
Kleben sich Klimaaktivisten auf einer Fahrbahn fest, dann machen sie sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der Regel gem. § 240 StGB wegen Nötigung strafbar. Aber kommt auch eine Strafbarkeit gem. § 113 StGB wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Betracht? Mit dieser Frage hat sich das KG Berlin ausführlich befasst.
A. Sachverhalt
Die Angeklagte A ist Mitglied der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“. Um auf die vom Klimawandel ausgehenden Gefahren aufmerksam zu machen, setzte sie sich um 08:45 Uhr zusammen mit anderen Aktivist:innen gleichmäßig verteilt auf die Fahrbahnen der dreispurigen B 111 in Berlin. Die Versammlung war nicht angemeldet und verursachte im morgendlichen Berufsverkehr einen erheblichen Stau. Als die hinzugerufene Polizei erschien, klebte A mit Sekundenkleber ihre rechte Hand auf der Fahrbahn fest. Dadurch sollte die Störung möglichst lange aufrechterhalten und die polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Straße erschwert werden. Der durch die Polizei ausgesprochenen Auflösungsverfügung kam A nicht nach. Da sie nicht weggetragen werden konnte, löste Polizist P ihre Hand mittels eines entsprechenden Lösungsmittels von der Fahrbahn ab. Dieser Vorgang dauerte 26 Minuten.
Das AG Tiergarten hatte A wegen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte am 06.06.2023 verurteilt. Die Berufung bestätigte diesen Schuldspruch.
B. Lösung
Das Kammergericht Berlin (Beschl. v. 10.07.2024 – 3 ORs 30/24 – 161 SRs 26/24) war ebenfalls der Auffassung, A habe sich gem. § 240 StGB in Tateinheit mit § 113 StGB strafbar gemacht.
I. Strafbarkeit gem. § 240 StGB
Bzgl. der Strafbarkeit der A gem. § 240 StGB verweisen wir auf die Urteilsbesprechung des OLG Karlsruhe welches sich umfangreich mit der Nötigung auseinandergesetzt hat. Die Entscheidung des KG Berlin weist insoweit keine darüberhinausgehenden Aspekte auf. In einer Klausur sind vor allem 2 Punkte zu diskutieren:
Stellt das Ankleben und Blockieren der Fahrzeuge Gewalt i.S.d. § 240 I StGB dar? Sofern - wie hier - ein Stau entsteht, kannst Du mit der „2. Reihe Rechtsprechung“ des BGH Gewalt gegenüber den in der 2. Reihe mit ihrem Fahrzeug stehenden Autofahrern bejahen (BGH Urt. v. 20.07.1995 – 1 StR 126/95 – bestätigt vom BVerfG Beschl. v. 07.03.2011 – 1 BvR 388/05). Darüber hinaus könnte auch unabhängig von der Anzahl der Autofahrer das Ankleben Gewalt sein. Dazu später mehr.
Ist die Nötigung rechtswidrig? Hier ist zunächst § 34 StGB anzuprüfen, der aber mangels Erforderlichkeit der Handlung nicht greift. Damit ist die umfangreiche Prüfung des § 240 II StGB eröffnet.
II. Strafbarkeit gem. § 113 StGB
Fraglich ist, ob sich A darüber hinaus auch wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 StGB strafbar gemacht haben könnte.
Dann müsste A zur Verwirklichung des Tatbestandes zunächst mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand geleistet haben. Eine Drohung scheidet offensichtlich aus, sodass nur Widerstand mit Gewalt in Betracht kommt. Anerkannt ist, dass das bloß passive Sitzen auf einer Fahrbahn keine Gewalt darstellt. Fraglich ist von daher, ob das Ankleben der Hand als Selbstfixierungsmaßnahme ähnlich wie das Anketten Gewalt sein könnte. Das KG Berlin definiert zunächst den Widerstand mit Gewalt und führt Folgendes aus:
„Widerstand ist jede aktive, gegen die Person des Vollstreckenden gerichtete Tätigkeit, die nach der Vorstellung des Täters geeignet ist, die Vollziehung der Diensthandlung zu verhindern oder zu erschweren … Mit Gewalt wird Widerstand geleistet, wenn unter Einsatz materieller Zwangsmittel, vor allem körperlicher Kraft, ein tätiges Handeln gegen die Person des Vollstreckenden erfolgt, das geeignet ist, die Vollendung der Diensthandlung zumindest zu erschweren.“
Die so zu verstehende Gewalt muss gegen die Person des Vollstreckenden gerichtet sein und für ihn jedenfalls mittelbar spürbar sein. Darüber hinaus ist eine gewisse Erheblichkeit an Kraftaufwendung seitens des Vollstreckenden zur Überwindung des Widerstandes erforderlich. Dazu das KG Berlin weiter wie folgt:
„Die (mittelbare) Kraftentfaltung muss im Zeitpunkt der Diensthandlung gegen die Person des Vollstreckenden dergestalt wirken, dass dieser seine Diensthandlung nicht ausführen kann, ohne seinerseits eine nicht ganz unerhebliche Kraft aufwenden zu müssen …. Dieses Erfordernis des Aufwendens einer nicht unerheblichen Kraft, um der (mittelbaren) Kraftentfaltung entgegenzuwirken, korrespondiert damit, dass die herbeigeführte Erschwerung eine gewisse Erheblichkeit aufweisen muss. Dieses Korrektiv der „Erheblichkeit“ ist erforderlich, um den Gewaltbegriff des § 113 Abs. 1 StGB unter Wahrung des Analogieverbots nach Art. 103 GG – und damit zusammenhängend des Verbots der Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen (vgl. kritisch dazu Seel, HRRS 2023, 313) – einzugrenzen und Fälle auszuschließen, die mangels Überschreitens der Erheblichkeitsschwelle logisch-semantisch dem Gewaltbegriff offenkundig nicht unterfallen.“
