
OLG Oldenburg zu den Anforderungen an eine angemessene Mängelanzeige
Seit der Einführung der Schuldrechtsreform ist die Fallgruppe rund um den mangelbedingten Betriebs- und Nutzungsausfallschaden höchstrichterlich umstritten. Leider hat sich der Gesetzgeber dieser Problematik noch nicht angenommen und es fehlt an einer entsprechenden gesetzlichen Regelung, die Klarheit schafft. Daher kommst Du vorerst nicht drum herum, diesen Meinungsstreit in Deiner Klausur zu führen. Mit der neuen Entscheidung des OLG Oldenburg reiht sich ein neues Paradebeispiel in diese Schadensgruppe ein. Damit Du in Zukunft gut gewappnet bist und erkennst, wenn diese Problematik in Deiner Klausur vorliegt, stellen wir Dir die Entscheidung des OLG Oldenburg vom 05.11.2024 (Az. 2 U 93/24) vor.
Was ist passiert?
A betreibt einen landwirtschaftlichen Betrieb und wollte hierfür eine Fahrsiloanlage (Anlage, in der Futter, insbesondere Mais auf eine besonders effiziente Weise gelagert werden kann) errichten lassen. Im Jahr 2019 erteilte ihm die zuständige Baubehörde die Baugenehmigung mit der Auflage zu einer Dichtigkeitsprüfung durch einen Sachverständigen. A beauftragte B, der auf den Bau von Fahrsiloanlagen spezialisiert ist, mit der Herstellung dieser Anlage. Hierzu schlossen die beiden am 09.03.2021 einen Vertrag. Nachdem B die Anlage hergestellt hat, nahm der von A beauftragte Gutachter H die Dichtigkeitsprüfung vor. Den Prüfbericht übersandte der Gutachter allerdings erst Anfang Dezember 2021 an die zuständige Baubehörde. Im September 2021 nahm A dann von B das Bauwerk ab. Daraufhin stellte B am 30.09.2021 die Schlussrechnung in Höhe von knapp 6.000 Euro.
Mitte Oktober 2021 stellte A plötzlich fest, dass die Anlage wider Erwarten undicht sei und sich die Abflüsse nicht öffnen ließen. Hierüber informierte A den B noch am selben Tag (14.10.2021). Am 25.10.2021 forderte A den B schriftlich dazu auf, den Mangel (Undichtigkeit) “schnellstmöglich, spätestens bis zum 08.11.2021” zu beseitigen. Am 26.10.2021 und am 29.10.2021 verkaufte A bereits wegen der drohenden Verderblichkeit seine Maisernte, weil er diese aufgrund der Undichtigkeit nicht in der neu errichteten Anlage lagern und weiterverarbeiten konnte. Daher musste er sich dann notwendigerweise neues Futter in Höhe von 66.000 Euro für seine Tiere beschaffen. Über diesen Umstand machte A den B allerdings weder aufmerksam noch informierte er B über die Dringlichkeit des Verkaufs.
B reparierte die Anlage bis zum 08.11.2021 fristgemäß.
A machte anschließend die Kosten, die ihm dadurch entstanden sind, dass er die Anlage nicht nutzen konnte, also für den zusätzlichen Futterkauf, gerichtlich geltend und erhob vor dem Landgericht Oldenburg Klage. Das LG urteilte, dass es sich bei diesen Kosten nicht um einen ersatzfähigen Schaden handele. Daher legte A Berufung gegen die Entscheidung ein.
Rechtlicher Hintergrund
Das OLG Oldenburg wies auch die Berufung als unbegründet zurück. Nach der rechtlichen Bewertung des Berufungsgerichts, steht A unter keiner in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen ein Schadensersatzanspruch zu.
Im Vordergrund dieses Falles steht die bekannte Problematik des Nutzungsausfallschadens infolge eines Sach- oder Werkmangels und damit der Streit über die rechtliche Handhabung dieser Schadensgruppe.
Das OLG musste vorliegend keinen Streitentscheid führen, weil weder die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 634 Nr. 4, 280 II, 286 I, 288 IV BGB (Verzug), noch gemäß §§ 634 Nr. 4, 280 I und III, 281 I BGB (statt der Leistung) und §§ 634 Nr. 4, 280 I BGB (neben der Leistung) vorliegen.
Ein Schadensersatzanspruch wegen Verzugs scheidet vorliegend aus, weil B sich weder in Verzug mit der Fertigstellung des Bauwerks noch im Verzug mit der Nacherfüllung befand.
Durch die Abnahme der Fahrsiloanlage im September 2021 ist der Anspruch auf Fertigstellung gemäß § 362 BGB erloschen, sodass ein Verzug mit der Fertigstellung nicht mehr möglich war. Daher ist der eingetretene Schaden auch nicht auf einen etwaigen Verzug mit der Fertigstellung des Bauwerks zurückzuführen.
