LKW-Fahrer-Fall

A. Sachverhalt

Die K Speditionsgesellschaft mbH (KSG), eine Schwesterfirma der Beklagten, hat als Spediteur unter Vermittlung der Arbeitsgemeinschaft für das Straßenverkehrsgewerbe (Laderaumverteilungsstelle) die Klägerin, die ein Fuhrunternehmen betreibt, als Frachtführer mit der Versendung bestimmter Güter nach H. beauftragt. Als der Lastzug der Klägerin bereits beladen war, verunglückte der Ehemann der Klägerin, der den Lastzug führte, beim Zusammenkuppeln von Motorwagen und Anhänger tödlich. In Vertretung der Klägerin wandte sich der Leiter der genannten Arbeitsgemeinschaft, der Spediteur Q, wegen Stellung eines Fahrers an den Angestellten F der KSG, der sich seinerseits mit dem Angestellten S der Beklagten in Verbindung setzte. Der bei der Beklagten angestellte Kraftfahrer H wurde hierauf der Klägerin zur Verfügung gestellt und führte mit dem Lastzug der Klägerin den Transport aus. Auf der Rückfahrt blieb der Lastzug infolge Motorschadens liegen und musste abgeschleppt werden.

Die Klägerin fordert von der Beklagten Ersatz der Reparaturkosten und eines Verdienstausfalls. Sie ist der Ansicht, die Beklagte hafte für H als ihren Erfüllungsgehilfen, wenigstens aber dafür, dass sie pflichtwidrig einen unzuverlässigen Fahrer gestellt habe.

Die Beklagte hat vorgetragen: Sie habe die Güterbeförderung nicht übernommen, H sei daher nicht ihr Erfüllungsgehilfe. Sie habe aber auch nicht die Verpflichtung übernommen, einen zuverlässigen Fahrer zur Verfügung zu stellen: weder F noch S seien zum Abschluss eines Vertrages über die Abstellung des H bevollmächtigt gewesen; beide hätten nur aus menschlichem Mitgefühl ohne den Willen, eine rechtliche Verpflichtung einzugehen, gehandelt. Im übrigen habe sie auch ihre etwaige Pflicht zur Stellung eines zuverlässigen Fahrers nicht schuldhaft verletzt. H sei ferner weder zu schnell noch sonst fehlerhaft gefahren. Schließlich wendet die Beklagte Mitverschulden der Klägerin ein.

B. Worum geht es?

Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage, ob der Überlassung des Fahrers eine rechtsgeschäftliche Abrede zugrundeliegt, aus der sich eine vertragliche Haftung der Beklagten ergeben könnte. Andererseits könnte auch nur eine bloße Gefälligkeit vorliegen; die Haftung der Beklagten würde sich dann nur aus dem Deliktsrecht ergeben können.

Die vertragliche Haftung (bspw. aus §§ 280 ff. BGB) hat gegenüber der (bloß) deliktischen Haftung einige gewichtige Vorteile:

1. Im Rahmen der vertraglichen Haftung können auch bloße Vermögensschäden liquidiert werden, während § 823 I BGB nur bei einer Verletzung der dort genannten Rechtsgüter eingreift. Schadensersatz für primäre Vermögensschäden kann nur über deliktische Sondervorschriften (bspw. §§ 823 II, 824, 826) verlangt werden.

2. Die Haftung für Verrichtungsgehilfen aus § 831 BGB erlaubt dem Geschäftsherrn einen Exkulpationsbeweis (§ 831 I 2 BGB), während die Zurechnung des Verschuldens von Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB strikt ausgestaltet ist.

3. Im Rahmen von § 823 I BGB hat der Geschädigte das Verschulden des Schädigers darzulegen und zu beweisen, während das Vertretenmüssen bei § 280 I 2 BGB vermutet wird und sich der Schädiger entlasten muss.

Der BGH hatte die folgende Frage zu beantworten:

Wie vollzieht sich die Abgrenzung zwischen einer Gefälligkeit und rechtsgeschäftlicher Sonderverbindung?

C. Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH bejaht im LKW-Fahrer-Fall (Urt. v. 22.06.1956, I ZR 198/54 (BGHZ 21, 102 ff.) eine vertragliche Haftung der Beklagten für die Überlassung ihres Fahrers.

Zunächst stellt der BGH dar, dass die Unentgeltlichkeit der Tätigkeit alleine nichts zur Abgrenzung beitragen könne. Das ergebe sich schon aus den unentgeltlichen Verträgen (vom BGH „Gefälligkeitsverträge“ genannt), aus denen sich sowohl Leistungs- (§ 241 I BGB) als auch Nebenpflichten (§ 241 II BGB) ergeben (Schenkung: § 516 BGB, Leihe: § 598 BGB, Auftrag: § 662 BGB, unentgeltliche Verwahrung: § 690 BGB). Zudem deutet er an, dass es auch rechtsgeschäftliche bzw. rechtsgeschäftsähnliche „Gefälligkeitsschuldverhältnisse“ geben könne, aus denen sich zwar keine Leistungs-, wohl aber Nebenpflichten ergeben können (vgl. § 311 II BGB):

„Eine Gefälligkeit setzt begriffsnotwendig die Unentgeltlichkeit der Leistung voraus; aus der Unentgeltlichkeit einer Leistung allein läßt sich aber nicht auf das Fehlen ihres rechtsgeschäftlichen Charakters schließen; dies zeigt schon die Regelung von Gefälligkeitsverträgen durch das Gesetz (z.B. BGB §§ 516, 598, 662, 690), während andererseits die auf reiner Gefälligkeit beruhende Raterteilung oder Empfehlung keine Rechtswirkung erzeugt (§ 676 BGB). Die Uneigennützigkeit des Handelnden als solche reicht für sich allein nicht aus, um die Annahme rechtsgeschäftlicher Beziehungen, die sich etwa aus den Umständen ergeben, zu verneinen. Aus zugesagten oder erwiesenen Gefälligkeiten können, müssen aber nicht Rechtsverpflichtungen für den Leistenden entstehen.

