A. Einleitung
Im letzten Teil haben wir uns mit der Zulässigkeit der Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO, die in allen Bundesländern regelmäßig Gegenstand einer Klausur im Assessorexamen ist, beschäftigt. Heute wollen wir uns deren Begründetheit widmen.
B. Die Begründetheit der Vollstreckungsabwehrklage
Im Mittelpunkt der Begründetheit der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO stehen die Fragen nach dem Bestehen der (behaupteten) materiell-rechtlichen Einwendung gegen den titulierten Anspruch sowie nach der Präklusion der Einwendung (§ 767 II, III ZPO).
Vollstreckungsabwehrklage, § 767 ZPO
Prüfungsrelevante Lerneinheit
I. Bestehen einer materiell-rechtlichen Einwendung gegen den titulierten Anspruch
Die Begründetheit der Vollstreckungsabwehrklage setzt zunächst voraus, dass eine materiell-rechtliche Einwendung gegen den titulierten Anspruch besteht. Dabei können im Ausgangspunkt anspruchshindernde Einwendungen (bspw. §§ 134, 138 BGB; beachte aber § 767 II ZPO, dazu sogleich), anspruchsvernichtende Einwendungen (bspw. § 362 BGB) und anspruchshemmende Einreden (bspw. § 214 BGB) die Vollstreckungsabwehrklage begründet machen. Einfach ausgedrückt lautet die entscheidende Frage: Wie wäre heute über den titulierten Anspruch zu entscheiden?
Der Fantasie der Prüfungsämter sind insoweit keine Grenzen gesteckt, der Schwerpunkt liegt indes regelmäßig im Schuldrecht. Typischer Fall der rechtsvernichten Einwendung ist die Erfüllung (§ 362 BGB); erfasst werden aber auch deren Surrogate, insbesondere die Aufrechnung (§ 389 BGB). Im Rahmen der Aufrechnung kann sich ein Sonderproblem stellen: Kann der klagende Schuldner mit einem prozessualen Kostenerstattungsanspruch aus einem anderen Rechtsstreit gegen den beklagten Gläubiger aufrechnen?
Dazu sollte man wissen, dass der prozessuale Kostenerstattungsanspruch seit Erlass der Kostengrundentscheidung (bspw. in einem Urteil) als auflösend bedingter Anspruch aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis (§§ 91 ff. ZPO) besteht und damit fällig ist (§§ 387, 271 I BGB). Der Fälligkeit steht auch nicht entgegen, dass der Kostenfestsetzungsbeschluss (§ 104 ZPO) noch nicht erlassen oder noch nicht rechtskräftig ist. Es genügt, dass die Kostengrundentscheidung für vorläufig vollstreckbar erklärt wurde. Die Aufrechnung scheitert auch dann nicht an § 390 BGB, wenn die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostengrundentscheidung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht wurde (§ 709 ZPO). Die fehlende Sicherheitsleistung stellt nämlich lediglich ein Vollstreckungshindernis dar, das dem Kostenerstattungsanspruch selbst nicht entgegengesetzt werden kann und eine Aufrechnung nicht hindert. Die angeordnete Sicherheitsleistung ist nur zu erbringen, wenn der Kostenerstattungsanspruch im Wege der Zwangsvollstreckung und damit unter Zuhilfenahme staatlichen Zwangs durchgesetzt werden soll (§ 751 II ZPO).
Allerdings ist in einem Klageverfahren (etwa nach § 767 ZPO) die Aufrechnung mit einem Kostenerstattungsanspruch aus einem anderen Prozess allerdings nur beachtlich, wenn der Kostenerstattungsanspruch im Kostenfestsetzungsverfahren rechtskräftig festgesetzt oder – auch der Höhe nach – zwischen den Parteien unstreitig ist. Das für die Klage nach § 767 ZPO zuständige Gericht kann über einen nach Grund und/oder Höhe streitigen prozessualen Kostenerstattungsanspruch nicht entscheiden; dies ist dem selbstständigen Kostenfestsetzungsverfahren gem. §§ 103 ff. ZPO vorbehalten. Wird die Aufrechnung dementsprechend im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage geltend gemacht, muss der Kostenerstattungsanspruch betragsmäßig durch einen rechtskräftigen Kostenfestsetzungsbeschluss festgestellt oder die Parteien müssen sich über die Höhe des Kostenerstattungsanspruchs einig sein.
