BGH zur Freiwilligkeit beim Rücktritt vom versuchten Mord

BGH zur Freiwilligkeit beim Rücktritt vom versuchten Mord

Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts vom versuchten (Tötungs-) Delikt

Kann dem Täter eine „goldene Brücke“ in die Straffreiheit dadurch gewährt werden, dass er nach dem unmittelbaren Ansetzen zur Tatausführung diese freiwillig wieder aufgibt? Diese Frage ist nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch von hoher Relevanz, weil dieser persönliche Strafaufhebungsgrund dem Täter sowohl die Rückkehr in die Legalität ermöglichen, als ihn auch zur Umkehr bewegen soll.

A. Sachverhalt

Der F, der ein Küchenmesser in seiner Kleidung verbirgt, begibt sich zur Wohnung des C im zweiten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses. F will erzwingen, seine Kinder zu sehen; mit diesen ist seine Lebensgefährtin, die K, zu ihrem Vater (dem C) in dessen Wohnung nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit dem F gezogen. Im Hausflur streiten C und F über dessen Besuchsrecht. Der C ruft seiner Tochter (der K), die sich im Wohnzimmer mit beiden Kindern eingeschlossen hat, zu, sie solle die Polizei rufen. Auch der F ruft in die Wohnung: „Jaja, ruf die Polizei.“ Daraufhin wählt K den Polizeinotruf, was F und C mitbekommen. Der C sagt daraufhin zu F: „Geh, geh, die Polizei kommt!“ Er hält das Streitgespräch für beendet und geht davon aus, der F habe eingesehen, seine Kinder an diesem Tag nicht zu sehen. Der C, der nicht mit einem Angriff rechnet, dreht sich um, um in seine Wohnung zurückzugehen und die Wohnungstür zu schließen. Über die Weigerung des C, ihn die Kinder sehen zu lassen, erbost, holt der F, der ohnehin jenen für das Scheitern der Beziehung mit K verantwortlich macht, das Messer hervor, entfernt die Schutzhülle und äußert sinngemäß: „Ich sitze 30 Jahre, aber es lohnt sich.“

Er sticht von hinten mindestens 14-mal auf den C ein; davon sind drei Stiche konkret lebensgefährlich. Seine Tochter ruft wegen des Angriffs erneut die Polizei an. Der F lässt den blutüberströmten C in der Annahme, dieser werde sterben, am Tatort zurück, flüchtet von dort, steigt in sein Auto und ruft kurze Zeit später und wenige hundert Meter vom Tatort entfernt, seinerseits den Polizeinotruf an. Er bezichtigt der Wahrheit zuwider den C des rechtswidrigen Angriffs, um die Schuld von sich abzulenken, und sagt, er brauche Hilfe. Erst nach rund zwei Minuten erklärt er auf mehrfache Nachfrage, dass C verletzt sei. Dieser wird durch eine umfangreiche notfallmedizinische Versorgung im Krankenhaus gerettet.

Wie hat sich F strafbar gemacht?


In diesem Urteilsticker geht es insbesondere um die folgenden (prüfungsrelevanten) Lerninhalte:


B. Entscheidung

I. Versuchter Mord, §§ 211, 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB

F könnte sich wegen versuchten Mordes gemäß §§ 211, 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er auf C mehrfach mit einem Messer eingestochen und ihn lebensgefährlich verletzt hat.

1. Vorprüfung

Die Tat ist nicht vollendet; C ist gerettet worden. Mord als Verbrechen ist strafbar, § 12 Abs. 1 StGB.

2. Tatentschluss

F müsste zur Begehung der Tat entschlossen gewesen sein. Er müsste also Vorsatz hinsichtlich aller Voraussetzungen eines Mordes im Sinne von §§ 212 Abs. 1, 211 StGB gehabt haben und sämtliche subjektiven Voraussetzungen des Tatbestandes müssten von ihm erfüllt sein. F hat den C hier absichtlich, also mit dolus directus 1. Grades töten wollen. Ihm kam es – trotz des Wissens um die Folgen seines Handelns („Ich sitze 30 Jahre, aber es lohnt sich.“) – gerade darauf an, den C zu töten, weil dieser in seinen Augen für das Scheitern der Beziehung mit K sowie für den vereitelten Umgang mit seinen Kindern verantwortlich war. Er hat sich den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges – den Tod des C – auch mindestens als möglich vorgestellt und nicht nur gewünscht: er hat insgesamt 14 Messerstiche auf C verübt (davon drei konkret lebensgefährliche), so dass ihm die Tragweite der Tat bekannt war.

