Versuchter Heimtückemord
Entscheidungen des BGH zum versuchten Heimtückemord sind äußerst praxis- und prüfungsrelevant. In unserem vorliegenden Fall spielt jedoch nicht nur das Tatbestandsmerkmal der Heimtücke eine große Rolle, sondern auch die Voraussetzungen des strafbefreienden Rücktritts. Hier geht es um einen Fall der häuslichen Gewalt. Die Schwere und die Häufigkeit solcher Fälle gibt der Rechtsprechung auch in der Praxis immer wieder Anlass, das Strafmaß zu verschärfen. Aufgrund der Komplexität dieses Falles haben wir diesen in 2 Abschnitte aufgeteilt. Im ersten Teil befassen wir uns mit zwei Tatkomplexen zum versuchten Heimtückemord.
A. Sachverhalt
Der A fasst den Entschluss, seine Ehefrau E zu töten. Er nimmt an, sie unterhalte Kontakte zu einem anderen Mann, weshalb er eifersüchtig ist. Zudem befürchtet er, sie könne ihn mit den Kindern verlassen. Auch missfällt ihm der westliche Lebens- und Kleidungsstil seiner Ehefrau. Schließlich hat ihn verärgert, dass die E am Vorabend seinen Wunsch nach Geschlechtsverkehr zurückgewiesen hat. Am nächsten Vormittag bleibt A seiner Arbeitsstelle fern. Er erklärt der E, die die Kinder zur Schule und zum Kindergarten gebracht hat, er wolle mit ihr in die Stadt fahren, um dort von seinem Arbeitgeber einen Pkw für sie zu kaufen und abzuholen. Dabei küsst und umarmt er sie, um sie in Sicherheit zu wiegen. Bereits am Vortag hat er ihr einen solchen Autokauf in Aussicht gestellt und ihr auf einem Internetportal Videos von Crashtests verschiedener Hersteller gezeigt. Tatsächlich steht aber kein Pkw des Arbeitgebers von A zum Kauf. Der wahre Anlass der Fahrt liegt vielmehr darin, dass der A die E töten und dabei ausnutzen will, dass sie sich keines Angriffs auf ihr Leben versieht und deshalb in ihren Abwehrmöglichkeiten eingeschränkt ist. Sodann fährt A mit der E in seinem Pkw vom Wohnort der Familie zur nächstgelegenen Autobahnauffahrt. Der A sitzt am Steuer, die E auf dem Beifahrersitz. Während der Fahrt ruft A einen Freund an und bittet ihn, für den Fall einer späten Rückkehr der Eheleute vom Autokauf die Kinder am Nachmittag von der Schule bzw. der Nachmittagsbetreuung abzuholen. In der Folge fährt A auf die Autobahn, obgleich der angebliche Zielort auf dieser Strecke nicht direkt zu erreichen ist. Während der Fahrt geraten A und E in Streit. A hält E vor, mit einem anderen Mann ein Schwimmbad besucht und in der vergangenen Nacht Telefonsex gehabt zu haben. Die E weist die Vorwürfe zurück, was den A noch wütender macht. Auf ihren Vorschlag anzuhalten, um in Ruhe alles zu besprechen, geht er nicht ein und fordert sie laut schreiend auf, den Namen des anderen Mannes zu nennen. Andernfalls werde er sie beide umbringen. Die E erklärt, es gebe keinen anderen Mann. Darauf entgegnet der A, dass er wisse, dass es einer seiner Arbeitskollegen sei. Dabei erhöht er die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs auf 155 km/h. Die E hat inzwischen begonnen zu weinen und verstummt; sie wendet sich nach vorn und schließt ihre Augen. Der A, der bis dahin die linke Fahrspur befahren hat, steuert den Pkw nun auf die rechte Fahrspur. Auf dieser befindet sich vor ihm ein Sattelzug, der mit einer Geschwindigkeit von höchstens 85 km/h fährt. In der Absicht, die E zu töten, und im Wissen um die Lebensgefährlichkeit seines Tuns fährt A mit einer Geschwindigkeit von mindestens 155 km/h so auf den Lkw auf, dass der Pkw mit der Front der Beifahrerseite auf das linke Heck des Sattelaufliegers prallt. Hierdurch wird das Fahrzeug des A erheblich beschädigt. Der Motorblock wird herausgeschleudert und gerät in Brand. Der Wagen kommt schließlich rechts neben dem Standstreifen zum Stehen. Als der A erkennt, dass die E den Aufprall überlebt hat und sein Vorhaben nicht mehr durchführbar ist, schlägt er ihr aus Verärgerung zweimal mit der Faust gegen den Brustkorb. Die E erleidet körperliche Verletzungen, aufgrund derer sie zwei Tage stationär in einem Krankenhaus aufgenommen wird. Außerdem entwickelt sie eine posttraumatische Belastungsstörung und eine schwere depressive Episode, was eine längerfristige ambulante Behandlung nach sich zieht. A wird leicht verletzt. Er verlässt das Krankenhaus, ohne sich nach dem Gesundheitszustand der E zu erkundigen.