Die Darlegungs- und Beweislast richtet sich nach allgemeinen Regeln, insbesondere ist sie (bekanntlich) nicht von der Parteirolle abhängig. Danach hat also der Kläger (Schuldner) das Bestehen der geltend gemachten Einwendung zu tragen, während der Beklagte (Gläubiger) das Entstehen der titulierten Forderung (die anspruchsbegründenden Tatsachen) darlegen und beweisen muss. Letzteres ist indes nur dann von Relevanz, wenn zulässigerweise über das Entstehen der titulierten Forderung gestritten wird. Das kommt also nur dann in Betracht, wenn die Präklusionsvorschrift des § 767 II ZPO (dazu sogleich) keine Anwendung findet. Wichtiger Klausurfall ist hier die Titulierung der Forderung in einer notariellen Unterwerfungserklärung (§ 794 I Nr. 5 ZPO).
Schließlich sollte man noch wissen, dass der Kläger keinen Hilfsantrag stellen muss, wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der titulierte Anspruch nur teilweise erloschen ist (Beispiel: Der Kläger klagt gegen die Vollstreckung aus einem Titel über 10.000 Euro und beruft sich auf Erfüllung durch Barzahlung. Nach Beweisaufnahme kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Anspruch nur in Höhe von 4.000 Euro erloschen ist.) Das Teilerlöschen der titulierten Forderung verhilft der Vollstreckungsabwehrklage zwar nicht in vollem Umfang, sondern nur teilweise zum Erfolg. Aber auch dann, wenn der Kläger beantragt hat, die Zwangsvollstreckung insgesamt für unzulässig zu erklären, ist das Gericht dabei nicht nach § 308 I ZPO daran gehindert, die Zwangsvollstreckung nur in Höhe des entsprechenden Teilbetrags für unzulässig zu erklären. Eines darauf gerichteten Hilfsantrages des Klägers bedarf es nicht. Ein solcher ist nur erforderlich, wenn der Kläger hilfsweise etwas anderes begehrt als mit dem Hauptantrag. Ist der mit dem Klageantrag geltend gemachte Anspruch aber – wie hier – teilbar, so erlaubt der auf Zusprechung der Gesamtmenge gerichtete Antrag dem Gericht auch, dem Kläger eine darin enthaltene Teilmenge zuzusprechen. Es handelt sich dann um ein Weniger, das stets im Mehr enthalten ist.
II. Präklusion (§ 767 II und III ZPO)
Im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage wird der Schuldner nur mit solchen Einwendungen gehört, wenn die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können (** 767 II ZPO**). Diese sogenannte Präklusion dient nach h.M. dem Schutz der materiellen Rechtskraft des Titels, weswegen sie auf Titel, die nicht der materiellen Rechtskraft fähig sind, keine Anwendung findet. Man sollte also wissen, dass § 767 II ZPO bei Prozessvergleichen (§§ 794 I Nr. 1, 797 IV ZPO analog) und notariellen Unterwerfungsurkunden (§§ 794 I Nr. 5, 797 IV ZPO) nicht anwendbar ist. Hier kann der Schuldner auch rechtshindernde Einwendungen geltend machen und einwenden, der titulierte Anspruch sei gar nicht erst entstanden; Letzteres hat der Gläubiger darzulegen und zu beweisen.
