OLG Celle: Zum gutgläubigen Erwerb eines entwendeten PKW

OLG Celle: Zum gutgläubigen Erwerb eines entwendeten PKW

Gutgläubiger Erwerb bei Entwendung eines PKW bei einer unbegleiteten Probefahrt möglich?

Die Entscheidung des OLG Celle befasst sich neben den hier dargestellten Rechtsfragen auch mit zahlreichen Fragen des Beweisrechts. Das Urteil enthält insbesondere Ausführungen zur sekundären Darlegungslast bezüglich der Einsichtnahme in die Fahrzeugpapiere. Diese Ausführungen sind zu Vereinfachungszwecken ausgeklammert und der Tatbestand entsprechend vereinfacht worden.

A. Sachverhalt

Die Beklagte handelt gewerblich mit Kraftfahrzeugen. Am 8. September 2020 überließ sie einen Audi Q5 an einen angeblichen Kaufinteressenten (I) für eine einstündige Probefahrt. In dem Fahrzeug waren zwei Sim-Karten verbaut, die eine Ortung durch die Polizei mit Unterstützung der Herstellerin ermöglichen. Die Beklagte behielt die Zulassungsbescheinigung Teil II und einen Zweitschlüssel.

Der Interessent, der falsche Personalien angegeben hatte, kehrte mit dem Fahrzeug von der Probefahrt nicht zurück, sondern bat den Audi über Ebay zum Verkauf zu einem Preis in Höhe von 32.550 € an. Der Kläger kontaktierte den I und es wurde ein Treffen für 12 Uhr in einem Wohngebiet vereinbart.

An diesem Treffpunkt kam der Kläger wegen eines erhöhten Verkehrsaufkommens nicht wie vereinbart um 12.30 Uhr, sondern erst um 15.00 Uhr an. Als der K den I daraufhin kontaktierte, erklärte dieser, er selbst könne nun nicht mehr kommen, aber seine Partnerin (P), der das Fahrzeug ohnehin gehöre.

Als die P am Treffpunkt ankam, einigten sich der Kläger und die P wegen Abweichungen zu der in dem Inserat angegebenen Ausstattung auf einen Kaufpreis in Höhe von 31.000 €. Dabei legte die P einen echten Personalausweis vor, den sie zuvor gestohlen hatte und auf dem das Lichtbild ihr ähnlich sah. Weiter übergab sie gefälschte Fahrzeugpapiere in denen die im Ausweis genannte Person eingetragen war. In dem von der P entworfenen Kaufvertrag stand ebenfalls die aus dem Personalausweis zu erkennende Person als Verkäuferin, lediglich die im Kaufvertrag angegebene Adresse wich von derjenigen im Personalausweis ab. Es wurde nur ein Schlüssel übergeben, was die P damit erklärte, dass der Zweitschlüssel noch bei I sei und daher nachgesandt würde. Der Kläger zahlte den Kaufpreis in bar.

Aufgrund der im Fahrzeug verbauten SIM-Karten konnte die Polizei das Fahrzeug auffinden. Der Kläger legt die erhaltenen Fahrzeugpapiere vor, die als Fälschung entlarvt wurden. Die Staatsanwaltschaft nahm den Audi in Verwahrung und gab ihn dann an die Beklagte heraus, die das Fahrzeug sodann am 29. Oktober 2020 für 35.000 €, worin 16 % von der Beklagten abgeführte Umsatzsteuer enthalten waren, an einen Dritten veräußerte.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 35.000 € nebst Zinsen verurteilt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Ein gutgläubiger Erwerb des Klägers scheide aus, weil ihr das Fahrzeug abhandengekommen sei. Aufgrund der SIM-Karten habe sie Sachherrschaft behalten. Die Voraussetzungen eines gutgläubigen Erwerbs seien nicht erfüllt. In jedem Falle müsse die von der Beklagten abgeführte Umsatzsteuer von dem Verkaufserlös abgezogen werden.

