Ist das Durchbohren von Fliesen noch vertragsgemäßer Gebrauch?

Ist das Durchbohren von Fliesen noch vertragsgemäßer Gebrauch?

Das AG Paderborn zur Schadensersatzpflicht beim Durchbohren von Wandfliesen

Streitigkeiten in Mietverhältnissen beschäftigen die Gerichte täglich. Eine Kernfrage, die dabei immer wieder auftaucht: Was gehört zum vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache? Als Mieter hat man das Bedürfnis, die Wohnung nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Dazu kann insbesondere auch das Bohren von Löchern gehören. Diese dauerhafte Beeinträchtigung der Mietsache liegt in der Regel nicht im Interesse des Vermieters. Das AG Paderborn hat sich mit der Frage beschäftigt, wann und ob das Bohren von Löchern in Fliesen zum vertragsgemäßen Gebrauch gehört.

Was war geschehen?

Der Mieter M mietete eine Wohnung vom Vermieter V an. Der Kläger leistete im Rahmen des Mietverhältnisses eine Mietkaution in Höhe von 800,00 Euro. Anlässlich des beabsichtigten Einzugs der Tochter des Vermieters in die Wohnung kündigte der V das Mietverhältnis und die Wohnung wurde übergeben. Im Zuge der Beendigung des Mietverhältnisses leistete der M eine Zahlung in Höhe von 350,00 Euro an den V, auf die dieser keinen Anspruch hatte. Später verlangte der M die Zahlung der Kaution und den zu viel gezahlten Betrag zurück. Der V verweigerte die Rückzahlung und erklärte die Aufrechnung u.a. mit Kosten für die Beseitigung etwaiger Schäden an der Mietwohnung. Zur Begründung führte der V an, dass der M vier Fliesen in der Küche und zwei Fliesen im Bad durchbohrt habe. Eine Fristsetzung zum Austausch der defekten Fliesen setzte der V nicht.

Entscheidung des Gerichts

Das AG Paderborn (Urt. v. 18.03.2024 – 51 C 135/23), gab der Klage nur teilweise statt. Denn der Rückzahlungsanspruch des Mieters M für die Mietkaution und den zu viel gezahlten Betrag sei durch die Aufrechnung gem. § 389 BGB erloschen.

Grundsätzlich sieht das Gericht einen Schadensersatzanspruch gem. §§ 535, 280 I, 241 II BGB wegen der durchbohrten Fliese als gegeben an.

Der Mieter M habe mit dem Durchbohren der Fliesen seine Obhutspflicht verletzt. Die Obhutspflicht verpflichte den Mieter dazu, die Mietsache ordnungsgemäß zu nutzen und zu pflegen. Dies umfasst die sorgfältige Behandlung der Mietgegenstände und die Vermeidung von Schäden. Insbesondere falle das Anbohren der Fliesen nicht unter den vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache im Sinne des § 538 BGB.

Das hier ist der Knackpunkt des Falles. Es geht nun darum, herauszuarbeiten, ob das Durchbohren der Fliese eine Pflichtverletzung darstellt oder noch zum vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache gehört. Aber wie genau findet man nun heraus, was noch zum vertragsgemäßen Gebrauch gehört? Die vertragsgemäße Nutzung einer Mietsache bestimmt sich nach dem Vertragsinhalt und dem Vertragszweck. Vor diesem Hintergrund musst Du den Umfang des vertragsgemäßen Gebrauchs Vertragsauslegung ermitteln. Hier kommt es vor allem auf Deine Argumentation an. Aber keine Sorge, der Sachverhalt wird Dir die wesentlichen Pro- und Contra-Argumente liefern. Wichtig ist nur, dass Du sie an die richtige Stelle setzt und den Sachverhalt vollständig auswertest, um keine Punkte liegen zu lassen. Vertretbar sind im Zweifel beide Ergebnisse.

Hier hat das AG besonders schön die Argumentation herausgearbeitet und entschied, dass das Durchbohren der Wandfliesen vom Vermieter im Rahmen des vertragsgemäßen Gebrauchs nur dann zu dulden sei, wenn das Anbringen des Bohrlochs in der Fliesenfuge nicht möglich gewesen wäre. Wäre nämlich das Bohren in die Fliesenfuge möglich gewesen, würde dies einen wesentlich geringeren Eingriff in die Sachsubstanz der Mietwohnung darstellen. Wichtig für Deine Argumentation ist es also, dass Du bei der Auslegung des vertragsgemäßen Gebrauchs sowohl die Interessen des Mieters als auch des Vermieters berücksichtigst.

