Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte
Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte
Das Schuldverhältnis ist eine Sonderverbindung zwischen bestimmten Personen. Darin kommt sein relativer Charakter zum Ausdruck. Leistungs- und Schutzpflichten bestehen grundsätzlich nur im Verhältnis der am Schuldverhältnis beteiligten Personen.1
Beteiligte Personen sind im Falle eines vertraglichen Schuldverhältnisses die Vertragspartner und im Falle eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses2 die künftigen Vertragspartner.
Im Verhältnis zu Dritten besteht grundsätzlich allein deliktischer Rechtsschutz (§§ 823 ff. BGB). Es besteht aber die Möglichkeit, dass Dritte, die am Schuldverhältnis nicht beteiligt sind, nach vertraglichen Grundsätzen haften und berechtigt sind.
Nach § 311 III 1 BGB kann ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 II BGB auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Nach § 311 III 2 BGB entsteht ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 II BGB zu Personen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen, insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst. § 311 II 2 BGB gilt auch für Fälle der Sachwalterhaftung. § 311 III BGB betrifft also vorrangig Fälle, in denen der Dritte verpflichtet ist.
Beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte (VSD) geht es demgegenüber um Fälle, in denen ein unbeteiligter Dritter berechtigt ist, und zwar in der Weise, dass er einen eigenen Schadensersatzanspruch gegen den Schuldner aus §§ 280 I, 241 II BGB erhält.
Der VSD bzw. das vorvertragliche Schuldverhältnis mit Schutzwirkung für Dritte bewirkt eine Ausweitung der vertraglichen Haftung durch Auferlegung vertraglicher Sorgfaltspflichten (§ 241 II BGB) gegenüber bestimmten Nichtvertragspartnern. Er bildet damit eine Ausnahme vom Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse.3
Rechtsgrundlage
Die Rechtsprechung hat den VSD zunächst als Analogie zum (echten) VzD (§§ 328 ff.) entwickelt und ihn später mit einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) begründet.4 Andere ordnen ihn als richterliche Rechtsfortbildung des dispositiven Gesetzesrechts nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ein.5
Teilweise wird für das vorvertragliche Schuldverhältnis mit Schutzwirkung für Dritte in § 311 III BGB eine zusätzliche Grundlage erblickt.6 Dies überzeugt nur bedingt, weil diese Vorschrift nur Fälle der c.i.c. betrifft und zudem – unter Einschränkung des Wortlauts – (wohl) nur eine Haftung des Dritten begründet werden soll, nicht aber auch dessen Berechtigung.7
Voraussetzungen
Eine Ausweitung der Schutzpflichten (§ 241 II BGB) über den Kreis der Vertragsparteien bzw. der Beteiligten des vorvertraglichen Schuldverhältnisses hinaus kommt nur in engen, von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grenzen in Betracht. 8
Der Dritte muss bestimmungsgemäß mit der (Haupt-)Leistung in Berührung kommen und den Gefahren von Schutzpflichtverletzungen ebenso ausgesetzt sein wie der Gläubiger (Leistungsnähe des Dritten).
In der Rechtsprechung wird gefordert, dass der Dritte mit einer schlecht erfüllten Hauptleistung und nicht nur eine Nebenleistung des Schädigers in Berührung kommt.9 Mangels Hauptleistung kann dies aber jedenfalls nicht für die c.i.c. gelten, auf welche die Grundsätze des VSD ebenfalls anwendbar sind. Unter anderem deshalb wird teilweise vorgeschlagen, das Kriterium der Leistungsnähe generell auf die Rücksichtnahmepflichten nach § 241 II BGB zu beziehen.10
Der Gläubiger muss ein berechtigtes Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrags haben (Einbeziehungsinteresse des Gläubigers).
Ein solches Interesse ist stets zu bejahen, wenn der Gläubiger im Rahmen eines Fürsorgeverhältnisses mit personenrechtlichem Einschlag für das „Wohl und Wehe“ des Dritten verantwortlich ist (z. B. nahe Familienangehörige).11 Darüber hinaus kann es sich aus einer Vertragsauslegung im Einzelfall ergeben. Dies gilt insbesondere dann, wenn die versprochene Leistung als Grundlage für Dispositionen des Dritten dient.12 Beispiel: Der Käufer ist in den Schutzbereich eines Vertrags, den der Verkäufer mit einem Sachverständigen über die Begutachtung des zu verkaufenden Gegenstandes schließt, einbezogen, wenn das Gutachten zur Grundlage der Kaufentscheidung werden soll.13 Die Einbeziehung des Dritten soll nicht einmal dadurch ausgeschlossen sein, dass Gläubiger und Dritter gegenläufige Interessen verfolgen.14
Für den Schuldner müssen die Leistungsnähe des Dritten und das Einbeziehungsinteresse des Gläubigers erkennbar sein (Erkennbarkeit für den Schuldner).
