
Das OLG Frankfurt zur Anfechtung der Ausschlagungserklärung wegen Irrtums über Vermögen
Wer hätte das gedacht - Als die Tochter vom Tod ihrer Mutter erfuhr, schlug sie zunächst die Erbschaft aus Sorge vor Überschuldung der offenbar verwahrlosten Mutter aus. Seit ihrem 11. Lebensjahr hatte sie keinen Kontakt zu der alkoholkranken Mutter gehabt. Einige Zeit später stellte sich jedoch heraus, dass sich im Vermögen doch noch mehr als 70.000 Euro befanden. Daraufhin hat die Tochter die Ausschlagung angefochten. Geht das?
Was war geschehen?
Die Erblasserin verstarb im Jahr 2021. Eine letztwillige Verfügung der Erblasserin gibt es nicht. Kurz nach ihrem Tod schlug die Tochter die Erbschaft aus. Daraufhin erklärten auch der Bruder der Erblasserin sowie dessen Töchter die Ausschlagung. Im Jahr darauf hat es sich die Tochter allerdings anders überlegt und ihre Erbschaftsausschlagung angefochten. Sie begründete dies damit, dass sie davon ausgegangen sei, im Nachlass sei kein Aktivvermögen. Sie sei aufgrund der Alkoholkrankheit der Mutter nicht bei ihr aufgewachsen. Nach deren Tod sei sie von der zuständigen Kriminalbeamtin über die chaotisch hinterlassene Wohnung sowie deren Standort in einem sozialen Brennpunktviertel informiert worden. Daher habe sie die Erbschaft ausgeschlagen. Erst durch das Schreiben eines Nachlasspflegers sei sie darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass sich abgesehen von geringen Mietschulden auch ein Girokonto und ein Sparbuch mit Guthaben in Höhe von 72.077,87 Euro im Vermögen der Erblasserin befinden würden. Mithin habe sie sich in einem Irrtum über die Vermögensverhältnisse der Mutter befunden. Darauf gestützt beantragte die Tochter einen Alleinerbschein. Diesem Antrag trat der Großneffe der Erblasserin entgegen und gab an, die Beteiligte habe bewusst ausgeschlagen und aufgrund des geringen Kontakts sei die Alleinerbschaft auch aus moralischen Gründen ausgeschlossen. Auch er beantragte in der Folge einen Alleinerbschein aufgrund gesetzlicher Erbfolge. Das Nachlassgericht entschied zu seinen Gunsten und lehnte den Antrag der Tochter ab. Diese habe nicht wirksam angefochten, da sie sich nicht über eine verkehrswesentliche Eigenschaft im Irrtum befunden habe. Dagegen wehrte sich die Tochter mit der Beschwerde und begründete die zunächst erklärte Ausschlagung damit, die Kriminalbeamtin habe ihr in mehreren Telefongesprächen davon abgeraten, die Wohnung der Erblasserin aufgrund des schlechten Zustands zu betreten. Ohnehin würden sich dort keine Wertgegenstände befinden. Das Nachlassgericht half der Beschwerde allerdings nicht ab und so gelangte die Sache zum Oberlandesgericht Frankfurt.
Entscheidung des Gerichts
Das OLG Frankfurt gab dem Rechtsmittel nun statt. Zwar habe die Tochter zunächst wirksam gemäß §§ 1942 ff. BGB die Erbschaft ausgeschlagen, allerdings sei auch die Anfechtung dieser dann wirksam gewesen. Gemäß § 1957 I Alt. 2 BGB gilt die Anfechtung der Ausschlagung nämlich als Annahme. Dabei kommen grundsätzlich die Anfechtungsregeln aus dem BGB AT zur Anwendung, insbesondere hinsichtlich des Vorliegens eines tauglichen Anfechtungsgrundes aus den §§ 119 ff. BGB. Hier könne die Tochter ihre Anfechtung auf einen Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses aus §§ 1954, 119 II BGB stützen. Gem. § 119 II BGB liegt ein Eigenschaftsirrtum vor, wenn der Anfechtende über eine Eigenschaft irrt, die verkehrswesentlich ist. Dabei meint Eigenschaft jeden wertbildenden Faktor, außer den Wert selbst. Diese Differenzierung war auch im vorliegenden Fall entscheidend: Die ausschlaggebende Frage sei, ob die Tochter sich darüber geirrt habe, wie der Nachlass konkret zusammensetze oder nur über das Vermögen der Mutter, also den Wert der Erbschaft. Ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft läge nämlich vor, wenn der Annehmende falsche Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses, insbesondere hinsichtlich des Bestandes an Aktiva oder Passiva, habe (BayObLG, v. 05.07.2002 - 1Z BR 45/01). Davon zu differenzieren sei die Frage, ob der Erklärende ausreichende Anstrengungen unternommen habe, um die dafür notwendigen Informationen zu erlangen. Dabei sei nicht Verschulden maßgeblich, sondern allein die Plausibilität des behaupteten Irrtums. Zuletzt müsse der Irrtum noch kausal für die Ausschlagung gewesen sein, wobei eine Mitursächlichkeit genüge.
Nach Auffassung des Gerichts läge demnach hier ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft vor. Die Tochter habe plausibel dargelegt, dass sie zum Zeitpunkt der Ausschlagung irrtümlich falsche Vorstellungen über den Nachlass der Mutter gehabt habe, insbesondere über das Vorhandensein eines Giro- und Sparkontos. Entscheidend sei gewesen, dass die Tochter sich mehrfach bei der Kriminalkommissarin über die Wohnung sowie sonstig über die vorherige Lebenssituation der Erblasserin informiert habe. Dies überzeugte das OLG Frankfurt, dass sie sich über die Zusammensetzung des Nachlasses geirrt und nicht lediglich das Fehlen von Vermögenswerten für wahrscheinlich gehalten habe.
Dass der Großneffe der Erblasserin die Anfechtung aus moralischen Gründen für ausgeschlossen hielte, liege neben der Sache. Stattdessen habe die Tochter nach Auffassung des Gerichts überzeugend dargelegt, sie habe neben Angst vor den Bildern aus der Wohnung auch aus Sorge vor Überschuldung der Mutter die Erbschaft ausgeschlagen, sodass jedenfalls Mitursächlichkeit vorläge.
Prüfungsrelevanz
Erbrecht wird für die meisten von uns erst im Hauptstudium relevant. Das Erbrecht in Form von Testament oder gesetzlicher Erbfolge dient oft als Einstieg insbesondere bei im- bzw. mobiliar sachenrechtlichen Klausuren. Auch gibt es im Erbrecht häufig Querverweisungen zurück ins BGB AT, wenn es um die Anfechtung eines Testaments oder - wie hier gesehen - um die Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung geht. Der Fall bietet also genügend Anlass, die Grundzüge im Erbrecht noch einmal zu wiederholen.
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