Aktivist:innen blockieren Autobahnen – Versammlungsfreiheit?

Aktivist:innen blockieren Autobahnen – Versammlungsfreiheit?

Gilt die Versammlungsfreiheit auch für Blockade-Aktionen?

Aktivist:innen sorgten in den letzten Wochen für viel Ärger auf deutschen Autobahnen: Für mehrere Stunden blockierten sie den Verkehr, um zu demonstrieren. Die Kritik an ihrem Verhalten wächst. Aber ist es strafbar oder von der Versammlungsfreiheit gedeckt?

Worum geht es?

Die Sorge um den Klimaschutz ist in den vergangenen Jahren gewachsen. Weltweit gingen Menschen auf die Straße, um zu demonstrieren und auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam zu machen. So auch in Deutschland, allen voran die deutsche „Fridays For Future“ Bewegung.

Doch aktuell häufen sich radikale Protestaktionen von der Klimaschutzinitiative „Aufstand der letzten Generation“. Sie blockiert Straßen in Großstädten und Autobahnen und legt den Verkehr dadurch lahm. Teilweise kleben sich die Aktivist:innen mit ihren Händen am Asphalt fest, sodass die Polizei Stunden benötigt, um die Straßen wieder freizubekommen.

Dies „fesselt“ nicht nur Menschen in ihre Autos, die auf dem Weg zur Arbeit sind. Auch Rettungswagen kommen durch die gebildeten Staus nur schwer, oftmals aber auch überhaupt nicht durch. Die Kritik an den Aktivist:innen wächst – aber haben sie das Recht auf ihrer Seite?

Buschmann: Demos auf Autobahnen rechtswidrig

Während in Berlin bereits eine eigene Ermittlungsgruppe („Asphalt“) gegründet wurde, finden auch in anderen deutschen Großstädten wie Hamburg und München solche Blockade-Aktionen statt. Sie erzeugen Aufmerksamkeit: Meist sind es „nur“ 5-10 Aktivist:innen pro Blockadeaktion, doch die Anzahl reicht aus, um den Autoverkehr stundenlang lahm zu legen. Unter dem Slogan „Essen retten – Leben retten“ fordert die Gruppe ein sofortiges Gesetz zur Rettung von Lebensmitteln, außerdem eine Agrarwende, um Klimagase aus der Landwirtschaft zu senken.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) kann das Anliegen der Protestaktion verstehen, kritisiert jedoch die Umsetzung. Er glaube, dass Straßenblockaden dem „gemeinsamen Ziel“ schaden würden. Anders ordnete es seine Partei- und Regierungskollegin Steffi Lemke ein. Die Bundesumweltministerin finde es absolut legitim, für eigene Anliegen zu demonstrieren – auch wenn es dabei zu Formen des „zivilen Ungehorsams“ komme. Letzteres griff nun ein Dritter aus der Bundesregierung auf – Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP. Auf Twitter kritisierte er Lemkes Äußerung und schrieb:

Ziviler Ungehorsam ist im deutschen Recht weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgrund. Unangemeldete Demos aus Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig.

Versammlungsfreiheit auch für Blockade-Aktionen

Ob die Blockade-Aktionen der Aktivist:innen aber tatsächlich rechtswidrig sind, ist fraglich. Denn zunächst greift für sie eines unserer höchsten Verfassungsgüter – das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG. Nach Art. 8 I GG haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Das BVerfG hat mehrfach klargestellt, dass unter den Versammlungsbegriff grundsätzlich auch Blockade-Aktionen fallen können. Eine öffentliche Meinungsbildung könne nicht nur durch Banner, Schilder und Protestrufe geäußert werden – auch die „physische Präsenz“ kann ausreichen, um unter den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit zu fallen.

Außerdem hat sich das BVerfG in der Vergangenheit dazu geäußert, dass Blockaden grundsätzlich auch das Merkmal „friedlich“ aus Art. 8 GG erfüllen können. Auch die aktuellen Blockaden von dem „Aufstand der letzten Generation“ können im Rechtssinne als friedlich anzusehen sein. Denn unfriedlich seien Versammlungen nur, so das BVerfG, wenn sie als Ganze auf physische Gewalt abziele. Behinderungen, wie sie es auf den Autobahnen der Fall sind, dürften daher gerade als nicht unfriedlich anzusehen sein. Denn die Aktivist:innen zeigen sich dort gerade nicht aggressiv – sie sitzen (nur) da und warten, bis die Polizei sie von der Straße trägt.

(P): Rechtswidrigkeit

Im Einzelfall kommen aber dennoch einzelne Straftaten in Betracht. So etwa kann es zu einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) oder einzelnen Versammlungsstraftaten aus dem jeweiligen Landes-Versammlungsgesetz (zB § 20 NVersG) kommen. 

Besonders spannend ist allerdings der Straftatbestand der Nötigung aus § 240 StGB. Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einem Handeln, Dulden oder Unterlassen nötigt, macht sich nach § 240 I StGB strafbar. Objektiv können Blockaden den Tatbestand der Nötigung daher erfüllen. Allerdings ist bei der Nötigung entscheidend, dass sie auch verwerflich ist.

Die Verwerflichkeit wird in der Rechtswidrigkeit geprüft. Sofern nicht ein etwaiger Rechtfertigungsgrund eingreift, ist die Nötigung nur dann rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. An dieser Stelle kommen Verfassungs- und Strafrecht zusammen: Die Nötigung ist danach nicht verwerflich, wenn die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG das Verhalten rechtfertigen kann.

Die Verwerflichkeit müsse bei Blockade-Aktionen stets am Maßstab des Art. 8 GG bewertet werden, so das BVerfG in seiner Rechtsprechung. Denn der angestrebte Zweck könne nicht unberücksichtigt bleiben. Es müsse daher eine Abwägung in der Verwerflichkeitsprüfung erfolgen, in die Ziel, Ort, Dauer, die Art der Versammlung und die Beeinträchtigung Dritter berücksichtigt werden müssten. Die Versammlungsfreiheit ist in strafrechtlichen Klausuren daher in beiden Punkten der Rechtswidrigkeit zu berücksichtigen: Zum einen kann sie einen Rechtfertigungsgrund darstellen, zum anderen ist sie Maßstab für die Verwerflichkeit.

Auch interessant: „Zweite-Reihe“-Rechtsprechung des BGH

Insbesondere die „Zweite-Reihe“-Rechtsprechung des BGH sollte in diesem Zusammenhang bekannt sein, die zu den aktuellen Fällen ähnlich ist. Es ging auch um Demonstranten, die auf der Autobahn einen Stau herbeiführten. Der BGH führte aus, dass die ersten Fahrzeuge, die als erstes an die Blockade heranfahren (die erste Reihe), nicht genötigt worden seien. Begründung: Sie halten nicht aufgrund von Gewalt an, sondern durch Rücksichtnahme auf die Demonstranten. Allerdings könne es zu einer Nötigung in mittelbarer Täterschaft zum Nachteil der folgenden Autofahrer:innen kommen. Nämlich dadurch, dass die Demonstranten die erste Reihe der blockierten Fahrzeuge nutzt, um die folgenden Fahrzeuge an der Weiterfahrt zu hindern. Dies würde den Gewaltbegriff im Verhältnis „Erste Reihe“ zur „Zweiten Reihe“ aus § 240 I StGB erfüllen. Das BVerfG hat diese Entscheidung in seiner „Vierten Blockadeentscheidung“ bestätigt.

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