Hier kann das Prüfungsamt den Sachverhalt beliebig variieren. Beispielsweise gehört zum vertragsgemäßen Mietgebrauch grundsätzlich auch das Anbringen von Dübeln im allgemein üblichen Umfang, z.B. zum Anbringen von Spiegeln im Bad und zum Verankern von Wandschränken. Dies würde dann keine Pflichtverletzung darstellen.

Sofern Du in der Klausur zu dem Ergebnis kommst, dass eine Verschlechterung an der Mietsache durch eine vertragswidrige Nutzung eingetreten ist, ist Vorsicht geboten. Das Gesetz ist hier ausnahmsweise nicht eindeutig formuliert: Tritt die Verschlechterung der Mietsache durch vertragsgemäßen Gebrauch ein, liegt schon keine Pflichtverletzung vor. Der Anspruch scheitert nicht erst am Vertretenmüssen, wie der Gesetzeswortlaut suggeriert, sondern bereits an der Pflichtverletzung.

Das Gericht entschied zudem, dass das Setzen einer Nachfrist für den Schadensersatzanspruch nicht nötig gewesen sei. Das Gericht hat also die wichtige Abgrenzung zwischen Schadensersatz statt und neben der Leistung vorgenommen. Diese Abgrenzung wird Dir im Verlauf des Studiums noch an vielen Stellen begegnen. Entscheidend für die Abgrenzung ist, ob die Verletzung einer zur Anwendbarkeit der §§ 280 I, III i.V.m. 281 BGB führenden Leistungspflicht oder die Verletzung einer in § 241 II BGB geregelten vertraglichen Nebenpflicht, bei der sich die Anspruchsvoraussetzungen allein nach § 280 I BGB bestimmen, in Rede steht.

Bereits vor einigen Jahren hat der BGH entschieden, dass es keiner Fristsetzung bei der Verletzung von § 538 BGB bedarf. Denn bei der Verpflichtung des Mieters, die überlassenen Mieträume in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch gemäß § 538 BGB geeigneten Zustand zu erhalten, insbesondere die Räume schonend und pfleglich zu behandeln, handelt es sich um eine nicht leistungsbezogene Nebenpflicht, deren Verletzung nur unter den in § 280 I BGB geregelten Voraussetzungen eine Schadensersatzpflicht begründet.

Prüfungsrelevanz

Das Mietrecht hat eine überragende praktische Bedeutung und ist daher auch für das Studium sehr relevant. Die Entscheidung des AG Paderborn eignet sich sehr gut für eine Klausur. Gerade die Abgrenzung, was zum vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache gehört und was nicht, bietet einigen Argumentationsspielraum. Aber keine Sorge, der Sachverhalt wird Dir die wesentlichen Pro- und Contra-Argumente liefern. Wichtig ist nur, dass Du sie an die richtige Stelle setzt. Spannend ist in der Entscheidung die allgemeine Abgrenzung zum Schadensersatzanspruch statt und neben der Leistung. Die Abgrenzung ist ein Klassiker für die Ausbildung und das Studium. Gerade für § 538 BGB war lange umstritten, welche Schadensersatzart greift. Auch hier wird Dir das Prüfungsamt die wesentlichen Argumente im Sachverhalt liefern und Dich auf das Problem stoßen.

Neben den materiell-rechtlichen Besonderheiten bietet das Mietrecht auch prozessuale Besonderheiten, die Du kennen solltest. Gerade für Fortgeschrittene- oder Examensklausuren bietet sich eine prozessuale Einkleidung oder Zusatzfrage an. Dabei musst Du etwa an die besondere sachliche und örtliche Zuständigkeit der Gerichte denken: Nach § 29a ZPO ist für Streitigkeiten über Ansprüche aus Miet- oder Pachtverhältnissen über Räume oder über das Bestehen solcher Verhältnisse das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk sich die Räume befinden. Gem. § 23 Nr. 2 lit. a GVG sind die Amtsgerichte ausschließlich für Streitigkeiten über Ansprüche aus einem Mietverhältnis über Wohnraum oder über den Bestand eines solchen Mietverhältnisses zuständig.

BlogPlus

Du möchtest weiterlesen?

Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.

Paket auswählen