Die Abgrenzung zwischen einem Gefälligkeitsvertrag und einer reinen Gefälligkeit zählt zu einem der Klassiker aus dem BGB AT. Dreh- und Angelpunkt ist der sogenannte Rechtsbindungswille, der Grundlage für jeden Vertragsschluss ist. Auch wenn es sich hierbei um eine Materie aus dem BGB AT handelt, gestaltet sich die Falllösung regelmäßig als gar nicht mal so leicht. Grund dafür dürfte sein, dass die Abgrenzungsfrage maßgeblich auf einer Werteentscheidung beruht, die sich an unseren moralischen und gesellschaftlichen Vorstellungen orientiert und eine allumfassende Argumentation erfordert. Gerade solche Argumentationen bereiten uns Jurastudent:innen oft Schwierigkeiten. Aus diesem Grund zeigen wir Dir an Hand der Entscheidung des OLG München noch einmal detailliert, wie Du alle Informationen aus dem Sachverhalt verwerten und in Deine Argumentation einbauen kannst.
Der Fall dürfte dem einen oder der anderen Blogleser und Blogleserin wahrscheinlich schon bekannt vorkommen. Die Berufungsentscheidung beruht auf dem erstinstanzlichen Urteil des LG München I vom 31.07.2023 (Az. 27 O 3674/23): Ihr persönlicher Bergführer auf Abwegen. Das OLG hat nun das Urteil des Landgerichts München bestätigt, was den Prüfungsämtern und Klausursteller:innen sicherlich auch nicht entgangen sein dürfte.
Was ist passiert?
Eine Ärztin und ein Hobby-Bergwanderer lernten sich auf einer Onlineplattform kennen. Sie trafen sich zunächst einige Male und verabredeten sich im November sodann zu einer ersten gemeinsamen Bergwandertour im Karwendelgebirge in Österreich. Im Zuge der Tourenplanung scherzte der Mann via Chat: „Bekommst vollen Service :-).“ Auf die Frage der Ärztin, was „da noch alles inklusive“ sei, schrieb er „Brotzeit, persönlicher Bergführer und diverse Überraschungen :-)“. Die Ärztin antwortete „Uuuuuuh, das sollte man sich nicht entgehen lassen.“.
Die Ärztin bezeichnet sich selbst als eine nicht sehr erfahrene Gelegenheitswanderin. Der Mann hingegen ist Mitglied im Deutschen Alpenverein und hat schon die ein oder andere Erfahrung als Wanderer und Bergsteiger. Er verfügt jedoch über keine qualifizierte Alpinausbildung oder als Bergführer, was der Ärztin vor Beginn der Tour auch bekannt war.
Ohne besondere Ausrüstung starteten die Parteien gegen Vormittag ihre Wanderung. Zwischenzeitlich entschied die Ärztin aufgrund von Eis und Schnee den Gipfel nicht weiter hochzusteigen. Der Mann schlug daher vor, eine Rundtour zu unternehmen, um wieder ins Tal zukommen. Für beide Parteien handelte es sich hierbei um eine unbekannte Route. Dennoch entschieden sich die Parteien gemeinsam für diese alternative Rundtour. Da sich die Wegfindung aufgrund der Witterungsbedingungen als schwierig erwies und die Nacht drohte, bekam die Ärztin Bedenken. Dennoch setzte sie die Tour mit dem Mann weiter fort, ohne auf eine Umkehr zu drängen. Im weiteren Verlauf weigerte sich die Ärztin sodann eine Felswand hinabzusteigen. Daraufhin entschieden die Parteien gemeinsam, die Rettung zu alarmieren. Während des Telefonats ging das Handy der Klägerin jedoch aus, sodass zunächst unklar war, ob die Flugrettung kommen würde oder nicht. Daher diskutierten die Parteien gemeinsam, ob sie den Abstieg eigenständig fortsetzten. Übereinstimmend kamen sie zu dem Schluss, dass sie abwarteten. Kurze Zeit später wurden die beiden von einem Hubschrauber abgeholt.