B. Überblick

Das Ziel des Klägers ist es, von der Beklagten den Veräußerungserlös zu erhalten. Als Anspruchsgrundlage ist daher der § 816 Abs. 1 S. 1 BGB zu prüfen.

„Trifft ein Nichtberechtigter über einen Gegenstand eine Verfügung, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist, so ist er dem Berechtigten zur Herausgabe des durch die Verfügung Erlangten verpflichtet.“

Das Prüfungsschema eines Anspruchs aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB sieht wie folgt aus:

I. Verfügung eines Nichtberechtigten

1. Verfügung

Verfügung ist ein Rechtsgeschäft, das auf Übertragung, Aufhebung, Belastung oder Inhaltsänderung eines Rechts gerichtet ist.

2. Entgeltlich

Weiterhin verlangt § 816 Abs. 1 S.1 BGB, dass eine entgeltliche Verfügung vorliegt. Bei einer unentgeltlichen Verfügung kommt hingegen § 816 Abs. 1 S. 2 BGB in Betracht.

3. Nichtberechtigung

Darüber hinaus muss die Verfügung durch einen Nichtberechtigten vorgenommen werden. Berechtigt, über eine Sache zu verfügen, ist nur der Eigentümer ohne Verfügungsbeschränkung und der verfügungsberechtigte Nichteigentümer. An dieser Stelle erfolgt im Regelfall die sachenrechtliche Prüfung, ob der Veräußerer zum Zeitpunkt der Veräußerung auch Eigentümer der veräußerten Sache gewesen ist.

II. Wirksamkeit gegenüber dem Berechtigtem

Weiterhin muss die Verfügung eines Nichtberechtigten dem Berechtigten gegenüber auch wirksam sein. Mit der Wirksamkeit gegenüber dem Berechtigten werden insbesondere die Fälle des gutgläubigen Erwerbs angesprochen. Darüber hinaus kann der Berechtigte die Veräußerung nach § 185 Abs. 2 BGB genehmigen und dadurch wird die Verfügung wirksam. Eine solche Genehmigung kann auch konkludent durch die Geltendmachung des Herausgabeanspruchs gegenüber dem Veräußerer erfolgen.

III. Rechtfolge: Herausgabe des Erlangten

Die Rechtsfolge der Verfügung eines Nichtberechtigten ist die Herausgabe des Erlangten, also des erzielten Erlöses. Dabei ist auch zu prüfen ob und ggfs. inwieweit eine Entreicherung vorliegt und ob eine verschärfte Haftung nach § 819 BGB anzunehmen ist.

C. Entscheidung des OLG Celle

Der Kläger könnte einen Anspruch auf Herausgabe des Erlöses in Höhe von 35.000 € gegen die Beklagte aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB haben.

I. Entgeltliche Verfügung

Durch die Übereignung des Pkw an einen Dritten hat die Beklagte ein Rechtsgeschäft vorgenommen, das auf die Übertragung des Eigentums gerichtet war. Somit liegt eine Verfügung vor, die aufgrund des gezahlten Kaufpreises in Höhe von 35.000 € auch entgeltlich erfolgt ist.

II. Nichtberechtigung

Fraglich ist jedoch, ob die Beklagte als Nichtberechtigte anzusehen ist. Berechtigt, über eine Sache zu verfügen, ist nur der Eigentümer ohne Verfügungsbeschränkung und der verfügungsberechtigte Nichteigentümer. Ursprünglich war die Beklagte Eigentümerin des Fahrzeugs. Entscheidend ist jedoch, ob sie auch zum Zeitpunkt der Verfügung noch Eigentümerin gewesen ist.

III. Eigentumserwerb des Klägers nach § 929 S.1, 932 BGB

Die Beklagte könnte ihr Eigentum an den Kläger verloren haben, wenn dieser das Eigentum gutgläubig vom Nichtberechtigen nach §§ 929 S. 1, 932 BGB erworben hat.

