Erbvertrag ohne Erben - Was gilt, wenn der eingesetzte Erbe vorverstorben ist?

Erbvertrag ohne Erben - Was gilt, wenn der eingesetzte Erbe vorverstorben ist?

Was passiert eigentlich, wenn der im Erbvertrag eingesetzte Erbe stirbt, bevor er überhaupt erben kann? Kann der Erblasser dann später einfach durch Testament neu bestimmen, wer stattdessen erben soll? Der BGH hatte in einem aktuellen Fall genau darüber zu entscheiden. Die Erblasserin hatte ursprünglich ihren Sohn im Erbvertrag als Schlusserben eingesetzt – doch dieser starb vor ihr. Kurz vor ihrem Tod verfasste sie ein handschriftliches Testament zugunsten ihrer Tochter. Die Enkel des vorverstorbenen Sohnes aber beanspruchten das Erbe. Wie der BGH diesen Konflikt auflöste, was das für das Verhältnis von Testament und Erbvertrag bedeutet und warum § 2270 BGB hier keine Rolle spielt – das erfährst Du in diesem Beitrag.

Kein Ersatzerbe bestimmt – Der Ausgangsfall vor dem BGH

Die Eheleute W. und ihr gemeinsamer Sohn schlossen 1994 einen notariellen Erbvertrag. Darin setzten sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben ein. Als Schlusserbe wurde der Sohn bestimmt. Die beiden Töchter der Eheleute erklärten gleichzeitig in notarieller Form einen Pflichtteilsverzicht, da sie zu Lebzeiten Ausgleichsleistungen erhielten.

Der Vater starb zuerst, dann der Sohn – und schließlich auch die Mutter. Kurz vor ihrem Tod errichtete sie ein handschriftliches Testament und setzte eine ihrer Töchter zur Alleinerbin ein.

Die Kinder des vorverstorbenen Sohnes beantragten nach dem Tod der Großmutter einen Erbschein, der sie – als Enkel – zu je einem halben Anteil als Erben ausweisen sollte. Das Nachlassgericht und das OLG Oldenburg lehnten dies ab.

Erbvertrag statt Testament – Warum § 2270 BGB keine Rolle spielt

Der BGH (Beschluss vom 26.03.2025 – IV ZB 15/24) hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und gab den Enkeln recht. Die Begründung: Die Bindungswirkung des Erbvertrags gelte fort – auch wenn der Sohn vor seiner Mutter verstorben war. Die Enkel würden durch ergänzende Auslegung an seine Stelle treten.

Grundlagen: Erbvertrag vs. gemeinschaftliches Testament

Im Erbrecht (§§ 1937 ff. BGB) gibt es mehrere Formen, wie jemand „letztwillig“ verfügen kann. Diese gewillkürte Erbfolge verdrängt dann die gesetzliche Erbfolge (§ 1937 BGB). Zwei wichtige Formen der gewillkürten Erbfolge, die Du kennen musst:

  1. Gemeinschaftliches Testament (§§ 2265 ff. BGB):
    Zwei Ehegatten (oder eingetragene Lebenspartner) können gemeinsam ein Testament errichten. Dieses enthält oft sogenannte wechselbezügliche Verfügungen. Wichtig ist hierbei die Auslegungsregel des § 2270 BGB.

  2. Erbvertrag (§ 1941 BGB):
    Anders als das Testament ist der Erbvertrag ein zweiseitiges Rechtsgeschäft. Er muss regelmäßig vom Schenkungsversprechen von Todes wegen (§ 2301 BGB) abgegrenzt werden. Zudem kann der Erbvertrag vertragsmäßige Verfügungen (§ 2278 BGB) enthalten, die besonders stark geschützt werden, etwa durch § 2289 BGB.

Warum greift § 2270 BGB nicht im Erbvertrag?

In dem Fall vor dem BGH enthielt der Erbvertrag keine Regelung für den Fall, dass der Sohn vor beiden Elternteilen stirbt. Bei einem gemeinschaftlichen Testament würde nun § 2270 BGB greifen: Die Schlusserbeneinsetzung wäre im Zweifel nicht bindend. Doch beim Erbvertrag gilt diese Vorschrift gerade nicht. Der BGH betonte ausdrücklich: Eine (analoge) Anwendung von § 2270 BGB auf Erbverträge ist ausgeschlossen, weil der Erbvertrag keine letztwillige Verfügung, sondern ein Vertrag ist und deshalb eine deutlich höhere Bindungswirkung aufweist. Die Verweisungsnorm des § 2279 I BGB gelte deshalb nicht für § 2270 BGB. Maßgeblich sei deshalb die Vertragsauslegung nach §§ 133, 157, 2084 BGB.

Regelungslücke im Erbvertrag - So begründet der BGH die Auslegung

Das Gericht stellte fest: Die Erblasser hätten den Fall des Vorversterbens ihres Sohnes schlicht nicht bedacht. Es bestand eine sogenannte Regelungslücke. Denn der Sohn war bei Vertragsschluss deutlich jünger als seine Eltern – sein Tod war aus ihrer Sicht unwahrscheinlich.

Weil die Töchter schon zu Lebzeiten Verzichtserklärungen abgegeben und Ausgleichszahlungen erhalten hatten, konnte der Erbvertrag nur dem Sohn (und seiner Linie) zugutekommen. Deshalb nahm der BGH an: Hätten die Eheleute den Fall bedacht, hätten sie gewollt, dass die Kinder des Sohnes – also ihre Enkel – an seine Stelle treten.

Diesen mutmaßlichen Willen stellte das Gericht durch eine ergänzende Auslegung des Vertrags fest. Damit galt der Erbvertrag zugunsten der Enkel fort. Das spätere Testament der Mutter, das eine der Töchter zur Alleinerbin bestimmte, war gemäß § 2289 I 2 BGB unwirksam, soweit es das Recht der Enkel beeinträchtigte.

Erbvertrag in der Klausur – Die wichtigsten Punkte im Überblick

Diese Entscheidung eignet sich perfekt für den Einstieg in das Erbrecht. Du kannst Dir vor allem drei Dinge merken:

  • Der Erbvertrag ist kein Testament. Er enthält vertraglich gesicherte Verfügungen, weshalb § 2270 BGB keine Anwendung findet.

  • Eine fehlende Ersatzerbenregelung im Erbvertrag kann durch ergänzende Auslegung geschlossen werden – wenn ein entsprechender hypothetischer Erblasserwille aus der Verfügung ermittelt werden kann.

  • Ein späteres Testament kann die Bindungswirkung des Erbvertrags nicht entfallen lassen, soweit im Erbvertrag kein Änderungsvorbehalt vereinbart wurde (§ 2289 BGB).

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