BGH zur Grundstücksräumung nach Aufhebung des Zuschlags im Zwangsversteigerungsverfahren

BGH zur Grundstücksräumung nach Aufhebung des Zuschlags im Zwangsversteigerungsverfahren

Herausgabeanspruch nach Zuschlagsaufhebung bei gutgläubigem Erwerb?

Nach § 985 BGB kann der Eigentümer von dem Besitzer, der kein Recht zum Besitz hat, die Herausgabe der Sache verlangen. Ist dies aber auch der Fall, wenn sein Grundstück von dem Ersteher ersteigert wurde und dieser Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren rechtskräftig aufgehoben wurde?

A. Sachverhalt

Der Kläger (K) war Eigentümer eines Grundstücks, auf welchem ein Wochenendhaus stand. Im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens erhielt die Beklagte (B) den Zuschlag und wurde als Eigentümerin des Grundstücks im Grundbuch eingetragen. Sie ließ das Wochenendhaus abreißen und baute für ca. 500.000,00 Euro darauf ein neues Haus. Zur Sicherung eines Darlehens in Höhe von 280.000,00 Euro wurde eine entsprechende Grundschuld für die finanzierende Bank im Grundbuch eingetragen. Zwei Jahre später wurde der Zuschlagbeschluss des Zwangsversteigerungsverfahrens rechtskräftig aufgehoben.

K verlangt von B unter anderem Grundbuchberichtigung, Räumung und Herausgabe des Grundstücks sowie Beseitigung des Hauses. B beantragt Klageabweisung und macht hilfsweise ein Zurückbehaltungsrecht für die Aufwendungen für den Hausbau in Höhe von 500.000,00 Euro geltend.

B. Entscheidung

K verlangt von B unter anderem Grundbuchberichtigung, Räumung und Herausgabe des Grundstücks sowie Beseitigung des Hauses.

I. Grundbuchberichtigung

K könnte gegen B einen Anspruch auf Zustimmung zur Grundbuchberichtigung nach § 894 BGB haben.

Die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs sind:

  1. Grundbuch unrichtig

  2. Anspruchsgegner ist formell Verpflichteter

  3. Anspruchsteller ist materiell Berechtigter

1. Grundbuch unrichtig

Das Grundbuch ist unrichtig, wenn die formelle und materielle Rechtslage auseinanderfallen. B ist im Grundbuch als Eigentümerin des Grundstücks eingetragen. Dementsprechend ist das Grundbuch unrichtig, wenn sie nicht Eigentümerin ist. Grundsätzlich erwirbt der Ersteher im Zwangsversteigerungsverfahren nach § 90 I ZVG mit dem Zuschlag das Eigentum an dem Grundstück. Dies gilt jedoch nicht, sofern der Zuschlagbeschluss nachträglich rechtskräftig aufgehoben wird.

Dabei kommt es … wegen der Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses nicht auf dessen Rechtmäßigkeit an. Ein Beschluss, mit dem ein im Zwangsversteigerungsverfahren erteilter Zuschlag aufgehoben wird, ist - ebenso wie ein Urteil - der materiellen Rechtskraft fähig.

Als rechtsgestaltender Hoheitsakt entfaltet der Aufhebungsbeschluss ebenso wie der Zuschlagsbeschluss Wirkung gegenüber jedermann und damit auch gegenüber der Beklagten …

Demnach ist das Grundbuch unrichtig.

2. Anspruchsgegner ist formell Verpflichteter

Da B im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen ist, ist sie auch formell Verpflichtete.

3. Anspruchssteller ist materiell Berechtigter

K ist als wahrer Eigentümer des Grundstücks der materiell Berechtigte.

Zwischenergebnis

Der Anspruch ist entstanden und er ist nicht untergegangen.

4. Zurückbehaltungsrecht nach § 273 II BGB wegen Verwendungsersatzanspruch nach § 996 BGB

Der Anspruch ist jedoch nicht durchsetzbar, wenn B ein Zurückbehaltungsrecht zusteht. Dies könnte sich aus § 273 II BGB ergeben. Dann müsste B gegen K ein entsprechender Verwendungsersatzanspruch zustehen. Dieser könnte sich aus § 996 BGB ergeben für nützliche Verwendungen. Danach kann der Besitzer für andere als notwendige Verwendungen nur insoweit Ersatz verlangen, als sie vor dem Eintritt der Rechtshängigkeit und vor dem Beginn der in § 990 BGB bestimmten Haftung gemacht werden und der Wert der Sache durch sie noch zu der Zeit erhöht ist, zu welcher der Eigentümer die Sache wiedererlangt.

a) Vindikationslage

Die für die Anwendung des § 996 BGB erforderliche Vindikationslage (=Eigentümer-Besitzer-Verhältnis) ist gegeben.

Der Kläger war Eigentümer des Grundstücks, da sein Eigentum mit der Aufhebung des Zuschlagbeschlusses rückwirkend wiederaufgelebt ist. Mit dem Verlust des Eigentums der Beklagten zu 1 haben beide Beklagten rückwirkend ihr Recht zum Besitz verloren und waren deshalb von Anfang an unrechtmäßige Besitzer. Dass die Vindikationslage erst rückwirkend entstanden ist, steht der Anwendung der §§ 987 ff. BGB nicht entgegen …

b) Voraussetzungen § 996 BGB

B war gutgläubig und unverklagt, als sie das Haus errichten ließ. Fraglich ist, ob es sich bei den diesbezüglichen Kosten in Höhe von 500.000,00 Euro um Verwendungen im Sinne des § 996 BGB handelt. Das richtet sich danach, ob der sog. enge oder weite Verwendungsbegriff maßgeblich ist. Bisher hatte der BGH den sog. engen Verwendungsbegriff zugrunde gelegt.

