Der BGH zur falsa demonstratio
Der BGH befasst sich in seinem Urteil vom 23.06.2023 mit den Auswirkungen einer versehentlichen Falschbezeichnung auf einen Vertragsschluss und damit mit spannenden Fragen aus dem Bereich des BGB AT.
A. Vereinfachter Sachverhalt
Die Eheleute B verkauften den Eheleuten K ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück. Als Kaufgegenstand war im notariellen Kaufvertrag das Flurstück 291/3 genannt. Die Eheleute K gingen bei Vertragsschluss irrtümlich davon aus, dass hierzu auch das benachbarte Flurstück gehöre und waren auch nur am Kauf beider Grundstücke zusammen interessiert. Tatsächlich stand das Nachbargrundstück jedoch im Eigentum Dritter. Die Eheleute K erklärten daraufhin gegenüber den Eheleuten B ihren Rücktritt vom Kaufvertrag.
Die Eheleute K begehren die Rückerstattung des Kaufpreises wegen des Rücktritts. Zu recht?
B. Entscheidung des BGH
Die Eheleute K haben gegen die Eheleute B einen Anspruch auf Rückerstattung des Kaufpreises aus § 346 I BGB, wenn sie wirksam vom Vertrag zurückgetreten sind. Voraussetzung hierfür ist, dass zwischen den Parteien ein Vertrag zustande gekommen ist (I.), den Eheleuten ein Rücktrittsrecht zusteht (II.) und sie dieses wirksam ausgeübt haben.
I. Vertragsschluss
Zwischen den Parteien ist ein wirksamer Kaufvertrag nach §§ 433 ff., 311b I 1 BGB zustande gekommen.
II. Rücktrittsrecht
1. Rücktrittsrecht wegen Sachmangel
Ein Rücktrittsrecht könnte den Eheleuten K wegen eines Sachmangels nach § 434 BGB i.V.m. § 437 Nr. 2 BGB zustehen. Ein Sachmangel liegt sowohl nach der maßgeblichen alten als auch nach der aktuellen Fassung des § 434 BGB vor, wenn die Sache nicht die vereinbarte Beschaffenheit hat. Dass das Nachbargrundstück Teil des zu verkaufenden Grundstück ist, ist indes nicht Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung;
(…) eine solche Vereinbarung legt vielmehr den Kaufgegenstand selbst und nicht lediglich dessen Beschaffenheit fest. Die Tatsache, dass sich ein verkauftes Grundstück nicht auf ein Nachbargrundstück erstreckt, kann allenfalls unter besonderen Umständen dazu führen, dass dem verkauften Grundstück selbst eine vereinbarte Beschaffenheit fehlt (…). Solche besonderen Umstände liegen hier nicht vor.
Daher liegt kein Sachmangel vor und es besteht kein Rücktrittsrecht wegen eines Sachmangels.
2. Rücktrittsrecht wegen Unmöglichkeit
Den Eheleuten K steht aber ein Rücktrittsrecht aus § 433 I 1 BGB i.V.m. § 326 V, § 323 V 1 BGB zu, wenn es den Eheleuten B unmöglich ist, den vertraglich geschuldeten Anspruch zu erfüllen. Das ist der Fall, wenn die Eheleute B sich vertraglich dazu verpflichtet hätten, auch das Nachbargrundstück zu übereignen. Diese Übereignung wäre ihnen unmöglich, da das Nachbargrundstück nicht in ihrem Eigentum steht.
a) Teilleistung
Dass in diesem Fall eine Teilleistung erfolgt wäre, weil ein Flurstück übereignet wurde, steht dem Rücktritt nicht entgegen, da die Eheleute K an dem Erwerb nur des Flurstücks der Eheleute B kein Interesse gehabt hätten, vgl. § 326 V Hs. 2 i.V.m. § 323 V 1 BGB.
b) Einigung im Wortlaut
Die Parteien müssten sich auf den Kauf eines aus beiden Flurstücken bestehenden Grundstücks geeinigt haben. Eine Verpflichtung zur Übereignung beider Flurstücke könnte sich durch Auslegung aus dem Wortlaut des Vertragstextes ergeben.
