
Der Ausschluss der Öffentlichkeit während der mündlichen Verhandlung kann unter gewissen Voraussetzungen einen absoluten Revisionsgrund gem. § 338 Nr. 6 StPO darstellen. Ob ein solcher Grund auch dann gegeben ist, wenn der Ausschluss dem Grunde nach gerechtfertigt war, es aber (nur) an einem entsprechenden Beschluss fehlt, hat der BGH geprüft.
A. Sachverhalt
Der Angeklagte A war vor dem Landgericht unter anderem wegen Vergewaltigung an der Nebenklägerin N angeklagt. Auf Antrag der N beschloss die Strafkammer am ersten Verhandlungstag, die Öffentlichkeit während ihrer Vernehmung nach § 171b I und II GVG auszuschließen. Auf Basis dieses Beschlusses wurde N am ersten und am dritten Sitzungstag nichtöffentlich vernommen und anschließend im gegenseitigen Einverständnis gem. § 248 StPO entlassen. Eine erneute Vernehmung erfolgte am fünften Sitzungstag, dieses Mal jedoch öffentlich. Am sechsten Sitzungstag wurde N noch einmal vernommen, dieses Mal auf ihren Antrag hin wieder nichtöffentlich. Ein erneuter Beschluss gem. § 174 I S. 2 GVG erging nicht. Es wurde lediglich auf den vorherigen Beschluss verwiesen, welcher auf Anordnung des Vorsitzenden „erneut ausgeführt“ wurde.
B. Entscheidung
Der BGH (Urt. v. 28.02.2024 – 5 StR 413/23) hat festgestellt, dass das Landgericht mit der nichtöffentlichen Vernehmung am sechsten Sitzungstag die Öffentlichkeit gesetzeswidrig beschränkt habe und ein absoluter Revisionsgrund gemäß. § 338 Nr. 6 StPO vorliege.
Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist Ausfluss des sich aus Artikel 20 III GG ergebenden Rechtsstaatsprinzips. Verhandlungen sollen nicht in dunklen Hinterzimmern stattfinden, sondern unter dem wachsamen Auge der Öffentlichkeit. Dementsprechend regelt § 169 GVG, dass die strafrechtliche Hauptverhandlung grundsätzlich öffentlich durchzuführen ist. Zu diesem Grundsatz gibt es jedoch Ausnahmen, die in den §§ 171a ff GVG normiert sind. Gründe für den Ausschluss der Öffentlichkeit ergaben sich hier sowohl aus § 171b I 1 als auch aus § 171b II 1 GVG. Zu beachten ist aber, dass für den Ausschluss der Öffentlichkeit ein Beschluss des erkennenden Gerichts erforderlich ist, § 174 I 2 GVG. Das gilt auch, wenn ein Zeuge nach seiner Entlassung erneut unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen werden soll. Der BGH hat dazu Folgendes ausgeführt:
„Der erforderliche neue Beschluss kann nicht durch eine Anordnung des Vorsitzenden ersetzt werden, in der auf einen vorangegangenen, die Öffentlichkeit ausschließenden, Beschluss Bezug genommen wird…Da die Nebenklägerin nach ihrer ersten nichtöffentlichen Vernehmung am dritten Hauptverhandlungstag nach § 248 StPO entlassen worden war, hätte das Landgericht vor ihrer erneuten nichtöffentlichen Zeugenvernehmung am sechsten Hauptverhandlungstag einen weiteren Beschluss über den Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 174 Abs. 1 Satz 2 StPO treffen müssen. Angesichts des zeitlichen Ablaufs war ein neuerlicher Gerichtsbeschluss auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Denn eine solche Ausnahme kann nur in ganz engen zeitlichen Grenzen in Betracht kommen, etwa wenn die Entlassung des Zeugen sofort zurückgenommen und sich die erneute Vernehmung zusammen mit der vorausgegangenen als eine einheitliche Vernehmung darstellt … So liegt der Fall hier indes nicht. Danach liegt ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Öffentlichkeit vor, der den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO begründet.“
Die Besonderheit der absoluten Revisionsgründe besteht darin, dass gem. § 338 StPO ein „Urteil … stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen“ ist. Im Gegensatz dazu muss das Beruhen bei den relativen Revisionsgründen gem. § 337 StPO dargelegt und begründet werden. Nur in ganz wenigen Fällen hat der BGH entgegen dem Wortlaut Ausnahmen zugelassen, und zwar immer dann, wenn ein Beruhen „denkgesetzlich“ ausgeschlossen ist. Entsprechend hat er auch zu § 338 Nr. 6 StPO zwei Ausnahmekonstellationen entwickelt, mit welchen er sich anlässlich dieser Entscheidung erneut auseinandergesetzt hat.
