
Parteien haben in der „parteienstaatlichen Demokratie“ des Grundgesetzes eine staatstragende Bedeutung: Ihrer bedarf es, um den Willen des Volkes außerparlamentarisch zu bündeln, die Wahl zum Bundestag zu effektuieren und im Bundestag – dann durch die Fraktionen – politische Meinungsblöcke zu etablieren. Diese Bedeutung schlägt sich im Parteienprivileg nieder. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass staatliche Stellen gegenüber Parteien zur äußersten Zurückhaltung verpflichtet sind (Art. 21, 38 GG).
Gegenläufig ist das grundgesetzliche Bekenntnis zur wehrhaften Demokratie. Dem dienen nicht nur spezielle Grundrechtsbindungen an die freiheitlich-demokratische Grundordnung (fdGO) wie etwa in Art. 5 III, 9 II, 33 V und Art. 18 GG oder das Widerstandsrecht, Art. 20 IV GG. Auch das Parteienprivileg steht unter gestuften Einschränkungen:
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und damit eine Verwaltungsbehörde ist einfachgesetzlich ermächtigt, im Fall eines (1) Verdachts verfassungsfeindlicher Bestrebungen und (2) bei einer gesicherten Feststellung solcher Bestrebungen die Öffentlichkeit zu unterrichten (§ 16 I BVerfSchG). Der (3) Ausschluss staatlicher Finanzierung sowie (4) das Verbot einer Partei, die eine Beseitigung der fdGO anstrebt, ist in Art. 21 III und II GG geregelt und fällt in die Zuständigkeit des BVerfG (Art. 21 IV GG).
A. Gegenstand
Die Schutzgüter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung werden von der Rechtsprechung mit Rücksicht auf die Gegenläufigkeit das Parteienprivilegs auf zentrale Grundbegriffe begrenzt. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechend ist der zur Auslösung der Maßnahmen erforderliche Gefährdungstatbestand differenziert: für die bloße Einordnung als Verdachtsfall, für die gesicherte Feststellung extremistischer Bestrebungen durch das BfV, für die Einstellung staatlicher Parteienfinanzierung und für ein Parteienverbot.
Schließlich ist für den Rechtsschutz bedeutsam, ob die Einschränkung der Partei durch eine Behörde (BfV) oder durch das BVerfG erfolgt.
B. Rechtliche Behandlung
1. Schutzgüter der fdGO
Schutzgüter sind die freiheitlich demokratische Grundordnung und der Bestand der Bundesrepublik. Wegen des Ausnahmecharakters des Art. 21 GG gehören zur fdGO nur zentrale Grundbegriffe und damit die Menschenwürde, das Demokratie- und das Rechtstaatsprinzip.
BVerfGE 168, 193 Rn. 251 ff:
Rn. 251 „Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit (vgl. BVerfGE 144, 20 <207 Rn. 539>). Mit der Subjektqualität des Menschen ist ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch verbunden, der es verbietet, den Menschen zum “bloßen Objekt” staatlichen Handelns zu degradieren (vgl. BVerfGE 122, 248 <271>; 144, 20 <207 Rn. 539>).
Rn. 253 Menschenwürde ist egalitär; sie ist unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, einer behaupteten „Rasse”, Lebensalter oder Geschlecht…. Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind damit nicht vereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (vgl. BVerfGE 144, 20 <207 f. Rn. 541>).
Rn. 254 Das Demokratieprinzip ist konstitutiver Bestandteil dieser Ordnung.
Rn. 255 Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG).
Rn. 257 Den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlässt demgemäß, wer den Parlamentarismus verächtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf welchem anderen Weg dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung getragen und die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses gewährleistet werden kann ….
Rn. 258 Schließlich ist das Rechtsstaatsprinzip unverzichtbarer Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung …. Für den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte entscheidend. Zugleich erfordert der Schutz der Freiheit des Einzelnen, dass die Anwendung von Gewalt staatlichen Organen vorbehalten ist, die gerichtlicher Kontrolle unterliegen. Auch das Gewaltmonopol des Staates ist Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ….“
Dieses enge Verständnis des Schutzes der fdGO im Verhältnis zu Parteien hat das BVerfG im Rahmen des Art. 21 GG (Parteienverbot, Ausschluss der Finanzierung) entwickelt. Die Begrenzung gilt trotz des sehr viel weiter formulierten Tatbestandes des § 4 II BVerfSchG auch für Maßnahmen des BfV bei der bloßen Beobachtung einer Partei, ihrer Einordnung als Verdachtsfall und für die gesicherte Feststellung rechtsextremistischer Bestrebungen.