Die mit der Einbeziehung des Dritten einhergehende Ausweitung seines Haftungsrisikos15 muss für den Schuldner bereits bei Vertragsschluss erkennbar sein. Er muss wissen können, worauf er sich einlässt. Es genügt allerdings, dass er den geschützten Personenkreis nach allgemeinen Merkmalen abgrenzen kann.
Der Dritte muss schutzbedürftig sein. An der Schutzbedürftigkeit des Dritten fehlt es, wenn ihm eigene gleichwertige vertragliche Ersatzansprüche – gleich gegen wen16 – zustehen.
Rechtsfolgen
Liegen die Voraussetzungen vor, tritt neben das vertragliche oder vorvertragliche Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner ein vertragsähnliches Schuldverhältnis zwischen Schuldner und Drittem.17 Aufgrund dieses Schuldverhältnisses ohne primäre Leistungspflichten obliegen dem Schuldner Schutzpflichten i.S.v. § 241 II BGB auch gegenüber dem Dritten. Verletzt er sie, hat der Dritte gegen den Schädiger einen eigenen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280 I, 241 II BGB. „Der Anspruch wird zum Schaden gezogen“.
Der Gläubiger muss sich das Verhalten Dritter gemäß § 278 BGB auch im Verhältnis zum Dritten zurechnen lassen. Der Dritte soll aber keine weitergehenden Rechte geltend machen als der Schuldner selbst. Deshalb muss er einen vertraglichen Haftungsausschluss der Hauptparteien ebenso wie andere Einwendungen aus dem Hauptvertrag gegen sich gelten lassen (Rechtsgedanke des § 334 BGB).18 Ein eigenes Mitverschulden muss sich der Dritte nach § 254 BGB anrechnen lassen. Ein Mitverschulden des Gläubigers muss sich der Dritte auch dann zurechnen lassen, wenn die Voraussetzungen der §§ 254 II 2, 278 BGB nicht vorliegen.19
- Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 33 Rn. 1 – 3.
- Siehe hierzu den Fall: „Das Salatblatt“.
- Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, Vor § 328 Rn. 9.
- BGH, Urt. v. 07.12.2017 – VII ZR 204/14, Rn. 16; BGH, Urt. v. 17.11.2016 – III ZR 139/14, Rn. 15.
- Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, Vor § 328 Rn. 9.
- Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 33 Rn. 6.
- Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, Vor § 328 Rn. 9; Petersen, Examensrepetitorium Allgemeines Schuldrecht, 2017, Rn. 464.
- Zum Folgenden: BGH, Urt. v. 07.12.2017 – VII ZR 204/14, Rn. 18; Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 33 Rn. 8 – 12; Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, Vor § 328 Rn. 10.
- BGH, Urt. v. 02.07.1996 – X ZR 104/94 BGHZ 133, 168 („Nitrierofen“).
- Schwab, JuS 2002, 872, 873 ff.
- BGH, Urt. v. 21.07.2010 – XII ZR 189/08, Rn. 19; BGH, Urt. v. 15.06.1971 – VI ZR 262/69, BGHZ 56, 273.
- BGH, Urt. v. 17.11.2016 – III ZR 139/14, Rn. 16 u. 19; BGH, Urt. v. 17.09.2002 – X ZR 237/01, NJW 2002, 3625, 3626.
- BGH, Urt. v. 10.11.1994 – III ZR 50/94, ZIP 1994, 1954.
- BGH, Urt. v. 25.09.2008 – VII ZR 35/07, Rn. 17.
- BGH, Urt. v. 17.11.2016 – III ZR 139/14, Rn. 15.
- Schuldner des Anspruchs kann jedermann sein, auch der Gläubiger selbst (Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 328 Rn. 18). Vgl. hierzu den Fall: „Kein Anspruch aus VSD gegen den Erfüllungsgehilfen“.
- Zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 33 Rn. 13 – 16; Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, Vor § 328 Rn. 11.
- Bei gegenläufigen Interessen von Gläubiger und Drittem passt § 334 BGB nicht und soll deshalb stillschweigend zwischen Gläubiger und Schuldner abbedungen sein (BGH, Urt. v. 10.11.1994 – III ZR 50/94, BGHZ 127, 378, 385).
- Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, Vor § 328 Rn. 11; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 328 Rn. 19; a. A. Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 33 Rn. 16.