Nachdem A und E wieder zuhause sind, erkennt A, dass sich die E tatsächlich von ihm trennen und auch Unterhalt verlangen würde; dies empfindet er als undankbar. Als er bemerkt, dass die E mit dem Rücken zu ihm alleine in der Küche bügelt, entschließt er sich erneut, sie zu töten und den Umstand, dass sie in dieser Situation keine Möglichkeit zur Flucht hat, für die Ausführung der Tat auszunutzen. Er bewaffnet sich deshalb mit einem Klappmesser mit einer Klingenlänge von mindestens 10 cm und betritt die Küche. Als die E dies bemerkt, dreht sie sich um. A zieht daraufhin das Messer und geht auf seine Ehefrau zu. Er fragt sie, wo sie denn hinwolle, erhebt das Tatwerkzeug und versucht, einen Stich gegen ihren Kopf auszuführen. Der E gelingt es, die Stichbewegung in Richtung ihrer linken Schulter abzulenken, wo sie der A mit dem Messer trifft. E schreit um Hilfe und versucht, den A weiter abzuwehren. Dieser versetzt ihr zwei weitere Stiche in die linke Schulter und den Oberbauch. Auf Grund nachlassender Kräfte geht E in die Knie, woraufhin der A sich über sie beugt und ihr zwei weitere Male in den Rücken sticht. Durch die Schreie ihrer Mutter auf das Geschehen aufmerksam geworden, rennen die Töchter von A und E in die Küche und sehen, wie A auf E einsticht. Sie schreien, er solle aufhören, worauf A jedoch nicht reagiert. Eines der Mädchen fasste den A sodann von hinten um den Bauch, während das andere ihn an seinem linken Arm packt, um ihn nach hinten von der Mutter wegzuziehen. A wendet sich von der E ab und flüchtet. Trotz der Intervention seiner Töchter wäre ihm die weitere Tatausführung möglich gewesen; er erkennt dies und nimmt von der beabsichtigten Tötung Abstand.
Wenige Wochen später – als sich E von ihren Stichverletzungen erholt hat – wartet der A ab dem Nachmittag mit einem Messer bewaffnet vor dem Frauenhaus, in dem E mit den Kindern mittlerweile eingezogen ist, um die E zu töten. Gegen Abend trifft sie vor der Haustür auf den A. Nach einem kurzen Gespräch zieht dieser unvermittelt das mitgebrachte Messer, das eine Klingenlänge von mindestens sieben Zentimeter aufweist, hervor, packt die E an den Haaren und versetzt ihr in schneller Abfolge insgesamt 15 Stiche unter anderem in den Kopf- und Halsbereich, wodurch die innere Drosselvene auf der linken Halsseite durchtrennt wird. Die E, die sich zum Zeitpunkt der ersten Stiche durch den A keines Angriffs auf ihr Leben versieht, kann sich hiergegen nicht effektiv zur Wehr setzen. Dies nutzt der A bewusst aus. In der Annahme, dass die E aufgrund der Vielzahl der Stichverletzungen versterben werde, flüchtet der A von dem Tatort. Die E überlebt nur dank des schnellen Transportes in ein Krankenhaus durch zwei Passanten. Ein Warten auf einen Rettungswagen hätte sie angesichts des durch die Stichverletzungen eingetretenen massiven Blutverlustes und ihrer Vorverletzungen nicht überlebt. A ging es durchgehend darum, die E für ihren Lebensstil und ihre Trennung von ihm zu „bestrafen“.