OVG Münster (5 A 1216/22), zitiert nach juris Rn. 121:
Rn. 121 „Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darf dabei nicht als zu enge Vorgabe verstanden werden, sondern erfordert eine Konzentration auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Die Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht zum Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG sowie zum Finanzierungsausschluss nach Art. 21 Abs. 3 GG aufgestellt hat, lassen sich insoweit vollumfänglich auf die Beobachtung politischer Parteien durch den Verfassungsschutz übertragen……
Die katalogartige Aufzählung einzelner Rechtsinstitute in § 4 Abs. 2 BVerfSchG steht dazu nicht in Widerspruch, sondern knüpft an die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an, die nicht die Kernelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, sondern die sich daraus ergebenden Ableitungen in den Vordergrund gestellt hatte.“
2. Einordnung einer Partei als Verdachtsfall extremistischer Bestrebung (AfD)
Die Einordnung als Verdachtsfall beruht auf § 4 I i.V.m. § 16 I BVerfSchG. Es handelt sich um ein schlichtes Verwaltungshandeln, sodass für den Rechtsschutz die allgemeine Leistungs-/Feststellungsklage, im Eilverfahren ein Antrag nach § 123 I VwGO zur Durchsetzung des schlichten Abwehr- und Unterlassungsanspruchs in Betracht kommt.
a) Gefährdungshandlung der Partei
Da sich die Beobachtung und Einordnung einer Partei als Verdachtsfall im „unteren Bereich“ der möglichen Belastungen der Parteien zum Schutz der fdGO bewegen, fordert das OVG Münster (5 A 1216/22), zitiert nach juris Rn. 161:
Rn. 161 „Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG setzt nicht voraus, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen tatsächlich bestehen, und verlangt auch keine Gefahrenlage im Sinn des Polizeirechts. Andererseits sind bloße Vermutungen, Spekulationen oder Hypothesen, die sich nicht auf beobachtbare Fakten stützen können, unzureichend. Die Anhaltspunkte müssen vielmehr in Form konkreter und hinreichend verdichteter Umstände als Tatsachenbasis geeignet sein, den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu begründen. Dabei darf eine Beobachtung nur auf solche Tatsachen gestützt werden, die der Behörde bei Beginn der jeweiligen Beobachtung bekannt waren. Die Behörde hat aufgrund der ihr bekannten tatsächlichen Anhaltspunkte eine Prognose anzustellen, ob ein solcher Verdacht besteht. Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen. Die dann einsetzende Beobachtung dient der Klärung dieses Verdachts.“
Ist der vorstehende, durch verfassungskonforme Auslegung begrenzte Gefährdungstatbestand des § 4 BVerfSchG erfüllt, kann die Partei nicht nur beobachtet werden. Das Bundesamt kann über die Annahme des Verdachts die Öffentlichkeit informieren (§ 16 I BVerfSchG). Die Maßnahmen und ihr Umfang stehen im Ermessen der Behörde, begrenzt durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 8 V BVerfSchG).
b) Rechtsschutz
Beobachtung, Bewertung und Bekanntgabe der Erkenntnisse über einen Verdachtsfall sind nicht auf eine verbindliche Regelung gerichtet und deshalb als Rechtsbeeinträchtigungen durch schlichtes Verwaltungshandeln das BfV zu bewerten. Im Fall der Rechtswidrigkeit steht der Partei ein schlichter Abwehr- und Unterlassungsanspruch zum Schutz ihres Rechts aus Art. 21 I GG zur Verfügung.
Klageart kann – je nach Klageantrag – die allgemeine Leistungsklage auf Unterlassen, auf Richtigstellung und Aufhebung der Erklärung des Verdachts sein, aber auch die Feststellungsklage mit dem Antrag, das Gericht möge feststellen, dass die getroffenen Maßnahmen rechtswidrig bzw. zu unterlassen sind. § 43 II 1 VwGO und damit die Subsidiarität der Feststellungsklage steht dem nicht entgegen, zumal Leistungsklage und Feststellungsklage gleichermaßen rechtsschutzintensiv sind und eine Umgehung besondere Sachurteilsvoraussetzungen nicht in Rede steht.
