BGH zur ergänzenden Vertragsauslegung im Rahmen von zusammenhängenden Verträgen

BGH zur ergänzenden Vertragsauslegung im Rahmen von zusammenhängenden Verträgen

Rücktrittsrecht eines im Zusammenhang mit einem Mietvertrag abgeschlossenen Bewirtungsvertrages?

Sofern zwei Verträge miteinander stehen und fallen sollen, kann die ergänzende Vertragsauslegung ergeben, dass im Falle der wirksamen Auflösung des einen Vertrages von dem anderen Vertrag zurückgetreten werden kann.

A. Sachverhalt

Die Klägerin (K), eine Eventagentur, mietete von der Beklagten zu 1 (B 1) Räume für die Durchführung einer Veranstaltung im Mai 2020 und schloss mit der Beklagten zu 2 (B 2) einen Bewirtschaftungsvertrag zur Erbringung gastronomischer Leistungen für diese Veranstaltung. Die Beklagten haben dieselbe Geschäftsanschrift und denselben Geschäftsführer. Dem Vertrag mit B 1 waren die AGB mit u.a. folgender Klausel beigefügt:

§ 18 Höhere Gewalt

Kann die Veranstaltung aufgrund höherer Gewalt nicht stattfinden, so trägt jeder Vertragspartner seine bis dahin entstandenen Kosten selbst. Ist die R. GmbH & Co. KG [Anmerkung: Beklagte zu 1] für den Kunden mit Kosten in Vorleistung getreten, die vertraglich zu erstatten wären, so ist der Kunde in jedem Fall zur Erstattung dieser Kosten verpflichtet. Der Ausfall einzelner Künstler oder das nicht rechtzeitige Eintreffen eines oder mehrerer Teilnehmer sowie schlechtes Wetter einschließlich Eis, Schnee und Sturm fällt in keinem Fall unter den Begriff “höhere Gewalt”.

Aufgrund der damals aktuellen Corona-Schutzverordnung war die Durchführung der Veranstaltung verboten. K fragte an, ob eine Verlegung in den September 2020 möglich sei. B 2 verlangte jedoch einen Aufschlag von 44.000 Euro. Daraufhin erklärte K im April 2020 gegenüber B1 und B 2 den Rücktritt von den Verträgen. B 1 wurde rechtskräftig zur Rückzahlung der geleisteten Anzahlung verurteilt. K verlangt auch von B 2 die entsprechende Rückzahlung.

K verlangt von B 2 die Rückzahlung einer geleisteten Anzahlung i.H.v. 41.650 Euro.

B. Entscheidung

K macht insofern aufgrund eines Rücktritts die Rückgewehr der geleisteten Anzahlung i.H.v. 41.650 Euro geltend.

Vertraglicher Anspruch

K könnte gegen B 2 einen Anspruch auf Rückzahlung i.H.v. 41.650 Euro nach § 346 I BGB haben.

(Vertragliche Primäransprüche, welche aus Sicht des Bestellers auf Erfüllung nach § 631 I 1. Hs. BGB gerichtet sind, kommen nicht in Betracht. Bei dem geltend gemachten Anspruch aus einem erklärten Rücktritt handelt es sich um einen vertraglichen Sekundäranspruch.)

Voraussetzungen eines Anspruchs aus einem erklärten Rücktritt bei einem Werkvertrag sind:

I. Werkvertrag

II. Rücktrittserklärung

III. Rücktrittsgrund

IV. Kein Ausschluss

V. Rechtsfolge: Rückgewähr der empfangenen Leistung

V. Durchsetzbarkeit

I. Werkvertrag

Zwischen K und B 2 ist ein entsprechender Werkvertrag als Bewirtschaftungsvertrag hinsichtlich der Erbringung gastronomischer Leistungen geschlossen worden, § 631 BGB.