Wie hat sich A strafbar gemacht?
B. Entscheidung
I. Erster Tatkomplex (Autofahrt)
1. Versuchter Heimtückemord, §§ 211, 22, 23 I StGB
A könnte sich wegen versuchten Heimtückemordes nach den §§ 211, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben, indem er seine Ehefrau E in seinem PKW gelockt hat, um sie während der Fahrt zu töten.
a) Vorprüfung
Der Versuch des Mordes – eines Verbrechens (§ 12 I StGB) – ist strafbar (vgl. § 23 I StGB). Der Erfolg der Tat, also der Tod eines Menschen, ist in Bezug auf E, die Ehefrau des A, nicht eingetreten.
b) Tatentschluss
A müsste zur Begehung der Tat entschlossen gewesen sein. Er müsste also Vorsatz hinsichtlich aller Voraussetzungen eines Mordes im Sinne von §§ 212 I, 211 StGB gehabt haben und sämtliche subjektiven Voraussetzungen des Tatbestandes müssten von ihm erfüllt sein. Der A wollte die E absichtlich töten; der tatbestandliche Erfolg war das Ziel seines Handelns (dolus directus ersten Grades).
A müsste auch die subjektiven Merkmale der Heimtücke erfüllt haben. Dazu der BGH (4 StR 234/22):
„b) Auf Grundlage der … rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat das Landgericht im Ergebnis … zutreffend angenommen, dass der [A] mit einem auf die Begehung eines Heimtückemordes gerichteten Tatentschluss (…) gehandelt hat, als er sein Fahrzeug in Tötungsabsicht auf den Lkw lenkte.
aa) Heimtückisch handelt, wer die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers in feindlicher Willensrichtung bewusst zur Tötung ausnutzt (st. Rspr.; …). Arglos ist ein Opfer, das sich keines erheblichen Angriffs gegen seine körperliche Unversehrtheit versieht. Die Arglosigkeit führt zur Wehrlosigkeit, wenn das Opfer aufgrund der Überraschung durch den Täter in seinen Abwehrmöglichkeiten so erheblich eingeschränkt ist, dass ihm die Möglichkeit genommen wird, dem Angriff auf sein Leben erfolgreich zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Das ist der Fall, wenn das Opfer daran gehindert ist, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen oder in sonstiger Weise auch durch verbale Äußerungen auf den Täter einzuwirken, um den Angriff zu beenden (st. Rspr.; …).
bb) Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ist grundsätzlich der Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs, also der Eintritt des Tötungsdelikts in das Versuchsstadium. Dies gilt indes nicht uneingeschränkt. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei einer von langer Hand geplanten und vorbereiteten Tat das heimtückische Vorgehen im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB auch in Vorkehrungen liegen kann, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, sofern diese bei der Ausführung der Tat noch fortwirken. Wird das Tatopfer in einen Hinterhalt gelockt oder ihm eine raffinierte Falle gestellt, kommt es daher nicht mehr darauf an, ob es zu Beginn der Tötungshandlung noch arglos war. Infolge seiner Arglosigkeit wehrlos ist dann auch derjenige, der in seinen Abwehrmöglichkeiten fortdauernd so erheblich eingeschränkt ist, dass er dem Täter nichts Wirkungsvolles mehr entgegenzusetzen vermag (…).
cc) Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen in Bezug auf den Tatentschluss des [A] erfüllt.