Der vorläufige Rechtsschutz beurteilt sich nach § 123 I VwGO, gerichtet auf die Verpflichtung der Behörde, bis zur Entscheidung in der Hauptsache das beanstandete Verwaltungshandeln zu unterlassen.
3. Einordnung einer Partei als gesichert extremistische Bestrebung
Die Bekanntgabe, dass eine Partei als erwiesen extremistische Bestrebung eingestuft wird, ist gleichfalls ein schlichtes Verwaltungshandeln in der Form einer Mitteilung und entsprechend justiziabel (siehe vorstehend). Die AfD hat gegen die Einstufung vom 02.05.2025 ein auf eine einstweilige Regelung gerichtetes Unterlassungsbegehren nach § 123 I VwGO vor dem Verwaltungsgericht Köln eingereicht. Die Behörde hat sich verpflichtet, bis zur Entscheidung durch das Verwaltungsgericht einstweilen von der Einstufung keinen Gebrauch zu machen.
Rechtsgrundlage für die Einordnung einer Partei als gesichert extremistische Bestrebung ist ebenfalls § 4 I 1c i.V.m. § 16 I BVerfSchG. Die Feststellung beinhaltet eine rechtliche Bewertung der gesammelten Erkenntnisse. Sie ist rechtmäßig, wenn sie beurteilungsfehlerfrei und verhältnismäßig ist.
Das OVG Münster (5 A 1216/22) hat sich zwar im Schwerpunkt seiner Entscheidung mit der Rechtmäßigkeit der Annahme eines Verdachtsfalles (siehe oben 2) befasst. Es hat aber auch Ausführungen bezogen auf einen „Flügel“ (der AfD um Björn Hocke) getroffen, der vom BfV als „gesichert extremistisch“ bewertet worden war. Da eine solche „Hochzonung“ – die Einstufung als erwiesen extremistische Bestrebung – mit einem schwerwiegenderen Eingriff in Art. 21 I GG verbunden ist, reicht ein bloßer Verdacht nicht aus.
Vielmehr hat das Gericht gefordert, dass aus Äußerungen und Aktivitäten (hier: nur des Flügels) auf Bestrebungen geschlossen werden kann, die auf Eingriffe in die Menschenwürde gerichtet sind (hier: Ausgrenzung von Migranten mit deutscher Staatsangehörigkeit als Verstoß gegen die Menschenwürde). Das OVG Münster (5 A 1216/22) führte dazu aus:
Rn. 159 „Bestrebungen im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG erfordern als politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen ein aktives, nicht jedoch notwendig kämpferisch-aggressives oder illegales Vorgehen zur Realisierung eines bestimmten Ziels. Die Aktivitäten müssen über eine bloße Meinungsäußerung hinausgehen, auf die Durchsetzung eines politischen Ziels ausgerichtet sein und dabei auf die Beeinträchtigung eines der Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielen. Die verantwortlich Handelnden müssen auf den Erfolg der Rechtsgutbeeinträchtigung hinarbeiten. Die bloße Kritik an Verfassungsgrundsätzen reicht für die Annahme einer verfassungsfeindlichen Bestrebung nicht aus, wenn sie nicht mit der Ankündigung von oder der Aufforderung zu konkreten Aktivitäten zur Beseitigung dieser Grundsätze verbunden ist.“
4. Ausschluss staatlicher Finanzierung einer Partei („Heimat“)
Das BVerfG stellt den Ausschluss staatlicher Finanzierung einer Partei (§ 18 ParteienG) fest, wenn die Partei nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger „darauf ausgerichtet ist“, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik zu gefährden (Art. 21 III 1 GG). Die Regelung des Art. 21 III GG ist erst mit verfassungsänderndem Gesetz 2017 eingeführt worden, dessen Vereinbarkeit mit Art. 79 III i.V.m. Art. 1, 20 GG das BVerfG in BVerfGE 168, 193 Rn. 220 ff mit Hinweis auf den Grundsatz der wehrhaften Demokratie bejaht hat.
a) Gefährdungshandlung der Partei
Der Ausschluss von staatlicher Finanzierung wird festgestellt, wenn eine Partei nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger „darauf ausgerichtet“ ist, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik zu gefährden (Art. 21 III 1 GG). Der Vergleich von Art. 21 III 1 GG mit der Regelung zum Parteiverbot in Art. 21 II GG ergibt einen weitgehenden Gleichlauf der Bestimmungen hinsichtlich ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen.