Findet § 767 II ZPO Anwendung kommt es nach h.M. nur darauf an, ob die Gründe, auf denen die Einwendung beruht, vor Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sind. Entscheidend ist allein die objektive Möglichkeit der Geltendmachung, auf die Kenntnis oder schuldhafte Unkenntnis des Klägers kommt es nicht an. Der (missverständliche) Wortlaut „geltend gemacht werden können“ bezieht sich danach nur auf die Verfahrenssituation, nicht auf das subjektive Vermögen des Klägers. Bei einem Versäumnisurteil ist die materiell-rechtliche Einwendung präkludiert, wenn sie durch Einspruch noch geltend gemacht werden kann (§ 767 II a.E. ZPO). Bei einem Vollstreckungsbescheid, der einem vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleichgestellt ist (§ 700 I ZPO), gilt Entsprechendes (§ 796 II ZPO).
Ein Sonderproblem stellt sich bei Gestaltungsrechten (bspw. Anfechtung, Aufrechnung, Widerruf), weil diese aus mehreren Teilakten bestehen: Stellt man auf das Entstehen der Gestaltungslage oder den (späteren) Zugang der Gestaltungserklärung ab?
Problem - Gestaltungsrechte bei § 767 ZPO
Prüfungsrelevante Lerneinheit
Nach der in der Literatur überwiegend vertretenen Ansicht kommt es für die Frage der Präklusion von nicht vertraglich eingeräumten Gestaltungsrechten auf den Zugang der Gestaltungserklärung an. Erst dadurch wird die Gestaltungswirkung ausgelöst und das materielle Recht umgestaltet. Die Rechtsprechung hingegen stellt auf das Bestehen der Gestaltungslage ab. Dafür spricht, dass § 767 II ZPO von den „Gründen“ der Einwendung spricht und damit zwischen der Einwendung, dem Erlöschen der Forderung nach § 389 BGB, und ihren Gründen, nämlich der Gestaltungslage, differenziert. Dafür spricht auch der von § 767 II ZPO intendierte Schutz der materiellen Rechtskraft des Titels. Sonst stünde es im Belieben des Klägers, den Anspruch durch eine nachträglich erklärte Gestaltungserklärung zu Fall zu bringen und dem Titel im Nachhinein seine Vollstreckbarkeit zu nehmen. Das soll nach einer aktuellen Entscheidung des BGH auch für das Verbraucherwiderrufsrecht (§ 355 BGB) gelten, obwohl der Verbraucher in diesen Fällen vor Ablauf der Widerruffrist faktisch zur Ausübung des Widerrufsrechts gezwungen wird (BGH Urt. v. 3.3.2020 – XI ZR 486/17). Offen ist allerdings nach wie vor, ob sich nicht etwas Anderes aus unionsrechtlichen Vorgaben zum Verbraucherwiderrufsrecht und seiner Widerrufsfrist ergibt; das wird ggf. der EuGH zu klären haben (die genannte Entscheidung des BGH betraf einen Altfall, in dem unionsrechtliche Vorgaben zum Widerrufsrecht noch nicht zu beachten waren).
Eine weitere Ausschlussvorschrift enthält ** 767 III ZPO**. Danach hat der Schuldner alle Einwendungen gegen den titulierten Anspruch, die er geltend machen kann, in dem (ersten) Rechtsstreit über die Vollstreckungsabwehrklage zu bündeln. Das führt dazu, dass der Schuldner bei einer wiederholten Vollstreckungsabwehrklage mit solchen Einwendungen präkludiert wäre, die er im ersten Klageverfahren nicht geltend gemacht hat. § 767 III ZPO dient damit nicht dem Schutz der Rechtskraft des Titels, sondern der Rechtskraft des Urteils über die erste Vollstreckungsabwehrklage. Das bedeutet auch, dass § 767 III ZPO nur dann Anwendung findet, wenn über den ersten Vollstreckungsabwehrprozess in der Hauptsache entschieden wurde; Beschlüsse nach § 91a ZPO oder § 269 III 3 ZPO etwa lösen die Präklusion nach § 767 III ZPO nicht aus.
C. Ausblick
Im nächsten und letzten Teil werden wir der Frage nachgehen, wie man in einem Urteil mit der Vollstreckungsabwehrklage umgeht.
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