Für die Auslegung eines - hier gemäß § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB - formbedürftigen Vertrages können nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände herangezogen werden. Dies setzt aber grundsätzlich voraus, dass der einschlägige rechtsgeschäftliche Wille der Parteien in der formgerechten Urkunde einen, wenn auch nur unvollkommenen, Ausdruck gefunden hat. (…) Daran fehlt es. Eine (auch) auf das Flurstück (… der Nachbarn) bezogene Vereinbarung hat in der Urkunde keinen auch nur unvollkommenen Ausdruck gefunden, so dass nach dem Wortlaut der Vertragsurkunde davon auszugehen ist, dass die Beklagten das als Flurstück 291/3 bezeichnete Grundstück nur in dem Zuschnitt und Umfang verkaufen wollten wie aus dem Grundbuch und dem Liegenschaftskataster ersichtlich (…).
Dem Wortlaut der Regelung lässt sich keine Verpflichtung der Eheleute B zur Übereignung auch des Nachbargrundstücks entnehmen.
c) Einigung durch versehentliche Falschbezeichnung
Auch ohne Andeutung in der Vertragsurkunde könnte eine Verpflichtung zur Übereignung beider Grundstücke aber aufgrund einer versehentlichen Falschbezeichnung zustande gekommen sein, wenn die Parteien sich insoweit einig gewesen wären und das Grundstück im notariellen Kaufvertrag nur falsch bezeichnet hätten.
Der Wortsinn einer in einem notariellen Grundstückskaufvertrag enthaltenen Erklärung ist nicht maßgeblich, wenn feststeht, dass die Vertragsparteien in der Erklärung Begriffe anders als nach dem Wortsinn verstehen oder mit Flurstücks- oder Grundbuchangaben andere Vorstellungen über den verkauften Grundbesitz verbinden (sog. versehentliche Falschbezeichnung bzw. falsa demonstratio). Eine solche Falschbezeichnung ändert nach § 133 BGB nichts daran, dass - wie auch sonst - nicht das fehlerhaft Erklärte, sondern das wirklich Gewollte gilt.
aa) Formwirksamkeit
Eine Falschbezeichnung des Vertragsgegenstandes könnte jedoch vergleichbar mit einer Beschaffenheitsvereinbarung in einem Grundstückskaufvertrag nur formwirksam zustande kommen, wenn sie andeutungsweise Ausdruck in der Vertragsurkunde gefunden hat. Dagegen spricht jedoch, dass sich die Konstellationen der Falschbezeichnung (falsa demonstratio) des Vertragsgegenstandes und die einer Beschaffenheitsvereinbarung wesentlich unterscheiden.
Bei einer solchen falsa demonstratio verstehen die Parteien nämlich das objektiv Erklärte anders, weil sie tatsächlich etwas anderes vereinbart haben und - irrtümlich - davon ausgehen, dies auch im Vertrag zum Ausdruck gebracht zu haben. Der Kaufgegenstand ist im Vertrag - wenn auch fehlerhaft - entsprechend der Einigung der Parteien bezeichnet, so dass dem Formerfordernis Genüge getan ist. Beurkundet ist dann das wirklich Gewollte, nur falsch Bezeichnete (…).
Die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Konstellationen rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass in den Fällen der versehentlichen Falschbezeichnung die von den Parteien übereinstimmend verstandene Regelung in der notariellen Urkunde enthalten ist. Lediglich bei der Auslegung der getroffenen Vereinbarung muss auf außerurkundliche Umstände zurückgegriffen werden. Bei vorvertraglichen Erklärungen zur Beschaffenheit des Kaufgegenstandes, die in der notariellen Urkunde keinen Niederschlag finden, liegt dagegen keine versehentliche Falschbezeichnung vor, sondern es fehlt regelmäßig an einem entsprechenden Rechtsbindungswillen und damit an einer Beschaffenheitsvereinbarung.
