BayVGH zur Fahrtenbuchauflage bei Firmenfahrzeugen

BayVGH zur Fahrtenbuchauflage bei Firmenfahrzeugen

Beschluss vom 11.06.2024 (11 CS 24.628)

Fahrtenbuchauflagen beruhen auf § 31a StVZO, dessen Abs. 1 wie folgt lautet:

Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO)
§ 31a Fahrtenbuch
(1) Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die Verwaltungsbehörde kann ein oder mehrere Ersatzfahrzeuge bestimmen.

Die Entscheidung des BayVGH vom 11.06.2024 (11 CS 24.628) stellt exemplarisch den Tatbestand für das straßenverkehrsbehördliche Einschreiten dar und zeigt auf, welche Ermessensgrenzen aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen.

A. Vereinfachter Sachverhalt

In der innerstädtischen M-Straße hatte sich ein Stau gebildet. Ein Pkw überholte die wartenden Fahrzeuge auf dem Radfahrstreifen, beschädigte dabei ein neben dem Streifen abgestelltes Kraftfahrzeug, fuhr 40 m weiter, blieb dann kurz stehen und entfernte sich sodann vom Unfallort, ohne zu warten. Dies wurde der Polizei von mehreren Zeugen unter Angabe des Kraftfahrzeugkennzeichens zuverlässig berichtet. Die sofort eingeleitete Fahndung nach dem Fahrzeug ergab, dass Halter Firmeninhaber A ist, auf dessen sofort in Augenschein genommenen Betriebshof sich Fahrzeuge befanden, jedoch nicht der am Unfall beteiligte Pkw. A war zunächst nicht zu erreichen. Im Rahmen einer später durchgeführten Spurensicherung konnte das Tatfahrzeug identifiziert werden, Nachforschungen nach dem Fahrer blieben erfolglos. A erklärte, dass er über einen Firmenfuhrpark von 10 Pkw verfüge, die von seinen Mitarbeitern ohne Nachfrage und ohne Dokumentation geschäftlich jederzeit genutzt werden können.

Weitere Ermittlungen ergaben, dass die Beschädigung des Fahrzeugs in der M-Straße zu einem wirtschaftlichen Totalschaden in Höhe von 2.365,47 Euro geführt hat. Zudem wurde festgestellt, dass A auch Halter von Zugmaschinen, mehreren Lkws, einem Anhänger und einem Quad ist.

Die zuständige Straßenverkehrsbehörde hat A aufgegeben, Fahrtenbücher für die 10 Pkw für jeweils 36 Monate zu führen. Sie hat die Anordnungen unter gesonderter schriftlicher Begründung für sofort vollziehbar erklärt. A sucht seinen Anwalt auf und bittet um Auskunft, ob die Fahrtenbuchauflagen rechtswidrig sind und welche Rechtsbehelfe dagegen in Betracht kommen.

B. Entscheidung

A will wissen, ob die Fahrtenbuchauflagen rechtswidrig sind (dazu I) und mit welchen Rechtsbehelfen er gegen die getroffenen Maßnahmen vorgehen kann (dazu II).

I. Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage

Eine Fahrtenbuchauflage ist ein belastender Verwaltungsakt. Wie alle Grundrechtseingriffe unterliegt sie damit dem Gesetzesvorbehalt als Rechtmäßigkeitsmaßstab.

1. Ermächtigungsgrundlage

Ermächtigungsgrundlage für eine Fahrtenbuchauflage ist § 31a I StVZO. Zwar handelt es sich bei der StVZO um eine Rechtsverordnung, sie findet aber ihrerseits ihre Rechtsgrundlage wiederum in einem Gesetz (§ 6 StVG).