1. Einigung und Übergabe

Das OLG Celle führt aus, dass die als Eigentümerin auftretende, in den gefälschten Fahrzeugpapieren als Halterin genannte Frau dem Kläger das Fahrzeug ausweislich der Kaufvertragsurkunde verkaufte und ihm den Fahrzeugschlüssel und damit den Besitz übergab. Die Voraussetzungen von § 929 Satz 1 BGB sind damit erfüllt.

2. Gutgläubiger Erwerb nach § 932 BGB

Es liegt ein Verkehrsgeschäft vor, bei dem an den Besitz als Rechtscheinstatbestand angeknüpft werden kann.

Die beiden Schwerpunkte der Prüfung des OLG stellen sodann die Fragen des guten Glaubens und des Abhandenkommens des PKW während der Probefahrt dar.

a) guter Glaube

Bezüglich des guten Glaubens geht das OLG Celle zunächst auf die Rechtsprechung des BGH ein, nach der es regelmäßig zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs gehört, dass sich der Erwerber den Kraftfahrzeugbrief bzw. die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Kommt der Erwerber dieser Obliegenheit nach und wird ihm ein gefälschter Kraftfahrzeugbrief vorgelegt, treffen ihn, sofern er die Fälschung nicht erkennen musste und für ihn auch keine anderen Verdachtsmomente vorlagen, keine weiteren Nachforschungspflichten. Bei einer Übereinstimmung des Namens des Veräußerers mit den Eintragungen in den Fahrzeugpapieren kann der Erwerber – vorbehaltlich anderweitiger Anhaltspunkte – auf die Eigentümerstellung des Veräußerers vertrauen.

Nach diesen Maßstäben sei der Kläger in gutem Glauben gewesen. Zwar seien bei dem Erwerbsvorgang eine Reihe von Unstimmigkeiten festzustellen, die dem Kläger Anlass zu weitergehenden Nachforschungen hätten geben können. Das gelte namentlich dafür, dass die Anschrift der Verkäuferin (P) in dem Personalausweis von den Anschriften in Kaufvertrag und Fahrzeugpapieren abwich, der zweiten Fahrzeugschlüssel fehlte sowie einem Barkauf in einer Straße, die weder der in dem Inserat noch der in dem Personalausweis genannten Straße entsprach.

Diese Umstände begründen nach den Ausführungen des OLG Celle jedoch keine grobe Fahrlässigkeit des Klägers. Die Verkäuferin (P) sei nicht nur in dem Besitz des Fahrzeugs, sondern auch der (gefälschten) Fahrzeugpapiere gewesen, die sie dem Kläger übergeben hat. Die Fälschung habe von dem Kläger nicht durchschaut werden müssen, da jedenfalls nicht ohne Weiteres erkennbar gewesen sei, dass eine Fälschung vorgelegen habe. Umfassende Prüfungspflichten habe der Kläger nicht gehabt, vielmehr dürfe der Erwerber bei einer Übereinstimmung des Namens des Veräußerers mit den Eintragungen in den Fahrzeugpapieren auf die Eigentümerstellung des Veräußerers grundsätzlich vertrauen.

Auch das Fehlen des zweiten Fahrzeugschlüssel führe nicht zu einer Bösgläubigkeit des Klägers, weil dies nach der Gesamtsituation plausibel war. Der Kläger war zu dem für 12.30 Uhr verabredeten Treffen erst um 15.00 Uhr angekommen. Der angebliche Ehemann der Veräußerin (I) erklärte telefonisch, nicht mehr vor Ort zu sein, nunmehr werde seine Frau kommen, der das Fahrzeug ohnehin gehöre. Damit gab es aus Sicht eines redlichen Erwerbers einen nachvollziehbaren Grund, warum der zweite Schlüssel bei dem angeblichen Ehemann und nicht vor Ort sein konnte.

b) Abhandenkommen

Einem gutgläubigen Eigentumserwerb würde es nach § 935 BGB entgegenstehen, wenn der PKW der Beklagten abhandengekommen wäre. Nach allgemeiner Auffassung ist eine Sache dann nach § 935 Abs. 1 BGB abhandengekommen, wenn der unmittelbare Besitzer seinen Besitz ohne seinen Willen verloren hat.