Aufgrund dessen, dass die Ärztin lediglich mit einer Leggings und einer Mütze bekleidet war, fing sie an zu zittern und zu frieren. Eine warme Jacke hatte sie nicht dabei.
Im Rettungsprotokoll machte der Mann im Nachgang zu der Bergung zum Hergang des Notfalls folgende Angaben: „Ich war faktischer Führer in dem Moment und habe den Notruf gewählt.”
Im Nachgang äußerte sich der Mann im Chat mit der Ärztin: „Mich ärgert das nur, weil ich es vor der Tour und während der Tour besser hätte einschätzen müssen! Weil ich eigentlich schon relativ viel in den Bergen unterwegs bin. Und es ausgerechnet dieses Mal zu sehr auf die leichte Schulter genommen habe […] und Dich und uns somit bei einer eigentlich leichten Tour unnötig in Gefahr gebracht habe!“.
Die Ärztin beglich die Kosten für die Hubschrauberbergung i.H.v. 8.500 Euro und forderte den Mann auf, diese Kosten zu erstatten. Dem kam der Mann jedoch nicht nach. Die Ärztin erhob daraufhin Klage vor dem Landgericht München, weil sie der Überzeugung ist, dass der Mann aufgrund seiner Erfahrung die Rolle als Bergführer übernommen habe. Nachdem das Klageverfahren vor dem Landgericht erfolglos blieb, erhob sie Berufung vor dem OLG München.
Rechtlicher Hintergrund
Das OLG München wies die Berufung zurück. Der Klägerin stehe laut Gericht weder aus § 280 I i.V.m. § 241 II BGB noch aus § 823 I BGB ein Schadensersatzanspruch für die Hubschrauberkosten zu. Im Mittelpunkt dieser Entscheidung steht die Frage, ob aus dem Verhalten des Mannes ein rechtsgeschäftliches Handeln, welches zu einer vertraglichen Haftung führen würde, abgeleitet werden kann. Andererseits könnte das Verhalten des Mannes auch nur eine bloße Gefälligkeit darstellen. Eine Haftung käme dann nur noch aus einem deliktischen Schadensersatzanspruch in Betracht, der jedoch eine Pflichtverletzung des Mannes voraussetzen würde.
1. Anspruch aus § 280 I i.V.m. § 241 II BGB
Der für einen vertraglichen Schadensersatzanspruch maßgebliche Vertragsschluss fehle laut OLG vorliegend. Weder ausdrücklich noch konkludent haben die Parteien einen Vertrag geschlossen. Da die Parteien nicht ausdrücklich einen Vertrag im Vorfeld schlossen, kam hier nur ein konkludenter Vertragsschluss in Form eines Gefälligkeitsvertrages in Betracht. Erforderlich hierfür wäre jedoch gewesen, dass die Parteien mit Rechtsbindungswillen handelten, also eine Willenserklärung gemäß §§ 145 ff. BGB abgegeben haben, die auf den Eintritt privatrechtlicher Rechtsfolgen gerichtet war. Fehlt eine solche Erklärung, handele es sich lediglich um eine reine Gefälligkeit, die keine vertragliche Haftung begründe.
Nach Überzeugung des Berufungsgerichts steht fest, dass der Beklagte mit der gemeinsamen Wanderung keine privatrechtlichen Rechtsfolgen eingehen wollte. Vielmehr handelte es sich um eine private Bergtour im Rahmen einer Freizeitveranstaltung, bei der der soziale Kontakt im Vordergrund stand. Das Gericht legte das Verhalten des Beklagten und den Sachverhalt gemäß §§ 133, 157 BGB aus und knüpfte dabei an folgende Punkte an:
a) Mitgliedschaft im Deutschen Alpenverein
Die bloße Mitgliedschaft in dem Verein begründe keinen Rechtsbindungswille laut Gericht, weil die Mitgliedschaft ähnlich wie eine ADAC-Mitgliedschaft qualifikations- und voraussetzungslos erworben werden könne. Das damit verbundene Erfahrungsgefälle zwischen der Klägerin und dem Beklagten sei zudem auch nicht untypisch bei einer solchen Wanderung. Andernfalls würde fast jede private Wanderung dem Haftungsregime des § 280 BGB unterliegen. Außerdem könne die Klägerin als ausgebildete Ärztin die mit einer solchen Wanderung verbundenen Gefahren und Risiken selbst abschätzen und überblicken.