Zwar findet die Annahme des Landgerichts, der [A] sei bei Versuchsbeginn – dem Zeitpunkt des Fahrspurwechsels – noch von der Arglosigkeit der [E] ausgegangen, in den Feststellungen keine Stütze. Denn er hatte ihr zuvor bereits seine Tötungsabsicht offenbart, als er sie aufforderte, ihm den Namen des „anderen Mannes“ zu nennen, andernfalls er sie beide umbringen werde. Dies spricht dafür, dass ihre Arglosigkeit zu Beginn des mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs bereits aufgehoben war und der [A] dies erkannte, zumal zwischen seiner Äußerung und dem Angriff eine gewisse, wenn auch nicht näher eingegrenzte Zeitspanne lag.
Die Feststellungen ergeben aber, dass der [A] der arglosen [E] tatplangemäß eine Falle stellte, indem er sie – zu diesem Zeitpunkt bereits in Tötungsabsicht – unter dem Vorwand eines Autokaufs in den Pkw lockte und mit ihr die Autofahrt antrat. Damit hatte er sie planmäßig in eine bis zur Tatbegehung fortdauernde Lage gebracht, in der ihre Möglichkeiten eingeschränkt waren, einen Angriff auf ihr Leben durch einen absichtlich herbeigeführten Verkehrsunfall abzuwehren. Dies nutzte er bei der Herbeiführung der Kollision bewusst aus.“
Zweifel an dem entsprechenden Tatentschluss des A ergeben sich auch nicht aus anderen Gründen:
„Namentlich war die Strafkammer nicht verpflichtet, näher auf den Gesichtspunkt der Eigengefährdung des [A] einzugehen, die mit dem Auffahren auf den Sattelzug verbunden war. Eine Beweisregel, nach der es einem Tötungsvorsatz entgegensteht, dass mit der Vornahme einer fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergeht, gibt es nicht. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr kann zwar eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat. Dies gilt aber nur, wenn die Verhaltensweise nicht – wie hier – von vornherein darauf angelegt ist, eine andere Person zu verletzen oder einen Unfall herbeizuführen (…).
Das Landgericht hat … auch in den Blick genommen, dass der Pkw mit einem Beifahrer-Airbag ausgestattet war und die E vorschriftsmäßig den Sicherheitsgurt angelegt hatte. Es hat diesen Umständen lediglich – revisionsrechtlich unbedenklich – keine entscheidende Bedeutung für die Gefährlichkeit der Tathandlung und die Tötungsabsicht des [A] beigemessen. Auch hat es nachvollziehbar einen Verursachungsbeitrag der [E] ausgeschlossen. … Auch ein Einschlafen des [A] hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.“
A war mithin zur Tatbegehung i.S.v. § 22 StGB entschlossen.
c) Unmittelbares Ansetzen
A hat zur Tatbegehung auch unmittelbar angesetzt. Er hat subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschritten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Handlung angesetzt, sodass sein Tun ohne wesentliche Zwischenakte in die Tatbestandserfüllung übergegangen ist. Das Tun des A war also so eng mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung verknüpft, dass es bei ungestörten Fortgang unmittelbar zur Verwirklichung des gesamten Straftatbestandes führen sollte oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stand. A ist mit der vorderen rechten Seite seines Fahrzeugs auf der Autobahn auf den vor ihm fahrenden LKW aufgefahren, während die E auf dem Beifahrersitz saß.
d) Strafbefreiender Rücktritt, § 24 StGB
A, der auch insoweit rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat, könnte strafbefreiend vom Versuch, die E zu ermorden, zurückgetreten sein. Dem könnte entgegenstehen, dass der Versuch fehlgeschlagen ist, weil E den Aufprall überlebt hat und das Vorhaben des A, sie zu töten, nicht mehr durchführbar war. Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann, ohne dass eine ganz neue Handlungs- und Kausalkette in Gang gesetzt werden muss, und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält (BGH, Beschl. v. 3.5.2022 – 3 StR 120/22, Rn. 15). So liegt der Fall hier. Das Vorhaben des A, die E im Zusammenhang mit der Fahrt zum angeblichen Autokauf zu ermorden, war gescheitert.
