BGH zum VSD im bargeldlosen Zahlungsverkehr

BGH zum VSD im bargeldlosen Zahlungsverkehr

Entfalten im bargeldlosen Zahlungsverkehr die Vertragsverhältnisse Schutzwirkung zugunsten Dritter oder gelten die Grundsätze der Drittschadensliquidation?

Sofern im mehrgliedrigen Überweisungsverkehr der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers vor Gutschrift eines Betrages seine Warnpflicht gegenüber einer Zwischenbank wegen einer Gefährdung der Interessen des Zahlers verletzt hat, kann dann der Zahler Schadensersatz verlangen?

A. Sachverhalt

Die Kläger (K) -Zahler- begehren von der Beklagten Bank (B) -dem Zahlungsdiensleister des Zahlungsempfängers- Schadensersatz wegen Verletzung einer Warnpflicht. K haben aufgrund eines Investmentauftrags ihre Bank -die Landesbank L- 2012 angewiesen, einen Betrag von 350.000 Euro auf das bei der B geführte Konto der U AG zu überweisen. Die Landesbank L leitete diesen Auftrag über die Landesbank H an die B weiter. Die Finanzaufsicht teilte B mit, dass jegliche Entgegennahme von Geld für die U AG untersagt ist. Dennoch schrieb B das überwiesene Geld von K dem Konto der U AG gut. Über deren Vermögen wurde kurz danach das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Landesbanken L und H haben 2020 etwaige Ansprüche gegen B an K abgetreten.

Die K begehren von B Schadensersatz in Höhe von 350.000 Euro.

B. Entscheidung

K begehren von B Schadensersatz in Höhe von 350.000 Euro. Als Anspruchsgrundlage kommt § 280 I 1 BGB in Betracht (das wurde vom BGH nicht ausgeführt). Da K kein Vertragsverhältnis mit B haben, kommt ein etwaiger Anspruch nur in Verbindung mit einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter oder nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation in Betracht.

I. Verletzung Warnpflicht

Zwischen K als Zahler und ihrer Bank der Landesbank L als Zahlungsdienstleister besteht ein Zahlungsdienstvertrag nach § 675f BGB und zwischen der Landesbank L sowie der Landesbank H und dieser mit B bestehen ebenfalls Vertragsbeziehungen. Fraglich ist, ob für B eine Warnpflicht bestand und sie diese verletzt hat. Grundsätzlich muss ein Zahlungsdienstleister im bargeldlosen Zahlungsverkehr sich

nicht um das dem Zahlungsvorgang zugrundeliegende Valutaverhältnis kümmern, weil er nur zum Zweck der technisch einwandfreien, einfachen und schnellen Abwicklung tätig wird …. Nur ausnahmsweise gilt etwas anderes, wenn Treu und Glauben es nach den Umständen des Falles gebieten, den Zahlungsauftrag nicht ohne vorherige Rückfrage beim Kunden auszuführen, um diesen vor einem möglicherweise drohenden Schaden zu bewahren …. Ein solcher Ausnahmefall ist gegeben, wenn der beauftragten Bank der ersichtlich unmittelbar bevorstehende wirtschaftliche Zusammenbruch des Überweisungsempfängers bekannt ist …. Gleiches gilt, wenn eine Bank aufgrund massiver Anhaltspunkte den Verdacht hegt, dass ein Kunde bei der Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr durch eine Straftat einen anderen schädigen will …. Die Bank oder ein anderer Zahlungsdienstleister muss aber weder generell prüfen, ob die Abwicklung eines Zahlungsverkehrsvorgangs Risiken für einen Beteiligten begründet, noch Kontobewegungen allgemein und ohne besondere Anhaltspunkte überwachen. Eine Warnpflicht besteht erst dann, wenn die Bank ohne nähere Prüfung im Rahmen der normalen Bearbeitung eines Zahlungsverkehrsvorgangs aufgrund einer auf massiven Verdachtsmomenten beruhenden objektiven Evidenz den Verdacht einer Veruntreuung …. Kennzeichnend für diese Ausnahmefälle, in denen aus Treu und Glauben eine Warnpflicht der Bank angenommen wird, ist insbesondere die fehlende Kenntnis des Auftraggebers von den die Warnpflicht begründenden Umständen. Dieser soll, weil er anders als die Bank nicht über die entsprechenden Informationen verfügt, durch den Hinweis in die Lage versetzt werden, Maßnahmen zu ergreifen, um einen Schaden abzuwenden ….

