Führt ein neuer Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zur Aushebelung des digitalen Briefgeheimnisses?

Führt ein neuer Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zur Aushebelung des digitalen Briefgeheimnisses?

Unter anderem geht es um die Überwachung von Chatverläufen – z.B. bei WhatsApp

Werden bald sämtliche WhatsApp-Chats gescannt und durchleuchtet? Ein aktuelles Gesetzesvorhaben der EU lässt dies die Datenschutz-Organisationen befürchten. Hintergrund sind die massiv gestiegenen Fälle der Kinderpornographie.

Worum geht es?

Jüngst wurden Pläne der EU-Kommission bekannt, die einen vielseitig diskutierten Konflikt zwischen zwei Bedürfnissen beinhalten: Sicherheit und Datenschutz. Noch diese Woche will die Kommission einen Gesetzesvorschlag im Kampf gegen Kinderpornographie im Internet vorlegen. Zwar sind noch einige wesentliche Details unklar. Befürworter:innen des Datenschutzes und Verbände befürchten aber massive Eingriffe in die Privatsphäre und warnen vor einer anlasslosen Massenüberwachung.

Zahl der kinderpornographischen Inhalte massiv gestiegen

Hintergrund dieses Gesetzesvorhaben ist eine erschütternde Statistik: Allein in Deutschland nahmen die Darstellungen des sexuellen Missbrauchs im Jahr 2021 um mehr als 100 Prozent auf rund 40.000 Fälle zu. Darunter fallen etwa Fotos von sexuell missbrauchten Kindern und Filme mit kinderpornographischen Inhalten, die sich nun verdoppelt haben. Ganz Europa gelte in Ermittlungskreisen als „Drehkreuz“ für den Handel mit Darstellungen sexualisierter Gewalt.

Ylva Johansson, die amtierende EU-Innenkommissarin, sei davon schockiert gewesen, als sie von diesem Ausmaß erfuhr. Sie sei im aktuellen Vorhaben federführend und werde ein Gesetz vorschlagen, das „die Unternehmen verpflichtet, den sexuellen Missbrauch von Kindern zu erkennen, zu melden und zu entfernen“, berichtete sie bereits im Januar gegenüber der Welt am Sonntag.

Grundidee: nicht neu

Dass private Unternehmen, insbesondere die Tech-Giganten wie Facebook, Google, Apple und Co. wesentlicher Bestandteil der Pläne sein sollen, ist dabei nicht neu. Bereits in den vergangenen Jahren haben solche Unternehmen ihre Nutzer:innen freiwillig nach Missbrauchsdarstellungen gescannt. Insbesondere suchten sie nach solchen kinderpornographischen Darstellungen, die mit einem Hash – einem digitalen Fingerabdruck – durch frühere Ermittlungen versehen waren. Die Daten wurden dann an die zuständigen Behörden wie das Bundeskriminalamt weitergegeben. Die für dieses Vorgehen notwendige Rechtsgrundlage lief jedoch Ende 2020 aus. Aktuell gilt zwar noch eine Übergangslösung, doch auch diese wird in spätestens zwei Jahren wegfallen.

Gesetzesvorhaben stark umstritten

Die EU-Kommission ist daher auf der Suche nach einer langfristigen, rechtlichen Lösung, bei der Unternehmen wie der Meta-Konzern zum Beispiel die Chats bei WhatsApp und Instagram automatisch durchleuchten und scannen könnten. Dabei sollen nicht nur kinderpornografische Darstellungen erfasst werden. Auch das Scannen nach dem sogenannten Grooming, also das „Heranmachen“ von Erwachsenen an Minderjährige, könnte unter die geplante Regelung fallen. Darüber entscheiden müssen die EU-Staaten und das Europaparlament.

Allerdings mehrt sich aktuell massive Kritik an dem Gesetzesvorhaben. Verschieden Datenschutz-Organisationen warnen davor, dass durch eine solche Regelung jede etwa über WhatsApp verschickte Nachricht von privaten Unternehmen gescannt werden könnte. Dies stelle einen massiven Eingriff in die Kommunikation dar – kann der Kampf gegen die Kinderpornographie einen solchen rechtfertigen?

EU-Abgeordneter Patrick Breyer von der Piratenpartei etwa stuft eine automatisierte Suche in den Chatverläufen als unverhältnismäßig ein. Es handele sich dabei um digitales Briefeöffnen, was „illegal“ sei und zudem ineffektiv. Ähnlich sieht es sein Kollege Moritz Körner aus der FDP, der eine bessere Ausstattung der Behörden befürwortet. Durch das Gesetzesvorhaben sehe er vielmehr die Privatsphäre zerstört:

Die Chatkontrolle wäre eine anlasslose Massenüberwachung

Insgesamt sollen sich 47 Organisationen in einem Brandbrief an die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und ihre schwedische Kollegin Johansson gewendet haben. Aus diesem gehe hervor, dass sie das Gesetzesvorhaben als einen „massiven und unverhältnismäßigen Eingriff in die Kommunikation“ einstufen würden, der allen rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspreche.

Wie genau und insbesondere wie weit die geplanten Regelungen gehen sollen, bleibt daher mit Spannung abzuwarten. Dabei dürfte es insbesondere darauf ankommen, den Datenschutz mit dem Schutz der Kinder in ein Verhältnis zu bringen.

Vorratsdatenspeicherung aktuell beim EuGH

Thematisch ist sie zwar dem Gesetzesvorhaben ähnlich, doch muss sie trotzdem davon unterschieden werden: Die sogenannte Vorratsdatenspeicherung. Die deutsche Regelung zu der (möglicherweise anlasslosen) Speicherung von Daten durch entsprechende Anbieter liegt aktuell nicht nur in Deutschland auf Eis, sondern auch auf dem Entscheidungstisch der EuGH-Richter:innen. In einem gebündelten Verfahren muss entschieden werden, ob einer Vorratsdatenspeicherung nicht etwa europarechtliche Bedenken entgegenstehen.

Nachdem der EuGH bereits 2016 und 2020 Entscheidungen zur Vorratsdatenspeicherung getroffen hat, folgte nun die nächste. Das verwundert nicht, denn das Thema ist nicht nur in Deutschland stark umstritten. In Luxemburg musste über Vorlagen aus Frankreich, Irland und Deutschland entschieden werden. Geäußert hat sich das Gericht bislang zwar nur zu dem Verfahren aus Irland, doch bereits hierbei wurden einige spannende Punkte deutlich.

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