Wie weit reicht die Haftung des Geschäftsherren für sein Personal?

Wie weit reicht die Haftung des Geschäftsherren für sein Personal?

OLG Frankfurt zum Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen

Spätestens seit Corona gehören die sogenannten Konzertveranstaltungs-Fälle zum Repertoire in Deinen Uni Klausuren oder im Examen. Solche Fälle bieten den Prüfungsämtern ein großes Spektrum an, juristische Probleme im BGB AT und Schuldrecht zu prüfen. Das OLG Frankfurt hat sich in seiner aktuellen Entscheidung vom 16.10.2024 (Az. 9 U 85/22) näher mit dem Rechtsinstitut des Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen beschäftigt. Wie weit reicht die Haftung des Geschäftsherren für sein Personal?

Was ist passiert?

Der Kläger kaufte sich für die Konzertveranstaltung „Weihnachtsrock“ des Sportvereins „Kult“ Konzerttickets. Die Stadt erteilte die Genehmigung für diese Veranstaltung unter der Auflage, dass der Sportverein die Sicherheit der Veranstaltung durch Überwachung des Zugangs und der Ordnung im Saal zu gewährleisten habe. Daraufhin organisierte ein Vereinsmitglied die Sicherheitskraft A. A war in guter körperlicher Konstitution, verfügte über Vorerfahrung und war nicht vorbestraft. Da A ein Freund eines Vereinsmitglieds war, erhielt er für seine Tätigkeit keine Bezahlung, aber dafür Freigetränke. Gegen Ende der Veranstaltung ereignete sich auf dem nahe gelegenen Parkplatz eine Schlägerei, zu der A von außenstehenden Personen hinzugeholt wurde. Ebenfalls wurde der Kläger zur Hilfe geholt. Dieser bewaffnete sich im Vorfeld mit einem Axtstiel. Als A den Kläger mit der Axt in der Hand wahrnahm, fixierte er den Kläger von hinten und schlug ihm die Axt aus der Hand. Anschließend drückte er den Kläger mit seinem Körper auf einen in der Nähe stehenden Pkw und schlug ihn mehrfach mit seinem Kopf gegen das Dach des Pkws. In diese Situation griff der dazukommende Zeuge H ein. Dadurch entstand ein Gerangel zwischen dem Zeugen H und A, wodurch A von dem Kläger abließ. Als dieses Gerangel beendet war, steuerte A erneut auf den Kläger zu und stieß ihn ohne Vorwarnung mit beiden Händen wuchtig gegen den Oberkörper, sodass der Kläger rückwärts und ungebremst mit dem Hinterkopf auf den Asphalt aufschlug. Infolge des Sturzes erlitt der Kläger einen Schädelbasisbruch mit einer Schädelhirnverletzung und einer Gehirnverletzung.

Der Kläger verklagte den Sportverein nun auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes.

Entscheidung des Gerichts

Das OLG Frankfurt wies die Klage in seinem Urteil vom 16.10.2024 (Az. 9 U 85/22) ab. Dem Kläger steht weder ein vertraglicher Anspruch noch ein deliktischer Anspruch gegen den Sportverein auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes zu.

Im Mittelpunkt der Entscheidung des OLG Frankfurt stand die Frage nach der Zurechnung fremden Verhaltens, da der Sportverein nicht selbst unmittelbar bei der Schlägerei auf dem Parkplatz handelte. Der Gesetzgeber hat mit § 278 BGB und § 831 BGB jeweils Normen in das BGB aufgenommen, die eine Haftung für fremdes Verschulden möglich machen.

I. Vertragliche Ansprüche

Als zahlender Besucher der Konzertveranstaltung sei zwischen dem Kläger und dem Sportverein zwar ein Vertragsverhältnis zustande gekommen, aus dem sich die Schutzpflichten des § 241 II BGB ergeben. Hierzu zählen der Schutz der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit der Konzertbesucher.

Dem Sportverein sei jedoch die Handlung der Sicherheitskraft A nicht gemäß § 278 BGB zuzurechnen, auch wenn dieser für den Sportverein als Erfüllungsgehilfe tätig war. Zwar habe der Geschäftsherr auch für strafbare Handlungen seiner Erfüllungsgehilfen einzustehen, selbst wenn der Erfüllungsgehilfe seinen Weisungen vorsätzlich zuwiderhandele. Dies gelte aber nur, wenn zwischen dem Handeln des Erfüllungsgehilfen und der ihm übertragenen Aufgabe für Außenstehende ein innerer Zusammenhang erkennbar sei. Dieser fehle hier. Denn der Bezug zu der Tätigkeit als Sicherheitskraft in Bezug auf den Kläger war in dem Moment beendet, in dem A den Kläger entwaffnet habe. Vielmehr habe A für den weiteren in zeitlicher Zäsur stehenden Angriff einen neuen Tatentschluss gefasst, dem Kläger ohne ersichtlichen Grund oder Provokation einen Stoß gegen die Brust zu versetzen.