II. Rücktrittserklärung

K hat gegenüber B 2 im April 2020 den Rücktritt nach § 349 BGB erklärt. Diese Erklärung ist B 2 nach § 130 I 1 BGB, vertreten durch den Geschäftsführer nach § 35 I 1 GmbHG gem. § 164 III BGB, zugegangen.

III. Rücktrittsgrund

Ferner müsste für K ein Rücktrittsgrund bestehen. In Betracht kommt ein vertraglicher oder gesetzlicher Rücktrittsgrund. Bei dem erklärten Rücktritt handelt es sich nicht um eine Kündigung des Bestellers aus wichtigem Grund nach § 648 BGB (wird vom BGH nicht weiter ausgeführt). Ein gesetzlicher Rücktrittsgrund ist nicht gegeben. Jedoch könnte ein vertraglicher Rücktrittsgrund bestehen.

1. Kein vereinbartes vertragliches Rücktrittsrecht

Zwar haben K und B 2 kein vertragliches Rücktrittsrecht vereinbart.

2. Rücktrittsrecht aufgrund ergänzender Vertragsauslegung

Jedoch könnte sich ein Rücktrittsrecht im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung ergeben. Anders als bei der erläuternden Auslegung nach §§ 133, 157 BGB, bei der der wirkliche Wille der Vertragsparteien ermittelt wird („Das haben sie eigentlich gewollt.“), kommt es bei der ergänzenden Auslegung nach dem Vertragsschluss zu nicht vorhergesehen Veränderung und es ist der hypothetische oder mutmaßliche Wille der Vertragsparteien festzustellen („Das hätten sie gewollt, wenn sie das gewusst hätten.“).

a) Regelungslücke

Es bedarf zunächst der Feststellung einer Regelungslücke.

Eine Regelungslücke ist gegeben, wenn ein Vertrag eine planwidrige Unvollständigkeit aufweist. Das ist dann der Fall, wenn die Parteien einen Punkt übersehen oder ihn bewusst offengelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben und sich diese Annahme nachträglich als unzutreffend herausstellt. Dabei kann von einer planwidrigen Regelungslücke nur gesprochen werden, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrunde liegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrags eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist ….

Eine solche Regelungslücke liegt hier deshalb vor, weil die Klägerin und die Beklagte zu 2 in dem Bewirtungsvertrag keine Regelung für den Fall getroffen haben, dass wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage - hier wegen des behördlichen Veranstaltungsverbots gemäß § 1 SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung des Senats von Berlin - ein wirksamer Rücktritt der Klägerin von dem mit der Beklagten zu 1 geschlossenen Mietvertrag gemäß § 313 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 BGB erfolgt und dieser folglich nicht mehr zur Durchführung gelangt.

Hier ergibt sich, dass

nur eine gemeinsame Durchführung des Mietvertrags und des Bewirtungsvertrags gewollt war, diese Verträge daher miteinander stehen und fallen sollten.

Insofern besteht eine Regelungslücke, denn die Parteien

haben in dem Bewirtungsvertrag keine Regelung für den Fall getroffen, dass eine von ihrem beiderseitigen Vertragswillen umfasste gemeinsame Durchführung beider Verträge nicht in Betracht kommt, weil die Klägerin wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 BGB wirksam von einem der Verträge - hier dem Mietvertrag - zurücktritt.

b) Schließung der Regelungslücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung

Diese Regelungslücke ist im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB zu schließen. Dabei

ist der hypothetische Parteiwille Grundlage für die Ergänzung des Vertragsinhalts, sodass darauf abzustellen ist, was die Vertragsparteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten …. Dabei zielt das Instrument der ergänzenden Vertragsauslegung nicht darauf ab, die Regelung nachzuzeichnen, die die Parteien tatsächlich getroffen hätten, sondern es ist auf einen beidseitigen Interessenausgleich gerichtet, der aus einer objektiv-generalisierenden Sicht dem hypothetischen Willen der Parteien Rechnung trägt ….

