
Beim ungeschriebenen Hausrecht gestörter Hoheitsträger ist nicht nur die Ableitung der Ermächtigungsgrundlage für belastende Maßnahmen von Interesse, sondern auch die Ausgestaltung des Rechtsschutzes, zumal es in aller Regel um Eilverfahren geht. Das Verwaltungsgericht Berlin hat in seiner Entscheidung vom 01.11.2024 (1 L 387.24) dies alles systematisch dargestellt, sodass wir den Fall als vollständigen Klausurfall entsprechend wiedergeben.
A. Vereinfachter Sachverhalt
A ist seit Jahren hauptberufliche Journalistin mit Schwerpunkt im Bereich der Ballettkritik und hat in dieser Funktion zahlreiche Vorstellungen der Staatsoper des Landes L besucht. Seit acht Jahren ist es nach Auffassung des Intendanten der Staatsoper, einer Behörde des Landes, zu störenden Zwischenfällen gekommen: So hat A sich 2016 geweigert, Mantel und große Tragetasche vor Vorstellungsbeginn abzugeben und stattdessen lautstarke Auseinandersetzungen mit der zuständigen Mitarbeiterin geführt. Als ihr einige Wochen danach an der Abendkasse der käufliche Erwerb von Vorzugskarten verwehrt wurde, hat sie sich nach Auffassung der Leitung diskriminierend, rassistisch und beleidigend geäußert. Nun hat sie während einer Vorstellung fotografiert, anderen Gästen die Sicht genommen und eine lautstarke, zeitweise auch körperliche Auseinandersetzung mit ihren Sitznachbarn während der Vorstellung geführt.
Daraufhin hat der Intendant für die laufende Spielzeit nach Abmahnungen wegen der sich abzeichnenden Wiederholungsgefahr schriftlich ein Hausverbot ausgesprochen und die sofortige Vollziehung der Maßnahme angeordnet. Das Hausverbot sei erforderlich, um eine Beruhigung der Situation zu bewirken. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde mit der sofortigen Sicherstellung eines ungestörten Veranstaltungsablaufs begründet, da durch die von A verursachten Störungen Besucher und Angestellte gegenwärtig erheblich betroffen seien.
A hat umgehend Widerspruch eingelegt und beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Wie wird das Verwaltungsgericht darüber entscheiden?
B. Entscheidung
Das Verwaltungsgericht gibt dem Antrag auf Eilrechtsschutz statt, wenn es zuständig ist und der Antrag der A zulässig und begründet ist.
1. Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts
Das Verwaltungsgericht verweist den Rechtsstreit an das zuständige Gericht, wenn es nicht zuständig sein sollte (§§ 17a GVG II, 83 VwGO).
a) Verwaltungsrechtsweg
Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 I VwGO im Grundsatz dann eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche, nicht verfassungsrechtliche Streitigkeit handelt. Problematisch ist dabei allein die Frage nach dem öffentlich-rechtlichen Streitgegenstand, zumal der Zugang zu den Vorstellungen laut Sachverhalt durch den „käuflichen Erwerb von Vorzugskarten“ und damit nach Privatrecht erfolgt.
Dazu ist zunächst festzustellen, dass im vorliegenden Fall ein Hoheitsträger (das Land) durch eine Behörde in einer typisch hoheitlichen Form und damit zwingend öffentlich-rechtlich tätig geworden ist: Wehrt sich der Bürger gegen eine staatliche Maßnahme, kommt es nicht darauf an, wie der Hoheitsträger möglicherweise hätte handeln müssen, sondern wie er tatsächlich gehandelt hat – hier typisch einseitig mit Anordnung einer sofortigen Vollziehung. Zudem verweist das VG Berlin zur Abgrenzung auch auf eine 2-stufige Rechtsbeziehung beim Zugang zu öffentlichen Einrichtungen, wonach das „Ob“ einer vorenthaltenen Leistung ohne ausdrückliche privatrechtliche Ausgestaltung dem öffentlichen Recht, das „Wie“ hingegen privatrechtlichen Charakter haben kann. Es verweist dazu auf eine Parallelentscheidung, in der es ausgeführt hat (VG Berlin, Beschluss vom 28.06.2024 – 1 L 156/24 – Rn. 12):
„Nach der sog. Zwei-Stufen-Lehre ist zwischen der Frage des Zugangs zu einer solchen öffentlichen Einrichtung („Ob“) und der Frage der Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses („Wie“) zu unterscheiden. Während die erste Stufe des grundsätzlichen Zugangs zu einer öffentlichen Einrichtung immer öffentlich-rechtlicher Natur ist, kann die konkrete Ausgestaltung der Benutzung auch privatrechtlich erfolgen, etwa durch AGB (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Mai 1990 - 7 B 30/90; VG Wiesbaden, a. a. O., Rn. 31 m. w. N.). Ist – wie hier – die Frage der Rechtmäßigkeit eines dauerhaften Ausschlusses von dem Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung als Kehrseite zu deren Zulassung streitig, stellt auch dies eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit dar (vgl. VG Wiesbaden, a. a. O., Rn. 32 m. w. N.). Dies gilt insbesondere für den Fall, dass dieser Ausschluss durch ein Hausverbot erfolgt, mit welchem der Träger der öffentlichen Einrichtung den ungestörten Betrieb der öffentlichen Einrichtung zugunsten aller anderen Berechtigten, also der Öffentlichkeit, aufrechterhalten will.“
b) Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts
Sachlich zuständig zur Entscheidung im Eilverfahren ist wie in der Hauptsache das Verwaltungsgericht als Eingangsinstanz (§§ 80 V 1, 123 II, 45 VwGO).