Gemeinsam fordern beide Absätze, dass es um den Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder des Bestandes der Bundesrepublik geht und die Partei eine Beseitigung oder eine Beeinträchtigung der Schutzgüter durch ihr aktives, planmäßiges Handeln anstrebt. Die Partei muss die Schutzgüter bekämpfen; Art. 21 GG sanktioniert nicht eine lediglich verfassungsfeindliche Gesinnung.
Diese Voraussetzungen hat das BVerfG bezogen auf die Nachfolgeorganisation der NPD („Heimat“) bejaht: Die Partei bekennt sich in ihren Parteiprogrammen zum Vorrang einer ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ mit dem Ziel, Ausländer, Migranten, Muslime, Juden und weitere Gruppen „mit oder ohne Einbürgerung“ vom staatlichen Leben auszuschließen. Nur die Volksgemeinschaft soll Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt haben. Ziel ihrer Politik war die Herstellung der so verstandenen „Einheit von Volk und Staat” bei gleichzeitiger Unterbindung einer „Überfremdung Deutschlands“.
Die Nachfolgeorganisation der NPD („Heimat“) bediente sich dabei auch des Vokabulars, der Texte, des Liedgutes und der Symbolik der Nationalsozialisten. Dies wurde nicht nur durch Redebeiträge der Parteiführung, durch zahlreiche Programme, sondern auch durch ständige Äußerungen in sozialen Medien deutlich.
aa) Keine Potenzialität der Gefährdung
Der tatbestandliche Unterschied zwischen Art. 21 II (Parteiverbot) und Art. 21 III GG (Finanzierungsausschluss) liegt allein darin, dass ein Parteienverbot nur in Betracht kommen kann, wenn das vorstehend beschriebene Handeln einer Partei auch erfolgreich sein könnte (Art. 21 II GG: „darauf ausgehen“), während das Verbot der Finanzierung zur Anwendung kommt, wenn zwar ein Überschreiten der Schwelle zur Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland vorliegt, aber die Schwelle der Potenzialität zu einer Gefährdung nicht erreicht wird (Art. 21 III GG: „darauf ausgerichtet“).
BVerfGE 168, 193 Rn. 291:
Rn. 291 „Die Regelung des Art. 21 Abs. 3 Satz 1 GG beinhaltet ebenso wenig wie Art. 21 Abs. 2 GG ein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot (vgl. Nikkho, Der Ausschluss aus der staatlichen Parteienfinanzierung, 2021, S. 138). Die Norm soll nicht den “bösen Gedanken” an sich ahnden (vgl. Kliegel, in: Naumann/Modrzejewski, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 5, 2019, S. 375 <394>). Vielmehr soll der freiheitliche demokratische Rechtsstaat denjenigen, die aktiv auf seine Beeinträchtigung oder Beseitigung hinwirken, nicht auch noch die (finanziellen) Mittel hierfür an die Hand geben (vgl. hierzu Morlok, ZRP 2017, S. 66 <67>; Shirvani, DÖV 2018, S. 921 <923>). Daraus folgt aber, dass auch im Hinblick auf Art. 21 Abs. 3 Satz 1 GG ein qualifiziertes Handeln der Art erforderlich ist, dass die betroffene Partei über das „Bekennen“ ihrer verfassungsfeindlichen Ziele hinaus die Grenze zum „Bekämpfen“ der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes des Staates überschreiten muss (vgl. Nikkho, Der Ausschluss aus der staatlichen Parteienfinanzierung, 2021, S. 138 f.).“
bb) Einordnung der Partei „Heimat“
Das BVerfG hatte nicht über ein Verbot dieser Partei, sondern über den Ausschluss der Finanzierung für die Dauer von sechs Jahren zu befinden. Dies entsprach dem Antrag von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung im Verfahren nach Art. 21 III GG an das BVerfG. 1969 hatte diese Partei 28.000 Mitglieder, war mit 500 Abgeordneten in Kommunalparlamenten vertreten und erreichte bei den Bundestagswahlen 4,3 % der Zweitstimmen. In der Folgezeit ging die Zahl ihrer Mitglieder auf 5.900 (1982) bzw. 3.000 (2022) zurück. Nach kurzfristigen Erfolgen in den Landesparlamenten einiger neuer Bundesländer erzielte sie seit mehr als 10 Jahren auf Landesebene jeweils weniger als ein Prozent der Stimmen, vielfach trat sie nicht zur Wahl an.
