BGH zum versuchten Heimtückemord (und zum strafbefreienden Rücktritt) - Teil II

BGH zum versuchten Heimtückemord (und zum strafbefreienden Rücktritt) - Teil II

Versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung

Nachdem wir in unserem ersten Teil des Urteilstickers den Heimtückemord und den befreienden Rücktritt innerhalb der ersten beiden Tatkomplexe besprochen haben, sehen wir uns nun den dritten Tatkomplex an. Hier befassen wir uns mit der Prüfung des versuchten Mordes sowie der gefährlichen Körperverletzung.

A. Sachverhalt

Der A fasst den Entschluss, seine Ehefrau E zu töten. Er nimmt an, sie unterhalte Kontakte zu einem anderen Mann, weshalb er eifersüchtig ist. Zudem befürchtet er, sie könne ihn mit den Kindern verlassen. Auch missfällt ihm der westliche Lebens- und Kleidungsstil seiner Ehefrau. Schließlich hat ihn verärgert, dass die E am Vorabend seinen Wunsch nach Geschlechtsverkehr zurückgewiesen hat. Am nächsten Vormittag bleibt A seiner Arbeitsstelle fern. Er erklärt der E, die die Kinder zur Schule und zum Kindergarten gebracht hat, er wolle mit ihr in die Stadt fahren, um dort von seinem Arbeitgeber einen Pkw für sie zu kaufen und abzuholen. Dabei küsst und umarmt er sie, um sie in Sicherheit zu wiegen. Bereits am Vortag hat er ihr einen solchen Autokauf in Aussicht gestellt und ihr auf einem Internetportal Videos von Crashtests verschiedener Hersteller gezeigt. Tatsächlich steht aber kein Pkw des Arbeitgebers von A zum Kauf. Der wahre Anlass der Fahrt liegt vielmehr darin, dass der A die E töten und dabei ausnutzen will, dass sie sich keines Angriffs auf ihr Leben versieht und deshalb in ihren Abwehrmöglichkeiten eingeschränkt ist. Sodann fährt A mit der E in seinem Pkw vom Wohnort der Familie zur nächstgelegenen Autobahnauffahrt. Der A sitzt am Steuer, die E auf dem Beifahrersitz. Während der Fahrt ruft A einen Freund an und bittet ihn, für den Fall einer späten Rückkehr der Eheleute vom Autokauf die Kinder am Nachmittag von der Schule bzw. der Nachmittagsbetreuung abzuholen. In der Folge fährt A auf die Autobahn, obgleich der angebliche Zielort auf dieser Strecke nicht direkt zu erreichen ist. Während der Fahrt geraten A und E in Streit. A hält E vor, mit einem anderen Mann ein Schwimmbad besucht und in der vergangenen Nacht Telefonsex gehabt zu haben. Die E weist die Vorwürfe zurück, was den A noch wütender macht. Auf ihren Vorschlag anzuhalten, um in Ruhe alles zu besprechen, geht er nicht ein und fordert sie laut schreiend auf, den Namen des anderen Mannes zu nennen. Andernfalls werde er sie beide umbringen. Die E erklärt, es gebe keinen anderen Mann. Darauf entgegnet der A, dass er wisse, dass es einer seiner Arbeitskollegen sei. Dabei erhöht er die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs auf 155 km/h. Die E hat inzwischen begonnen zu weinen und verstummt; sie wendet sich nach vorn und schließt ihre Augen. Der A, der bis dahin die linke Fahrspur befahren hat, steuert den Pkw nun auf die rechte Fahrspur. Auf dieser befindet sich vor ihm ein Sattelzug, der mit einer Geschwindigkeit von höchstens 85 km/h fährt. In der Absicht, die E zu töten, und im Wissen um die Lebensgefährlichkeit seines Tuns fährt A mit einer Geschwindigkeit von mindestens 155 km/h so auf den Lkw auf, dass der Pkw mit der Front der Beifahrerseite auf das linke Heck des Sattelaufliegers prallt. Hierdurch wird das Fahrzeug des A erheblich beschädigt. Der Motorblock wird herausgeschleudert und gerät in Brand. Der Wagen kommt schließlich rechts neben dem Standstreifen zum Stehen. Als der A erkennt, dass die E den Aufprall überlebt hat und sein Vorhaben nicht mehr durchführbar ist, schlägt er ihr aus Verärgerung zweimal mit der Faust gegen den Brustkorb. Die E erleidet körperliche Verletzungen, aufgrund derer sie zwei Tage stationär in einem Krankenhaus aufgenommen wird. Außerdem entwickelt sie eine posttraumatische Belastungsstörung und eine schwere depressive Episode, was eine längerfristige ambulante Behandlung nach sich zieht. A wird leicht verletzt. Er verlässt das Krankenhaus, ohne sich nach dem Gesundheitszustand der E zu erkundigen.

