Verstoß gegen Formgebote (§125 BGB)

Verstoß gegen Formgebote (§125 BGB)

Rechtsgeschäfte können grundsätzlich formfrei abgeschlossen werden. Nur ausnahmsweise unterliegen sie einem Formzwang, wenn dieser gesetzlich angeordnet oder rechtsgeschäftlich vereinbart ist. In beiden Fällen begründet der Verstoß gegen das Formgebot eine rechtshindernde Einwendung.

Formgebote beziehen sich nicht nur auf das jeweilige Rechtsgeschäft.1 Auch Nebenabreden und nachträgliche Änderungen unterliegen grundsätzlich dem Formerfordernis. Vorverträge, die zum Abschluss eines formbedürftigen Geschäfts verpflichten, unterliegen der gleichen Form wie das zu schließenden Geschäft selbst. Die Aufhebung formbedürftiger Geschäfte ist hingegen grundsätzlich formfrei möglich, es sei denn, der Erwerber hatte bereits ein Anwartschaftsrecht erlangt.2

Funktionen von Formvorschriften

Eine Formvorschrift kann unterschiedliche Funktionen erfüllen. Sie kann dem Erklärenden den Inhalt seiner Erklärung verdeutlichen (Warnfunktion), seine Erklärung nachweisbar machen (Beweisfunktion) und/oder ihn über die rechtliche Bedeutung seiner Erklärung informieren (Beratungsfunktion).3

Verstoß gegen gesetzliche Formgebote, § 125 S. 1 BGB

Das Gesetz kennt unterschiedliche Formen:

  • Schriftform (§ 126 BGB)
    Sie verlangt, dass der Aussteller einer Urkunde diese eigenhändig (gemeint: handschriftlich) oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet (§ 126 I BGB). Bei einem Vertrag müssen die Parteien auf derselben Urkunde unterschreiben (§ 126 II 1 BGB) oder, wenn mehrere gleichlautende Urkunden erstellt werden, jeweils die für die anderen vorgesehenen Ausfertigungen unterschreiben (§ 126 II 2 BGB). Durch die Unterzeichnung wird der Aussteller der Urkunde erkennbar.4

  • Elektronische Form (§ 126a BGB)
    Nach § 126 III BGB kann die Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden, sofern sich aus dem Gesetz (z. B. §§ 623 Hs. 2, 766 S. 2 BGB) nichts anderes ergibt. Die Unterschrift wird dann durch eine elektronische Signatur ersetzt. Die Erklärung muss den Namen des Erklärenden enthalten und mit einer qualifizierten Signatur nach dem Signaturgesetz (SigG) versehen sein. Zudem muss der Empfänger mit dem Erhalt rechtsgeschäftlicher Erklärungen auf elektronischem Wege einverstanden sein. Durch eine Verschlüsselungstechnik wird sichergestellt, dass die elektronische Signatur vom Ersteller des Dokuments stammt und dass zwischen Abgabe und Zugang keine Änderung des Inhalts vorgenommen wurde.

  • Textform (§ 126b BGB)
    Die Textform ist erfüllt, wenn eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger (vgl. § 126b S. 2 BGB) abgegeben wird. Beispiele: SMS, E-Mail, Computerfax. Im Verbraucherdarlehensrecht gibt es einige Vorschriften (§§ 492 V, 504 II 2, 505 I 1, II BGB), in denen grundlegend auf die Legaldefinition des § 126b S. 2 BGB abgestellt, jedoch auf das sich aus § 126b S. 1 BGB ergebende Erfordernis der Lesbarkeit verzichtet wird.

  • Notarielle Beurkundung (§ 128 BGB)
    Die notarielle Beurkundung ist die strengste Form des BGB. Sie richtet sich nach dem Beurkundungsgesetz (BeurkG).

  • Öffentliche Beglaubigung (§ 129 BGB)
    Die öffentliche Beglaubigung erfolgt in der Weise, dass ein Notar die Unterschrift unter einer schriftlichen Erklärung beglaubigt und damit bestätigt, dass die Erklärung von demjenigen herrührt, der sie unterschrieben hat.

Die Nichteinhaltung eines gesetzlichen Formgebots führt grundsätzlich zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts (§ 125 S. 1 BGB).

Der Formmangel eines Rechtsgeschäfts kann ausnahmsweise wegen unzulässiger Rechtsausübung unbeachtlich sein.5 Formvorschriften dürfen im Interesse der Rechtssicherheit nicht aus bloßen Billigkeitserwägungen außer Acht gelassen werden. Ausnahmen sind nur zulässig, wenn es nach den Beziehungen der Parteien und den gesamten Umständen mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) unvereinbar wäre, das Rechtsgeschäft am Formmangel scheitern zu lassen. Dabei sind aber strenge Maßstäbe anzulegen. Das Ergebnis darf die betroffene Partei nicht bloß hart treffen, sondern es muss schlechthin untragbar sein. Von der Rechtsprechung sind insbesondere zwei Fallgruppen als Ausnahmen anerkannt worden: die Fälle der Existenzgefährdung des einen Teils und die Fälle einer besonders schweren Treuepflichtverletzung des anderen Teils. Eine besonders schwere Treuepflichtverletzung kommt regelmäßig dann in Betracht, wenn eine Partei in schwerwiegender Weise gegen das Verbot des venire contra factum proprium verstoßen hat, etwa dadurch, dass sie die Erfüllung der von ihr übernommenen Verpflichtung verweigert, nachdem sie über längere Zeit die Vorteile aus der formunwirksamen Vereinbarung in Anspruch genommen hat

