BGH zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bei Polizeikontrolle

BGH zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bei Polizeikontrolle

Strafbarer Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Regelmäßig gerät bei der strafrechtlichen Bewertung des Verhaltens von Kraftfahrzeugführern bei polizeilichen Diensthandlungen – zumeist im Rahmen von Verkehrskontrollen nach § 36 Abs. 5 StVO, aber etwa auch bei vorläufigen Festnahmen (§ 127 StPO) - die Vorschrift des § 113 StGB in den Blick, also der strafbare (und gewaltsame) Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, wenn sich der oder die Kontrollierte nicht kooperativ und lediglich passiv verhält. Daher ist eine Wiederholung der materiellen Voraussetzungen des § 113 StGB sowie der Konkurrenzregeln in jedem Fall lohnenswert, wofür sich der vorliegende Fall bestens eignet.

A. Sachverhalt

Der Z fährt mit einem nicht haftpflichtversicherten Kraftfahrzeug ohne die erforderliche Fahrerlaubnis durch die Innenstadt. Als ihn zwei Polizeibeamte, die sich auf einer Streifenfahrt mit einem als Polizeifahrzeug gekennzeichneten Dienstfahrzeug befinden, einer Kontrolle unterziehen wollen, weil eine Mitfahrerin des Z gegen die Gurtpflicht verstoßen hat, und deshalb ein Haltesignal geben, versucht der Z mit hoher Geschwindigkeit davon zu fahren und sich der Kontrolle zu entziehen. Bei seiner Fluchtfahrt gerät er mit seinem Fahrzeug auf eine Straße, die sich zu einem schmalen Feldweg verengt. Auch hier fährt er mit überhöhter Geschwindigkeit, sodass sich mehrere Fußgänger auf dem Seitenstreifen in Sicherheit bringen müssen, was der Z zumindest billigend in Kauf nimmt. Am Ende des Weges muss er anhalten, weil Betonsteine die Weiterfahrt verhindern. Die Polizeibeamten, die ihn verfolgt haben, gehen davon aus, dass ein Wenden des Fahrzeugs des Z in dieser Position nicht möglich ist. Der sich auf dem Beifahrersitz befindliche Beamte öffnet die Beifahrertür, um aus dem Dienstfahrzeug auszusteigen und auf den Z zuzugehen. In diesem Moment setzt der Z, dem bewusst ist, dass die Beamten ihn zum Anhalten aufgefordert haben, seinen Pkw zurück, um der Kontrolle zu entgehen. Dabei „touchiert“ er mit seinem Fahrzeug die geöffnete Beifahrertür. Den herausgesetzten Fuß des Beamten bemerkt er zu diesem Zeitpunkt nicht. Dem Polizeibeamten gelingt es gerade noch rechtzeitig, seinen Fuß wieder zurück ins Fahrzeug zu bringen, bevor die Beifahrertür durch den Anstoß zuschlägt. Bei der weiteren Rückwärtsfahrt fährt der Z seinen Pkw fest und wird von den Polizeibeamten überwältigt.

Wie hat sich Z strafbar gemacht?

B. Entscheidung

I. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, § 113 Abs. 1 StGB

Z könnte sich wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er sich der Kontrolle durch Polizeibeamte mittels Wegfahren entziehen wollte.

Dazu müsste Z einem Amtsträger, der zur Vollstreckung von Gesetzen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand geleistet haben.

1. Objektiver Tatbestand

Die Polizeibeamten, die den Z einer Kontrolle unterziehen wollten, sind nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 a) StGB „Amtsträger“ i.S.v. § 113 Abs. 1 StGB, und zur Vollstreckung von Gesetzen berufen. Diese haben auch eine „solche Diensthandlung“ in Form einer (allgemeinen) Verkehrskontrolle vorgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 30. 4. 1974 - 4 StR 67/74). Fraglich ist allerdings, ob Z vorliegend auch „Widerstand“ geleistet hat. Darunter ist eine aktive Tätigkeit gegenüber dem Vollstreckungsbeamten mit Nötigungscharakter zu verstehen, mit der die Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme verhindert oder erschwert werden soll (BGH, Beschl. v. 15.1.2015 − 2 StR 204/14). Die bloße „Flucht vor der Polizei“ erfüllt diese Voraussetzungen allerdings nicht, auch wenn dabei andere Verkehrsteilnehmer behindert oder gefährdet werden (BGH, Beschluss vom 19. 12. 2012 - 4 StR 497/12.)

