
Beginnt der Lauf der Widerrufsfrist auch bei einer Kaskadenverweisung?
Ein Verbraucher hat vor 3 Jahren im Rahmen des Kaufs eines gebrauchten Fahrzeugs einen Verbraucherdarlehensvertrag abgeschlossen. In einer Widerrufsinformation wurde auf „alle Pflichtangaben nach § 492 II BGB“ (= sog. Kaskadenverweisung) verwiesen. Steht ihm dennoch ein Widerrufsrecht nach § 495 I BGB zu?
A. Sachverhalt
Der Kläger (K), ein Verbraucher, hat vor 3 Jahren für 32.000 Euro ein gebrauchtes Fahrzeug von einer Verkäuferin gekauft. Nach Anzahlung von 11.000 Euro hat er zur Finanzierung der restlichen 21.000 Euro mit der Beklagten (B), einen Verbraucherdarlehensvertrag zu 2,86 % Zinsen jährlich mit 479 Monatsraten vereinbart.
In den Widerrufsinformationen wurde darauf hingewiesen, dass die Widerrufsfrist erst läuft, sobald „der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 II BGB… erhalten hat.“ Ferner hat B
„unter der Zwischenüberschrift “Besonderheiten bei weiteren Verträgen” als mit dem Darlehensvertrag verbundenen Vertrag nicht nur den Fahrzeugkaufvertrag, sondern - zu Unrecht - auch eine “Anmeldung zum KSB/KSB Plus” aufgeführt, obwohl der Kläger eine Anmeldung zu der Restschuldversicherung “KSB/KSB Plus” nicht beantragt hat.“
K hat nach 3 Jahren seine auf den Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärungen gegenüber B schriftlich widerrufen.
K verlangt von B Rückzahlung des Kaufpreises von 32.000 Euro zuzüglich der geleisteten Zinsen i.H.v. 1.000 Euro.
B. Entscheidung
K verlangt aufgrund des Widerrufs des Verbraucherdarlehensvertrages von B Rückzahlung des Kaufpreises von 32.000 Euro zuzüglich der geleisteten Zinsen i.H.v. 1.000 Euro.
I. Anspruch auf Rückzahlung
K könnte von B Rückzahlung des Kaufpreises von 32.000 Euro zuzüglich der geleisteten Zinsen i.H.v. 1.000 Euro nach § 355 III 1 BGB verlangen.
Nach § 355 III 1 BGB sind im Falle des Widerrufs die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren.
1. Widerrufserklärung
K hat gegenüber B seine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung widerrufen, § 355 I 1, 2 BGB.
2. Widerrufsrecht nach § 495 I BGB
Nach § 495 I BGB steht dem Darlehensnehmer bei einem Verbraucherdarlehensvertrag ein Widerrufsrecht gem. § 355 BGB zu.
a) Anwendbarkeit
Nach § 491 I 1 BGB ist unter anderem § 495 BGB anzuwenden bei Verbraucherdarlehensverträgen. Dies sind nach § 491 I 2, 1. Alt. BGB Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge. Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge sind nach § 491 II 1 entgeltliche Darlehensverträge zwischen einem Unternehmer als Darlehensgeber und einem Verbraucher als Darlehensnehmer. K ist Verbraucher nach § 13 BGB und B Unternehmer nach § 14 BGB. K hat sich mit dem jährlichen Zinssatz von 2,86 % Zinsen zu einem entgeltlichen Darlehensvertrag verpflichtet. Eine Ausnahme nach § 491 II 2 BGB liegt nicht vor.
b) Schriftform gem. § 492 I 1 BGB
Die nach § 492 I 1 BGB erforderliche Schriftform wurde eingehalten. Die Schriftform ist in § 126 BGB geregelt. Nach § 126 I BGB muss die Urkunde grundsätzlich von dem Aussteller durch Namensunterschrift (Nachname reicht) unterzeichnet werden. Nach § 126 II 1 BGB muss bei einem Vertrag die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde erfolgen. Falls jedoch mehrere gleichlautende Urkunden aufgenommen werden, genügt es nach § 126 II 2 BGB, wenn jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet. Abweichend hiervon ist der Schriftform nach § 492 I 2 BGB genügt, wenn Antrag und Annahme durch die Vertragsschließenden jeweils getrennt schriftlich erklärt werden. (Ohne Einhaltung der Schriftform wäre der Vertrag nach § 494 I BGB nichtig gewesen.)