Fraglich ist, ob F in seinen Vorsatz auch ein Mordmerkmal aufgenommen hatte. In Betracht kommt ein heimtückischer Mord. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist ein Tatopfer, das bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen noch mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet. Für das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zu seiner Tötung genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Dies gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Anders kann es jedoch bei „Augenblickstaten“, insbesondere bei affektiven Durchbrüchen oder sonstigen heftigen Gemütsbewegungen sein; auch kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein gefehlt hat. Der C versah sich hier keines Angriffs durch F und war daher arglos; er hatte nicht mit einem (Messer-)Angriff gerechnet und sich von F abgewendet, um in die Wohnung zurückzugehen und die Wohnungstür zu schließen. Die auf dieser Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit wollte C bewusst ausnutzen, indem er – von hinten – mehrfach auf F einstach.

F hatte demnach den Entschluss zur Begehung eines Heimtückemordes gefasst.

Hinweis: Siehe zum heimtückischen Mord bei mehraktigem Tatgeschehen mit Messereinsatz in einer Wohnung bzw. im Wohnungsflur auch die Besprechung von BGH, B. v. 06.07.2021 (4 StR 100/21), Urteilsticker: BGH zu heimtückischem Mord bei mehraktigem Tatgeschehen.

3. Unmittelbares Ansetzen

F müsste auch unmittelbar zur Tatbegehung angesetzt haben. Dafür müsste er subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschritten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Handlung angesetzt haben, sodass sein Tun ohne wesentliche Zwischenakte in die Tatbestandserfüllung übergeht. Das Tun des F muss also so eng mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung verknüpft sein, dass es bei ungestörten Fortgang unmittelbar zur Verwirklichung des gesamten Straftatbestandes führen soll oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr steht. Diese Voraussetzungen sind im hiesigen Fall sämtlichst erfüllt. C hat bereits mehrfach mit seinem Messer auf den C eingestochen.

4. Rücktritt, § 24 StGB

Fraglich ist, ob F vom Versuch strafbefreiend nach § 24 StGB zurückgetreten ist. Dafür kommt es zunächst darauf an, ob der Versuch noch unbeendet gewesen ist oder ob F diesen schon beendet hatte.

Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen einem unbeendeten Versuch, bei dem nach § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch führt, und einem beendeten Versuch nach Alt. 2 ist das Vorstellungsbild des Täters unmittelbar nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ist (sog. Rücktrittshorizont). Ein beendeter Tötungsversuch, bei dem der Täter für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist anzunehmen, wenn er zu diesem Zeitpunkt den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht.

Nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung bzw. bei Verlassen des Tatortes hat F den blutüberströmten C in der Annahme, dieser werde sterben, am Tatort zurückgelassen. Nach seiner Vorstellung von der Tat hielt er zu diesem Zeitpunkt als den Eintritt des Todes des C bereits für möglich, weswegen der Versuch bereits beendet war; der Abbruch der begonnen Tathandlung stand nicht mehr im Raum.

Fraglich ist also, ob F den Tod des C freiwillig i.S. von § 24 Abs. 1 StGB abgewendet hat. Dazu der BGH:

„2.a)aa)(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für einen Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB nicht erforderlich, dass der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung die schnellste, sicherste oder „optimale“ gewählt hat; es reicht aus, dass er eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat und sich sein auf Erfolgsabwendung gerichtetes Verhalten als erfolgreich, nämlich für die Verhinderung der Tatvollendung als ursächlich oder zumindest mitursächlich erweist. Das Erfordernis eines „ernsthaften Bemühens“ gemäß § 24 Abs. S. 2 StGB gilt für diese Rücktrittsvariante nicht. Ohne Belang ist, ob der Täter noch mehr hätte tun können, sofern er nur die ihm bekannten und zur Verfügung stehenden Mittel genutzt hat, die aus seiner Sicht den Erfolg verhindern konnten (…).