Hier könnte jedenfalls das Zufahren des Z auf den Polizeibeamten auf dem Beifahrersitz des Polizeifahrzeugs, der die Beifahrertür zum Aussteigen geöffnet und seinen Fuß (zunächst) nach draußen gesetzt hatte, als „Widerstandleisten“ zu beurteilen sein, weil der Polizeibeamte dadurch am Aussteigen und – mittelbar – auch an der Durchführung der Kontrolle von Z gehindert worden ist. Dazu der BGH:

„1.b.aa) Eine Widerstandshandlung im Sinne dieses Tatbestands kann durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt erfolgen. Der Begriff der Gewalt ist dabei als eine durch tätiges Handeln bewirkte Kraftäußerung zu verstehen, die gegen den Amtsträger gerichtet und geeignet ist, die Durchführung der Vollstreckungshandlung zu verhindern oder zu erschweren (…). Die Tathandlung braucht allerdings nicht unmittelbar gegen dessen Person gerichtet zu sein; es genügt vielmehr auch eine nur mittelbar gegen die Person des Beamten, unmittelbar aber gegen Sachen gerichtete Einwirkung, wenn sie nur von dem Beamten körperlich empfunden wird (…). Ein Widerstandleisten durch Gewalt kann daher in dem Zufahren mit einem Kraftfahrzeug auf einen Polizeibeamten liegen, um ihn zum Wegfahren oder zur Freigabe der Fahrbahn zu nötigen (…). Die bloße Flucht vor der Polizei erfüllt diese Voraussetzungen hingegen nicht, auch wenn dabei andere Verkehrsteilnehmer behindert oder gefährdet werden (…). In subjektiver Hinsicht ist dabei Vorsatz erforderlich, wobei bedingter Vorsatz genügt (…).

bb) Gemessen daran tragen die Feststellungen (…) die Annahme des äußeren Tatbestands einer Widerstandshandlung im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB. Denn durch das Zurücksetzen in Richtung des Dienstwagens und das hierdurch bewirkte Zuschlagen der Tür wurde der Polizeibeamte dazu genötigt, sein Vorhaben, auszusteigen und auf den [Z] zuzugehen, um ihn zu kontrollieren, aufzugeben und seinen Fuß wieder in den Innenraum des Fahrzeugs zu ziehen. Damit hat der [Z] eine mittelbare Zwangswirkung auf den Beamten ausgeübt, die die Durchführung der Vollstreckungshandlung erschwert hat. (…)“

Z hat damit den objektiven Tatbestand des § 113 Abs. 1 StGB erfüllt.

2. Subjektiver Tatbestand

Z müsste auch vorsätzlich, also mit Wissen und Wollen gehandelt haben; bedingter Vorsatz, also das billigende Inkaufnehmen der Tatbestandsverwirklichung (sog. dolus eventualis), genügt. Dazu der BGH:

„bb) (…) Dass der [Z] insoweit auch vorsätzlich handelte, ergeben die Urteilsgründe dagegen nicht. Denn das Landgericht vermochte nicht festzustellen, dass der [Z] den herausgesetzten Fuß des Beamten wahrgenommen hatte, als er seinen Pkw zurücksetzte, um sich der Kontrolle zu entziehen. Die Urteilsausführungen verhalten sich auch nicht dazu, dass der [Z] zumindest die Möglichkeit einer Berührung seines Fahrzeugs mit der geöffneten Fahrertür und der Folge ihres Zuschlagens erkannt hatte, so dass es auch insoweit an dem für die Annahme eines bedingten Vorsatzes erforderlichen kognitiven Element fehlt.“

Z hat demnach den subjektiven Tatbestand von § 113 Abs. 1 StGB nicht erfüllt.

3. Zwischenergebnis

Z hat sich nicht wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

Hinweis: Auf die auf eine sog. Sachrüge (Verletzung des materiellen Rechts) gestützte Revision des Z hat der 4. Strafsenat des BGH das angefochtene Urteil des Landgerichts, mit dem dieser u.a. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt worden war, aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Der Senat hat weitere Feststellungen zum Vorstellungsbild des Z bei Tatbegehung für möglich gehalten.

II. Nötigung, § 240 Abs. 1 StGB

Eine Strafbarkeit des Z wegen Nötigung des Polizeibeamten nach § 240 Abs. 1 StGB scheidet mangels eines entsprechenden (Eventual-=Vorsatzes ebenfalls aus. Ferner würde die Nötigung hinter dem § 113 StGB als lex specialis ohnehin im Konkurrenzwege zurücktreten, weil jedes Widerstandleisten zugleich den Zweck verfolgt, den betroffenen (Polizei-)Beamten zu einer Duldung oder Unterlassung zu nötigen (vgl. nur BGH, Beschl. v. 4.4.2017 – 1 StR 70/17).

III. Nötigung, § 240 Abs. 1 StGB

Z hat sich vorliegend aber wegen Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, indem er bei seiner Fluchtfahrt auf einer Straße mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr, sodass sich mehrere Fußgänger auf dem Seitenstreifen in Sicherheit bringen mussten und Z dies zumindest billigend in Kauf nahm.

