BGH: Führt die Drohung mit einem Schlüssel zu einem schweren Raub?

A. Sachverhalt (leicht abgewandelt)

A klingelte am 27. Juli 2015 gegen 14.00 Uhr spontan an der in einem Behindertenwohnzentrum gelegenen Wohnung der 74-jährigen, behinderten H. Diese lag auf ihrem Bett und öffnete mit einem automatischen Türöffner, weil sie ihren Therapeuten erwartete. A betrat die Wohnung und gab sich als Lieferant für Katzenfutter aus. H forderte ihn auf, die Wohnung zu verlassen. A ging aus dem Schlafzimmer, kehrte kurze Zeit später aber ans Bett der H zurück, hielt ihr einen spitzen metallischen Gegenstand mit einer Länge von ca. 6 cm vor, forderte sie auf, ihm Geld zu geben und drohte, sonst müsse er ihr weh tun. Dabei hielt A einen Schlüssel so in der Hand, dass H ihn für ein Messer halten konnte und sollte. Im Anschluss an die weitere Aufforderung, den Notrufknopf nicht zu drücken, wies H, die den Schlüssel wie beabsichtigt für ein Messer hielt, angesichts dieser Bedrohung auf ihr Portemonnaie hin, das zehn Euro enthalte. A solle sich das nehmen und dann gehen. A nahm das Geld, etwa 14 Euro, an sich und verließ die Wohnung, um sich von dem erbeuteten Geld Bier zu kaufen.

Strafbarkeit des A? Strafanträge sind gestellt.  

B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 12.7.2017 – 2 StR 160/16)

 

I. Strafbarkeit wegen (besonders) schweren Raubes gemäß §§ 249, 250 I Nr. 1b, II Nr. 1 StGB

Indem A der H einen Schlüssel vorhielt und sodann 14 Euro an sich nahm, könnte er sich wegen (besonders) schweren Raubes gemäß §§ 249, 250 I Nr. 1b, II Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben.  

1. Grundtatbestand

A müsste zunächst H mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gedroht haben. Drohung ist das Inaussichtstellen eines Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt. A hat H einen Schlüssel vorgehalten, ihr dadurch vorgespiegelt, dass es sich um ein Messer handeln würde, und ihr in Aussicht gestellt, dass er ihr mit dem Messer wehtun würde. Darin liegt eine Drohung mit einer (gefährlichen) Körperverletzung und damit eine Drohung im Sinne von § 249 I StGB.
Desweiteren müsste A das ihm fremde Geld (etwa 14 Euro) weggenommen, also fremden Gewahrsam gebrochen und neuen begründet haben. Hier geht es um die Abgrenzung zum Tatbestand der räuberischen Erpressung (§§ 253, 255 StGB), die bekanntlich in Rechtsprechung und Literatur äußerst umstritten ist.
Der BGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es sich bei § 249 StGB um eine lex specialis gegenüber §§ 253, 255 StGB handele. Die Abgrenzung von § 249 StGB und § 255 StGB erfolge danach nicht nach denselben Kriterien wie bei der Abgrenzung von Selbst- zu Fremdschädigungsdelikten. Im Rahmen des § 249 StGB gelte vielmehr ein eigenständiger Wegnahmebegriff: Eine Wegnahme liege vor, wenn der Täter nach dem äußeren Erscheinungsbild die Sache an sich nimmt. Eine räuberische Erpressung liege hingegen vor, wenn das Opfer dem Täter die Sache nach dem äußeren Erscheinungsbild übergibt.
A hat das Geld an sich genommen, weswegen hier eine Wegnahme i.S.v. § 249 I StGB vorliegt.

Nach herrschender Ansicht in der Literatur handelt es sich bei der (räuberischen) Erpressung hingegen um ein Selbstschädigungsdelikt, welches – ebenso wie der Betrug – als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal eine Vermögensverfügung voraussetze. Eine (selbstschädigende) Vermögensverfügung liege nur vor, wenn das Opfer sich selbst eine „Schlüsselstellung“ bei dem Gewahrsamswechsel zuschreibe.
H ging nach lebensnaher Auslegung davon aus, dass A das Geld auch ohne ihre Mitwirkung hätte an sich nehmen können. Damit hat sie sich selbst keine „Schlüsselstellung“ zugeschrieben, weswegen auch nach dieser Auffassung keine Vermögensverfügung, sondern eine Wegnahme i.S.v. § 249 StGB vorliegt.