b) Planungsübernahme des Beklagten
Die Planungsübernahme des Beklagten sei aufgrund seiner alpinen Erfahrung auch naheliegend und stelle eine reine Gefälligkeit des alltäglichen Lebens dar.
c) Bezeichnung als „persönlicher Bergführer“
Die Bezeichnung, die der Beklagte im Vorfeld wählte, sei laut Berufungsgericht offensichtlich als Flirt auszulegen. Dies könne man auch an der Antwort der Klägerin erkennen, die dies ebenfalls als Umwerbung auffasste. Es sei erkennbar, dass der Beklagte vielmehr zum Ausdruck bringen wollte, dass er sich in besonders aufmerksamer Weise um die Klägerin kümmern wollte. Er wollte gerade nicht seine echte Qualifikation als Bergführer ausdrücken.
d) Bezeichnung als „faktischer Bergführer“ sowie Reue und Bedauern des Beklagten im Nachgang
Grundsätzlich könne laut OLG München eine nachträgliche Äußerung lediglich ein Indiz für einen Rechtsbindungswillen darstellen und dürfe nur nachrangig berücksichtigt werden. Maßgeblich für das Vorliegen des Rechtsbindungswillens sei nämlich der Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung. Aber selbst unter zur Grundlegung des nachträglichen Verhaltens des Beklagten könne hieraus kein Rechtsbindungswille abgeleitet werden. Denn der Beklagte bezeichnet sich gerade nur als faktischer Bergführer. Das Wort „faktisch“ bringe zum Ausdruck, dass der Beklagte sich gerade nicht rechtlich binden wollte. Vielmehr handele es sich hierbei um eine Selbsteinschätzung in Bezug auf seine Rolle während der Rettungssituation. Auch seine nachträgliche Reue und sein Bedauern stellten lediglich ein Gesamtresümee dar, was keine rechtliche Relevanz habe.
2. Anspruch aus § 823 I BGB
Ein Anspruch aus § 823 I BGB setzt eine zurechenbare Verletzungshandlung des Beklagten voraus, an der es laut OLG vorliegend fehle. Man könne weder den Vorschlag des Beklagten zur Rundtour noch den Ratschlag, die Tour fortzusetzen anstatt umzukehren, als Verletzungshandlung qualifizieren. Auch könne nicht das Unterlassen der Umkehr als pflichtwidrige Unterlassungshandlung angesetzt werden. Vielmehr habe die Klägerin die Gefahr und das Risiko, die eine solche Bergwanderung typischerweise mit sich ziehe (Höhenunterschied, Weglänge, Steilheit, Absturzgefahr, Witterung), eigenverantwortlich in Kauf genommen. Realisiere sich einer dieser Gefahren ohne unmittelbare Einwirkung des Beklagten, sei eine Haftung des Beklagten ausgeschlossen.
Etwas anderes könne sich dem Berufungsgericht zu Folge nur dann ergeben, wenn der Beklagte „ein dominierendes und führungsartiges Verhalten übernommen habe“. Dies setze jedoch voraus, dass der Beklagte „die Entscheidungen über Ziel, Route und Abbruch der Tour oder über die Art und Weise der Bewältigung von Gefahrenstellen nicht gemeinschaftlich getroffen habe, sondern die Entscheidungskompetenz nach dem Verständnis der Klägerin vor allem wegen seiner alpinen Erfahrung ihm allein zugefallen sei“. Hierfür gebe es laut dem Sachverhalt keine Hinweise. Vielmehr habe die Klägerin bewiesen, dass sie eigenverantwortlich handelte:
a) Die Klägerin weigerte sich zunächst einen Gipfel zu erklimmen und anschließend eine Felswand hinunterzusteigen. Hierdurch habe sie laut dem Berufungsgericht gezeigt, dass sie in der Lage war, ihre Fähigkeiten einzuschätzen, ihre Bedenken und Wünsche gegenüber dem Beklagten zu artikulieren und Einfluss auf den weiteren Routenverlauf zu nehmen. Die Parteien trafen daher dauerhaft gemeinsame Entscheidungen hinsichtlich der weiteren Wanderroute.