Nachdem A und E wieder zuhause sind, erkennt A, dass sich die E tatsächlich von ihm trennen und auch Unterhalt verlangen würde; dies empfindet er als undankbar. Als er bemerkt, dass die E mit dem Rücken zu ihm alleine in der Küche bügelt, entschließt er sich erneut, sie zu töten und den Umstand, dass sie in dieser Situation keine Möglichkeit zur Flucht hat, für die Ausführung der Tat auszunutzen. Er bewaffnet sich deshalb mit einem Klappmesser mit einer Klingenlänge von mindestens 10 cm und betritt die Küche. Als die E dies bemerkt, dreht sie sich um. A zieht daraufhin das Messer und geht auf seine Ehefrau zu. Er fragt sie, wo sie denn hinwolle, erhebt das Tatwerkzeug und versucht, einen Stich gegen ihren Kopf auszuführen. Der E gelingt es, die Stichbewegung in Richtung ihrer linken Schulter abzulenken, wo sie der A mit dem Messer trifft. E schreit um Hilfe und versucht, den A weiter abzuwehren. Dieser versetzt ihr zwei weitere Stiche in die linke Schulter und den Oberbauch. Auf Grund nachlassender Kräfte geht E in die Knie, woraufhin der A sich über sie beugt und ihr zwei weitere Male in den Rücken sticht. Durch die Schreie ihrer Mutter auf das Geschehen aufmerksam geworden, rennen die Töchter von A und E in die Küche und sehen, wie A auf E einsticht. Sie schreien, er solle aufhören, worauf A jedoch nicht reagiert. Eines der Mädchen fasste den A sodann von hinten um den Bauch, während das andere ihn an seinem linken Arm packt, um ihn nach hinten von der Mutter wegzuziehen. A wendet sich von der E ab und flüchtet. Trotz der Intervention seiner Töchter wäre ihm die weitere Tatausführung möglich gewesen; er erkennt dies und nimmt von der beabsichtigten Tötung Abstand.

Wenige Wochen später – als sich E von ihren Stichverletzungen erholt hat – wartet der A ab dem Nachmittag mit einem Messer bewaffnet vor dem Frauenhaus, in dem E mit den Kindern mittlerweile eingezogen ist, um die E zu töten. Gegen Abend trifft sie vor der Haustür auf den A. Nach einem kurzen Gespräch zieht dieser unvermittelt das mitgebrachte Messer, das eine Klingenlänge von mindestens sieben Zentimeter aufweist, hervor, packt die E an den Haaren und versetzt ihr in schneller Abfolge insgesamt 15 Stiche unter anderem in den Kopf- und Halsbereich, wodurch die innere Drosselvene auf der linken Halsseite durchtrennt wird. Die E, die sich zum Zeitpunkt der ersten Stiche durch den A keines Angriffs auf ihr Leben versieht, kann sich hiergegen nicht effektiv zur Wehr setzen. Dies nutzt der A bewusst aus. In der Annahme, dass die E aufgrund der Vielzahl der Stichverletzungen versterben werde, flüchtet der A von dem Tatort. Die E überlebt nur dank des schnellen Transportes in ein Krankenhaus durch zwei Passanten. Ein Warten auf einen Rettungswagen hätte sie angesichts des durch die Stichverletzungen eingetretenen massiven Blutverlustes und ihrer Vorverletzungen nicht überlebt.

A ging es durchgehend darum, die E für ihren Lebensstil und ihre Trennung von ihm zu „bestrafen“.