(2) Das Landgericht hat nicht festgestellt, dass die ärztlichen Rettungskräfte bereits aufgrund des ersten oder jedenfalls aufgrund des zweiten Anrufs der K an den Tatort entsandt wurden. [Selbst wenn der] Polizeidisponent beim ersten Anruf die aufgeregte und schreiende K unterbrechen musste, um ihr anzukündigen, die Polizei werde zur Wohnung der Familie (…) entsandt [reicht dies nicht für eine entsprechende Abgrenzung]; ob der Polizist dies sofort entsprechend umsetzte, bleibt offen. Zudem rief der [F] unmittelbar danach an. Innerhalb dieses engen Geschehens ist nach alledem nicht gänzlich auszuschließen, dass der Anruf des [F] kausal für das Eintreffen der Rettungskräfte in der Wohnung war.

bb) Auch das Merkmal der Freiwilligkeit (§ 24 Abs. 1 S. 1 StGB) lässt sich nach den bisherigen Feststellungen nicht verneinen.

(1) Freiwilligkeit in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und er die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich hält, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen. Ob er von außen zum Umdenken angestoßen wird oder erst nach dem Einwirken durch einen Dritten von der Tat Abstand nimmt, berührt für sich genommen die Autonomie seiner Entscheidung nicht. Es bleibt vielmehr maßgebend, ob der Täter trotz des Eingreifens oder der Anwesenheit eines Dritten noch „aus freien Stücken“ handelt oder aber ob äußere Umstände ihn zur Tataufgabe zwingen oder eine innere Unfähigkeit zur Tatvollendung auslösen (st. Rspr.; …).

(2) Zum Zeitpunkt des Telefonanrufs war der [F] nicht derart unter Zugzwang gesetzt, dass er nicht mehr aus selbstgesetzten Motiven hätte handeln können. Er hätte das Telefonat jederzeit abbrechen können.“

Ein Rücktritt ist auch dann nicht mehr freiwillig i.S.v. § 24 Abs. 1 StGB, wenn der Täter von weiteren Ausführungshandlungen deshalb Abstand nimmt, weil er das mit einer weiteren Tatausführung verbundene Entdeckungsrisiko für nicht mehr vertretbar hält. Das hängt davon ab, ob er aus autonomen Motiven gehandelt hat und subjektiv noch in der Lage war, das zur Vollendung der Tat Notwendige zu tun. Dabei stellt die Tatsache, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten oder einem Verhalten des Geschädigten erfolgt, für sich genommen die Autonomie der Entscheidung des Täters nicht in Frage. Erst wenn durch von außen kommende Ereignisse aus Sicht des Täters ein Hindernis geschaffen worden ist, das einer Tatvollendung zwingend entgegensteht, ist er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse und eine daraufhin erfolgte Abstandnahme von der weiteren Tatausführung als unfreiwillig anzusehen. Das kann etwa der der Fall sein, wenn unvorhergesehene äußere Umstände dazu geführt haben, dass bei weiterem Handeln das Risiko, angezeigt oder bestraft zu werden, unvertretbar ansteigen würde. Eine Erhöhung des Entdeckungsrisikos rechtfertigt aber für sich genommen weder die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs, noch steht sie grundsätzlich einer Freiwilligkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB entgegen, da ein Täter in der Zeit bis zum Eintreffen von feststellungsbereiten Dritten grundsätzlich noch ungehindert weitere Ausführungshandlungen vornehmen kann, ohne dass damit für ihn eine beträchtliche Risikoerhöhung verbunden sein muss . Verbleibende Zweifel an der Freiwilligkeit des Rücktritts sind grundsätzlich zu Gunsten des Täters zu lösen.

Vorliegend dürfte F – jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen – den Tod des C freiwillig verhindert haben, indem er aus freien Stücken bei der Polizei angerufen und dort, wenn auch auf mehrfache Nachfrage, mitgeteilt hat, dass C verletzt sei und Hilfe brauche. Sofern dazu keine weiteren Feststellungen zur inneren und äußeren Tatseite getroffen werden können, wäre in dubio pro reo zu unterstellen, dass F die Voraussetzungen für einen strafbefreienden Rücktritt nach § 24 StGB erfüllt hat.