II. Deliktische Ansprüche

Der Sportverein haftet auch nicht gemäß § 831 I 1 BGB gegenüber dem Kläger. Denn die Verletzung des Klägers durch A sei zum einen nicht in Ausführung der Tätigkeit als Sicherheitskraft erfolgt. Der notwendige innere Zusammenhang zwischen der übertragenen Aufgabe als Sicherheitskraft und dem Geschehen auf dem Parkplatz bestehe allenfalls in Bezug auf das erstmalige Eingreifen auf dem Parkplatz. Zum anderen könne der Sportverein den Entlastungsbeweis gemäß § 831 I 2 BGB führen. Demnach scheide die Haftung aus, wenn feststehe, dass der Schaden auch bei sorgfältigem Verhalten eingetreten wäre. Das OLG Frankfurt führt in diesem Zusammenhang aus, „dass bei einem Konzert in einem Gemeindezentrum, bei der die Tätigkeit unentgeltlich im Wege eines Freundschaftsdienstes erfolge, die entsprechende körperliche Konstitution, Vorerfahrung sowie fehlende Vorstrafen die maßgeblichen Kriterien für die Auswahl des Gehilfen seien“. Diese Kriterien habe A erfüllt. Eine zusätzliche Prüfung auf persönliche und moralische Eigenschaften sei laut dem OLG nicht erforderlich gewesen. Grund hierfür sei, dass es sich bei der streitgegenständlichen Aufgabe nicht um eine besonders gefahrträchtige und verantwortungsvolle Tätigkeit handele.

Prüfungsrelevanz

Das Thema “Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen” läuft während der Klausur- und Examensvorbereitung bei den meisten von Euch wahrscheinlich unter dem Radar und zählt im Schuldrecht AT noch zu den leichteren und weniger komplizierteren Rechtsinstituten. Dies führt dazu, dass Du das Thema zwangsläufig aufgrund des immensen Lernstoffs schnell ad acta legen dürftest. Die Entscheidung des OLG zeigt Dir, dass dieses Thema durchaus den Schwerpunkt Deiner Klausur darstellen kann. Damit Du für solche Klausuren gut gewappnet bist, solltest Du Dich zumindest einmal damit beschäftigen, welche Grenzen es innerhalb der Haftung des Erfüllungsgehilfen für den Geschäftsherrn gibt.

Diese Fälle lassen sich aber auch ideal mit weiteren Problemen im Schuldrecht rund um das Thema “Leistungsstörungsrecht” kombinieren. Beispielsweise könnte der Klausurersteller oder die Klausurerstellerin noch einbauen, dass der Konzertveranstalter das Konzert verlegen muss und es nicht an dem ursprünglichen Termin stattfinden kann, der Konzertteilnehmer aber bereits eigenständig Hotel und Anreise gebucht hat. Hier solltest Du Dir die Stichwörter Unmöglichkeit, absolutes und relatives Fixgeschäft sowie Rentabilitätsvermutung auf Deiner Lösungsskizze notieren. Außerdem könnten die Prüfungsämter den Fall auch so stricken, dass der Konzertveranstalter eine Mehrheit von Leistungen anbietet, wie z.B. eine Unterkunft in der Nähe vom Konzert sowie den Hin- und Rücktransport von Unterkunft zum Konzert. Welche Ansprüche stehen dem Konzertteilnehmer zu, wenn einer dieser Teilleistungen nicht erbracht werden kann?

Außerdem könnten die Prüfungsämter noch auf die Idee kommen, dass die Tickets für das Konzert nur in bar bezahlt werden können und sich der Konzertveranstalter bei dem Termin für die Bezahlung im Annahmeverzug befindet und dem Käufer anschließend das Geld gestohlen wird. Schlagwörter sind dann hier neben dem Annahmeverzug auch die Leistungs- und Gegenleistungsgefahr sowie die Konkretisierung nach § 243 II BGB.

Natürlich können solche Fälle auch um zusätzliche Probleme im BGB AT angereichert werden, wie z.B. der Stellvertretung beim Kauf der Tickets.

Solltest Du vor Deinem zweiten Examen stehen, solltest Du für solche Klausuren, bei denen verschiedene Leistungsträger involviert sind, immer das Thema der Streitverkündung auf dem Schirm haben.

Du siehst also, dass diese Fälle ein großes Potenzial haben, diverse Themen unterzubringen und der Schwierigkeitsgrad sehr variieren kann.

Resümee

Das OLG hat in seiner Entscheidung noch einmal betont, dass der Zurechnung als Erfüllungsgehilfen nicht entgegenstehe, dass sich die Auflage der Gemeinde lediglich auf die Gewährleistung der Ordnung im Saal bezogen habe. Für außenstehende Beobachter gehöre der Nahbereich der Veranstaltung, in welchem die Besucher ankommen und abfahren, noch zum Veranstaltungsgelände. Greifen Sicherheitskräfte in diesem Bereich in eine Schlägerei ein, werde dies nicht als völlig von der übertragenden Aufgabe losgelöste Handlung wahrgenommen.

Wichtig ist zudem, dass Du Dir merkst, „dass für den Entlastungsbeweis gemäß § 831 BGB der Geschäftsherr nicht nachzuweisen habe, dass auch ein anderer Geschäftsherr die Erfüllungsperson ausgewählt hätte. Es reiche aus, wenn er die Kriterien darlege, nach denen ein sorgfältiger Geschäftsherr in objektiver Hinsicht seinen Gehilfen ausgewählt hätte.“

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