Wie hat sich A strafbar gemacht?

III. Dritter Tatkomplex (Frauenhaus)

1. Versuchter Mord, §§ 211, 22, 23 I StGB

A könnte sich aber wegen versuchten Mordes nach §§ 211, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben, indem er seiner Ehefrau aufgelauert und mit einem Messer mehrfach auf sie eingestochen hat. In Betracht kommt vorliegend sowohl ein Heimtückemord als auch ein Mord aus niedrigen Beweggründen.

A hatte den (Tat-)Plan, der E aufzulauern und sie – unter Ausnutzung ihrer Arg- und Wehrlosigkeit – mittels beigefügter Messerstiche zu töten; die subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke liegen vor.

Fraglich ist, ob A die E auch aus niedrigen Beweggründen töten wollte. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe einer Tat „niedrig“ sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren vorzunehmen; allein ein schweres Missverhältnis zwischen Anlass der Tat und Tötung genügt für sich genommen nicht, sondern maßgebend sind vielmehr die Gesamtumstände, zu denen auch Besonderheiten in der Persönlichkeit des Täters und seine seelische Situation zur Tatzeit gehören (s. dazu etwa nur BGH, Urt. v. 22.7.2020 − 5 StR 543/19, Rn. 9). In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Täter die Umstände, die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung ins Bewusstsein aufgenommen hat und, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann; dies ist nicht der Fall, wenn der Täter außer Stande ist, sich von seinen gefühlsmäßigen und triebhaften Regungen freizumachen (vgl. dazu auch BGH, Urt. v. 22.3.2017 − 2 StR 656/13).

Fraglich ist, welche Beweggründe für A maßgebend waren, die E zu töten. Dazu der BGH (1 StR 284/22).

„a) (…) Gefühlsregungen wie Eifersucht, Wut, Ärger, Hass und Rache kommen nach der Rechtsprechung in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, was am ehesten der Fall ist, wenn diese Gefühlsregungen jeglichen nachvollziehbaren Grundes entbehren (…). Bei einem Motivbündel beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist (…). Kann das Gericht bei mehreren in Betracht kommenden tatbeherrschenden Motiven zu keiner eindeutigen Festlegung gelangen, weil es keinen von mehreren nach dem Beweisergebnis in Betracht kommenden Beweggründen ausschließen kann, so ist eine Verurteilung wegen Mordes dann möglich, wenn jeder dieser Beweggründe als niedrig anzusehen ist (…).“

A war zunächst eifersüchtig auf E, später dann – zum Zeitpunkt der Tat – wollte er die Trennung von ihm nicht akzeptieren und die E für ihren westlichen Lebensstil „bestrafen“. Dieses Motivbündel bestand also aus Elementen, die für sich genommen als verwerflich anzusehen sind (vgl. etwa BGH, Urt. v. 22.3.2017 − 2 StR 656/13) zu „Eifersucht und [den] Unwillen [des Täters], die Trennung zu akzeptieren“ als Leitmotiv). Zudem hat A mehrfach aus den durchgehend leitenden Motiven versucht, seine Ehefrau zu töten.

A hat zur Tatausführung durch die Stiche, die er der E zugefügt hat, auch unmittelbar angesetzt.

Ein strafbefreiender Rücktritt des – rechtswidrig und schuldhaft handelnden – A vom beendeten Versuch kommt hier nicht in Betracht. Nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung bzw. bei Verlassen des Tatortes hat A die E in der Annahme, diese werde sterben, zurückgelassen. Nach seiner Vorstellung von der Tat hielt er zu diesem Zeitpunkt den Eintritt ihres Todes bereits für möglich, weswegen der Versuch bereits beendet war; der Abbruch der begonnen Tathandlung stand nicht mehr im Raum. Eigene „Rettungsbemühungen“ (§ 24 I S. 1 Alt. 2 StGB) hat A sodann aber nicht mehr entfaltet.

A hat sich wegen versuchten Mordes nach den §§ 211, 22, 23 I StGB (Heimtücke und aus niedrigen Beweggründen) strafbar gemacht.