A setzte die Drohung final zur Wegnahme ein, handelte vorsätzlich und mit der Absicht, sich das Geld rechtswidrig zuzueignen, weswegen der Tatbestand des Raubes (§ 249 StGB) erfüllt ist.  

2. Qualifikation

a. schwerer Raub gemäß § 250 I Nr. 1b StGB

Möglicherweise hat A die Qualifikation des schweren Raubes erfüllt. In Betracht kommt § 250 I Nr. 1b StGB. Dazu müsste A ein Werkzeug oder Mittel bei sich geführt haben, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden. Fraglich ist, ob es sich bei dem Schlüssel um ein solches Werkzeug gehandelt hat.
Nach dem Wortlaut der Norm wird man das bejahen können. Danach werden auch objektiv ungefährliche Gegenstände und sogenannte „Scheinwaffen“ erfasst, solange der Täter den Gegenstand nur subjektiv („um“) zur Überwindung eines Widerstandes zu einsetzen möchte.
Fraglich ist aber, ob in solchen Fällen die hohe Strafandrohung (Freiheitsstrafe nicht unter 3 Jahren) gerechtfertigt ist. Zu der alten Fassung (§ 250 I Nr. 2 StGB a.F.), die eine Mindeststrafe von 5 Jahren vorsah, hatte der BGH – etwa in dem berühmten Labello-Fall – eine einschränkende Auslegung im Falle von „Scheinwaffen“ oder besser „Scheinwerkzeugen“ vertreten. Der Gegenstand müsse „seiner Art nach“ objektiv geeignet sein, vom Opfer als Bedrohung wahrgenommen zu werden. Ergebe sich die Einschüchterung des Opfers erst aus einer täuschenden Äußerung des Täters über die Beschaffenheit des offenkundig ungefährlichen Gegenstandes, sei der Qualifikationstatbestand nicht erfüllt. Darauf nimmt der BGH in der aktuellen Entscheidung Bezug:

„Es reicht zur Erfüllung von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB nicht aus, irgendeinen Gegenstand zur Überwindung des Widerstands eines Dritten einzusetzen. Nach dem weiten Wortlaut der Norm ist es zwar nicht erforderlich, dass das mitgeführte Werkzeug oder Mittel seiner Beschaffenheit nach objektiv geeignet ist, das Opfer durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu nötigen.
Als tatbestandsqualifizierende Drohungsmittel scheiden aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs solche Gegenstände aus, bei denen die Drohungswirkung nicht auf dem objektiven Erscheinungsbild des Gegenstands selbst, sondern (allein oder jedenfalls maßgeblich) auf täuschenden Erklärungen des Täters beruht (vgl. BGHSt 38, 116, 118 f.; BGH, NStZ 1997, 184; NStZ 2007, 332, 333; Senat, NStZ 2011, 278; 703). Liegt danach aus der Sicht eines objektiven Betrachters auf das äußere Erscheinungsbild die objektive Ungefährlichkeit des Gegenstands offenkundig auf der Hand, liegt kein Fall des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB vor.“

Der BGH geht indes davon aus, dass es sich bei dem Schlüssel nicht um einen objektiv ungefährlichen Gegenstand handele, und bejaht den Qualifikationstatbestand des § 250 I Nr. 1b StGB:

„Ein solcher Fall, in dem die Rechtsprechung ausnahmsweise von einer Verurteilung gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB absieht, ist nicht gegeben. Ein Schlüssel ist - anders als etwa ein Plastikrohr (BGHSt 38, 116, 117 ff.) oder ein Holzstück (BGH NStZ-RR 1996, 356) - ohne Weiteres geeignet, bei einer Verwendung als Schlag- oder Stoßwerkzeug gegen empfindliche Körperstellen durchaus ernsthafte Verletzungen zu verursachen. Von einer objektiven Ungefährlichkeit kann insoweit nicht die Rede sein. Dass die Drohwirkung des eingesetzten Schlüssels auch auf dem täuschenden Verhalten des Angeklagten beruht, steht der Anwendung des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB nicht entgegen.“