Eine Ausnahme liegt vor, wenn ein Beschluss ergangen ist, mit welchem die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, in diesem Beschluss aber der Ausschließungsgrund nicht angegeben wird, welcher aber für die Öffentlichkeit ohne weiteres erkennbar ist. Sofern nach Auffassung des Revisionsgerichts rechtlich keine andere Entscheidung in Betracht gekommen wäre, soll entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 338 Nr. 6 StPO ein absoluter Revisionsgrund ausscheiden.
Diese Ausnahme ist ersichtlich nicht verwirklicht, da es vorliegend schon an einem Beschluss fehlt.
Eine andere Ausnahme soll vorliegen, wenn ein Ausschließungsbeschluss fehlt, die Öffentlichkeit aber lediglich bei den Schlussvorträgen ausgeschlossen wurde. Sofern die Voraussetzungen des § 171b III 2 GVG vorliegen, wonach in diesen Fällen die Öffentlichkeit zwingend ausgeschlossen werden muss, scheidet ein absoluter Revisionsgrund aus.
Diese Ausnahme könnte vorliegend übertragen werden. Allerdings ist zu beachten, dass es keinen zwingenden Ausschlussgrund gab. Anders als bei § 171b III 2 GVG steht dem Gericht hier ein Ermessenssspielraum zu. Der BGH führt dazu Folgendes aus:
„Ein derartiger tatbestandlicher Rückbezug auf eine feststehende innerprozessuale Tatsache lässt sich der Regelung des § 171b Abs. 3 Satz 1 GVG indes nicht entnehmen. Anders als § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG setzt sie schon einen hierauf gerichteten Antrag voraus, was – wie der hier zu entscheidende Fall zeigt – eine Auslegung von Prozesserklärungen der Personen erfordern kann, deren Lebensbereich von der Verhandlung betroffen ist. … Zudem müssen die Voraussetzungen von § 171b Abs. 1 oder 2 GVG vorliegen. Jedenfalls für die hier vorliegende Fallkonstellation des § 171b Abs. 1 GVG steht dem Gericht ein Ermessenspielraum zu. Denn es muss selbst beim Vorliegen eines Antrags auf Ausschließung der Öffentlichkeit der in ihrem Lebensbereich betroffenen Person deren schutzwürdige Belange mit dem Interesse der Allgemeinheit an der öffentlichen Erörterung der inmitten stehenden Umstände abwägen (§ 171b Abs. 1 Satz 1 und 2 GVG). Das erkennende Gericht muss deshalb in seiner Gesamtheit die Verantwortung für den Öffentlichkeitsausschluss durch die Fassung eines Beschlusses nach § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG übernehmen. Mit Blick auf die hohe Bedeutung der Öffentlichkeitsmaxime im demokratischen Rechtsstaat … ist daher nicht zu rechtfertigen, die Vorschrift des § 338 Nr. 6 StPO auch für die Fälle des zwingenden Ausschlusses nach § 171b Abs. 3 Satz 1 GVG restriktiv anzuwenden.“
C. Prüfungsrelevanz
In Deiner Revisionsklausur startest Du bei der Begründetheit zunächst mit der Prüfung von möglichen Verfahrenshindernissen. Danach befasst Du Dich mit Verfahrensfehlern, wobei Du mit den absoluten Revisionsgründen beginnst. Ob die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde und ob ein entsprechender Beschluss erlassen wurde, kannst Du dem Hauptverhandlungsprotokoll entnehmen, da es sich insoweit um wesentliche Förmlichkeiten handelt, die zu protokollieren sind. Auch wenn die relativen Revisionsgründe die größere Rolle in Deiner Klausur spielen, ist doch die vorliegende Entscheidung Anlass genug, sich noch einmal mit den wesentlichen, absoluten Revisionsgründen zu befassen.
(BGH Urt. v. 28.02.2024 – 5 StR 413/23)
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