Hinweis: Siehe zum Rücktritt vom versuchten Totschlag im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung mit Messereinsatz bei einem Gartenfest auch die Besprechung von BGH, B. v. 16.06.2021 (1 StR 58/21), Urteilsticker: BGH zum Rücktritt vom versuchten Totschlag.

Zu beachten ist, dass es sich bei dem Zweifelssatz „_in dubio pro reo_“ nicht um eine Beweisregel, sondern um eine Entscheidungsregel handelt, die nicht bei der gerichtlichen Beweiswürdigung zu beachten ist, sondern erst dann, wenn diese abgeschlossen ist und sich herausgestellt hat, dass eine für Schuld- oder Strafausspruch entscheidungserhebliche Tatsache nicht sicher festgestellt werden kann. Die in Examensarbeiten häufig anzutreffende Verwendung derselben ist daher sparsam einzusetzen!

5. Ergebnis

F hat sich nicht wegen versuchten Mordes nach §§ 211, 212, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

II. Gefährliche Körperverletzung, §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 StGB

F könnte hat sich aber wegen gefährlicher Körperverletzung nach den §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB strafbar gemacht, indem er mit seinem Messer auf den Körper des C eingestochen hat.

F hat eine Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB begangen. Er hat den C durch die mehrfachen Stiche, der blutende Wunden hinterlassen haben, körperlich misshandelt (jede üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper des Verletzten, die dessen körperliches Wohlbefinden mehr als bloß unerheblich beeinträchtigt) und an der Gesundheit geschädigt (jedes Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden Zustandes).

Ferner hat F die Körperverletzung mittels eines „anderen gefährlichen Werkzeugs“ im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB – dem Messer – begangen und mittels einer „das Leben gefährdenden Behandlung“ (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB). Letztere Tathandlung muss nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den konkreten Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist demnach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im Einzelfall. Der F hat von hinten min. 14-mal auf den C eingestochen und drei Stiche davon waren konkret lebensgefährlich.

F hat sowohl hinsichtlich des Grundtatbestandes (§ 223 Abs. 1 StGB) als auch hinsichtlich der Qualifikation mit Vorsatz gehandelt. Er hat willentlich und wissentlich mehrfach auf C eingestochen und er ging davon aus, dass er C mit dem Messer empfindlich, billigenderweise auch tödlich verletzt hat.

F hat sich demgemäß wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht.

Hinweis: Der Umstand, dass F hier mindestens 14-mal auf C eingestochen hat, führt nicht dazu, dass er sich in mindestens 14 Fällen wegen vorsätzlicher Körperverletzung, davon in drei Fällen wegen gefährlicher Körperverletzung, strafbar gemacht hat. Insoweit ist eine „natürliche Handlungseinheit“ gegeben: es handelt sich um rechtlich gleichartige Tätigkeitsakte, die in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, von einem einheitlichen Willen getragen sind, nach der Lebensauffassung als ein einheitliches Geschehen erscheinen und jeweils gegen dieselbe Person gerichtet sind.

III. Ergebnis

F hat sich wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß den §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB strafbar gemacht. Vom Versuch eines heimtückischen Mordes ist er strafbefreiend zurückgetreten.

Hinweis: Das Landgericht hatte den F wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt. Auf die Revision des F, mit der er die Verletzung materiellen Rechts gerügt hat (sog. Sachrüge), hat der 1. Strafsenat des BGH das Urteil des Landgerichts aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, weil aus seiner Sicht zusätzliche Feststellungen zum Rücktritt des F möglich erschienen.

C. Prüfungsrelevanz

Ob dem Täter eine „goldene Brücke“ in die Straffreiheit dadurch gewehrt werden kann, dass er nach dem unmittelbaren Ansetzen zur Tatausführung diese freiwillig wieder aufgibt, ist nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch von hoher Relevanz, weil dieser persönliche Strafaufhebungsgrund dem Täter sowohl die Rückkehr in die Legalität ermöglichen, als ihn auch zur Umkehr bewegen soll. Dem Opferschutzgedanken wird dadurch in erheblicher Weise Rechnung getragen und zudem entfällt das Strafbedürfnis. In materiell-rechtlicher Hinsicht sind die Anforderungen an die Voraussetzungen an den Rücktritt vom unbeendeten Versuch nach Maßgabe von § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB weniger streng als diejenigen, die für bei einem beendeten Versuch (s. § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB) zu erfüllen sind.