2. Voraussetzungen

a) Formell kommt es darauf an, dass die nach Landesrecht zuständige Straßenverkehrsbehörde (§ 31a I S. 1 StVZO) nach Anhörung des Betroffenen (§ 28 LVwVfG) die Maßnahme angeordnet hat. Davon kann ausgegangen werden.

b) Materiell kommt es darauf an, dass der Halter zur Führung des Fahrtenbuchs für ein oder mehrere auf ihn zugelassene Fahrzeuge verpflichtet werden kann, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Zum Sinn der Regelung führt der BayVGH in Rn. 12 aus:

„Die Fahrtenbuchauflage soll als Maßnahme zur vorbeugenden Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs gewährleisten, dass zumindest für die Dauer der Verpflichtung mit dem Fahrzeug bzw. einem der Fahrzeuge begangene Verstöße geahndet und der Fahrer bzw. die Fahrerin ohne Schwierigkeiten festgestellt werden können. Außerdem soll Fahrern des Fahrzeugs, das einer Fahrtenbuchauflage unterliegt, vor Augen geführt werden, dass sie im Falle der Begehung eines Verkehrsverstoßes damit rechnen müssen, aufgrund ihrer Eintragung im Fahrtenbuch als Täter ermittelt und mit Sanktionen belegt zu werden (BVerwG, U.v. 28.5.2015 – 3 C 13.14 – BVerwGE 152, 180 Rn. 19;.“

(1) Im vorliegenden Fall steht mit hinreichender Gewissheit fest, dass mit dem Fahrzeug des A zum fraglichen Zeitpunkt nicht unerhebliche Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften, insbesondere eine Straftat gemäß § 142 StGB (unerlaubtes Entfernen vom Unfallort), aber auch Ordnungswidrigkeiten (§ 49 I Nr. 5, Nr. 29, III Nr. 4 StVO) begangen wurden.

Die Feststellung des Kraftfahrzeugführers war nicht möglich. Dies ist der Fall, wenn die Behörde alle nach den Umständen des Einzelfalls angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um den Fahrer zu ermitteln.

(2) Die Feststellung des Kraftfahrzeugführers war nicht möglich. Die Behörde hatte alle nach den Umständen des Einzelfalls angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen, um ihn zu ermitteln, blieb aber damit erfolglos. Weitere Ermittlungsmaßnahmen kamen nicht in Betracht, zumal der Halter des Fahrzeugs nicht eine Dokumentation der Nutzung seiner Firmenfahrzeuge durchführen ließ. Damit trifft ihn das Risiko der mangelnden Feststellbarkeit des Fahrers.

3. Rechtsfolge

Es steht im Ermessen der Behörde, ob, in welchem Umfang und mit welcher zeitlichen Vorgabe die Anordnung getroffen wird. Das Ermessen wird insbesondere begrenzt durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

a) Der Umfang der Anordnung auf den gesamten Bestand der 10 Firmenfahrzeuge mit Ausnahme von Zugmaschinen, mehreren LKWs, einem Anhänger und einem Quad ist nicht unangemessen.

Dazu verweist der BayVGH in Rn. 21 darauf, dass A für den gesamten Fahrzeugpark keine Dokumentation über Fahrten und Fahrer durchgeführt hat.

„Nach der Rechtsprechung ist für die Rechtmäßigkeit einer Erstreckung der Fahrtenbuchauflage auf mehrere oder sämtliche auf den Fahrzeughalter zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge maßgeblich, ob nicht aufklärbare Verkehrsverstöße nicht nur mit dem Tatfahrzeug, sondern auch mit anderen Fahrzeugen des Halters zu erwarten sind (vgl. BayVGH, B.v. 23.2.2021 – 11 CS 20.3145 – juris Rn. 20; Knop in Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, § 31a StVZO Rn. 29). Dies kommt nicht nur dann in Betracht, wenn mit verschiedenen Fahrzeugen des Halters in der Vergangenheit bereits wiederholt nicht aufklärbare Verkehrsordnungswidrigkeiten begangen und ggf. weitere Fahrtenbuchauflagen angeordnet worden sind, sondern auch im Falle einer erheblichen Verkehrszuwiderhandlung mit nur einem Fahrzeug, wenn – wie hier – sonst aufgrund des Verhaltens des Halters und seiner Nutzungsgepflogenheiten einschlägige nicht aufklärbare Zuwiderhandlungen auch mit anderen Fahrzeugen zu erwarten sind. Das Landratsamt hat sich dabei auf die PKWs beschränkt und weitere, in Aufbau und Verwendungszweck mit dem Unfallfahrzeug nicht vergleichbare Fahrzeuge (Zugmaschinen, LKWs, Anhänger, Quad) von der Anordnung ausgenommen.“

