Schwindel nach Karussellfahrt

Schwindel nach Karussellfahrt

Haftet ein 13-jähriger für den sturzbedingten Schaden?

Die deliktische Haftung von Minderjährigen ist in § 828 BGB geregelt und richtet sich nach der Einsichtsfähigkeit des jeweiligen Minderjährigen. Das Landgericht Frankenthal musste sich in seinem Urteil vom 29.11.2024 (Az. 9 O 27/24) damit beschäftigen, ob ein 13-jähriger, der nach einer Karussellfahrt aufgrund von Schwindel in eine Schaufensterscheibe gefallen ist, für diesen Schaden haften muss. Ausgangspunkt für diese Beurteilung sei die ordnungsgemäße Benutzung eines solchen Spielgerätes, so die Richter:innen. Aber wie fährt man ordnungsgemäß Karussell?

Was ist passiert?

A ist Eigentümerin eines Wohnhauses in der Fußgängerzone der Stadt K. Im Erdgeschoss des Wohnhauses befindet sich ein Ladenlokal, das zur Fußgängerzone hin mit einer großen Schaufensterscheibe aus Glas versehen ist. Im Abstand von ca. 2,5 Metern baute die Stadt K draußen vor der Schaufensterscheibe des Ladenlokals ein Karussell. Damit sich niemand Verletzungen bei eventuellen Stürzen aus dem Karussell zuzieht, pflasterte die Stadt K das unmittelbare Umfeld des Karussells mit weichem Kunststoff aus.

Das Karussell besteht aus einer Drehscheibe, auf der sich in der Mitte eine Stange zum Festhalten befindet. Ein Schild, welches die Benutzung des Karussells auf eine bestimmte Altersgruppe beschränkte, stellte die Stadt K nicht auf.

Als der 13-jährige B mit seinen Freunden im Januar 2023 auf dem Heimweg durch die Fußgängerzone am Karussell vorbeikam, machten sie eine Pause und spielten abwechselnd auf dem Karussell. Hierbei stellten sich zunächst die Freunde des B auf das Karussell. Im Anschluss daran stellte sich B in die Mitte der Drehscheibe und wurde von seinen Freunden gedreht. Dabei hielt er sich an der Stange fest. Nach ca. 1 Minute hielt der Freund des B die Drehscheibe wieder an. Nachdem B von dem Karussell abstieg, wurde ihm schwindelig. Daher taumelte er leicht rückwärts und fiel dabei in die Schaufensterscheibe des Ladenlokals. Die Scheibe ging vollständig zu Bruch, wobei sich B leichte Schürfwunden an seinen Händen zuzog.

Im Zeitpunkt des Unfalls war das Ladenlokal bis Ende April 2023 vermietet. Die Reparaturen an der Schaufensterscheibe konnten erst im September 2023 abgeschlossen werden. Eine Ersatzscheibe baute A nicht ein, wodurch sie das Ladenlokal erst zum 01.10.2023 wieder neu vermieten konnte. Ohne den Vorfall hätte A das Ladenlokal nahtlos weiter vermieten können.

A macht nun gerichtlich ihren Mietausfallschaden für die Zeit von Mai 2023 - September 2023 gerichtlich geltend.

Rechtlicher Hintergrund

Das Landgericht Frankenthal wies die Klage ab. A stehe weder aus §§ 823 I, 828 III BGB noch aus § 829 BGB ein Schadensersatzanspruch für den entgangenen Mietzins zu.

Dreh- und Angelpunkt ist in diesem Fall der Prüfungspunkt des Verschuldens. Bei § 823 BGB handelt es sich um einen Schadensersatzanspruch kraft Gesetz, wobei Du das Verschulden - anders als bei den Schadensersatzansprüchen gemäß § 280 ff. BGB - positiv feststellen musst. Da B allerdings bei seinem Sturz erst 13 Jahre alt war, hängt seine Verantwortlichkeit gemäß § 828 III BGB von seiner Einsichtsfähigkeit ab.

Das LG konnte kein Verschulden von B feststellen. Die Richter:innen hielten B zwar für einsichtsfähig, konnten aber weder ein vorsätzliches noch fahrlässiges Verhalten des B erkennen. Eine Benutzung in verbotener Weise konnte nicht nachgewiesen werden.

Nach der Schilderung des B konnte das Gericht nicht feststellen, dass B und seine Freunde beispielsweise “aus voller Drehfahrt” vom Karussell abgesprungen wären, um “zu schauen, wie es weitergeht”. Zudem habe die Stadt K die Benutzung des Karussells auch nicht auf eine bestimmte Altersgruppe beschränkt. Auch die bauliche Gestaltung des Karussells sei nicht auf eine ausschließliche Nutzung von Kleinkindern ausgerichtet. Vielmehr sei durch die Höhe der seitlichen und in der Mitte befindlichen Stangen bequem eine Nutzung von größeren erwachsenen Menschen möglich. Daher kam das Landgericht zu dem Ergebnis, dass, wenn eine “Benutzung eines solchen Gerätes auch größeren Kindern und Jugendlichen gestattet und ermöglicht ein Drehen in großer Geschwindigkeit so verlockt dessen Vorhandensein im Grunde genommen dazu, dies auszuprobieren und an die Grenzen zu gehen. Dass [B] nach dieser Benutzung offensichtlich schwindelig geworden ist, er nicht mehr standsicher war und nach hinten in das […] Schaufenster getaumelt ist, kann ihm nach alldem nicht vorgeworfen werden […].”

Prüfungsrelevanz

Dieser Fall zeigt Dir noch einmal, dass Du im Rahmen von §§ 823 ff. BGB das Verschulden positiv feststellen musst. Daher hat ein Schadensanspruch aus unerlaubter Handlung grundsätzlich eine höhere Hürde als ein vertraglicher Schadensersatzanspruch, bei dem das Verschulden nur vermutet wird. Sollte ein positiver Beweis des Verschuldens nicht möglich sein, geht dies somit zulasten des Anspruchstellers.

Mit diesem Fall bekommen die Prüfungsämter mal wieder viel Input für neue Klausuren, denn der Fall eignet sich optimal, um das ein oder andere zusätzliche Problem einzubauen. Vorliegend hat die Stadt K das Karussell aufgestellt, sodass Prüfer:innen auf die Idee kommen könnten, den Sachverhalt dahingehend auszuschmücken, dass Du beispielsweise einen Amtshaftungsanspruch gegen die Stadt prüfen musst. Hier liegt dann in der Regel der Schwerpunkt auf der Prüfung einer Amtspflichtverletzung, die gerne mal in einem Unterlassen einer Verkehrssicherungspflicht liegt.

Außerdem könnten Prüfer:innen den Sachverhalt erweitern, sodass Du noch Ansprüche gegen die Eltern wegen einer Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 832 BGB prüfen musst. Beispielsweise, wenn die spielenden Kinder noch jünger sind. Hier solltest Du dann die Haftung für eigenübliche Sorgfalt nach § 277 BGB nicht aus dem Blick verlieren.

Insbesondere könnte der Sachverhalt auch so konzipiert werden, dass gleich mehrere Kinder gleichzeitig in das Schaufenster fallen, sodass Du zudem noch an § 830 BGB denken solltest.

Resümee

Da unsere Rechtsordnung dem Prinzip der Verschuldenshaftung folgt, ist es daher gerade in Mehrpersonenverhältnissen nicht immer sofort ersichtlich, wer der richtige Anspruchsgegner ist. Damit Du nicht den Überblick in solchen Fällen verlierst, kannst Du Dir mit einer Skizze die Verbindungen zwischen den beteiligten Personen visuell darstellen.

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