Rettungseinsatz behindert? Verfahren gegen Klimaaktivisten in Berlin

Rettungseinsatz behindert? Verfahren gegen Klimaaktivisten in Berlin

Tödlicher Unfall in Berlin: Der Unfalltod einer Radfahrerin sorgte in ganz Deutschland für Aufsehen. Grund dafür ist, dass zeitgleich die Protestgruppe „Letzte Generation“ die A100 blockierte – ein nötiger Rettungswagen der Feuerwehr verlor durch einen Stau möglicherweise wertvolle Zeit. Der Vorfall sorgt für politische und rechtliche Diskussionen.

Worum geht es?

Vor Kurzem ist in Berlin eine Radfahrerin tödlich verunglückt. Deutschlandweite Aufmerksamkeit erlangte der Vorfall deshalb, weil Klima-Proteste der Gruppe „Letzte Generation“ auf der Autobahn den Rettungseinsatz verzögert haben sollen. Nun wurde bekannt, dass deshalb Ermittlungsverfahren eingeleitet sein sollen. Doch nicht nur die Justiz befasst sich mit dem Phänomen der Auto-Blockaden der Aktivist:innen: Die Unionsfraktion fordert harte Strafverschärfungen, während die Bundesregierung auf die vorhandenen Möglichkeiten des Strafrechts verweist.

Was ist passiert?

In der Hauptstadt ereignete sich vor zwei Wochen ein tragisches Unglück: Eine Radfahrerin war an einem Montagmorgen in Berlin-Wilmersdorf von einem Betonmischer überrollt worden. Sie war unter dem LKW eingeklemmt und wurde zunächst lebensgefährlich verletzt – inzwischen ist sie verstorben. Die Rettungskräfte am Einsatzort hatten einen Spezialwagen mit entsprechendem Werkzeug angefordert, um die Radfahrerin zu bergen. Doch die Feuerwehr stand mit ihren Spezialgeräten in einem Stau auf der A100 und erreichte erst verspätet den Unfallort.

Nach Polizeiangaben haben Klimaaktivist:innen der Protestgruppe „Letzte Generation“ auf einer Brücke vorab Plakate angebracht und sich anschließend, wie es in den letzten Monaten öfters geschah, selbst auf der Straße festgeklebt. Die Polizei musste zwei von drei Fahrstreifen der Autobahn sperren, um die Aktivist:innen zu befreien und fortzuschaffen.

Auf ihrem eigenen Internetauftritt äußerte sich die Gruppierung, dass sie selbst nicht ausschließen könne, dass „die Verspätung des Rüstwagens auf einen durch uns verursachten Stau zurückzuführen“ sei. Man sei bestürzt, dass eine Radfahrerin von einem LKW verletzt wurde.

Ermittlungen wegen § 323c II eingeleitet

Seit mehreren Monaten blockieren Klima-Aktivist:innen stark frequentierte deutsche Straßen, um zu demonstrieren. Insbesondere in Berlin werden regelmäßig durch Sitzblockaden die Straßen für mehreren Stunden lahm gelegt. Dies sorgt nicht nur in ganz Deutschland für Aufsehen, auch die Justiz wird auf die Aktionen natürlich aufmerksam: Wie LTO berichtete, seien bei der Staatsanwaltschaft Berlin bislang rund 750 Verfahren zu Aktionen von Klimaaktivist:innen eingegangen. In knapp 250 Fällen von ihnen seien Strafbefehle beantragt worden, andere seien eingestellt (§ 154 oder § 170 II StPO) worden. 123 Verfahren seien noch offen.