b) Auch die zeitliche Ausdehnung auf 36 Monate ist nicht zu beanstanden und mit den durch die Verhältnismäßigkeit gezogenen Grenzen vereinbar (Rn. 22):

„Maßgeblich hierfür ist vor allem das Gewicht der festgestellten Verkehrszuwiderhandlung. Je schwerer das mit dem Kraftfahrzeug des Halters begangene Verkehrsdelikt wiegt, desto eher ist es gerechtfertigt, dem Fahrzeughalter eine nachhaltige Überwachung der Nutzung seines Fahrzeuges für einen längeren Zeitraum zuzumuten. Denn mit zunehmender Schwere des ungeahndet gebliebenen Delikts wächst das Interesse der Allgemeinheit, der Begehung weiterer Verkehrsverstöße vergleichbarer Schwere entgegenzuwirken. Das Bundesverwaltungsgericht sieht es als naheliegend an, wenn sich die zuständige Behörde für die konkrete Bemessung der Dauer der Fahrtenbuchauflage am Punktesystem der Anlage 13 zu § 40 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) ausrichtet (BVerwG, U.v. 28.5.2015 – BVerwGE 152, 180 Rn. 20 ff., ebenso BayVGH, B.v. 13.10.2022 – 11 CS 22.1897 – juris Rn. 17; B.v. 31.1.2022 – 11 CS 21.3019 – juris Rn. 11; Haus in Haus/Krumm/Quarch, § 31a StVZO Rn. 18, 28 ff.).

Hiervon ausgehend ist die Verpflichtung, die Fahrtenbücher für jeweils 36 Monate zu führen, nicht zu beanstanden. Die Straftat des unerlaubten Entfernens vom Unfallort ist nach Anlage 13 Nr. 1.7 zu § 40 FeV mit drei Punkten im Fahreignungs-Bewertungssystem eingestuft und fällt damit in die höchste Bewertungskategorie. Auch bei erstmaligem Verstoß rechtfertigt dies eine Verpflichtung für einen Zeitraum von drei Jahren (vgl. auch Dauer in Hentschel/König/Dauer, § 31a StVZO Rn. 55; Haus in Haus/Krumm/Quarch, § 31a StVZO Rn. 84 m.w.N.)“.

Damit erweist sich die Fahrtenbuchauflage in dem getroffenen Umfang und in ihrer zeitlichen Auswirkung als rechtmäßig.

II. Rechtsbehelfe

Die Straßenverkehrsbehörde hat die Auflage in der Form eines Verwaltungsaktes erlassen und nach § 80 II S. 1 Nr. 4 VwGO unter besondere Begründung für sofort vollziehbar erklärt, sodass Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben.

Sofern das Landesrecht nicht von der Abweichungskompetenz in § 68 I S. 2 VwGO (1. Alternative) Gebrauch gemacht hat, kommt als Rechtsbehelf ein Widerspruch in Betracht. Ist das Widerspruchsverfahren landesrechtlich ausgeschlossen, ist sogleich Anfechtungsklage zu erheben. Die Fristen für diese Rechtsbehelfe beurteilen sich nach §§ 70, 74, 58 II VwGO. Für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Rechtsbehelfe bedarf es eines Antrages nach § 80 IV S. 1 VwGO.

Ergebnis: Die Fahrtenbuchauflage ist rechtmäßig. Die dagegen gerichteten Rechtsbehelfe haben deshalb keinen Erfolg.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss vom 11.06.2024 (11 CS 24.628)

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