§ 550 S. 1 BGB statuiert für Mietverträge, die für längere Zeit als ein Jahr geschlossen wurden, zwar kein zur Nichtigkeit nach § 125 S. 1 BGB führendes Schriftformerfordernis; die fehlende Einhaltung der Schriftform hat jedoch zur Folge, dass der Vertrag als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen gilt und deshalb entgegen § 542 II BGB ordentlich kündbar ist, wenngleich frühestens zum Ablauf eines Jahres nach Überlassung der Räume (§ 550 S. 2 BGB). Bezweckt wird hierdurch in erster Linie der Schutz des Wohnungserwerbers, der nach § 566 BGB anstelle des Veräußerers in bestehende Mietverhältnisse eintritt und sich deshalb über den Inhalt der bestehenden vertraglichen Bindungen ein klares Bild verschaffen können soll.6

In einigen Fällen lässt das Gesetz eine Heilung des Formmangels durch Erfüllung des Vertrags eintreten (z. B. §§ 311b I 2,7 518 II, 766 S. 3, 2301 II BGB). Ein allgemeiner Grundsatz, dass formungültige Geschäfte stets durch Erfüllung geheilt werden, lässt sich daraus aber nicht ableiten.8

Verstoß gegen vereinbarte Formgebote, § 125 S. 2 BGB

Die Parteien können nicht formbedürftige Rechtsgeschäfte durch Vereinbarung formbedürftig machen.9 Nach § 127 I BGB gelten dann im Zweifel die gesetzlichen Formvorschriften der §§ 126, 126a, 126b BGB. Die Parteien können aber auch eine andere Form wählen (z. B. Kündigung „mittels eingeschriebenen Briefs“). Ob die Nichteinhaltung der vereinbarten Form Nichtigkeit zur Folge hat, ist primär durch Auslegung zu ermitteln.10 Soll die Form nicht Wirksamkeitsvoraussetzung sein (konstitutive Formabrede), sondern lediglich der Klarstellung oder Beweissicherung dienen, so ist die formwidrige Erklärung gültig.

Beispiel: Sieht ein Vertrag für seine Kündigung das Erfordernis eines Einschreibens vor, ist eine gleichwohl durch einfachen Brief erfolgte Kündigung wirksam, weil die Übermittlungsform (per Einschreiben) nur Beweiszwecken dient.11

Nur wenn die gewollte Rechtsfolge des Formmangels trotz Auslegung unklar bleibt, ist gemäß § 125 S. 2 BGB „im Zweifel“ Nichtigkeit anzunehmen.

Die Parteien können einen vereinbarten Formzwang grundsätzlich jederzeit formlos aufheben.12 Das gilt sogar dann, wenn sie an den Formzwang nicht gedacht haben, weil dann eine stillschweigende Aufhebung der Formabrede anzunehmen ist. Eine formfreie Aufhebungsvereinbarung ist nur dann ausgeschlossen, wenn für die Aufhebung des Formerfordernisses eine besondere Form (insbesondere Schriftform) vereinbart worden ist.


  1. Hier und zum Folgenden: Jacoby/v. Hinden, BGB, 18. Aufl. 2022, § 125 Rn. 2.
  2. BGH, Urt. v. 30.04.1982 – V ZR 104/81, NJW 1982, 1639, 1640.
  3. Jacoby/v. Hinden, BGB, 18. Aufl. 2022, § 125 Rn. 1. Siehe hierzu den Fall: „Das Scheingeschäft“.
  4. Zur Identitäts-, Echtheits- und Verifikationsfunktion der Unterzeichnung siehe Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 6 Rn. 7.
  5. Zum Folgenden: BGH, Urt. v. 03.11.2016 – III ZR 286/15, Rn. 12; BGH, Urt. v. 14.12.2016 – IV ZR 7/15, Rn. 31 ff.
  6. BGH, Urt. v. 21.11.2018 – XII ZR 78/17, Rn. 26; BGH, Urt. v. 07.05.2008 – XII ZR 69/06, Ls. 1 und Rn. 13.
  7. Siehe hierzu BGH, Urt. v. 15.01.2021 – V ZR 210/19, Rn. 10.
  8. Jacoby/v. Hinden, BGB, 18. Aufl. 2022, § 125 Rn. 5.
  9. Hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 6 Rn. 14.
  10. Jacoby/v. Hinden, BGB, 18. Aufl. 2022, § 125 Rn. 10.
  11. BGH, Urt. vom 23.01.2013 – XII ZR 35/11, Rn. 8 (zur Klausel „schriftlich per Einschreiben“).
  12. Jacoby/v. Hinden, BGB, 18. Aufl. 2022, § 125 Rn. 11.