2. Gefährliche Körperverletzung, §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB

A hat sich zudem auch wegen einer weiteren gefährlicher Körperverletzung gemäß den §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB strafbar gemacht, indem er der E mit dem Messer (ein „gefährliches Werkzeug“) insgesamt 15 Stiche u.a. in den Kopf- und Halsbereich versetzt hat, wodurch die innere Drosselvene auf der linken Halsseite durchtrennt worden ist (eine „das Leben gefährdende Behandlung“).

3. Zwischenergebnis

A hat sich im dritten Tatkomplex (Frauenhaus) wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht. Beide Delikte stehen zueinander im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB).

Hinweis: Das Landgericht hatte den A entsprechend schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt, dazu allerdings das Mordmerkmal der „niedrigen Beweggründe“ abgelehnt und den maßgeblichen Strafrahmen des § 211 StGB (vgl. § 52 II S. 1 StGB) gemäß § 23 II i.V.m. § 49 I StGB zugunsten des A verschoben. Der 1. Strafsenat des BGH hat das Urteil auf die Revision der Staatsanwaltschaft, die – wirksam – auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war, aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer zurückverwiesen. Zur Strafrahmenwahl, zu der das Gericht wegen § 23 II StGB veranlasst war, hat er ausgeführt:

„Ob wegen Versuchs eine Verschiebung des Strafrahmens in Betracht kommt, ist auf der Grundlage einer Gesamtschau der Tatumstände im weitesten Sinne sowie der Persönlichkeit des Täters zu beurteilen. Dabei kommt besonderes Gewicht den wesentlich versuchsbezogenen Umständen zu, nämlich Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und aufgewandte kriminelle Energie, weil sie die wichtigsten Kriterien für die Einstufung vom Handlungs- und Erfolgsunwert einer nur versuchten Tat liefern (…). Eine sorgfältige Abwägung dieser Umstände, auch soweit sie für den Täter sprechen, ist namentlich dann geboten, wenn von der Entschließung über die versuchsbedingte Milderung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe abhängt (…).“

Sollte nach erneuter Verhandlung der Sache eine Strafrahmenverschiebung nicht veranlasst sein, wäre A – trotz der nur versuchten Tat – zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen. Käme das Gericht erneut zur Annahme einer Milderung über §§ 23 II, 49 StGB und würden dann auch die Voraussetzungen der „niedrigen Beweggründe“ i.S.v. § 211 StGB bejaht werden, könnte das Gericht den Strafrahmen (von 3 Jahren bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe, § 49 I Nr. 1 StGB) voll ausschöpfen.

3. Endergebnis

A hat sich wegen versuchten Heimtückemordes (§§ 211, 22, 23 I StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB) und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b I Nr. 3, III i.V.m. § 315 III Nr. 1a StGB), wegen gefährlicher Körperverletzung (§§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB) und wegen versuchten Heimtückemordes (§§ 211, 22, 23 I StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB) strafbar gemacht. Die in den Tatkomplexen jeweils verwirklichten „Deliktsbündel“ stehen in Tatmehrheit zueinander (§ 53 StGB), so dass eine Gesamtstrafe nach Maßgabe von § 54 StGB zu bilden ist.

B. Prüfungsrelevanz

Die Entscheidungen des BGH zum versuchten Heimtückemord sind in hohem Maße prüfungsrelevant und führen angesichts der konkreten Sachverhalte nicht nur in die jeweiligen Voraussetzungen der „Heimtücke“, sondern auch in den – praxisrelevanten – Bereich des strafbefreienden Rücktritts, der gefährlichen Körperverletzung und (in einem Fall) des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr.

Angesichts der Vielzahl der (versuchten) Tötungsdelikte, die auch und gerade im häuslichen Bereich bzw. interfamiliär begangen werden, hat die Rechtsprechung häufig Anlass, die (straf-)rechtlichen Konturen des § 211 StGB zu schärfen. Dafür eignen sich auch die hier besprochenen Entscheidungen gut.