Fraglich ist, ob das Ablösen der Hand diese Erheblichkeit aufweist. Man könnte dies unter Hinweis auf den geringen Kraftaufwand ablehnen. Das KG Berlin hingegen bejaht die Erheblichkeit und führt Folgendes aus:
„Ein einfaches Wegtragen der Angeklagten war aufgrund der Verklebung der Hand mit der Fahrbahn nicht möglich. Zum schnellen und effektiven Lösen der bei der Vollstreckungshandlung immer noch wirkenden Adhäsionskräfte des Klebers hätte der Polizeibeamte die Hand mit „körperlich“ spürbarem Kraftaufwand von der Fahrbahn abreißen müssen. Um der Angeklagten diese schmerzhafte Prozedur zu ersparen – was angesichts der Verhältnismäßigkeitserfordernisses bei der Anwendung von Zwangsmitteln (§ 9 VwVG) sachgerecht war – musste der Polizeibeamte sie mit Hilfe eines Lösungsmittels vorsichtig von der Fahrbahn lösen. Ohne Verwendung des Lösungsmittels wäre es dem Polizeibeamten nicht möglich gewesen, die Adhäsionskräfte des Klebers so zu schwächen, dass die von der Angeklagten zuvor herbeigeführte feste Verklebung von Hand und Fahrbahn gelöst werden konnte, ohne die Angeklagte zu verletzen.
Damit ist das Ankleben in seiner physischen Wirkung dem Selbstanketten vergleichbar, da hier wie dort eine durch tätiges Handeln bewirkte Kraftentfaltung vorliegt, die gegen den Amtsträger gerichtet und geeignet ist, die Durchführung der Vollstreckungshandlung zu verhindern oder zu erschweren (vgl. Senat, Beschluss vom 16. August 2023 – 3 ORs 46/23 –, juris). Genau wie durch das Anketten wird durch das Festkleben ein später auf den Polizeibeamten wirkender physischer Zwang begründet, der eine (erhebliche) Kraftentfaltung erfordert, um die Person zu lösen. Entsprechend hat der Senat auch schon in seiner Entscheidung vom 16. August 2023 (3 ORs 46/23, juris) ausgeführt, dass der Umstand, dass die Polizeibeamten das durch das Festkleben entstandene physische Hindernis unter Verwendung eines Lösungsmittels beseitigen können, dem Merkmal der Gewalt nicht grundsätzlich entgegensteht.
…Eine Ablösedauer von 26 Minuten … ist bei einer polizeilichen Maßnahme zum Wiederfreimachen der Fahrbahn für den innerstädtischen Berufsverkehr an einer Autobahnabfahrt eine deutlich spürbare Zeitdauer und nicht vergleichbar mit einfachem Wegtragen von der Fahrbahn. Die effektive Durchsetzbarkeit der polizeilichen Anordnungen war in den vorliegenden beiden Fällen durch die deutliche Verzögerung der Maßnahmen durch das Ankleben und das Erfordernis des vorsichtigen, behutsamen und möglichst schmerzfreien Lösens der Verklebung in erheblichem Maße betroffen.“
Die Widerstandshandlung müsste des Weiteren „bei Vornahme einer Diensthandlung“ ausgeführt worden sein. Fraglich ist, wie es sich auswirkt, dass A die Hand festklebte, bevor die Polizei die Auflösungsverfügung erließ. Dies ist aber nach Auffassung des KG Berlin irrelevant:
„Die Angeklagte klebte sich auf der Fahrbahn fest, als Polizeibeamte schon vor Ort waren, eine zu vollstreckende Auflösungsverfügung jedoch noch nicht vorlag. Das Ankleben erfolgte aber bereits in Hinblick auf die sicher erwartete Räumung der Straße nach Auflösung der Versammlung, um diese zu erschweren … Durch das Festkleben wollte die Angeklagte ein einfaches Wegtragen durch die Polizeibeamten verhindern und die polizeiliche Maßnahme derart erschweren, dass die Blockade deutlich in die Länge gezogen und so die Aufmerksamkeit für ihr politisches Anliegen verstärkt wird. Solch ein zielgerichtetes Tätigwerden bereits vor Beginn der eigentlichen Vollstreckungsmaßnahme erfüllt das Tatbestandsmerkmal „bei Vornahme einer Diensthandlung“.
Schließlich ist P auch ein Amtsträger, der zur Vollstreckung berufen ist. Subjektiv handelte A mit Absicht, sodass insgesamt der Tatbestand verwirklicht ist.
Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich, sodass eine Strafbarkeit gem. § 113 StGB bejaht werden kann.
C. Prüfungsrelevanz
Mit der soeben dargestellten Begründung kann auch im Rahmen des § 240 I StGB die Gewalt bejaht werden. Sofern also in Deiner Klausur nur ein Autofahrer sich dem Täter nähert, wäre es verfehlt, unter Hinweis auf die „2. Reihe Rechtsprechung“ Gewalt vorschnell zu verneinen und den Versuch zu prüfen.
Da Klimaaktivisten die Gerichte umfangreich beschäftigen ist die Chance hoch, dass Dir das Thema in Deiner Klausur begegnet.
(KG Berlin Beschl. v. 10.07.2024 – 3 ORs 30/24 – 161 SRs 26/24)
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