Eine Verpflichtung der Eheleute B zur Übereignung beider Grundstücke aufgrund einer falsa demonstratio ist also formwirksam möglich.
bb) Falschbezeichnung
Voraussetzung ist aber, dass die Vertragsparteien von den Angaben in der Vertragsurkunde abweichende Vorstellungen davon hatten, was Vertragsgegenstand sein soll. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Parteien nur das im Vertrag genannte Grundstück übertragen wollen. Dies gilt insbesondere, wenn nur dieses im Eigentum der Verkäufers steht.
Etwas anderes ergibt sich insbesondere nicht schon aus einer gemeinsamen Besichtigung des Grundstücks. Aus dem Umstand, dass die Kaufvertragsparteien die tatsächlichen Verhältnisse des im Eigentum des Verkäufers stehenden Grundstücks bei einer Besichtigung zur Kenntnis genommen haben, kann, auch wenn dieses Grundstück und das angrenzende Nachbargrundstück scheinbar eine Einheit bilden, nur im Ausnahmefall auf eine Einigung über den Mitverkauf des nicht im Eigentum des Verkäufers stehenden Nachbargrundstücks geschlossen werden.
cc) Beidseitiger Irrtum
Darüber hinaus setzt eine falsa demonstratio voraus, dass die Parteien einem beidseitigem Irrtum unterliegen.
Insbesondere scheidet die Anwendung der Grundsätze der falsa demonstratio von vornherein aus, wenn die Parteien nicht einem beidseitigen Irrtum unterliegen, sondern der Verkäufer den tatsächlichen, von den natürlichen Gegebenheiten vor Ort abweichenden Grenzverlauf kennt und den Käufer hierüber nicht, wie geboten, aufklärt. Weckt der Verkäufer eines Grundstücks bei dem Käufer vor Vertragsschluss falsche - einseitige - Vorstellungen über den tatsächlichen Umfang seines Eigentums oder erkennt er eine entsprechende Fehlvorstellung über den Grenzverlauf, klärt den Käufer aber nicht über den wahren Grenzverlauf auf, fehlt es in aller Regel an einer Einigung über den Verkauf eines scheinbar zu dem Grundstück des Verkäufers zugehörigen fremden Grundstücks; ein Fall der nur versehentlichen Falschbezeichnung durch Benennung allein des im Eigentum des Verkäufers stehenden Grundstücks ist dann nicht gegeben und es besteht kein auf das fremde Nachbargrundstück gerichteter Erfüllungsanspruch.
d) Zwischenergebnis
Damit fehlt es an einer Einigung über den Verkauf auch des Nachbargrundstücks. Die Eheleute B waren nicht zur Übereignung auch des Nachbargrundstücks verpflichtet. Damit ist den Eheleuten B kein Teil ihrer vertraglichen Verpflichtung unmöglich. Den Eheleuten K steht daher kein Rücktrittsrecht zu.
III. Ergebnis
Mangels Rücktrittsrecht konnten die Eheleute K nicht wirksam vom Vertrag zurücktreten und sie haben keinen Anspruch auf Rückerstattung des Kaufpreises aus § 346 I BGB.
C. Prüfungsrelevanz
Die falsa demonstratio ist seit dem Haakjöringsköd-Fall bei dem beide Vertragsparteien fälschlicherweise aber übereinstimmend davon ausgingen, dass Haakjöringsköd auf norwegisch Walfleisch bedeute, ein absoluter Prüfungsklassiker. Der neue Fall des BGH ermöglicht es den Prüfungsämtern, diesen Fall neu aufzurollen und dabei direkt mit der Formbedürftigkeit von Grundstücksverträgen zu kombinieren. Dieser Fall könnte daher vom Ersti (es geht ja um BGB-AT) bis hin zu Examenskandidaten eigentlich jeden treffen.
(BGH Urteil v. 23.6.2023 - Az. V ZR 89/22)
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