Verwendungen sind danach nur solche Vermögensaufwendungen, die der Sache zugutekommen sollen, ohne sie grundlegend zu verändern; die Maßnahmen müssten darauf abzielen, den Bestand der Sache als solcher zu erhalten oder wiederherzustellen oder deren Zustand zu verbessern.

Dementsprechend wäre der Neubau eines Hauses nach dem Abriss des vorherigen keine Verwendung gewesen. Nunmehr hat der BGH seine Rechtsprechung dahingehend verändert, dass er den weiten Verwendungsbegriff zugrunde legt.

Verwendungen sind danach alle Vermögensaufwendungen, die der Sache zugutekommen sollen, also auch solche, die sie grundlegend verändern (sogenannter weiter Verwendungsbegriff).

Zur Begründung hat der BGH unter anderem ausgeführt:

Insbesondere der mit den §§ 994 ff. BGB verfolgte Zweck spricht für den weiten Verwendungsbegriff….

Der Eigentümer wird durch eine Ersatzpflicht, die im Falle des § 996 BGB nur bei einer Verkehrswerterhöhung eintritt (vgl. dazu näher Rn. 36 ff.) nicht in seinem Vermögen, sondern nur in seiner Dispositionsbefugnis beeinträchtigt. Diese wird in den §§ 994 ff. BGB nicht absolut geschützt, sondern gerade eingeschränkt….

Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen führt der enge Verwendungsbegriff zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten und damit zu Rechtsunsicherheit. Denn es fehlen geeignete Kriterien dafür, wann noch eine erhaltende oder verbessernde und wann bereits eine grundlegend verändernde Aufwendung vorliegt. So kann auch im vorliegenden Fall die Frage aufgeworfen werden, ob das Grundstück mit dem Abriss des Wochenendhauses und der Errichtung des Wohnhauses grundlegend verändert wurde, obwohl das Grundstück weiterhin dem privaten Wohnen dient, oder ob sich der Zweck durch das Maß der Nutzung geändert hat (Einfamilienhaus statt Wochenendhaus). Der enge Verwendungsbegriff erweist sich damit als wenig praktikabel. Zudem überzeugt es nicht, die umfassende Sanierung eines bestehenden Hauses (Verwendung) anders zu behandeln als den Abriss und Neubau (keine Verwendung). Bei einer kostenträchtigen Sanierung versagt selbst der mit dem engen Verwendungsbegriff bezweckte Schutz des Eigentümers vor einer finanziellen Überforderung.

Zudem handelt es sich bei den Aufwendungen für den Neubau um nützliche Verwendungen im Sinne des § 996 BGB. Dabei hat der BGH entschieden,

dass für die Nützlichkeit einer Verwendung im Sinne von § 996 BGB allein die objektive Verkehrswerterhöhung der Sache maßgeblich ist, nicht jedoch der subjektive Wert für den Eigentümer. Der Verwendungsersatzanspruch des Besitzers ist allerdings auf die von ihm tatsächlich aufgewendeten Kosten begrenzt. Diese Grundsätze gelten auch bei der Errichtung eines Gebäudes auf einem fremden Grundstück.

c) Kein Beseitigungsanspruch nach § 1004 I BGB

K kann den Verwendungsersatzanspruch von B auch nicht durch die Geltendmachung eines Beseitigungsanspruches bezüglich des Hauses nach § 1004 I BGB verhindern.

Das Verhältnis von Beseitigungs- und Verwendungsersatzanspruch ist zwar gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. § 993 Abs. 1 Halbs. 2 BGB lässt sich aber im Zusammenspiel mit § 989 BGB entnehmen, dass der gutgläubige und nicht verklagte Besitzer als besonders schutzwürdig angesehen wird, weil er nicht zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet ist. Ein Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften ist ausgeschlossen. Diese Wertung muss im Hinblick auf einen Anspruch des Eigentümers nach § 1004 Abs. 1 BGB auf Beseitigung des Resultats der Verwendungen eines gutgläubigen und nicht verklagten Besitzers beachtet werden.

Zwischenergebnis

B steht ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 II BGB zu wegen eines Verwendungsersatzanspruchs nach § 996 BGB in Höhe von 500.000,00 Euro.

Ergebnis

K hat gegen B einen Anspruch auf Zustimmung zur Grundbuchberichtigung nach § 894 BGB Zug-um-Zug (vgl. § 274 I BGB) gegen Ersatz der Verwendungen von 500.000,00 Euro nach § 996 BGB.

II. Räumung und Herausgabe

K hat gegen B dem Grunde nach einen Anspruch auf Räumung nach § 1004 I 1 BGB und Herausgabe des Grundstücks nach § 985 BGB. Dieser ist jedoch ebenfalls wegen des Zurückbehaltungsrechts von B derzeit nicht durchsetzbar.

III. Beseitigung des Hauses

Ein Anspruch des K gegen B auf Beseitigung des Hauses nach § 1004 I BGB besteht nicht (s.o.).

C. Prüfungsrelevanz

Die Entscheidung ist sehr prüfungsrelevant, da sie die Möglichkeit bietet, das Sachenrecht mit dem Zwangsversteigerungsrecht zu kombinieren. Dabei bedarf es einer genauen Prüfung, ob im Rahmen eines Anspruchs auf Zustimmung zur Grundbuchberichtigung nach § 894 BGB ein Zurückbehaltungsrecht wegen nützlicher Verwendungen nach § 996 BGB geltend gemacht werden kann.

(BGH Urt. v. 14.03.2025 – V ZR 153/23)

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