Welche Anforderungen beim Rücktritt von einem in Mittäterschaft begangenen Mordversuch gelten, hat der BGH jüngst wieder in seinem Urteil (v. 17.03.2022 – 4 StR 223/21) dargelegt:

„§ 24 Abs. 2 Satz 1 StGB, der als persönlicher Strafaufhebungsgrund für jeden Tatbeteiligten gesondert zu prüfen ist (…), verlangt ohne Rücksicht auf die Frage, ob ein beendeter oder unbeendeter Versuch vorliegt, die bewusste Verhinderung der Tatvollendung. Dabei bestehen grundsätzlich die gleichen Anforderungen wie beim Alleintäter, so dass insbesondere das Verhalten des Zurücktretenden für das Ausbleiben der Vollendung zumindest mitursächlich werden muss (…). Das die Tatvollendung verhindernde Verhalten muss dabei nicht notwendig in einem auf die Erfolgsabwendung gerichteten aktiven Tun liegen (…). Kann einer von mehreren Tatbeteiligten den noch möglichen Eintritt des Taterfolgs allein dadurch vereiteln, dass er seinen vorgesehenen Tatbeitrag nicht erbringt oder nicht fortführt, so verhindert bereits seine Untätigkeit oder sein Nichtweiterhandeln die Tatvollendung. Ist dem Beteiligten dies im Zeitpunkt der Verweigerung oder des Abbruchs seiner Tatbeteiligung bekannt und handelt er dabei freiwillig, liegen damit die Voraussetzungen für einen Rücktritt nach § 24 Abs. 2 S. 1 StGB vor (…).

Ein solcher Rücktritt eines Tatbeteiligten durch schlichtes Unterlassen kommt in Betracht, wenn nach seiner Vorstellung ohne ihn der verabredete Plan nicht zu verwirklichen ist, etwa wenn nur er über die erforderlichen Tatwerkzeuge oder Fertigkeiten verfügt (…). Gleiches gilt, wenn ein Beteiligter seinen Tatbeitrag in der begründeten Überzeugung verweigert, die anderen Tatbeteiligten würden die Tat allein aufgrund seiner Untätigkeit nicht weiter durchführen (…). Denn der Tatbeteiligte gibt auch in diesem Fall seinen Vollendungsvorsatz vollständig auf und wählt eine Rettungsmöglichkeit, die er für geeignet und ausreichend hält, den Taterfolg zu verhindern (…).

Geht der Tatbeteiligte hingegen von der Gefahr der Tatvollendung durch den oder die Mittäter aus, bedarf der Rücktritt wie beim beendeten Versuch des Einzeltäters eines auf die Erfolgsabwendung gerichteten aktiven Tuns (…). Darüber hinaus kann ein Rücktritt aller Tatbeteiligten zu bejahen sein, wenn sie im Falle eines unbeendeten Versuchs einvernehmlich nicht mehr weiterhandeln, obwohl sie den Taterfolg noch herbeiführen könnten (…). Maßgeblich ist in allen Fällen die subjektive Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (sog. Rücktrittshorizont; …).“

Anlass für diese Ausführungen war der Tatplan mehrerer Schüler, einen ihrer Lehrer heimtückisch zu töten, indem einer der Mittäter einen allergischen Schock vortäuscht, während die beiden anderen auf den Kopf des Tatopfers jeweils mit einem mitgebrachten und verborgen getragenen Hammer einschlagen. Zu den Hammerschlägen kam es jedoch nicht, weil beide Schüler von der Tatausführung unabhängig voneinander absahen.

Die Einbettung eines Tatgeschehens, das Anlass für die Prüfung eines Rücktritts vom Versuch nach Maßgabe von § 24 StGB gibt, in den Sachverhalt einer Examensarbeit ist – auch bestimmt durch die tatsächlichen Lebensverhältnisse – nicht selten und eignet sich wegen der insoweit notwendigen Erörterungen zur Abgrenzung unbeendeter/beendeter Versuch, zur Freiwilligkeit etc. gut für das Examen.

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