Kommt die Vorratsdatenspeicherung in Zukunft als “light Version”?
Erneut hat sich der EuGH zu der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung geäußert. Dabei bleibt er bei seiner ständigen Rechtsprechung, doch konkretisiert nun mögliche Ausnahmen. Auch das „Quick Freeze“-Verfahren haben die Richter gebilligt.
Worum geht es?
Nachdem der EuGH bereits 2016 und 2020 Entscheidungen zur Vorratsdatenspeicherung getroffen hat, folgte nun die nächste. Das verwundert nicht, denn das Thema ist nicht nur in Deutschland stark umstritten. In Luxemburg musste über Vorlagen aus Frankreich, Irland und Deutschland entschieden werden. Geäußert hat sich das Gericht bislang allerdings nur zu dem Verfahren aus Irland. Dabei wurden drei Sachen deutlich: Der EuGH bleibt bei seiner ständigen Rechtsprechung, Ausnahmen sind (unter strengen Voraussetzungen) möglich und der sog. „Quick Freeze“ könnte eine Option sein.
Vorratsdatenspeicherung am Beispiel Irland
In Deutschland sind die aktuellen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung seit 2017 auf Eis gelegt. Zu groß seien nicht nur die verfassungsrechtlichen, sondern auch die europarechtlichen Bedenken. Durch das Instrument im Kampf gegen Terrorismus und schwere Kriminalität sollen Anbieter von elektronischen Kommunikationsstellen dazu verpflichtet werden, bestimmte Verbindungsdaten zu speichern, um sie den Strafverfolgungsbehörden dann in bestimmten Fällen zugänglich zu machen. Die Speicherung erfolgt dabei – naturgemäß – allgemein und unterschiedslos. Das stößt bei Vielen auf Bedenken.
Wie eine solche Vorratsdatenspeicherung in der Praxis aussieht und aus welchen Gründen insbesondere die Strafverfolgungsbehörden einführen wollen, zeigt der Fall aus Irland. Hintergrund für das Vorlageverfahren aus Irland ist ein Sexualmord aus dem jahr 2012, der in dem Land für großes Aufsehen sorgte. Für die Verurteilung des Täters sollen seine Handydaten eine entscheidende Rolle gespielt haben, die durch die Vorratsdatenspeicherung gesammelt worden seien. Parallel zu seinem Strafverfahren wendete er sich vor den irischen Zivilgerichten gegen die unrechtmäßige Speicherung seiner Verkehrs- und Standortdaten. Der Fall ging bis vor den Supreme Court.
Der irische Supreme Court wendete sich an den EuGH und wollte wissen, welche Anforderungen das Unionsrecht an die Vorratsdatenspeicherung zum Zwecke der Bekämpfung schwerer Kriminalität stellt.
EuGH verweist auf seine Rechtsprechung
Wieso der EuGH die Vorlagen aus Irland, Frankreich und Deutschland nicht zusammen entschied, ist unklar. Doch schon aus seiner ersten Entscheidung zu der irischen Vorlage wird deutlich, dass sich der EuGH seiner Linie und damit seiner ständigen Rechtsprechung treu bleibt: Danach stehe das Unionsrecht einer präventiven, allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsdatenspeicherung von elektronischer Kommunikation zum Zweck der Bekämpfung schwerer Kriminalität entgegen.
So hatte das europäische Gericht schon 2016 und 2020 entschieden. Grundlage dafür sei die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation, aus der das Verbot einer Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten hervorgehe. Zwar könnten die Mitgliedstaaten bis zu einer Grenze Einschränkungen treffen. Doch diese Grenze finde sich in der Verhältnismäßigkeit. Die Richter des EuGH verlangen daher zumindest einen mittelbaren Zusammenhang zwischen der Datenspeicherung und dem damit verfolgten Ziel. Dies bei den aktuellen Fassungen der Vorratsdatenspeicherungen zu erzielen, erscheint schwierig.
EuGH: Ausnahmen möglich
Bereits 2020 hatte der EuGH allerdings Ausführungen dazu getroffen, wann eine Vorratsdatenspeicherung doch möglich sein könnte. Diese hat er nun etwas ausformuliert. So sei eine Speicherung zulässig, wenn sie gezielt erfolge, nämlich anhand von Kategorien betroffener Personen oder eines geografischen Kriteriums. Es könne bezüglich des geografischen Kriteriums etwa auf die durchschnittliche Kriminalitätsrate in einem bestimmten Gebiet abgestellt werden. Eine andere Möglichkeit könnte eine Speicherung zum Zweck der Kriminalitätsbekämpfung an hochfrequentierten Orten sein, beispielsweise Flughäfen oder Bahnhöfe. Eine Speicherung von IP-Adressen sei dann mit Unionsrecht vereinbar, wenn ihre Speicherung zeitlich auf das absolut Notwendigste begrenzt werde.
Außerdem wäre eine Regelung der Mitgliedstaaten denkbar, die die Verkäufer:innen von SIM-Karten in die Verantwortung nimmt. Zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit könnten diese die Identitäten der Käufer:innen überprüfen (müssen) und diese Daten gegebenenfalls an die Behörden weitergeben (müssen).
EuGH billigt „Quick Freeze“
Schließlich kann das europäische Gericht noch auf das sogenannten „Quick Freeze“ - Modell zu sprechen. Dabei handelt es sich um eine abweichende Variante der Vorratsdatenspeicherung, die auch in Deutschland bereits diskutiert wurde. So etwa befürwortet die aktuelle Bundesregierung das „Quick Freeze“-Verfahren anstelle der „klassischen“ Vorratsdatenspeicherung. Bei dem „Quick Freeze“ werden Kommunikationsanbieter erst bei einem vorliegenden Anfangsverdacht aufgefordert, die Daten zu einzelnen Teilnehmer:innen für einen bestimmten Zeitraum zu speichern. Diese Daten bleiben so lange gespeichert („eingefroren“, daher die Bezeichnung für das Verfahren), bis ein richterlicher Beschluss vorliegt. Nur durch diesen könnten die gespeicherten Daten dann an die Strafverfolgungsbehörden gelangen, indem sie „aufgetaut“ werden.
Der EuGH hat dieses Verfahren gebilligt. Durch die verschiedenen Verfahrensstufen sei es mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn dabei auch die Daten von anderen, unverdächtigen Personen gespeichert würden, wenn diese zur Aufdeckung schwerer Kriminalität beitragen könnten.
Die weitere Entwicklung der Vorratsdatenspeicherung bleibt also mit Spannung zu erwarten. Wann sich der EuGH speziell zu den deutschen Regelungen äußert, ist noch nicht bekannt.
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