Ist der Leistende zu der übernommenen Leistung verpflichtet (BGB § 241), so vollzieht sich die Verwirkung der Leistung ohne weiteres im rechtsgeschäftlichen Bereich (insbesondere des § 242). Jedoch schließt das Fehlen einer solchen Verpflichtung keineswegs aus, daß das Erweisen einer Gefälligkeit rechtsgeschäftlichen Charakter trägt (Enneccerus-Lehmann, Schuldrecht, § 27 Nr 6).“

Ob eine rechtsgeschäftliche Bindung besteht, sei danach zu beurteilen, ob die Parteien mit Rechtsbindungswillen gehandelt haben. Ob dies der Fall sei, sei nicht nach dem inneren Willen der Parteien, sondern nach objektiven Maßstäben zu beurteilen (§§ 133, 157 BGB analog):

„Eine erwiesene Gefälligkeit hat nur dann rechtsgeschäftlichen Charakter, wenn der Leistende den Willen hat, daß seinem Handeln rechtliche Geltung zukommen solle (Stoll, Vertrag und Unrecht, 2. Aufl § 10 II 3: Rechtsfolgewille), wenn er also eine Rechtsbindung herbeiführen will (RGZ 157, 228 [233]; Palandt BGB 15. Aufl § 662 Anm 4 a) und der Empfänger die Leistung i.d.S. entgegengenommen hat. Fehlt es hieran, sei es, daß nach der Art der Gefälligkeit oder den Umständen, unter denen sie erwiesen wurde, ein Bindungswille nicht angenommen werden kann, oder, daß dieser ausdrücklich oder stillschweigend ausgeschlossen wurde, so scheidet eine Würdigung unter rechtsgeschäftlichen Gesichtspunkten aus. Ob ein Rechtsbindungswille vorhanden ist, ist nicht nach dem nicht in Erscheinung getretenen inneren Willen des Leistenden zu beurteilen, sondern danach, ob der Leistungsempfänger aus dem Handeln des Leistenden unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen mußte. Es kommt also darauf an, wie sich dem objektiven Beobachter das Handeln des Leistenden darstellt (RG JW 1915, 19).“

Der BGH stellt sodann im Anschluss – wenngleich etwas redundant – einen „bunten Strauß“ an Indizien und Kriterien auf, die im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen sind:

„Die Art der Gefälligkeit, ihr Grund und Zweck, ihre wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung, insbesondere für den Empfänger, die Umstände, unter denen sie erwiesen wird, und die dabei bestehende Interessenlage der Parteien können die Gefälligkeit über den Bereich rein tatsächlicher Vorgänge hinausheben und sind daher für die Beurteilung der Frage des Bindungswillens und der Natur des etwa in Betracht kommenden Rechtsgeschäftes heranzuziehen. Gefälligkeiten des täglichen Lebens werden sich regelmäßig außerhalb des rechtsgeschäftlichen Bereiches halten. Das gleiche gilt für Gefälligkeiten, die im rein gesellschaftlichen Verkehr wurzeln (RGZ 128, 39 [42]). Der Wert einer anvertrauten Sache, die wirtschaftliche Bedeutung einer Angelegenheit, das erkennbare Interesse des Begünstigten und die nicht ihm, wohl aber dem Leistenden erkennbare Gefahr, in die er durch eine fehlerhafte Leistung geraten kann, können auf einen rechtlichen Bindungswillen schließen lassen (RG LZ 1923, 275; RGZ 151, 203 [208]; RG Recht 1923 Nr 508; Erman BGB Einleitung 11b vor § 241). Die Auskunft, die im Rahmen einer Geschäftsverbindung erteilt wird, muß daher auf rechtlich verpflichtender Gewissenhaftigkeit beruhen (RGZ 139, 103 [105]; 162, 129 [154]). Hat der Leistende selbst ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse an der dem Begünstigten gewährten Hilfe, so wird dies in der Regel für seinen Rechtsbindungswillen sprechen (RGZ 65, 17 [19]; Planck BGB 4. Aufl § 662 Anm 2; es kann daher fraglich sein, bedarf aber hier keiner näheren Prüfung, ob der Entscheidung des Reichsgerichts in RGZ 165, 309 [313] zugestimmt werden kann). Die Haftung gründet sich in derartigen Fällen - ähnlich wie bei Vertragsverhandlungen - regelmäßig auf die Verletzung einer durch Anknüpfung rechtsgeschäftlicher Beziehungen entstandene Sorgfaltspflicht oder eines vertragsähnlichen Vertrauensverhältnisses (RGZ 162, 129 [156]).“

D. Fazit

Der LKW-Fahrer-Fall ist die Grundsatzentscheidung für die Abgrenzung zwischen bloßer Gefälligkeit und rechtsgeschäftlicher Bindung. Sie hat den Grundstein gelegt für eine Rechtsprechungslinie, die bis in die heutige Zeit reicht. Erinnert sei an dieser Stelle nur an den aktuellen und examensrelevanten „Tonband-Fall“. Examenskandidaten sollten die vom BGH genannten Auslegungskriterien und das Folgeproblem einer gesetzlichen (Analogie zu §§ 521, 599, 690 BGB?) oder konkludent vereinbarten Haftungsprivilegierung kennen. Verwiesen sei insoweit auf den aktuellen Fall zur Haftung unter Nachbarn für Fehler beim Blumengießen.