BGH: Wann stehen dem neuen Grundstückseigentümer Einwendungen gegen die Grundschuld zu?

A. Sachverhalt (sehr vereinfacht)

Der verstorbene Ehemann (E) der K war Eigentümer eines Grundstücks. Zur Absicherung diverser Darlehen gewährte er der B-Bank vier Sicherungsgrundschulden, eingetragen in Abteilung III unter der laufenden Nummer 1 über 51.129,19 €, Nummer 2 über 46.016,27 €, Nummer 3a über 17.895,22 € und Nummer 4 über 94.589 €, und zwar die Sicherungsgrundschulden mit den Nummern 1, 3a und 4 aufgrund vollstreckbarer notarieller Urkunden. Am 31. Mai 2007 trat E die Ansprüche auf ganze oder teilweise Übertragung derjenigen gegenwärtigen und künftigen Grundschulden, welche der Sicherungsgrundschuld der Volksbank (V) über 50.000 € nebst Nebenforderung und Zinsen im Grundbuch Abteilung III unter der laufenden Nummer 5 im Rang vorgingen oder gleichstünden, nebst Zinsen und Nebenleistungen an die V ab, auch soweit die Ansprüche bedingt waren oder erst künftig entstehen würden. Im Jahr 2008 übertrug E der K das Grundstück; die Eintragung im Grundbuch erfolgte am 3. Februar 2009.

E verstarb am 23. März 2010. K schlug die Erbschaft aus. Das Nachlassgericht ordnete am 17. Mai 2010 eine Nachlasspflegschaft für die unbekannten Erben an und bestellte eine Nachlasspflegerin. Ihr gegenüber kündigte die B-Bank die gesamte Geschäftsverbindung aus wichtigem Grund. Am 28. September 2010 wurde das Insolvenzverfahren über den Nachlass des E eröffnet.

Die B-Bank betreibt seit April 2011 die Zwangsversteigerung des Grundstücks aus ihren Grundschulden. Die V trat - gestützt auf die zu ihren Gunsten eingetragene Grundschuld - dem Verfahren bei. Der neue Ehemann der K erhielt auf sein Meistgebot in Höhe von 342.000 € am 4. Dezember 2013 den Zuschlag. Dieser Verwertungserlös wurde an die B-Bank ausgekehrt.

K meint, dass das durch die Grundschuld gesicherte Darlehen nur noch in Höhe von 145.000 € valutiere. Deswegen sei die Zwangsvollstreckung in ihr Grundstück unzulässig gewesen, soweit der Betrag von 145.000 Euro überschritten werde. Der Übererlös gebühre ihr und verlangt die Zahlung von der B-Bank.

 

Zu Recht?

B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 19.10.2017 – IX ZR 79/16)

K könnte gegen die B-Bank ein Anspruch auf Herausgabe des Übererlöses aus § 812 I 1 Alt. 2 BGB zustehen.

Den Erlös hätte die B-Bank rechtsgrundlos erlangt, wenn K vor der Verwertung des Grundstücks Inhaber eines Anspruchs auf Abtretung, auf Verzicht oder auf Aufhebung des nicht valutierten Teils der Grundschulden zugestanden hätte:

„In Betracht kommt hier allein § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 BGB. …

a) Bei den streitgegenständlichen Grundschulden handelt es sich nach den Feststellungen des Berufungsurteils um Sicherungsgrundschulden [vgl. § 1192 Ia BGB], welche die Ansprüche der Grundschuldgläubigerin/Beklagten auf Rückzahlung von Darlehen absicherten. Bestellt wurden die Grundschulden von dem verstorbenen Ehemann der Klägerin zu einem Zeitpunkt, als er noch Eigentümer des Grundstücks war. Ein Grundstückseigentümer, der Sicherungsgrundschulden bestellt, hat aus dem Sicherungsvertrag gegen den Sicherungsnehmer einen durch den Wegfall des Sicherungszwecks aufschiebend bedingten schuldrechtlichen Anspruch auf Abtretung, auf Verzicht oder auf Aufhebung des nicht valutierten Teils der Grundschulden (BGH, Urteil vom 24. März 2016 - IX ZR 259/13, NJW 2016, 3239 Rn. 8). …

b) Als nicht akzessorisches Recht steht die Grundschuld ihrem jeweiligen Gläubiger ohne Rücksicht darauf zu, ob eine durch die Grundschuld gesicherte Forderung besteht oder nicht. Für die Erlösverteilung ist grundsätzlich der Bestand des dinglichen Rechts maßgeblich. Erhält der Grundschuldgläubiger auf das dingliche Recht mehr als den Betrag der gesicherten Forderungen, so ist dieser Mehrbetrag an den Rückgewährberechtigten herauszugeben (Gaberdiel/Gladenbeck, Kreditsicherung durch Grundschulden, 9. Aufl., Rn. 1141). Diesem gebührt der Übererlös, der aus der über den Sicherungszweck hinausgehenden dinglichen Belastung des Grundstücks entsteht.“

 

Fraglich ist, ob K der Anspruch auf Abtretung, auf Verzicht oder auf Aufhebung der Grundschulden zugestanden hat. hierauf berufen kann. Zwar ist sie Eigentümerin des belasteten Grundstücks geworden. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass ihr auch die Rechte aus dem Sicherungsvertrag zustehen:

„Ist aber das Eigentum ohne die Rückgewähransprüche auf die Klägerin übergegangen, so ist sie, wenn sie aus den Grundschulden in Anspruch genommen wird, nicht befugt, Einreden aus dem Sicherungsvertrag zu erheben (vgl. BGH, Urteil vom 21. Mai 2003 - IV ZR 452/02, BGHZ 155, 63, 66 f, 68; Staudinger/Wolfsteiner, BGB, 2015, Vorbemerkungen zu §§ 1191 ff Rn. 304; MünchKomm-BGB/Lieder, 7. Aufl., § 1191 Rn. 162; Gaberdiel/Gladenbeck, aaO Rn. 946). Die Rechte aus dem Sicherungsvertrag stehen allein dem Sicherungsgeber oder, wenn dieser seine Ansprüche abgetreten hat, dem Zessionar zu. Die Klägerin hat ohne eine Abtretung keine geschützte Rechtsposition.“

 

Denkbar ist zunächst, dass die Rechte aus dem Sicherungsvertrag des E im Wege der Erbfolge auf die K übergegangen sind (§ 1922 BGB). Infolge der Ausschlagung der Erbschaft ist dies indes nicht der Fall (§ 1953 I BGB):

„Da die Klägerin die Erbschaft nach ihrem Ehemann ausgeschlagen hat, ist sie nicht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 Abs. 1 BGB) bezüglich der Rückgewähransprüche in dessen Rechtsstellung eingerückt.“

 

In Betracht kommt damit nur ein rechtsgeschäftlicher Erwerb:

„a) Beim Erwerb des Grundstücks vom Sicherungsgeber geht der Rückgewähranspruch nicht ohne weiteres, sondern nur durch eine (auch durch schlüssiges Verhalten mögliche) Mitübertragung auf den Erwerber über. Denkbar ist auch, dass der Erwerber mit Zustimmung des Sicherungsnehmers in den Sicherungsvertrag eintritt (BGH, Urteil vom 10. November 1989 - V ZR 201/88, NJW 1990, 576, insoweit in BGHZ 109, 197 nicht abgedruckt; Staudinger/Wolfsteiner, BGB, 2015, Vorbemerkungen zu §§ 1191 ff Rn. 262).“

 

Eine ausdrückliche Abtretung (§ 398 BGB) der Ansprüche auf Rückgewähr der Grundschulden im Zusammenhang mit dem Grundstücksübertragungsvertrag ist nicht erfolgt; ebenso wenig ein Eintritt der K in den Sicherungsvertrag:

„aa) Eine ausdrückliche Abtretung im Zusammenhang mit dem Grundstücksübertragungsvertrag hat die Klägerin in den Tatsacheninstanzen nicht behauptet. Soweit sie eine Abtretung der Rückgewähransprüche durch den verstorbenen Ehemann im Rahmen der Eigentumsübertragung vorprozessual vorgetragen hatte, ist sie von den Vertretern der Beklagten darauf hingewiesen worden, dass sich eine solche Abtretung nicht aus dem notariellen Vertrag ergebe. Dem ist die Klägerin weder vorprozessual noch in den Tatsacheninstanzen entgegengetreten. Sie macht auch nicht geltend, in den Sicherungsvertrag ihres verstorbenen Ehemannes mit der Beklagten eingetreten zu sein (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1986 - IX ZR 104/85, NJW 1986, 2108, 2110, insoweit in BGHZ 97, 280 nicht abgedruckt; vom 10. November 1989, aaO).“

In Betracht kommt damit nur eine stillschweigende Abtretung. Nach Auffassung des BGH liegt diese im Zweifel vor, wenn ein Grundstückskäufer in Anrechnung auf den Kaufpreis eine auf dem Kaufgrundstück eingetragene Grundschuld übernimmt, weil der Erwerber andernfalls Gefahr liefe, zweimal - aus der übernommenen Schuld und aus der Grundschuld - in Anspruch genommen zu werden:

„Wegen dieser Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme gilt Entsprechendes, wenn der Käufer vertragsgemäß aus eigenen Mitteln die Schuld des Veräußerers tilgt. Diese Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme des Eigentümers besteht aber nicht, wenn der Veräußerer persönlich zur Tilgung der Schuld verpflichtet bleibt. Dann verbleibt der Rückgewähranspruch im Zweifel bei ihm, weil er, wenn er die gesicherte Verbindlichkeit selbst tilgt, die Grundschuld als Ausgleich für den Kaufpreisnachlass erhalten muss (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2014 - V ZR 178/13, BGHZ 202, 150 Rn. 8; MünchKomm-BGB/Lieder, 7. Aufl., § 1191 Rn. 163; Staudinger/Wolfsteiner, BGB, 2015, Vorb. §§ 1191 ff. Rn. 262; Ganter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 90 Rn. 113; Gaberdiel/Gladenbeck, Kreditsicherung durch Grundschulden, 9. Aufl., Rn. 857).“

 

Dafür ist aber nichts ersichtlich, weswegen auch eine stillschweigende Abtretung ausscheidet.

 

K kann damit nicht von B die Auskehr des Übererlöses verlangen.

C. Fazit

Eine wichtige Entscheidung, die noch einmal vor Augen führt, dass der Eigentümer eines mit einer Grundschuld belasteten Grundstücks nicht ohne Weiteres Einwendungen gegen die (nicht akzessorische!) Grundschuld erheben kann, wenn die zu sichernde Forderung (vgl. § 1192 Ia BGB) nicht oder nicht mehr in voller Höhe besteht - § 1163 BGB gilt für die Grundschuld gerade nicht. Dafür muss er Inhaber der Rechte aus dem Sicherungsvertrag sein (vgl. §§ 1192 I, Ia, 1157 BGB). Für Referendarinnen und Referendare ist die Entscheidung lesenswert, weil sie eine besondere Konstellation der enorm klausurrelevanten Vollstreckungsabwehrklage betrifft (§ 115 III ZVG i.V.m. § 767 ZPO).