Hinweis: Siehe zum fehlgeschlagenen Versuch einer heimtückischen Tötung auch die Beiträge hier.
A ist nicht strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten.
e) Zwischenergebnis
A hat sich wegen versuchten Heimtückemordes gemäß §§ 211, 22, 23 I StGB strafbar gemacht.
2. Gefährliche Körperverletzung, §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB
A hat sich auch wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB strafbar gemacht, indem er mit seinem PKW, in dem E saß, gegen den LKW fuhr. Dazu der BGH (4 StR 234/22):
„2. Auch die tateinheitliche Verurteilung des [A] wegen gefährlicher Körperverletzung … ist rechtsfehlerfrei. Soweit das Landgericht bei der gefährlichen Körperverletzung neben dem unproblematisch erfüllten Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB auch die Begehung mittels eines gefährlichen Werkzeugs nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB bejaht hat, wird dies unter den hier gegebenen Umständen von den Feststellungen noch belegt. Zwar erfordert eine Verurteilung nach dieser Vorschrift, dass die Körperverletzung durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eingetreten ist. Wird ein Kraftfahrzeug als Werkzeug eingesetzt, muss daher die körperliche Misshandlung unmittelbar durch den Anstoß des vom Täter verwendeten Fahrzeugs ausgelöst worden sein (…). Dies ist hier aber der Fall, denn die Verletzungen der [E] sind ersichtlich durch einen Kontakt mit dem kollisionsbedingt abrupt zum Stehen gebrachten Tatfahrzeug entstanden.“
3. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, §§ 315b I Nr. 3, III , 315 III Nr. 1 a) StGB
A hat sich der auch wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in der Variante der beabsichtigten Herbeiführung eines Unglücksfalls gemäß § 315b I Nr. 3, III i.V.m. § 315 III Nr. 1a StGB strafbar gemacht, indem er mit seinem PKW auf der vor ihm fahrenden LKW auffuhr.
Hinweis: Siehe zum gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr durch „Steinewerfer“.
4. Zwischenergebnis
A hat sich im ersten Tatkomplex (Autofahrt) wegen versuchten Heimtückemordes (§§ 211, 22, 23 I StGB), wegen gefährlicher Körperverletzung (§§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB) und wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b I Nr. 3, III i.V.m. § 315 III Nr. 1a StGB) strafbar gemacht. Diese Delikte stehen zueinander im Verhältnis der Tateinheit (vgl. dazu § 52 StGB).
Hinweis: Das Landgericht, dessen Urteil der A mit seiner Revision angegriffen hat (Az. 4 StR 234/22), hat den A entsprechend schuldig gesprochen und ihn zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Zudem hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von einem Jahr und vier Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Der 4. Strafsenat hat die auf die Verfahrens- und Sachrüge gestützte Revision verworfen.
II. Zweiter Tatkomplex (Küche)
1. Versuchter Heimtückemord, §§ 211, 22, 23 I StGB
A könnte sich wegen versuchten Heimtückemordes nach den §§ 211, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben, indem er auf seine Ehefrau mit einem Messer in der Küche mehrfach eingestochen hat.
A hatte betreffend die heimtückische Tötung seiner Ehefrau Tatentschluss i.S.v. § 22 StGB. Er hatte sich (erneut) entschlossen, die E – die sich in der Küche befand und dort bügelte, also arg- und wehrlos war - zu töten und den Umstand, dass sie in dieser Situation keine Möglichkeit zur Flucht hatte, für die Ausführung seiner Tat auszunutzen. Dazu hatte er durch die mehrfachen Messerstiche auch angesetzt.