Die erforderliche Mahnung mit Fristsetzung bis spätestens zum 08.11.2021 hat A am 25.10.2021 ausgesprochen. Daraufhin hat B den Mangel an der Anlage auch bis zum 08.11.2021 behoben. Aus dem Wortlaut der Mahnung “schnellstmöglich” lässt sich zudem nicht herleiten, dass das zum Verzugseintritt begründende Ereignis bereits einen Tag nach Aussprache der Mahnung am 26.10. bzw. am 29.10.2021 eingetreten sei. Eine Reparatur innerhalb eines Tages bzw. vier Tagen sei für B nicht realisierbar. Dies resultiert zum einen daraus, dass für die erforderliche Reparatur eine Mitwirkung seitens des A notwendig gewesen sei und eine nicht unerhebliche Entfernung zum Betriebssitz der B besteht. Daher sei laut dem Berufungsgericht ein zeitlicher Vorlauf für die Mangelbeseitigung unvermeidlich, sodass mit der Formulierung “schnellstmöglich” die Frist nicht innerhalb von ein bis vier Tagen ablaufen könne.
Außerdem könne auch in der verspäteten Überlassung des Prüfberichts kein verzugsbegründendes Verhalten von B zu sehen sein. Denn die Erstellung des Prüfberichts sei kein Bestandteil des Vertrages zwischen A und B geworden. Die Pflicht zur Erstellung eines Prüfberichts bestehe nur in der Rechtsbeziehung zwischen A und dem Gutachter, so die Richter:innen.
Da B den Mangel an der Anlage bis zum 08.11.2021 behob, fehle es laut dem OLG an der Voraussetzung der erfolglos abgelaufenen Frist zur Nacherfüllung.
Der einfache Schadensersatzanspruch gemäß § 280 I BGB scheitere daran, dass A den Schaden weit überwiegend zu verschulden habe gemäß § 254 II 1 BGB. A habe B schließlich nicht darüber in Kenntnis gesetzt, dass ein Verkauf der Maisernte so dringlich und rasch vor Ablauf der Nacherfüllungsfrist vorgenommen werden müsse. Der Umstand, dass B die Mängel an der Anlage fristgerecht behoben habe, spreche dafür, dass B bei Kenntnis der Dringlichkeit des unmittelbaren Verkaufs der Maisernte zumindest versucht hätte, die Mängel noch früher zu beheben bzw. eine andere Lösung zu finden.
Prüfungsrelevanz
Im Kern geht es bei dieser Abgrenzungsfrage darum, ob ein solcher Nutzungsausfallschaden schon unter den “einfachen” Voraussetzungen des § 280 I BGB, also ohne Fristsetzung geltend gemacht werden kann. Du siehst also, dass Dreh- und Angelpunkt in diesem Streit das Kriterium der Fristsetzung ist. Der Meinungsstreit wird für Dich aber nur dann relevant, wenn in Deinem Klausursachverhalt Probleme bei der Fristsetzung eingebaut sind. Ist die Frist erfolglos abgelaufen, dürften in der Regel die “strengen” Voraussetzungen für einen Schadensersatz wegen Verzug oder statt der Leistung vorliegen. Daher dürfte dann nach allen Ansichten ein Anspruch bestehen, sodass Du keinen Streitentscheid führen musst. Fehlt eine Mahnung mit Fristsetzung oder handelt es sich nicht um eine nicht angemessene Mahnung, besteht nur nach dem einfachen Schadensersatzanspruch gemäß § 280 I BGB ein Anspruch. In dieser Konstellation ist dann erforderlich, dass Du in Deiner Klausur den Meinungsstreit entscheidest. In dem hier zugrunde liegenden Fall kam noch die Besonderheit hinzu, dass A den B nicht über die Dringlichkeit des Maisverkaufs informierte. Daher traf A selbst ein Mitverschulden am Schadenseintritt gemäß § 254 BGB, sodass selbst der Anspruch aus § 280 I BGB gescheitert ist. Hieran siehst Du also, dass Du die anderen Prüfungspunkte nicht aus dem Blick verlieren darfst und es für die Klausursteller:innen leicht ist, noch andere Nebenkriegsschauplätze innerhalb dieser Abgrenzungsfrage einzubauen. In unseren Lerneinheiten kannst Du die verschiedenen Standpunkte noch einmal auffrischen.
Resümee
Bei dieser Problematik handelt es sich um eine eher rechtstheoretische und dogmatische Streitigkeit, die an die Frage anknüpft, ob ein solcher Nutzungsausfallschaden durch eine frühestmögliche Nacherfüllung vermieden worden wäre und wenn ja, ob dieser Schaden dann überhaupt als Mangelfolgeschaden angesehen werden kann. Gestritten wird also darum, ob die strengen Voraussetzungen des Verzugs oder der erfolglos abgelaufenen Frist vorliegen müssen und daher dem Käufer bzw. dem Besteller nur ein Schadensersatzanspruch wegen Verzug oder statt der Leistung zusteht. Du siehst also, dass sowohl eine zeitliche als auch eine kenntnisbezogene Komponente maßgeblich für die Einstufung des Nutzungsausfallschadens ist.
Auch wenn Du wahrscheinlich auf den ersten Blick nicht jeden Gedankengang nachvollziehen kannst, darfst Du Dich davon nicht entmutigen lassen. Du kannst Dich auf diesen Streitentscheid im Vorfeld Deiner Klausur gut vorbereiten. Wichtig ist, dass Du Dir auch in solchen Standardproblematiken vor Augen führst, dass Du stets eine Einzelfallentscheidung treffen musst und daher sachverhaltsnah argumentieren solltest.
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