Eine Verweisung des Rechtsstreits kommt deshalb nicht in Betracht.
2. Zulässigkeitsvoraussetzungen
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen beurteilen sich nach der statthaften Verfahrensart.
a) Antrag nach § 80 V VwGO
Der Eilrechtsschutz richtet sich nach § 80 V 1 VwGO als lex specialis zu § 123 I VwGO, wenn es der A um die Suspendierung eines Verwaltungsaktes geht (vgl. § 123 V VwGO).
Durch das Hausverbot wird bezogen auf den Einzelfall der A einseitig verbindlich geregelt, dass sie während der Spielzeit die Vorstellungen nicht mehr besuchen darf. Die Behörde hat sich damit der Handlungsform eines Verwaltungsaktes bedient (§ 35 Satz 1 LVwVfG). A geht es darum, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs herzustellen, um so das Hausverbot einstweilen außer Kraft zu setzen.
b) Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen
Auch ohne ausdrückliche Regelung gilt für die Rechtsbehelfe der VwGO das Erfordernis der Klage- bzw. Antragsbefugnis nach dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 42 II VwGO. A ist Adressatin des belastenden Verwaltungsaktes und damit in ihren Freiheitsrechten, subsidiär Art. 2 I GG, betroffen.
c) Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
Für einen Antrag nach § 80 V VwGO ist das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis als allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzung nur gegeben, wenn Widerspruch eingelegt ist und dieser Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat, sodass der/die Antragsteller:in auf eine Suspendierung mit Hilfe des Verwaltungsgerichts angewiesen ist.
Im vorliegenden Fall hat die zuständige Landesbehörde das Hausverbot und damit ihren Verwaltungsakt für sofort vollziehbar erklärt. Damit hat der Widerspruch der A entgegen § 80 I VwGO keine aufschiebende Wirkung (§ 80 II 1 Nr. 4 VwGO), sodass ein Bedürfnis am Eilrechtsschutz durch das Gericht besteht.
3. Begründetheit
Beruht der Wegfall der aufschiebenden Wirkung auf einer Anordnung der sofortigen Vollziehung, kann der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz begründet sein, weil das Aussetzungsinteresse dem Vollziehungsinteresse vorgeht, aber auch deshalb, weil die Anordnung der sofortigen Vollziehung ihrerseits rechtswidrig ist. Letzteres ist aus prozessökonomischen Gründen vorrangig zu prüfen.
a) Formelle Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell nur rechtmäßig, wenn die besonderen Gründe, die für die vorzeitige Vollziehung des Verwaltungsaktes sprechen, schriftlich dargelegt worden sind (§ 80 III 1 VwGO). Ist das nicht geschehen, ohne dass die Ausnahme des § 80 III 2 VwGO eingreift, hebt das Verwaltungsgericht die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf mit der Folge, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs (§ 80 I VwGO) kraft Gesetzes eintreten kann.
Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung in der vorgesehenen Form ausreichend begründet, wie das VG Berlin (1 L 387.24) ausführt (Rn. 16):
„Dieser Begründungspflicht hat die Antragsgegnerin insofern ausreichend genügt, als sie ausgeführt hat, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei notwendig, um vor dem Hintergrund der genannten drei Vorfälle der Gefahr eines wiederholten Verstoßes im öffentlichen Interesse und zur Sicherstellung eines ungestörten Veranstaltungsablaufs zu begegnen. Die Antragsgegnerin stellt zudem darauf ab, dass das Hausverbot nur durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung effektiv Wirksamkeit erlangen kann.“
b) Vorrang des Aussetzungsinteresses
Im Übrigen kommt es für die Beurteilung der Begründetheit eines Eilrechtsschutzes nach § 80 V 1 VwGO darauf an, ob bei Gegenüberstellung des Aussetzungsinteresses und des Vollziehungsinteresses das Aussetzungsinteresse Vorrang genießt. Dafür sind die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs von entscheidender Bedeutung. Erweist sich bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Verwaltungsakt als rechtswidrig, geht das Aussetzungsinteresse vor.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ist trotz mangelnder Kodifizierung ein öffentlich-rechtliches Hausverbot zulässig (Rn. 18 und 19), im vorliegenden Fall jedoch unter Ermessensfehlern ausgesprochen worden, weil es unverhältnismäßig ist (Rn. 20 und 21):
(18) „Das Hausrecht ist notwendiger Annex der Sachkompetenz eines Hoheitsträgers zur Erfüllung der ihm übertragenen Verwaltungsaufgaben. Es gibt dem Hoheitsträger insbesondere das Recht, zur Wahrung der Zweckbestimmung der im Verwaltungsgebrauch stehenden Gebäude und Räumlichkeiten sowie zur Abwehr von Störungen des Dienstbetriebs den Aufenthalt von Personen darin zu reglementieren (vgl. zum Vorstehenden: OVG Münster, Beschluss vom 5. September 2018 – 15 B 1001/18.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Oktober 2010 – OVG 10 B 2.10; VG Berlin, Beschluss vom 8. September 2020 – 1 L 250/20).
(19) Im Gegensatz zum zivilrechtlichen Hausrecht, das seinem Inhaber ermöglicht, grundsätzlich frei darüber zu entscheiden, wem er den Zutritt zu der Örtlichkeit gestattet und wem er ihn verwehrt (BGH, Urteil vom 30. Oktober 2009 – V ZR 253/08), sind an das öffentlich-rechtliche Hausverbot wegen Art. 20 Abs. 3 GG strengere Anforderungen zu stellen (VG Neustadt/Weinstraße, Beschluss vom 23. Februar 2010 – 4 L 103/10.NW). Hierzu muss eine mehr als nur leichte und/oder vorübergehende Beeinträchtigung der öffentlichen Tätigkeit vorliegen… Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Ausspruch eines Hausverbots präventiven Charakter hat, indem dieses darauf abzielt, zukünftige Störungen zu vermeiden. Deshalb ist in einem Bescheid anzuführen, warum in Zukunft wieder mit Störungen zu rechnen ist und das Hausverbot daher erforderlich, um erneute Vorfälle zu ….
(20) Bei der Ausübung des öffentlich-rechtlichen Hausrechts sind zudem die inneren und äußeren Grenzen des Ermessens einzuhalten….
(21) Das von der Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin ausgesprochene Hausverbot verletzt die Antragstellerin insbesondere in ihrer Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, aber auch in ihrer Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG…. Es fehlt nach Überzeugung der Kammer bereits an der notwendigen Wiederholungsgefahr, also der Erforderlichkeit der Maßnahme, aber auch der Schwere der Beeinträchtigung. Die der Antragstellerin von der Antragsgegnerin vorgeworfenen drei Vorfälle sind – unterstellt diese hätten sich in der von der Antragsgegnerin vorgetragenen Weise ereignet – gemessen an dem oben dargestellten Maßstab nicht geeignet ein Hausverbot zu rechtfertigen. Hierbei ist zunächst zu beachten, dass die beiden ersten Vorfälle bereits viele Jahre zurückliegen. Darüber hinaus sind diese angesichts der Dauer von über acht Jahren und gemessen an der Vielzahl von Besuchen der Vorstellungen … vereinzelt geblieben. Hieraus ergibt sich, dass die weit überwiegende Mehrheit der Besuche der Antragstellerin … bei Veranstaltungen der Antragsgegnerin ohne Zwischenfälle abgelaufen ist. Es ist vor diesem Hintergrund nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin zu Verstößen gegen die Hausordnung neigt.“
Unverhältnismäßig ist auch, dass das Land nicht ein milderes Mittel wie etwa ein vorübergehendes Hausverbot oder eine Abmahnung eingesetzt hat. Erweist sich aber der Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung als rechtswidrig, lässt sich seine vorzeitige Vollziehung nicht rechtfertigen.
Ergebnis
Das Verwaltungsgericht stellt die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der A gegen den Bescheid des Landes her.
(VG Berlin Beschluss vom 01.11.2024 - 1 L 387.24)
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