Widerruf durch Zerreißen - OLG Frankfurt zur Widerrufsvermutung trotz Aufbewahrung

Widerruf durch Zerreißen - OLG Frankfurt zur  Widerrufsvermutung trotz Aufbewahrung

Das aktuelle Urteil vom OLG Frankfurt vom 29.04.2025 (Az. 21 W 26/25) ist ein gutes Beispiel, um Dein juristisches Problembewusstsein zu trainieren. Im Mittelpunkt stand hier die Frage, ob ein durchgerissenes Testament, welches in einem Schließfach vom Erblasser hinterlegt wurde, noch wirksam ist. Überraschen dürfte Dich die Entscheidung des OLG wahrscheinlich nicht. Aber sie zeigt, dass es zu einer umfassenden rechtlichen Bewertung dazu gehört, dass Du Dich eingehend mit den vorgetragenen Argumenten auseinandersetzt und eben nicht nur ein Ergebnis in Deiner Klausur festhältst.

Das zerrissene Testament im Bankschließfach - Der Fall im Überblick

Der im Jahr 2024 verstorbene K hielt seinen letzten Willen in einem handschriftlichen Testament aus dem Jahr 2011 fest. Zu dieser Zeit war K mit seiner ersten Ehefrau R verheiratet. In diesem Testament wandte K seinen gesamten Besitz seinem Freund M zu und enterbte seine damalige Ehefrau R. Im Jahr 2012 mietete sich K ein Bankschließfach bei der Bank Y an. Dort bewahrte er neben dem Testament auch andere Gegenstände wie z.B. seine Uhren auf. Laut Besucherkartei der Bank Y ließ er das Schließfach bis zu seinem Tod 31-mal öffnen.

Die Ehe zwischen K und R wurde geschieden und K heiratete 2014 seine zweite Ehefrau P. Beide Ehen blieben kinderlos.

Nach dem Tod des K beantragte P im April 2024 die Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge, weil sie zunächst keine letztwillige Verfügung des K fand. Der Erbschein wurde ihr einen Monat später erteilt und wies sie neben der Mutter des K, die zu 1/4 erbte, als Erbin zu 3/4 aus.

Im Juni 2024 ließ P das Bankschließfach ihres verstorbenen Ehemannes im Beisein einer Bankmitarbeiterin öffnen und fand dort das handschriftliche Testament aus dem Jahr 2011. Dieses Testament lag allerdings zerrissen im Schließfach, wobei der Riss längs in der Mitte ohne unregelmäßige Kanten verlief. Eine unbeschädigte Kopie des Testamentes war nicht vorhanden. Aus der Besucherkartei ergab sich zudem, dass der Erblasser bis zu seinem Tod die einzige Person war, die Zugang zum Schließfach hatte.

M ist der Überzeugung, dass aufgrund der Art und Weise des Risses nicht von einem bewussten Zerreißen durch den Erblasser auszugehen sei, sondern es auf andere Weise durchtrennt worden sei. Daher ist er der Auffassung, dass das Testament wirksam und der erteilte Erbschein dadurch falsch sei. Er sei der Alleinerbe des K.

M beantragte beim Nachlassgericht die Einziehung des Erbscheines. Das Nachlassgericht sah den bereits erteilten Erbschein allerdings als richtig an. Das handschriftliche Testament aus dem Jahr 2011 habe der Erblasser wirksam widerrufen gemäß § 2255 Satz 1 BGB.

Gegen diese Entscheidung hat M Beschwerde eingelegt, woraufhin das Nachlassgericht die Sache dem OLG Frankfurt zur Entscheidung vorgelegt hat.

Zur Wiederholung

Der Erbschein wird durch das Nachlassgericht gemäß § 2353 BGB im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit erteilt. Grundsätzlich zieht das Nachlassgericht den Erbschein von Amts wegen ein, wenn dieser unrichtig ist. Allerdings kann auch der wirkliche Erbe selbst Klage auf Herausgabe des unrichtigen Erbscheins gemäß § 2362 BGB vor dem Amtsgericht erheben. Merke Dir, dass § 2362 I BGB jedoch vorsieht, dass die Herausgabe an das Nachlassgericht beantragt wird.

Widerruf durch schlüssige Handlung - Das sagt das OLG dazu

Auch das OLG Frankfurt kam zu der Überzeugung, dass das Testament aus dem Jahr 2011 wirksam durch den Erblasser widerrufen worden sei, indem er es zerriss. Mangels letztwilliger Verfügung war daher die gesetzliche Erbfolge maßgeblich. Der von P im April 2024 beantragte Erbschein sei auf dieser Grundlage erteilt worden. Daher sei der Erbschein richtig.

Das OLG ist der Überzeugung, dass K das Testament eigenhändig zerrissen habe und keine Vernichtung durch andere Einflüsse erfolgt sei. Dies schlossen die Richter:innen daraus, dass K laut Besucherkartei der Bank die einzige Person war, die bis zu seinem Tod Zugriff auf das Bankschließfach hatte. Damit war das Testament im ausschließlichen Gewahrsam des K. Das OLG hielt es für abwegig, dass eine andere Person, beispielsweise seine Ehefrau P, ohne Wissen und Mitwirkung der Bank das Schließfach geöffnet haben könnte.

