Wer sinnbildlich die Zähne zusammenbeißt, stimmt einer Lieferfristverlängerung zu?
Emojis, Emoticons und andere Kürzel sind im digitalen Zeitalter genauso wenig aus unserer Kommunikation wegzudenken wie Messengerdienste allgemein. Selbstverständlich bleiben auch die Gerichte von entsprechenden Fällen nicht verschont. Dass das OLG München mit seinem Urteil vom 11.11.2024 (Az.: 19 U 200/24 e) zeigt, wie man souverän mit diesen Themen umgeht, ist sicherlich ein Glücksfall für alle Prüfungsämter.
Sachverhalt
Der Kläger bestellte beim Beklagten im Jahr 2020 ein Neufahrzeug der Marke Ferrari zu einem Kaufpreis von über 600.000 Euro. Von diesem Betrag leistete der Kläger vertragsgemäß etwa 60.000 Euro bereits als Anzahlung. Als Liefertermin wurde der 31.03.2022 bestimmt. Da es herstellerseits Probleme mit wichtigen Bauteilen des Ferraris gab, konnte der Beklagte den Termin nicht einhalten. Hierüber informierte er den Kläger im Rahmen des laufenden Austausches per WhatsApp. Der Kläger reagierte mit einem Emoji, den jeder kennt: Das Gesicht, das einen weiten Blick auf seine aufeinandergepressten Zähne preisgibt. Es folgte ein „Ups“ seitens des Klägers und eine Nachfrage zu einer möglichen Bestellbestätigung des Wagens.
Tatsächlich konnte der Wagen nicht zum 31.03.2022 übergeben und übereignet werden. Nachdem der Kläger dem Beklagten vergeblich eine angemessene Nachfrist setzte, erklärte er den Rücktritt vom Kaufvertrag. Später tat es ihm der Beklagte gleich. Seinen Rücktritt stützte er argumentativ darauf, dass der Kläger den Wagen nicht abgenommen und bezahlt habe.
Der Käufer machte nun klageweise die Rückzahlung der Anzahlung von rund 60.000 Euro geltend. Der Beklagte konterte dies mit einer Widerklage. Er verlangt vom Kläger die Zahlung von Schadensersatz, weil er den Ferrari aufgrund der Nichtabnahme durch den Kläger lediglich mit einem Verlust von über 100.000 Euro weiterverkaufen konnte.
Das erstinstanzliche Urteil des LG München II vom 22.12.2023 (Az.: 5 O 3532/22) brachte vermutlich den Kläger zum Zähneknirschen: Seine Klage wurde abgewiesen, während dem Beklagten der genannte Schadensersatz aus der Widerklage vollumfänglich zugesprochen wurde. Der Kläger wollte die Sache jedoch nicht auf sich bewenden lassen und richtete sich mit seiner Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung des bayerischen Landgerichts.
Achtung an alle Referendar:innen: Der Fall bietet wegen der Berufung mit Widerklage eine wirklich lesenswerte Konstellation. Wer das Tenorieren üben will, hat in diesem Urteil vom 11.11.2024 (Az.: 19 U 200/24 e) das erforderliche Übungsmaterial gefunden.
Entscheidung des OLG München
Das OLG München sah die Dinge anders als die Vorinstanz. Es änderte das erstinstanzliche Urteil insofern ab, dass der Beklagte verurteilt wurde, dem Kläger die Vorschusszahlung von rund 60.000 Euro zurückzuzahlen. In Folge dessen ging der Beklagte leer aus. Seine auf Schadensersatz gerichtete Widerklage wies das Gericht ab.
Das Gericht sah einen Rückzahlungsanspruch des Klägers wegen eines wirksamen Rücktritts vom Kaufvertrag aus § 346 I BGB für gegeben an. Dass dem Kläger auch ein Rücktrittsrecht nach § 323 BGB zustand, stützte das OLG auf eine Leistungspflichtverletzung des Beklagten. Die darin läge, dass er seiner kaufvertraglichen Pflicht zur Übergabe und Übereignung (§ 433 I 1, 2 BGB) des Ferraris nicht mit Ablauf des 31.03.2022, dem Fälligkeitszeitpunkt, nachgekommen sei. Eine wirksame Lieferfristverlängerung zum 30.06.2022 sei zwischen den Parteien schließlich nicht per WhatsApp durch die Übersendung des Emojis erfolgt.