c) Verbundene Verträge nach § 358 BGB
Der Widerruf des Verbraucherdarlehensvertrages hat zur Folge, dass der Darlehensnehmer auch nicht mehr an den Kaufvertrag gebunden ist, wenn es sich bei beiden Verträgen um sog. verbundene Verträge im Sinne des § 358 BGB handelt. Nach § 358 II 1, 1. Alt. BGB ist der Verbraucher, sofern er seine auf den Abschluss eines Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung auf Grund des § 495 I BGB widerrufen hat, auch nicht mehr an diejenige Willenserklärung gebunden, die auf den Abschluss eines mit diesem Darlehensvertrag verbundenen Vertrages über die Lieferung einer Ware gerichtet ist. Gem. § 358 III 1, 1. Alt. BGB ist ein Vertrag über die Lieferung einer Ware und ein Darlehensvertrag verbunden, wenn das Darlehen ganz oder teilweise der Finanzierung des anderen Vertrages dient und beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden. Der Vertrag über die Lieferung einer Ware ist der Kaufvertrag über das Fahrzeug. Eine wirtschaftliche Einheit nach § 358 III 2, 2. Alt. BGB ist insbesondere anzunehmen, wenn sich der Darlehensgeber bei der Vorbereitung oder dem Abschluss des Darlehensvertrages der Mitwirkung des Unternehmers bedient. Dies war der Fall. Somit ist auf die Rückabwicklung des Vertrages nach § 358 IV 1 BGB unter anderem auch § 355 III BGB anzuwenden.
d) Kein Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 495 II BGB
Das Widerrufsrecht von K ist auch nicht nach § 495 II BGB ausgeschlossen.
3. Widerrufsfrist
Die Widerrufsfrist beträgt in der Regel nach § 355 II 1 BGB 14 Tage. Sie beginnt grundsätzlich mit Vertragsschluss nach § 355 II 2 BGB. Allerdings beginnt die Widerrufsfrist nach § 356b II 1 BGB, wenn bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag die dem Darlehensnehmer zur Verfügung gestellte Urkunde die Pflichtangaben nach § 492 II nicht enthält, erst mit der Nachholung dieser Angaben gem. § 492 VI BGB. Ansonsten erlischt das Widerrufsrecht nicht. Eine dem § 356 III 2 BGB entsprechende Vorschrift, wonach das Widerrufsrecht spätestens 12 Monate und 14 Tage nach dem Vertragsschluss erlischt, existiert bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen nicht.
a) Beginn Widerrufsfrist
Dementsprechend müssen für den Beginn der Widerrufsfrist grundsätzlich die Pflichtangaben nach § 492 II BGB enthalten sein. Nach dieser Vorschrift muss der Vertrag die für den Verbraucherdarlehensvertrag vorgeschriebenen Angaben nach Art. 247 §§ 6-13 EGBGB enthalten. Die Widerrufsinformation der B ist allerdings fehlerhaft. B kann sich auch nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 II 3 EGBGB berufen, da die Widerrufsinformation nicht dem entsprechenden Muster entspricht.