b) Die bloße Navigation der Alternativroute durch den Beklagten mittels seines Mobiltelefons stelle laut OLG noch keine Übernahme der Führungsrolle dar. Schwierigkeiten bei der Wegfindung bei einer Bergwanderung seien nicht untypisch und stellten ein immanentes Risiko dar. Wertungswidersprüchlich sei es laut Gericht, wenn die bloße Navigation mittels einer Landkarte oder eines Navigationsgerätes bei einem Verlaufen oder Versteigen schon eine Haftung nach § 823 I BGB begründen würde. Dies führe zu einer lebensfremden Ausdehnung des § 823 BGB.
c) Auch die Absetzung des Notrufs habe auf einer gemeinsamen Entscheidung der Parteien beruht. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Klägerin weder in einer hilflosen Lage noch bestand eine akute Not- oder Unfallsituation. Anlass zur Rettung war lediglich eine vorsorgliche Entscheidung der Parteien, um eine mögliche Gefahrensituation zu vermeiden.
d) Unerheblich sei, dass die Klägerin dem Beklagten aufgrund seiner alpinen Erfahrungen vertraut und sich auf ihn verlassen habe. Laut Berufungsgericht entbinde „das Vertrauen der Klägerin in das Wissen und die Erfahrung des Beklagten sie im Rahmen einer gemeinsamen alpinen Unternehmung jedoch nicht von der Verantwortung, die eigenen Fähigkeiten und Kräfte zu jedem Zeitpunkt der Tour kritisch zu hinterfragen und eigenverantwortlich zu entscheiden, ob und wie die Tour fortgesetzt werden soll“.
Prüfungsrelevanz
Mit der Abgrenzung zwischen einem Gefälligkeitsvertrag und einer reinen Gefälligkeit kommst Du schon früh in Deinem Studium in Berührung. Hierbei handelt es sich um klassisches BGB AT. Maßgebliches Abgrenzungskriterium ist der bekannte Rechtsbindungswille. Ob ein solcher vorliegt oder nicht, kann nur durch Auslegung der Willenserklärung gemäß §§ 133, 157 BGB ermittelt werden. Erfahrungsgemäß dürften diese Klausurthemen nicht besonders beliebt sein, die Klausursachverhalte in der Regel von der längeren Sorte. Für diese Sachverhalte solltest Du Dir aber merken: Je länger der Sachverhalt, desto mehr Argumente werden Dir im Sachverhalt mitgeliefert. Ratsam dürfte es sein, dass Du darauf achtest, zumindest fast jede Sachverhaltsinformation zu nutzen. Das Prüfungsamt liefert Dir die ganzen Details nicht umsonst.
Resümee
Wichtig ist, dass Du bei solchen Abwägungen Deinen gesunden Menschenverstand einschaltest und Dich nicht vorschnell von einer im Sachverhalt abgegebenen vermeintlich schlüssigen rechtlichen Überzeugung einer der Parteien beeinflussen lässt. Dass der Gesetzgeber soziale Kontakte gerade nicht vom vertragsähnlichen Schutz umfassen wollte, ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 311 II Nr. 3 BGB: Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 II BGB entsteht auch durch ähnliche geschäftliche Kontakte.
Lehrreich ist hierzu auch der Lkw-Fahrer-Fall vom BGH aus dem Jahr 1956 (Az. I ZR 198/54). Wenn Du diese beiden Entscheidungen kennst und beherrschst, bist Du für solche Klausuren gut gewappnet.
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