Die Partei bekämpft nach Einschätzung der Antragsteller und des Bundesverfassungsgerichts die demokratische Grundordnung, mit Blick auf ihre Größe geht aber von ihr keine Gefahr für die fdGO aus, sodass nach Art. 21 III GG der Ausschluss der staatlichen Parteienfinanzierung, nicht aber ein Parteienverbot rechtmäßig war.
BVerfGE 168, 193 Rn. 296:
Rn. 296 „Ob eine Partei die Schwelle zum „Bekämpfen” der freiheitlichen demokratischen Grundordnung überschritten hat, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen. Dabei können Finanz- und Organisationsstrukturen sowie Wahlbeteiligungen erste Indizien für eine aggressiv-kämpferische Haltung der Partei gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sein. Besonderes Gewicht kommt daneben der Frage zu, ob die Partei über ein strategisches Konzept zur Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verfügt und dessen Umsetzung planvoll vorantreibt.“
b) Rechtsschutz
Nach Art. 93 I Nr. 5 i.V.m. Art. 21 IV GG, § 13 Nr. 2 BVerfGG entscheidet das BVerfG über die Verfassungswidrigkeit einer Partei. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen richten sich nach §§ 43 ff BVerfGG. Danach kann der Antrag nur vom Bundestag, vom Bundesrat oder von der Bundesregierung als Antragsteller erhoben werden. Antragsgegnerin ist die Partei.
Ein ungeschriebenes Verfahrenshindernis folgt daraus, dass dem BVerfG eine Garantenstellung zugunsten der Parteien zukommt: Denn nur das BVerfG entscheidet darüber, ob eine Partei aus der parteienstaatlich geprägten Willensbildung des Volkes zum Staat ausscheidet. Deshalb muss ein Antrag vom BVerfG abgewiesen werden, wenn die Verfahrensgestaltung, insbes. die Beweisgewinnung, grundlegenden Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips widerspricht.
BVerfGE 168, 193 Rn. 405:
Rn. 405 „Das verfassungsgerichtliche Parteiverbot stellt die schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde dar. Im Parteiverbotsverfahren ist daher ein Höchstmaß an Rechtssicherheit, Transparenz, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit geboten…. Es muss gewährleistet sein, dass die Partei ihre Position frei, unbeobachtet und selbstbestimmt darstellen kann. Neben den Geboten der Verlässlichkeit und Transparenz ist die Anforderung strikter Staatsfreiheit im Sinne unbeobachteter selbstbestimmter Willensbildung und Selbstdarstellung vor dem Bundesverfassungsgericht … unverzichtbar.“
Die Tätigkeit von V-Leuten während eines laufenden Parteienverbotsverfahrens ist mit dem Gebot strikter Staatsfreiheit nicht vereinbar. Dies gilt spätestens ab der öffentlichen Bekanntmachung der Absicht, ein Verbotsverfahren zu beantragen. Ebenso wenig darf die Begründung des Antrags auf Beweise gestützt werden, deren Entstehung auf V-Leute rückführbar ist.
5. Verbot einer Partei (NPD)
Das Parteienverbot (Art. 21 II GG) greift am intensivsten in das Parteienprivileg ein.
Verfahrensrechtlich (prozessual) unterscheidet es sich nicht vom dargestellten Ausschluss der Finanzierung (Art. 21 IV GG). Es bedarf eines Antrages des Bundestages, der Bundesregierung oder des Bundesrats an das BVerfG, die Partei ist Antragsgegnerin und nimmt unmittelbar vor dem BVerfG ihre Rechte wahr.
Materiell werden an die Gefährdungshandlung erhöhte Anforderungen gestellt.
Entsprechend dem Ausnahmecharakter des Parteiverbots kann ein „darauf ausgehen“ iSd Art. 21 II GG nur angenommen werden, wenn gewichtige Anhaltspunkte vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das gegen die Schutzgüter des Art. 21 II GG gerichtete Handeln einer Partei erfolgreich sein kann. Ein Parteienverbot als äußerstes Mittel der wehrhaften Demokratie kommt somit nur in Betracht, wenn eine Partei über hinreichende Wirkungsmöglichkeiten verfügt, die ein Erreichen der verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheinen lassen und sie von diesen Möglichkeiten auch Gebrauch macht. Es bedarf eines ausreichenden Maßes an Potenzialität. Darin liegt die zusätzliche Voraussetzung des Art. 21 II gegenüber Art. 21 III GG.