In der Widerrufsinformation hat die Beklagte unter der Zwischenüberschrift “Besonderheiten bei weiteren Verträgen” als mit dem Darlehensvertrag verbundenen Vertrag nicht nur den Fahrzeugkaufvertrag, sondern - zu Unrecht - auch eine “Anmeldung zum KSB/KSB Plus” aufgeführt, obwohl der Kläger eine Anmeldung zu der Restschuldversicherung “KSB/KSB Plus” nicht beantragt hat. Zwar sind optionale Bestandteile in der Widerrufsinformation zulässig, wenn hinreichend konkret angegeben ist, ob sie einschlägig sind …, ohne dass dadurch die Musterkonformität in Frage steht. An einer solchen Angabe fehlt es hier aber …
Dennoch hindert dieser Fehler das Anlaufen der Widerrufsfrist nicht. Eine unvollständige oder fehlerhafte Belehrung ist nur dann als fehlerhafte Belehrung einzuschätzen,
wenn der Verbraucher durch sie in Bezug auf seine Rechte und Pflichten irregeführt und somit zum Abschluss eines Vertrags veranlasst wird, den er möglicherweise nicht geschlossen hätte, wenn er über vollständige und inhaltlich zutreffende Informationen verfügt hätte …. Erweist sich eine dem Verbraucher … erteilte Information als unvollständig oder fehlerhaft, beginnt die Widerrufsfrist nur zu laufen, wenn die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit dieser Information nicht geeignet ist, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner Rechte und Pflichten … einzuschätzen, oder auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken und ihm gegebenenfalls die Möglichkeit zu nehmen, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie denen auszuüben, die vorgelegen hätten, sofern die Information vollständig und zutreffend erteilt worden wäre …
Aus § 492 II BGB ergibt sich nicht eindeutig, ob die Widerrufsfrist nicht nur im Falle des Fehlens der Pflichtangaben nicht läuft, sondern auch bei einer unvollständigen oder fehlerhaften Information. Insofern
steht die Verweisung auf “alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB” in der Widerrufsinformation dem Beginn der Widerrufsfrist nicht entgegen. Sie ist weder geeignet, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner aus dem Darlehensvertrag herrührenden Rechte und Pflichten - konkret: seines Widerrufsrechts - einzuschätzen, noch auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken und nimmt ihm nicht die Möglichkeit, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei vollständiger Erteilung der Information im Darlehensvertrag auszuüben.
Der Verbraucher wird durch die Verweisung auf “alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB” schon nicht irregeführt.
Davon kann
nicht ausgegangen werden, wenn der Vertrag andere Elemente enthält, die dem Verbraucher ermöglichen, die Information leicht zu ermitteln …
Dies war der Fall. Auch die tatsächlich nicht erfolgte “Anmeldung zum KSB/KSB Plus” in der Widerrufsinformation hindert den Beginn der Widerrufsfrist nicht.
Sie führt den Verbraucher nicht in die Irre und verleitet ihn nicht zum Abschluss eines Vertrags, den er sonst nicht geschlossen hätte. Sie ist auch nicht geeignet, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner Rechte und Pflichten zu erkennen, oder auf seine Vertragsabschlussfreiheit auszuwirken. Ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher liest den gesamten Darlehensvertrag sorgfältig durch … und kennt daher die Erläuterungen auf Seite 1 des Darlehensvertrags zu der Restschuldversicherung KSB/KSB Plus. Ihm ist bekannt, ob er eine Anmeldung zu dieser Restschuldversicherung beantragt hat oder nicht. Der Darlehensnehmer, der dies nicht getan hat, weiß deshalb, dass die auf eine “Anmeldung zum KSB/KSB Plus” bezogenen Erläuterungen für ihn nicht gelten.
Dementsprechend hat die Widerrufsfrist nach § 355 II 2 BGB mit dem Vertragsschluss vor 3 Jahren begonnen.
b) Dauer Widerrufsfrist
Die Widerrufsfrist beträgt nach § 355 II 1 BGB 14 Tage.
c) Ende Widerrufsfrist
Die Widerrufsfrist ist mit der Erklärung 3 Jahre nach Vertragsschluss abgelaufen.
Zwischenergebnis
Dementsprechend ist das Widerrufsrecht erloschen. K hat den Vertrag nicht wirksam widerrufen.
Ergebnis
K kann von B nicht Rückzahlung des Kaufpreises von 32.000 Euro zuzüglich der geleisteten Zinsen i.H.v. 1.000 Euro nach § 355 III 1 BGB verlangen.
C. Prüfungsrelevanz
Das Widerrufsrecht eines Verbrauchers ist häufig Gegenstand von Examensklausuren. Der vorliegende Fall bietet die Möglichkeit, sich damit zu beschäftigen, ob die Voraussetzungen eines Widerrufs bei einem Verbraucherdarlehensvertrag nach § 491 BGB gegeben sind, insbesondere mit dem Beginn der Widerrufsfrist nach § 356b BGB.
(BGH Urt. v. 15.10.2024 – XI ZR 39/24)
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