Die Richter:innen schlossen zudem aus, dass das Testament auf andere Weise in zwei Teile geraten sei. Die Trennränder weisen laut OLG darauf hin, dass das Testament nicht zerschnitten wurde, weil “das Papier mittig, aber nicht vollständig gerade getrennt wurde und die Trennränder nicht glatt sind”. Außerdem schließt das Gericht aus, dass das Testament erst bei der Öffnung des Schließfaches durch die Ehefrau P zerrissen wurde. Hierfür spreche der Umstand, dass auch die Bankangestellte übereinstimmend bekundet habe, dass das Testament bereits bei der Öffnung des Schließfaches in zwei Teile gerissen war.

Gemäß § 2255 Satz 1 BGB könne laut dem Gericht ein Testament durch Vernichtung widerrufen werden. Das Zerreißen stelle eine solche schlüssige Handlung dar.

Die in § 2255 Satz 2 BGB normierte gesetzliche Vermutung der Widerrufsabsicht sah das OLG nicht bereits dadurch als erschüttert an, dass der Erblasser das zerrissene Testament in einem Schließfach aufbewahrt habe. Ihre Überzeugung stützen die Richter:innen auf folgende Erwägungen:

  • Die Gründe und Motive des Erblassers für eine Aufbewahrung können verschiedene Ursachen haben. Diese müssten für einen objektiven Beobachter nicht nachvollziehbar und erkennbar sein.

  • Es entbehrt im vorliegenden Fall auch nicht jeglicher Logik und Lebenserfahrung, dass der Erblasser das Testament in einem bezahlten Schließfach aufbewahrt habe. Die Anmietung des Schließfaches erfolgte erst im Jahr 2012, also ein Jahr nachdem K das handschriftliche Testament angefertigt hat. Zudem habe K das Schließfach auch zur Aufbewahrung anderer Gegenstände wie z.B. seiner Uhren benutzt und zu Lebzeiten 31-mal geöffnet.

  • Alleine die Erwägung, dass K das zerrissene Testament nicht in das Schließfach gelegt hätte, wenn er es hätte widerrufen wollen, könne die gesetzliche Vermutung der Widerrufsabsicht nicht widerlegen, so die Richter:innen. Hierbei handele es sich vielmehr um eine Mutmaßung.

  • Außerdem sprechen aus Sicht des OLG die geänderten Lebensumstände des K, also die Scheidung von R und die Heirat mit P dafür, dass das Testament, in dem K R enterbte, nicht mehr gelten sollte und K das Testament absichtlich zerstört habe.

Widerrufsmöglichkeiten eines Testamentes

Merke Dir für Deine Klausur, dass ein Testament auf vier verschiedene Möglichkeiten widerrufen werden kann:

  1. Widerrufstestament gemäß § 2254 BGB

  2. Errichtung eines widersprechenden Testamentes gemäß § 2258 BGB

  3. Vernichtung/Veränderung des Testamentes gemäß § 2255 BGB

  4. Rücknahme des Testamentes aus der amtlichen Verwahrung gemäß § 2256 BGB

Wichtig ist, dass der Erblasser mit dem Willen zum Widerruf gehandelt hat. Sollte der Erblasser keine weitere Erbenbestimmung mittels einer Verfügung von Todes wegen vorgenommen haben, bestimmen sich die Erben nach der gesetzlichen Erbfolge. Denke daran, dass gesetzliche Erben nur die Verwandten des Erblassers und sein Ehegatte bzw. sein gleichgeschlechtlicher Lebenspartner sowie der Staat sein können.

§ 2365 BGB - Was verbirgt sich hinter dem öffentlichen Glauben des Erbscheins?

Dieser Fall zeigt Dir, welche besondere Bedeutung dem Erbschein zukommt. Gemäß § 2365 BGB wird nämlich vermutet, dass der Erbschein richtig ist. Zum einen wird positiv vermutet, dass dem Erben das dort angegebene Erbrecht auch zusteht. Zum anderen wird negativ vermutet, dass der Erbe nicht durch andere als die im Erbschein angegebenen Anordnungen in seinem Erbrecht beschränkt ist.

Da diese Vermutung gegenüber einem gutgläubigen Dritten solange gilt, wie der Erbschein in Kraft ist, wirkt sich der Erbschein u.a. auf den Erwerb einer beweglichen Sache, auf einen Grundstücks- und Forderungserwerb sowie auf Leistungen auf eine Nachlassforderung rechtlich aus. Daher ist es so wichtig und brisant, dass ein unrichtiger Erbschein schnellstmöglich vom Nachlassgericht eingezogen wird.

Nicht nur das Ergebnis zählt - Warum Deine Begründung über Deine Punkte entscheidet

Du wirst sicherlich gemerkt haben, dass das Herzstück dieses Falls in der Begründung liegt. Solche Fälle erkennst Du oft daran, dass die Parteien in Deinem Sachverhalt viele Argumente vortragen. Denke immer daran, dass das Prüfungsamt Dir diese Informationen nicht umsonst mitteilt. Im zweiten Examen könntest Du diese Klausur als typische “Beweisrechtsklausur” einordnen, in der die Auswertung der Zeugenaussagen im Vordergrund stehen würde. Hier ist es dann besonders wichtig, dass Du auf alle Aspekte eingehst. Ansonsten dürftest Du am Rand Deiner Klausur wahrscheinlich den Kommentar “zu oberflächlich” oder Ähnliches wiederfinden.

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