Nach diesen Maßstäben hätten die Parteien des Bewirtungsvertrags der Klägerin ein Recht zum Rücktritt auch von diesem Vertrag zugebilligt, wenn sie bedacht hätten, dass der Mietvertrag wegen eines - unter Berücksichtigung der dort getroffenen Vereinbarungen - wirksamen Rücktritts gemäß § 313 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 BGB aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage endgültig nicht mehr zur Durchführung gelangt. Das Gleiche gilt, wenn - wie hier - zwischen den Parteien des Mietvertrags rechtskräftig feststeht, dass dieser wegen eines wirksamen Rücktritts gemäß § 313 Abs. 3 Satz 1 BGB endgültig nicht durchgeführt wird.

Dies entspricht dem hypothetischen, auf beidseitigen Interessenausgleich gerichteten Willen redlicher Vertragsparteien, deren Vertragswillen von vornherein auf die gemeinsame Durchführung des Mietvertrags und des Bewirtungsvertrags gerichtet war. Da beide Verträge, wie ausgeführt, miteinander stehen und fallen sollten, kommt eine isolierte Anpassung nur des Bewirtungsvertrags durch Vereinbarung eines neuen Termins nicht in Betracht.

IV. Kein Ausschluss

Die Rückgewähr der empfangenen Leistungen ist weder vertraglich noch gesetzlich ausgeschlossen. Auch schutzwürdige Interessen von B 2 stehen der Rückgewähr nicht entgegen.

Denn nicht nur die Klägerin hatte - für die Beklagte zu 2 erkennbar - ausschließlich ein Interesse an einer gemeinsamen Durchführung beider Verträge. Vielmehr entsprach dies auch dem Geschäftskonzept der - nach den Feststellungen des Berufungsgerichts - miteinander verbundenen Beklagten, die das W. gemeinsam betreiben. Hieran muss sich die Beklagte zu 2 redlicherweise festhalten lassen.

V. Rechtsfolge: Rückgewähr der empfangenen Leistung

Als Rechtsfolge kann K von B 2 gem. § 346 I BGB die Rückgewähr der empfangenen Leistungen und somit die Rückzahlung der geleisteten Anzahlung i.H.v. 41.650 Euro verlangen.

VI. Durchsetzbarkeit

Ansprüche sind nicht durchsetzbar, sofern ihnen eine Einrede entgegensteht. Eine vorübergehende (dilatorische) Einrede nach § 348 BGB ist nicht gegeben, da K vorgeleistet hat. Ferner besteht keine dauerhafte (peremptorische) Einrede aufgrund von Verjährung gem. § 214 I BGB. Die Verjährung des Anspruchs auf Rückgewähr nach § 346 I BGB unterliegt der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist nach § 195 BGB, welche gem. § 199 I BGB mit dem Schluss des Jahres der Anspruchsentstehung und der Kenntnis des Gläubigers beginnt. Die Ansprüche sind noch nicht verjährt und somit durchsetzbar.

Ergebnis

K hat gegen B 2 einen Anspruch auf Rückzahlung i.H.v. 41.650 Euro nach § 346 I BGB.

C. Prüfungsrelevanz

Die Rückforderung geleisteter Zahlungen aufgrund eines erklärten Rücktritts - sei es beim Kaufvertrag oder wie hier beim Werkvertrag - ist ein großer Schwerpunkt der Examensklausuren. In der vorliegenden Entscheidung ging es dabei um zwei zusammenhängende Verträge, einen Mietvertrag über Räume und einen Bewirtschaftungsvertrag als Werkvertrag für die Erbringung gastronomischer Leistungen.

Die Entscheidung ist höchst prüfungsrelevant, da sie die Möglichkeit bietet, sich mit den üblichen Fragestellungen des Rücktrittsrechts in Verbindung mit den Besonderheiten der ergänzenden Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB auseinanderzusetzen.

(BGH Urt. v. 18.1.2024 – VII ZR 142/22)

BlogPlus

Du möchtest weiterlesen?

Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.

Paket auswählen