Fraglich ist allerdings, ob A – der insoweit auch rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat – von dem Mordversuch betreffend die E strafbefreiend zurückgetreten ist (§ 24 StGB). Dafür kommt es zunächst darauf an, ob der Versuch noch unbeendet gewesen ist oder ob A diesen schon beendet hatte. Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen einem unbeendeten Versuch, bei dem nach § 24 I S. 1 Alt. 1 StGB allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch führt, und einem beendeten Versuch nach Alt. 2 ist das Vorstellungsbild des Täters unmittelbar nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ist (sog. Rücktrittshorizont). Ein beendeter Tötungsversuch, bei dem der Täter für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist anzunehmen, wenn er zu diesem Zeitpunkt den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht (vgl. BGH, Beschl. v. 16.6.2021 – 1 StR 58/21).
Nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung bzw. bei Verlassen des Tatortes hat A die zwar verletzte, aber noch lebende E in der Annahme, er könnte die Tat noch vollenden, zurückgelassen und ist vom Tatort geflüchtet. Nach seiner Vorstellung von der Tat hielt er zu diesem Zeitpunkt also den Eintritt des Todes noch nicht für möglich, weswegen der Versuch, E zu ermorden, noch unbeendet war. A hat die Tathandlung abgebrochen, fraglich ist, ob dies freiwillig geschah. Dazu der BGH (1 StR 273/22):
„a) Die Beurteilung der Frage, ob im Fall des - wie hier - nicht fehlgeschlagenen Versuchs die Aufgabe weiterer, möglicherweise noch zum Erfolg führender Handlungen freiwillig erfolgte, hängt davon ab, ob der Täter aus autonomen Motiven gehandelt hat und subjektiv noch in der Lage war, das zur Vollendung der Tat Notwendige zu tun. Dabei stellt die Tatsache, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt, für sich genommen die Autonomie der Entscheidung des Täters nicht in Frage. Erst wenn durch von außen kommende Ereignisse aus Sicht des Täters ein Hindernis geschaffen worden ist, das einer Tatvollendung zwingend entgegensteht, ist er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse und eine daraufhin erfolgte Abstandnahme von der weiteren Tatausführung als unfreiwillig anzusehen (…; st. Rspr.). Dies kann unter anderem dann der Fall sein, wenn unvorhergesehene äußere Umstände dazu geführt haben, dass bei weiterem Handeln das Risiko, angezeigt oder bestraft zu werden, unvertretbar ansteigen würde (…; st. Rspr.). Verbleibende Zweifel an der Freiwilligkeit des Rücktritts sind grundsätzlich zugunsten des Täters zu lösen (…).
b) Von diesen Maßstäben ausgehend hat das Landgericht ausreichende Feststellungen zur Freiwilligkeit des Rücktritts (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB) getroffen. Die Strafkammer hat hierzu ausgeführt, dass es dem [A] trotz der Intervention seiner Töchter nicht ausschließbar möglich gewesen wäre, der [E] weitere Stiche zuzufügen, um die Tat zu vollenden. Der [A] habe dies erkannt, jedoch entschieden, von der weiteren Tatausführung Abstand zu nehmen.“
A ist strafbefreiend vom Mordversuch zurückgetreten, hat sich insoweit also nicht strafbar gemacht.
2. Gefährliche Körperverletzung, §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB
A hat sich aber wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB strafbar gemacht, indem er die E mit dem Messer („gefährliches Werkzeug“) zweimal in die linke Schulter, in den Oberbauch („das Leben gefährdende Behandlung“) und zweimal in den Rücken gestochen hat.
3. Zwischenergebnis
A hat sich im zweiten Tatkomplex (Küche) wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht.
Hinweis: Das Landgericht hatte den A entsprechend schuldig gesprochen und ihn zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit ihrer zu Ungunsten des A eingelegten, auf die Sachrüge gestützten Revision hatte die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des A wegen versuchten Mordes erstrebt. Der 1. Strafsenat des BGH hat diese Revision der Staatsanwaltschaft – ebenso wie die des A – verworfen.
(BGH, Urt. v. 14.12.2022 – 1 StR 273/22, v. 25.01.2023 – 1 StR 284/22, v. 30.03.2023 – 4 StR 234/22)
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