Diese Warnpflicht hat B verletzt, da sie trotz der Mitteilung der Finanzaufsicht und der diesbezüglichen Untersagung der Entgegennahme von Geld für die U AG ihre Vertragspartnerin, die Landesbank H, nicht entsprechend informiert hat.

Ein Anspruch nach § 280 I 1 BGB ist trotz § 675z 1 BGB nicht ausgeschlossen.

§ 675z Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Januar 2018 geltenden Fassung, wonach die §§ 675u und 675y BGB (jeweils in der bis zum 12. Januar 2018 geltenden Fassung, künftig: aF) hinsichtlich der dort geregelten Ansprüche des Zahlungsdienstnutzers abschließend sind, steht einer Haftung der Beklagten als Zahlungsdienstleister wegen der Verletzung einer Warnpflicht nicht entgegen. Denn bei einem solchen Anspruch steht weder ein nicht autorisierter Zahlungsvorgang nach § 675u BGB aF noch eine fehlerhafte Ausführung eines Zahlungsauftrags nach § 675y aF in Frage ….

II. Kein Anspruch aufgrund eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter

K könnten von B aufgrund der Pflichtverletzung gegebenenfalls Schadensersatz in Höhe von 350.000 Euro nach § 280 I 1 BGB verlangen aufgrund eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Die Voraussetzungen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sind:

1. Leistungsnähe

Leistungsnähe bedeutet, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung in Berührung kommen muss und in gleicher Weise wie der Gläubiger den Gefahren von Pflichtverletzungen ausgesetzt ist.

2. Gläubigerinteresse

Ferner muss der Gläubiger ein Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Vertrag haben.

3. Erkennbarkeit für Schuldner

Dies muss für den Schuldner erkennbar sein.

4. Schutzbedürftigkeit des Dritten

Eine Schutzbedürftigkeit des Dritten kann bei personenrechtlichem Bezug oder bei für den Dritten bestimmter Leistung gegeben sein.

Der BGH hat der Annahme eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter im bargeldlosen Zahlungsverkehr eine Absage erteilt. Er führt insoweit lediglich aus. Es

sind die Voraussetzungen für die Einbeziehung des Bankkunden in den Schutzbereich der zwischen den beteiligten Banken im bargeldlosen Zahlungsverkehr geschlossenen Verträge nicht erfüllt …, so dass die Kläger das von ihnen geltend gemachte Schadensersatzverlangen nicht auf einen eigenen sekundären vertraglichen Anspruch stützen können.

Zwischenergebnis

Demnach haben K gegen B aufgrund der Pflichtverletzung keinen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 350.000 Euro aufgrund eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.

III. Anspruch nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation

K könnten von B aufgrund der Pflichtverletzung gegebenenfalls Schadensersatz in Höhe von 350.000 Euro nach § 280 I 1 BGB gem. den Grundsätzen der Drittschadensliquidation haben. Die Voraussetzungen einer Drittschadensliquidation sind:

  1. Anspruchsinhaber hat keinen Schaden.

  2. Der Geschädigte hat keinen Anspruch.

  3. Zufällige Schadensverlagerung vom Anspruchsinhaber auf den Geschädigten

Der Bankkunde hat nach der Senatsrechtsprechung vielmehr die Möglichkeit, bei Warnpflichtverletzungen durch vertraglich mit ihm nicht verbundene Banken Schadensersatzansprüche aus abgetretenem Recht seiner Bank nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation geltend zu machen …. Die Situation im mehrgliedrigen Zahlungsverkehr entspricht der für die Drittschadensliquidation anerkannten Fallgruppe der mittelbaren Stellvertretung. Die vom Kunden beauftragte Bank handelt bei der Beauftragung der in der Girokette nächsten Bank im eigenen Namen, aber für Rechnung und im Interesse ihres Kunden. Im Zuge der Weiterleitung des Auftrags kann dem Kunden durch eine Sorgfaltspflichtverletzung der nächsten Bank ein Schaden entstehen, für den die von ihm beauftragte Bank nicht haften muss, der aber einen vertraglichen Ersatzanspruch seiner Bank gegen die von ihr beauftragte Bank begründen kann. Damit liegt die für eine Drittschadensliquidation erforderliche Schadensverlagerung vor ….

Die Verletzung der Warnpflicht durch B ist auch kausal für den Schaden der K.

IV. Verjährung

Der Anspruch von K ist jedoch nicht durchsetzbar, wenn er verjährt ist.

B hat die Verjährungseinrede erhoben. Demnach besteht gem. § 214 I BGB eine dauerhafte (peremptorische) Einrede, sofern tatsächlich Verjährung eingetreten ist.

Grundsätzlich beträgt die regelmäßige Verjährung 3 Jahre nach § 195 BGB. Diese beginnt gem. § 199 I BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Entstanden ist der Anspruch 2012. Fraglich ist, auf wessen Kenntnis abzustellen ist im Rahmen der Abtretung, auf die des Zessionars (Neugläubigers) oder des Zedenten (Altgläubigers=Abtretenden).

Anspruchsberechtigt ist in den Fällen einer Drittschadensliquidation nur der Inhaber der verletzten Rechtsstellung, also der Vertragspartner des Schädigers, und nicht der wirtschaftlich betroffene Dritte …. Der Dritte kann den Schädiger daher nur dann erfolgreich in Anspruch nehmen, wenn ihm der Anspruch vom Vertragspartner des Schädigers, wie hier, abgetreten worden ist ….

Im Fall der Abtretung eines Anspruchs, dessen Verjährung, wie hier, kenntnisabhängig ist, ist der Kenntnisstand des Zedenten für die Ingangsetzung des Verjährungslaufs maßgebend. Hatte dieser die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis, geht der Anspruch mit in Gang gesetzter Verjährung auf den Zessionar über. Wenn die Verjährungsfrist bereits abgelaufen war, bevor die Forderung abgetreten wurde, erwirbt der Zessionar eine bereits verjährte Forderung. Nur wenn der Kenntnisstand des Zedenten nicht geeignet war, die Verjährung des Anspruchs in Lauf zu setzen, ist auf den Kenntnisstand des Zessionars abzustellen …. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn im Zusammenhang mit einer Drittschadensliquidation ein Anspruch an den wirtschaftlich betroffenen Dritten abgetreten worden ist. Andernfalls könnte ein bereits verjährter Anspruch nach einer Abtretung vom geschädigten Zessionar wieder mit Erfolg durchgesetzt werden, wenn in dessen Person die subjektiven Voraussetzungen im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB später als beim Zedenten vorliegen.

(Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung zwecks diesbezüglicher erforderlicher Beweisaufnahme zurückverwiesen.)

Ergebnis

K können von B aufgrund der Pflichtverletzung Schadensersatz in Höhe von 350.000 Euro nach § 280 I 1 BGB gem. den Grundsätzen der Drittschadensliquidation verlangen, sofern der Anspruch nicht verjährt ist.

C. Prüfungsrelevanz

Die dogmatischen Konstruktionen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in Abgrenzung zu den Grundsätzen der Drittschadensliquidation sind nicht selten Gegenstand von Examensklausuren. Zudem kann die Abtretung und Verjährung von Ansprüchen in die Aufgaben integriert werden.

(BGH Urt. v. 14.5.2024 - XI ZR 327/22)

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