 

b. besonders schwerer Raub gemäß § 250 II Nr. 1 StGB

Möglicherweise hat A auch den Tatbestand des besonders schweren Raubes gemäß § 250 II Nr. 1 StGB erfüllt. Dazu müsste der Schlüssel ein gefährliches Werkzeug gewesen sein. Nach gängiger Definition versteht man unter einem gefährlichen Werkzeug im Rahmen von § 224 I Nr. 2 StGB einen Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und seiner Verwendung im konkreten Fall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Diese Definition kann indes nicht ohne Weiteres übernommen werden, wenn – wie hier – der Gegenstand nicht zur Verletzung des Opfers, sondern zur Drohung eingesetzt wurde.

Im Rahmen einer objektiv-abstrakten Betrachtungsweise kann man stattdessen etwa auf eine generelle Gefährlichkeit des Gegenstands abstellen. Ein Schlüssel hat durchaus Verletzungseignung (s.o.), weswegen man die Voraussetzungen des § 250 II Nr. 1 StGB bejahen könnte. Der BGH entscheidet dies (wegen des Verbots der reformatio in peius) nicht. Daraus, dass er § 250 II Nr. 1 StGB erwähnt, lässt sich aber wohl durchaus folgen, dass er es nicht für völlig ausgeschlossen hält:

„Ob darüber hinaus der konkrete Einsatz des Schlüssels auch den Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB erfüllt, bedarf hier keiner Erörterung; der Angeklagte ist durch das Unterbleiben einer Verurteilung insoweit nicht beschwert.“

Zum Teil wird stattdessen auf eine Waffenersatzfunktion abgestellt, also auf ein mit der Verletzungseignung einer „Waffe“ in § 250 II Nr. 1 StGB vergleichbares Gefahrenpotential in der konkreten Art der Verwendung. Danach wäre § 250 II Nr. 1 StGB zu verneinen.
Fordert man subjektiv, einen Vorbehalt des Täters, den Gegenstand auch – seinem Gefahrenpotential entsprechend – einzusetzen, wäre § 250 II Nr. 1 StGB zu verneinen. A hat lediglich vorgetäuscht, dass es sich um ein Messer handelte.

Im Hinblick auf die hohe Strafdrohung (Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren) erscheint es nicht angemessen, auf die bloß objektiv-abstrakte Gefährlichkeit abzustellen. Zudem ist sie recht unbestimmt. Daher liegt kein Fall von § 250 II Nr. 1 StGB vor.  

3. Rechtswidrigkeit und Schuld

A handelte rechtswidrig und schuldhaft.  

4. Ergebnis

A hat sich wegen schweren Raubes gemäß §§ 249, 250 I Nr. 1b StGB strafbar gemacht.  

II. Strafbarkeit wegen Hausfriedensbruchs gemäß § 123 StGB

Indem A die Wohnung der H trotz ihrer Aufforderung nicht verließ, hat er sich wegen Hausfriedensbruchs gemäß § 123 I Alt. 2 StGB strafbar gemacht. Der nach § 123 II StGB (zwingend) erforderliche Strafantrag ist gestellt.  

III. Nötigung (§ 240 StGB) und Diebstahl (§ 242 StGB) treten hinter §§ 249, 250 I Nr. 1b StGB zurück.

 

C. Fazit

Die Frage, ob und inwiefern „Scheinwerkzeuge“ unter § 250 I Nr. 1b StGB fallen, wird kontrovers diskutiert. Man sollte die Grundsätze der Labello-Entscheidung kennen. Zudem sei an dieser Stelle etwa an die „Koffertrolley-Entscheidung“ erinnert, die wir ausführlich dargestellt haben.

BlogPlus

Du möchtest weiterlesen?

Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.

Paket auswählen