Nun reihen sich zwei Verfahren hinzu: Wie bekannt wurde, soll die Berliner Polizei aufgrund des Fahrradunglücks ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Personen eingeleitet haben. Der Tatvorwurf: Behinderung von hilfeleistenden Personen gemäß § 323c II StGB. Die recht junge Norm aus dem StGB bezieht sich auf § 323 I StGB, in dem die unterlassene Hilfeleistung mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft wird. § 323c II StGB ergänzt:

Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

§ 323c II StGB verfolgt damit das Ziel, dass helfende Personen ungestört ihre Hilfe ausüben können. Darunter fallen Rettungskräfte, aber auch etwa zivile Ersthelfer an einem Unfallort. Da ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, besteht gegen die beiden Aktivist:innen zumindest ein Anfangsverdacht. Es liegen nach Auffassung der Ermittlungsbehörde also Tatsachen vor, die die Verwirklichung des § 323c II StGB als möglich erscheinen lassen.

Ob sie sich aber tatsächlich wegen § 323c II StGB strafbar gemacht haben, muss nun – spätestens gerichtlich – geklärt werden. Insbesondere müsste zum einen festgestellt werden, ob die Protestaktion tatsächlich zu einer Behinderung der Feuerwehr geführt habe. Zum anderen müsste aber auch der erforderliche Vorsatz, zumindest der dolus eventualis bei den Beschuldigten festgestellt werden. Haben sie es billigend in Kauf genommen, dass sie Personen behindern, die helfen wollten? Aktuell kann dies nicht beantwortet werden.

Welche Straftaten kommen generell in Betracht?

Abgesehen von § 323c II StGB könnte man in der Fallkonstellation auch an andere Delikte denken. Die fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) zum Beispiel. Aber auch hier könnte es problematisch werden, den Tod der Radfahrerin den Klimaaktivist:innen zuzurechnen. Ähnlich dürfte es sich mit § 115 III StGB verhalten: Widerstand gegen oder tätlicher Angriff auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen. § 115 III StGB erweitert die Anwendung des § 113 StGB auch auf die Täter, die unter anderem bei Unglücksfällen, gemeiner Gefahr oder Not Hilfeleistende der Feuerwehr oder eines Rettungsdienstes durch Gewalt behindert. Außerdem sollte an den Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315b StGB gedacht werden.

Und dann gibt es noch den (prüfungsrelevanten) „Klassiker“, wenn es um Straßen- bzw. Sitzblockaden geht: Die Nötigung gemäß § 240 StGB. Objektiv können Blockaden den Tatbestand erfüllen – allerdings ist entscheidend, dass die Nötigung auch verwerflich ist. Dies ist eine Frage der Rechtswidrigkeit. Sofern nicht ein etwaiger Rechtfertigungsgrund eingreift, ist die Nötigung nur dann rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. An dieser Stelle kommen Verfassungs- und Strafrecht zusammen: Die Nötigung ist danach nämlich nicht verwerflich, wenn die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG das Verhalten rechtfertigen kann. Auch das BVerfG äußerte sich wiederholt, dass die Verwerflichkeit bei Blockade-Aktionen stets am Maßstab des Art. 8 GG bewertet werden müsse. Hier haben wir detaillierter über das Zusammenspiel von Art. 8 GG und § 240 StGB berichtet und außerdem die berühmte „Zweite-Reihe“-Rechtsprechung des BGH erörtert.

Reaktionen aus der Politik

Wie man sieht, gibt es einige Straftatbestände, die auf solche Straßenblockaden je nach dem Umständen Anwendung finden können. Darauf verwies nun etwa auch der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai im „Tagesspiegel“ als Antwort auf Strafverschärfungs-Forderungen der Union:

Unser Rechtsstaat hat genügend Instrumente zur Verfügung, um gegen radikale Aktivisten vorzugehen, wenn die Grenzen des friedlichen Protests überschritten werden.

Vorab forderte die Unionsfraktion als Reaktion auf die jungen Vorfälle auf den Straßen Verschärfungen des Strafrechts. Ihrem Vorschlag nach sollten Personen, die die Straßen blockierten und dadurch die Fahrt von Rettungskräften behinderten, eine Mindestfreiheitsstrafe drohen. CSU-Chef Markus Söder argumentierte, dass der Staat „eine klare Kante zeigen“ müsse.