An dieser Stelle beschäftigte sich das Gericht zunächst mit der Frage, ob WhatsApp-Nachrichten überhaupt einem vertraglich vereinbarten Schriftformerfordernis i.S.d. § 127 II 1 BGB genügen können, weil die Parteien sich im Rahmen des Kaufvertrages für eine gewillkürte Schriftformklausel entschieden. Nach Darstellung verschiedener Sichtweisen stellte sich der 19. Zivilsenat schließlich auf den Standpunkt, dass jedenfalls Textmitteilungen auf Instant-Messengerdiensten wie WhatsApp als Form der Telekommunikation dem Rechtsbegriff der telekommunikativen Übermittlung nach § 127 II 1 BGB unterfallen. Die Warn- und Schutzfunktion der Schriftform sei bei WhatsApp-Textmitteilungen hinreichend erfüllt: Wegen der dauerhaften Aufbewahrungsmöglichkeit der Nachrichten bzw. der Möglichkeit, diese weiterzuleiten oder in einer Cloud zu sichern, seien diese Mitteilungen zu Beweiszwecken reproduzierbar. Auch böten diese eine hinreichend sichere Gewähr in Bezug auf die Person, die rechtlich hinter der Erklärung stehen soll. Etwaige Bedenken in Bezug auf die Warnfunktion ergab sich für den Senat nicht, denn die „Ansicht, dass Messengerdienste weit überwiegend nur zum raschen Austausch rein privater Nachrichten und gerade nicht zur Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen benutz würden und dabei die Emotionalität privater Nachrichten und nicht das überlegte Handeln mit entsprechenden rechtlichen Konsequenzen im Vordergrund stünde, erscheint angesichts der mittlerweile weiten Verbreitung dieser elektronischen Kommunikationsform auch im Rechts- und Geschäftsverkehr als überholt und wird namentlich durch den streitgegenständlichen Fall widerlegt.“
Erst im zweiten Schritt musste geklärt werden, ob und wenn ja, welcher Erklärungswert dem Emoji zukommt. Das schulmäßige Vorgehen des Gerichts dürfte an dieser Stelle jeden Studierenden auch bereits ab dem ersten Semester entzücken: Für eine wirksame abändernde Abrede zum Lieferzeitpunkt müssten zwei übereinstimmende Willenserklärungen in der Form von Angebot (§ 145 BGB) und Annahme (§ 147 BGB) vorliegen, die nicht nur ausdrücklich durch mündliche oder schriftliche Form, sondern auch konkludent durch schlüssiges Verhalten erfolgen können. Weil digitale Piktogramme wie Emojis häufig genutzt werden würden, „um eine Aussage zu unterstreichen oder zu verstärken“ oder zur Klarstellung dazu, „in welchem Sinne etwas zu verstehen ist (z.B. ironisch)“ genutzt werden würden, kämen auch sie als Willenserklärung infrage. Schließlich „erfüllen Emojis im digitalen Diskurs ähnliche Funktionen wie Intonation, Gestik, Mimik und andere körpersprachliche Elemente in realen Gesprächen“. Das Gericht stellte aber klar: Ob der Verwender durch das digitale Piktogramm nun einen Rechtsbindungswillen zum Ausdruck bringen will oder lediglich seine Stimmungs- und Gefühlswelt preisgeben möchte, sei eine Auslegungsfrage.
Das Herzstück des Urteils bildet die Auslegung des Emojis danach, wie ein verständiger Empfänger der Nachricht die Willenserklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte, § 133 BGB und § 157 BGB. Eine Zustimmung des Klägers zur Aussage des Beklagten, in der vorigen Nachricht, die eine Verzögerung der Lieferung ankündigte, läge hier nicht vor. Der Senat näherte sich diesem Ergebnis zunächst über die Bedeutung des sog. „Grimassen schneidendes Gesicht“-Emoji über zwei Emoji-Lexika (so was gibt es wirklich!). Laut Emojipedia und Emojiterra solle das Gesicht „grundsätzlich negative oder gespannte Emotionen“ darstellen, wobei es sich häufig um „Nervosität, Verlegenheit, Unbehagen oder Peinlichkeit“ handeln solle.
Darüber hinaus sei der spezifische Kontext der Verwendung zu berücksichtigen: Der nachfolgende Ausdruck „Ups“ sei allenfalls als Ausruf der Überraschung oder des Erstaunens zu verstehen. Eine zustimmende Aussage enthielte er nicht.
Ohne Willenserklärung keine wirksame Abrede über die Lieferfristverlängerung, sodass es bei dem 31.03.2022 als Fälligkeitszeitpunkt bliebe. Weil der Kläger wirksam vom Vertrag zurückgetreten ist und er deswegen zur Abnahme des Ferraris nicht mehr verpflichtet war, kann dem Beklagten auch kein Schadensersatzanspruch wegen der Nichtabnahme des Ferraris zustehen. Wer von beiden nun emotional dem „Grimasse schneidendes Gesicht“-Emoji näher ist, dürfte leicht zu beantworten sein.
Fazit
Auslegungsfragen bilden häufig den entscheidenden Scheitelpunkt der Klausur, an dem die Korrigierenden erkennen, ob die Bearbeiterinnen und Bearbeiter in der Lage sind, mit ihrem juristischen Handwerkszeug unbekannte Konstellationen einer vertretbaren Lösung zuzuführen. Auch wenn man sich dabei wünschen mag, die Lösungsskizze möglichst genau getroffen zu haben: Das Ergebnis ist weniger entscheidend als der Weg über die Arbeit mit dem Gesetz, den entscheidenden Grundkenntnissen und der Anwendung der Auslegungsmethoden. Wieder einmal zeigt sich im Fall des OLG München jedoch, dass die Basics sitzen müssen.
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