So hatte auch der 2. Strafsenat des BGH jüngst über ein Tötungsdelikt mit Beziehungshintergrund zu befinden (vgl. Urt. v. 24.05.2023 – 2 StR 320/22): Täter T unterhielt eine außereheliche Beziehung zur später getöteten B. Das Verhältnis war von Streitigkeiten geprägt, was auch zu einem Polizeieinsatz wegen körperlicher Gewalt führte. T bestimmte und kontrollierte das Freizeitverhalten der B. Er drohte ihr, sie zu töten, sollte sie seinen Weisungen nicht Folge leisten. Weil diese sich von ihm trennen wollte, drohte er, dies würde sie „teuer bezahlen“. Als B ihm schrieb, sie wolle ihn nicht mehr sehen, antwortete er, nicht sie, sondern „er entscheide dies“. Zwischenzeitlich hatte die Ehefrau des T von dem Verhältnis erfahren und betrieb die Scheidung. Eines Abends bewaffnete sich T mit einer Pistole und holte die B zuhause ab; beide fuhren im PKW des T an einen abgelegenen Ort. In der Absicht, die B zu töten, schoss er ihr zweimal in den Kopf. B verstarb noch an Ort und Stelle. T kontaktierte einen Freund, gemeinsam verbrachten sie die Leiche der B in ein Waldstück, übergossen sie mit Benzin und setzten sie in Brand. Am nächsten Morgen die zunächst nicht identifizierbare verkohlte Leiche entdeckt.

Das Landgericht hatte den T „lediglich“ wegen Totschlags verurteilt. Das Mordmerkmal der Heimtücke liege nicht vor, weil nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen sei, dass sich die Geschädigte im Moment der ersten Schussabgabe keines Angriffs durch den T auf ihr Leben versehen und der T dies bewusst ausgenutzt habe. Es sei denkbar, dass der T der B die Schusswaffe zuvor vorgehalten und diese damit bedroht habe. Auch das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe komme nicht in Betracht, da ein solches Motiv des T nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könne.

Der 2. Strafsenat des BGH, der das Urteil auf die Revision der Nebenkläger (§ 395 StPO)aufgehoben hat, hat dazu ausgeführt: „Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine heimtückische Tatbegehung verneint hat, sind rechtsfehlerhaft, weil es von einem zu engen Verständnis dieses Mordmerkmals ausgegangen ist, indem es ausschließlich auf die Arglosigkeit der [B] im Zeitpunkt der Abgabe des ersten Schusses abgestellt hat. (…) Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ist grundsätzlich der Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs. Anders als vom Landgericht angenommen beginnt der Angriff aber nicht erst mit der eigentlichen Tötungshandlung, hier der Schussabgabe, sondern umfasst auch die unmittelbar davor liegende Phase. Ebensowenig erfordert heimtückisches Handeln ein heimliches Vorgehen. So kann ein Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig gegenübertritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff so kurz ist, dass dem Opfer keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (…). Ein heimtückisches Vorgehen kann zudem auch in Vorkehrungen liegen, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, sofern diese bei der Tat noch fortwirken. Das ist etwa der Fall, wenn der Täter sein Opfer noch im Vorbereitungsstadium unter Ausnutzung von dessen Arglosigkeit in eine Lage aufgehobener oder stark eingeschränkter Abwehrmöglichkeit bringt und die so geschaffene Lage bis zur Tatausführung ununterbrochen fortbesteht. Ob das Opfer zu Beginn des Tötungsangriffs noch arglos war, ist in dieser Sachverhaltskonstellation ohne Bedeutung (…). Nach den Feststellungen zum Tathergang besorgte sich der [T] die Tatwaffe unmittelbar bevor er mit der [B] zum späteren Tatort fuhr, was ein geplantes Vorgehen belegt. Damit, ob die auf dem Beifahrersitz des Kleinwagens sitzende [B] an diesem – naheliegend abgelegenen – Tatort bei einer ggfs. noch vor Schussabgabe erfolgten Bedrohung mit der Schusswaffe überhaupt eine Möglichkeit zur Flucht oder Verteidigung hatte, hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen (…); dies hat es aufgrund seines rechtsfehlerhaften Verständnisses des Mordmerkmals der Heimtücke verkannt.“

(BGH, Urt. v. 14.12.2022 – 1 StR 273/22, v. 25.01.2023 – 1 StR 284/22, v. 30.03.2023 – 4 StR 234/22)