BVerfGE 168, 193 Rn. 285:
Rn. 285 „Ob ein ausreichendes Maß an Potentialität hinsichtlich der Erreichung der von einer Partei verfolgten Ziele besteht, ist im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung festzustellen. Dabei sind die Situation der Partei (Mitgliederbestand und -entwicklung, Organisationsstruktur, Mobilisierungsgrad, Kampagnenfähigkeit, finanzielle Lage), ihre Wirkkraft in die Gesellschaft (Wahlergebnisse, Publikationen, Bündnisse, Unterstützerstrukturen), ihre Vertretung in Ämtern und Mandaten, die von ihr eingesetzten Mittel, Strategien und Maßnahmen sowie alle sonstigen Umstände zu berücksichtigen. Erforderlich ist, dass konkrete und gewichtige Anhaltspunkte vorliegen, die den Rückschluss auf die Möglichkeit erfolgreichen Agierens der Partei gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG rechtfertigen. Dabei sind sowohl die Erfolgsaussichten einer bloßen Beteiligung der Partei am politischen Meinungskampf als auch die Möglichkeit einer Durchsetzung der politischen Ziele der Partei mit sonstigen Mitteln in Rechnung zu stellen (vgl. BVerfGE 144, 20 <225 f. Rn. 587>).“
BVerfGE 144, 20 Rn. 581, 584, 585, 588, 589:
Rn. 581 „Dass das Handeln der Partei bereits zu einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG führt, ist nicht erforderlich. Dagegen sprechen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und der Zweck der Vorschrift.
Rn. 584 Daher zielt Art. 21 Abs. 2 GG darauf ab, nach der Maxime “Wehret den Anfängen” frühzeitig die Möglichkeit des Vorgehens gegen verfassungsfeindliche Parteien zu eröffnen (vgl. BVerfGE 5, 85 <142>). Das Parteiverbotsverfahren hat seiner Natur nach den Charakter einer Präventivmaßnahme (vgl. BVerfGE 5, 85 <142>; 9, 162 <165>; 107, 339 <386>; Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 515 <Januar 2012>). Es zielt nicht auf die Abwehr bereits entstandener, sondern auf die Verhinderung des Entstehens künftig möglicherweise eintretender Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung.
Rn. 585 Entsprechend dem Ausnahmecharakter des Parteiverbots als präventives Organisations- und nicht als bloßes Weltanschauungs- oder Gesinnungsverbot kann ein “Darauf Ausgehen” allerdings nur angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte von Gewicht vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG gerichtete Handeln einer Partei erfolgreich sein kann (Potenzialität).
Rn. 588 Versucht eine Partei ihre verfassungswidrigen Ziele durch den Einsatz von Gewalt oder die Begehung von Straftaten durchzusetzen, ist die Anforderung des “Darauf Ausgehens” regelmäßig erfüllt… Gleiches gilt, wenn eine Partei unterhalb der Ebene strafrechtlich relevanten Verhaltens in einer die Freiheit des politischen Willensbildungsprozesses einschränkenden Weise handelt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Partei eine “Atmosphäre der Angst” oder der Bedrohung herbeiführt, die geeignet ist, die freie und gleichberechtigte Beteiligung aller am Prozess der politischen Willensbildung nachhaltig zu beeinträchtigen.
Rn. 589 Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist für ein “Darauf Ausgehen” nicht ausreichend, dass die Äußerungen einer Partei darauf angelegt sind, politisch verwirklicht zu werden, und ihnen insoweit eine handlungsleitende Qualität zukommt; dies ist bei den Äußerungen einer politischen Partei ausnahmslos der Fall. Erforderlich ist vielmehr, dass konkrete Anhaltspunkte von Gewicht bestehen, die einen Erfolg der mit der Verbreitung des verfassungswidrigen Gedankenguts der Partei verbundenen Handlungsaufforderung möglich erscheinen lassen.“
Danach blieb der Antrag von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung auf Verbot der NPD vor dem BVerfG ohne Erfolg. Die erforderliche Potenzialität des verfassungsfeindlichen Handelns einer Partei zur Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hat das Gericht verneint.
(OVG Münster, Urteil vom 13.05.2024 – 5 A 1216/22 (AfD); BVerfGE 144, 20 Urteil vom 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 (NPD) und BVerfGE 168, 193 Urteil vom 23.01.2024 – 2 BvB 1/19 („Die Heimat“)
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