Der unmittelbare Besitz an einer Sache wird gemäß § 854 Abs. 1 BGB durch die tatsächliche Gewalt über die Sache erworben. In wessen tatsächlicher Herrschaftsgewalt sich die Sache befindet, hängt maßgeblich von der Verkehrsanschauung ab, also von der zusammenfassenden Wertung aller Umstände des jeweiligen Falles entsprechend den Anschauungen des täglichen Lebens. Die Überlassung eines Kraftfahrzeugs durch den Verkäufer zu einer unbegleiteten und auch nicht durch technische Vorrichtungen, die einer Begleitung vergleichbar sind, gesicherten Probefahrt eines Kaufinteressenten auf öffentlichen Straßen für eine Dauer von einer Stunde ist keine Besitzlockerung, sondern führt zu einem freiwilligen Besitzverlust.

Vorliegend liegt daher nach der Ansicht des OLG Celle ein Besitzverlust vor. Eine Begleitung der Probefahrt habe nicht stattgefunden und die Verwendung der SIM-Karten sei einer Begleitung auch nicht vergleichbar. Bei einer Begleitung müsse der Interessent, um selbst Sachherrschaft zu erlangen, diejenige des Besitzers brechen und ihn aus dem Besitz setzen. Eine vergleichbare Lage fehle bei der bloßen Überwachungsmöglichkeit mittels SIM-Karten aber. Dies werde durch § 859 Abs. 2 BGB bestätigt. Nach dieser Vorschrift darf, wenn eine bewegliche Sache dem Besitzer mittels verbotener Eigenmacht weggenommen wird, er sie dem auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten Täter mit Gewalt wieder abnehmen. Dementsprechend hindern weder die Betroffenheit auf frischer Tat noch die Verfolgung des Täters den Besitzverlust. Die Nacheile erhält dem früheren Besitzer lediglich das Recht, sich den bereits durch verbotene Eigenmacht entzogenen Besitz wieder zu verschaffen. Darüber gehe auch die hier nur eröffnete Ortungsmöglichkeit keinesfalls hinaus.

c) Zwischenergebnis

Da der Kläger gutgläubig Eigentume erworben hat, war die Beklagte zum Zeitpunkt der Veräußerung des PKW an einen Dritten Nichtberechtigte.

4. Wirksamkeit der Verfügung gegenüber dem Kläger

Die Verfügung ist dem Kläger gegenüber wirksam. In dem Zahlungsverlangen des Klägers gegenüber der Beklagten liegt jedenfalls eine konkludente Genehmigung § 185 BGB.

5. Rechtsfolge

Zu der Rechtsfolge führt das OLG Celle aus, dass die Beklagte in Höhe der Umsatzsteuer entreichert sei gemäß § 818 Abs. 3 BGB, da diese nicht mehr bei ihr vorhanden sondern an das Finanzamt gezahlt wurde.. Daher bestehe der Anspruch nur in Höhe von 30.172,41 €.

D. Prüfungsrelevanz

Auch wenn die Entscheidung nicht wirklich viel Neues beinhaltet, eignet sie sich sehr gut für Klausuren, da die sachenrechtlichen Grundkenntnisse ebenso abgefragt werden können, wie die Fähigkeit, anhand eines komplexen Sachverhalts unter strittige Punkte subsumieren zu können. Wichtig ist daher, dass beim Aufbau der Prüfung keine Fehler passieren und die Schwerpunkte (guter Glauben; Abhandenkommen) mit ausreichender Tiefe und unter Ausschöpfung des Sachverhalts bearbeitet werden.

OLG Celle, Urteil vom 12.10.2022, 7 U 974/21

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