IV. Vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis, § 21 Abs. 1 StVG

Ferner hat Z ein Kraftfahrzeug geführt, obwohl er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hatte, weswegen er sich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 StVG strafbar gemacht hat.

V. Vorsätzlicher Gebrauch eines nicht haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges, § 6 Abs. 1 PflVG

Letztlich hat sich Z auch nach § 6 Abs. 1 des Pflichtversicherungsgesetzes (PflVG) strafbar gemacht, indem er (vorsätzlich) auf öffentlichen Wegen (vgl. § 1 Abs. 1 StVG) ein Fahrzeug gebraucht hat, obwohl für das Fahrzeug der nach § 1 PVG erforderliche Haftpflichtversicherungsvertrag nicht bestanden hat.

Hinweis: Sowohl eine Straftat nach § 21 Abs. 1 StVG als auch eine nach § 6 Abs. 1 PflVG wird jeweils mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Bei der Strafzumessung im Rahmen von § 21 Abs. 1 StVG darf die „Flucht des Täters vor der Polizei“ nicht zu dessen Lasten gewertet werden, weil der Versuch, sich der Strafverfolgung zu entziehen, grundsätzlich nicht strafschärfend herangezogen werden darf – es sei denn, das Nachtatverhalten schafft neues Unrecht oder der Täter verfolgt Ziele, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen, so wenn er sich damit erneut über strafrechtliche Gebote hinweg setzt (s. OLG Hamm, Beschl. v. 19.11.2020 – 4 RVs 129/20).

VI. Konkurrenzen und Ergebnis

Die Straftaten nach §§ 240 Abs. 1 StGB, 21 Abs. 1 StVG und 6 Abs. 1 PflVG stehen zueinander im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB). Z hat sich demnach wegen Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und mit vorsätzlichem Gebrauch eines nicht haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges gemäß den §§ 240 Abs. 1 StGB, 21 Abs. 1 StVG und 6 Abs. 1 PflVG, 52 StGB strafbar gemacht.

Hinweis: Der 4. Strafsenat des BGH hat die Verurteilung des Z insgesamt aufgehoben, weil die fehlerhafte Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte auch die übrigen Taten erfasst:

„1.c) Damit kann auch die an sich rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen Nötigung (zum Nachteil der wegspringenden Fußgänger), vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und vorsätzlichen Gebrauchs eines nicht haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges keinen Bestand haben, denn die Strafkammer ist insoweit von Tateinheit ausgegangen.“

C. Prüfungsrelevanz

Bei der strafrechtlichen Bewertung des Verhaltens von Kraftfahrzeugführern bei polizeilichen Diensthandlungen – zumeist im Rahmen von Verkehrskontrollen nach § 36 Abs. 5 StVO, aber etwa auch bei vorläufigen Festnahmen (§ 127 StPO) – gerät regelmäßig die Vorschrift des § 113 StGB in den Blick, also der strafbare (und gewaltsame) Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, wenn sich der oder die Kontrollierte nicht kooperativ und lediglich passiv verhält. In bestimmten Fällen kommt auch eine Strafbarkeit nach § 114 StGB (tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte) in Betracht, beispielsweise beim Anspucken der Beamten.

An der für den äußeren Tatbestand des § 113 Abs. 1 StGB erforderlichen, gewaltsamen, gegen die Person des Vollstreckenden gerichteten Handlung fehlt es allerdings schon dann, wenn sich der Beamte unbemerkt hinter einem Fahrzeug befindet, das der Täter zurücksetzt (BGH, Beschl. v. 15.1.2015 − 2 StR 204/14). In subjektiver Hinsicht bedarf es zudem jeweils mindestens Eventualvorsatz beim Täter (vgl. BGH, a.a.O.).

Die bloße „Flucht vor der Polizei“ wird nicht als tatbestandsmäßig angesehen, auch wenn dabei andere Verkehrsteilnehmer behindert oder gefährdet werden, sofern der Täter die ihn verfolgenden Beamten mit seinem Kraftfahrzeug weder abgedrängt noch am Überholen hindert sowie nicht auf sie zufährt, um sie zum Wegfahren und damit zur Freigabe der Fahrbahn zu nötigen (BGH, Beschluss vom 19. 12. 2012 - 4 StR 497/12).

Zu bedenken ist ferner, dass in Fällen einer ununterbrochenen Polizeiflucht regelmäßig von Tateinheit bezüglich aller durch die Fahrt verwirklichten Delikte auszugehen ist (BGH, Beschl. v. 7.9.2016 – 4 StR 221/16), etwa mit vorsätzlichem gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) und/oder mit (versuchter) gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB).

Eine Wiederholung der materiellen Voraussetzungen des § 113 StGB sowie der Konkurrenzregeln ist daher in jedem Fall lohnenswert – wofür sich die hiesige Entscheidung des 4. Strafsenats gut eignet!

(BGH, Beschluss vom 09.11.2022 – 4 StR 272/22)