiteren Segeljachten. Die „I.“ war mit stehendem Mast und angeschlagenem Großbaum abgestellt worden; eine zusätzliche Sicherung des Masts erfolgte nicht, obwohl diese bei den anderen Jachten in der Reihe vorgenommen worden war.

In der Nacht vom 18. auf den 19. Februar 2022 zog das Sturmtief „Zeynap“ über Norddeutschland. Es brachte Windgeschwindigkeiten von bis zu 120 km/h und das aus einer ungewöhnlichen südwestlichen Richtung, sodass der Lagerplatz kaum geschützt war.

Während des Sturms kippte die Jacht des A aus dem Bock, beschädigte sich selbst und riss drei weitere Boote mit um. Der Schaden betrug mehr als 50.000 €.

Die Versicherung K regulierte den Schaden zunächst und verlangte das Geld nun von der Betreiberin B zurück.

Lagervertrag statt Mietvertrag: LG Hamburg zur Haftung im Winterlager

Das Landgericht Hamburg gab der Versicherung K Recht und verurteilte die Betreiberin B zur Zahlung von 52.853,14 € nebst Zinsen gemäß § 475 I HGB.

Zunächst stellte das Gericht klar, dass es sich bei dem Vertrag nicht um einen Mietvertrag, sondern um einen Lagervertrag im Sinne der §§ 467 ff. HGB handele.

Merke Dir:
Du musst keine Angst vor dem Lagervertrag haben. Im Zweifel wird der Klausurersteller ausreichende Hinweise auf diesen eher exotischen Vertragstyp geben. Erwartet werden dann keine vertieften Kenntnisse, sondern ein souveräner Umgang mit dem unbekannten Gesetzestext.

Beim Lagervertrag schulde der Lagerhalter nicht nur die bloße Überlassung einer Fläche, sondern auch die sachgerechte Aufbewahrung und damit die Obhut über das Gut. Diese Verpflichtung gehe über das hinaus, was ein Vermieter schulde.

Die Auslegung als Lagervertrag stützte das Gericht darauf, dass die B

  • den Lagerbock ausgewählt,

  • den Standort bestimmt,

  • die Abstände zu den anderen Booten festgelegt

  • und die Sicherung der Jacht selbst vorgenommen habe.

Merke Dir:
Hier liegt ein entscheidender Schwerpunkt des Falles, da sich nach der Natur des Vertrags die Anspruchsgrundlage richtet. Im Rahmen der Auslegung musst du daher den Sachverhalt vollständig auswerten.

A habe hierauf keinen Einfluss gehabt. Zudem führte das Personal der B regelmäßige Kontrollgänge durch. Dies sei ein weiteres Indiz dafür, dass die Betreiberin selbst die Verantwortung für die sichere Lagerung übernommen habe.

Dass der Vertrag mit „Mietvertrag über einen Winterlagerplatz“ überschrieben war, änderte nichts: Entscheidend sei der tatsächliche Vertragsinhalt, nicht die Bezeichnung. Zudem verwendete die B in ihrer Winterlagerordnung ausdrücklich die Formulierung, dass der Mieter das „Einlagerungsrisiko“ trage.

Damit galten die Vorschriften des Lagerrechts, insbesondere § 475 HGB, wonach der Lagerhalter für Schäden haftet, es sei denn, sie konnten auch bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht verhindert werden.

Klausurtipp:
Ähnlich wie bei § 280 Abs. 1 S. 2 BGB handelt es sich um eine Beweislastumkehr. Anders als bei § 280 Abs. 1 S. 2 BGB erstreckt sich die Vermutung nicht nur auf das Vertretenmüssen, sondern auch schon auf die Pflichtverletzung.

Beweislastumkehr für Pflichtverletzung und Verschulden

Die Beweislast liegt also bei der Betreiberin. Sie müsse konkret aufklären, wie der Schaden entstanden sei, sowie beweisen, dass die Lagerräume so beschaffen waren, dass Schäden angemessen vermieden worden seien und dass sie und ihre Erfüllungsgehilfen auch sonst keinen Schuldvorwurf treffe, so das Landgericht. Hierbei könne sich der Lagerhalter nicht einfach darauf berufen, dass der Schaden durch von außen kommende Umstände verursacht worden sei.

Das Landgericht hebt hervor: Gerade weil die B wusste, dass bei der Nachbarjacht ähnliche Stabilitätsprobleme bestanden und diese deshalb zusätzlich an Betonblöcke abgespannt wurde, hätte sie auch hier aktiv werden müssen. Als sich das Sturmtief näherte – noch dazu aus einer für den Standort ungewöhnlichen Richtung – wäre sie verpflichtet gewesen, durch Windschutz- oder Abspannmaßnahmen die Lagerung zu sichern.

Die B habe es also pflichtwidrig unterlassen, das Boot angemessen zu sichern oder den Eigentümer zur Mitwirkung aufzufordern.

Keine wirksame Haftungsbeschränkung

Die im Vertrag enthaltenen Haftungsausschlüsse hielt das Gericht im Rahmen einer AGB-Kontrolle für unwirksam.

Die Klauseln, die das Risiko vollständig auf den Einlagerer verlagerten, würden wesentlich vom gesetzlichen Leitbild des Lagervertrags abweichen. Sie benachteiligten den Kunden daher unangemessen (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB) und seien zudem überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB, weil sie den im Vertrag übernommenen Obhutspflichten widersprächen.

Die Schadenshöhe war zwischen den Parteien unstreitig.

Merke Dir:
Die Aktivlegitimation der Versicherung ergibt sich aus § 86 I VVG. Die Versicherung hatte den Schaden bereits reguliert, sodass der Anspruch des Versicherten auf die Versicherung übergegangen ist. Erhebt also eine Versicherung Klage, solltest Du kurz die Aktivlegitimation feststellen.

Der Umgang mit unbekannten Gesetzen: Tipps für Deine Klausur

Das Urteil des LG Hamburg ist ein Lehrstück über die Abgrenzung zwischen Miet- und Lagervertrag. Entscheidend ist der tatsächliche Vertragsinhalt, nicht die Überschrift. Übernimmt der Betreiber Obhutspflichten, liegt regelmäßig ein Lagervertrag (§§ 467 ff. HGB) vor.

Bei Klausuren, bei denen Du über eine unbekannte Anspruchsgrundlage in Deine Klausurlösung einsteigst, steht die Arbeit mit Deinem Sachverhalt oft im Vordergrund. Du kannst in der Regel davon ausgehen, dass Dir die Prüfungsämter gerade bei solchen Klausuren die Lösung durch die Informationen im Sachverhalt indirekt mitteilen und auch die unbekannten Normen ins Spiel bringen. Hier geht es dann darum, dass Du den dahinter liegenden juristischen Sinngehalt erkennst und mit den Sachverhaltsangaben juristisch argumentierst. Daher solltest Du Dich von solchen Klausuren in keinem Fall verunsichern lassen, sondern Mut zum Argumentieren haben.

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Hier findest Du weitere Entscheidungen, in denen die rechtliche Einordnung von Verträgen im Mittelpunkt steht. Gerade bei typengemischten Verträgen kommt es auf die richtige Abgrenzung an – sie entscheidet darüber, welches Recht Anwendung findet.

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