Die erstinstanzliche Zuständigkeit wird im Zwischenverfahren von dem Gericht überprüft, bei welchem die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat. Die Entscheidung dieses Gerichts kann dann später von dem nächsthöheren Gericht auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüft werden. Wir nehmen einen Beschluss des OLG Celle zum Anlass, dieses Verfahren einmal näher zu beleuchten.
A. Sachverhalt
A stand im Verdacht, in einem Supermarkt 3 Flaschen Jack Daniels im Wert von 62,97 Euro mitgenommen zu haben und nachfolgend dem Zeugen S damit gedroht zu haben, ihm mit einer der Flaschen Schläge auf den Kopf zu versetzen, sollte er ihn weiter verfolgen. Die Staatsanwaltschaft sah darin eine Strafbarkeit des A wegen besonders schwerem räuberischem Diebstahl gem. §§ 252, 250 II Nr. 1 StGB und klagte A vor dem örtlich zuständigen Landgericht an. Dieses kam zu dem Ergebnis, dass lediglich ein minder schwerer Fall des besonders schweren räuberischen Diebstahls gem. § 250 III StGB vorläge. Die Tatbegehung wiege deutlich weniger schwer als in anderen Fällen des § 250 II Nr. 1 StGB, auch sei die Beute gering und die Tat von einer gewissen Impulsivität geprägt. Zudem habe A erklärt, er wolle die Tat gestehen. Aus diesen Gründen ging das Landgericht davon aus, dass A nicht mit einer Freiheitsstrafe von mehr als 4 Jahren zu rechnen habe und eröffnete das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht am Amtsgericht.
Die gegen diese Entscheidung eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg.
B. Entscheidung
Das OLG Celle (Beschl. v. 14.05.2024 – 1 Ws 130/24) sah die Annahme eines minder schweren Falles als nicht evident an. Unter Berücksichtigung des Regelstrafrahmens des § 250 II Nr. 1 StGB von 5 bis 15 Jahren bejahte das Gericht vielmehr eine Zuständigkeit des Landgerichts gem. § 74 I 2 GVG.
Schauen wir uns zunächst einmal an, wonach die erstinstanzlichen Zuständigkeiten bestimmt werden. Grundsätzlich richten sich diese nach der zu erwartenden Strafe. Das Amtsgericht hat eine Strafgewalt von bis zu 4 Jahren Freiheitsstrafe, § 24 GVG, das Landgericht dementsprechend eine Zuständigkeit ab einer zu erwartenden Freiheitsstrafe von mehr als 4 Jahren, § 74 I GVG sowie bei den Katalogstraftaten des § 74 II GVG, bei denen aber ebenfalls regelmäßig eine Freiheitsstrafe von über 4 Jahren zu erwarten sein dürfte. Daneben kann das Hauptverfahren auch vor dem Oberlandesgericht eröffnet werden. Gem. § 120 GVG kommt das vor allem bei den sog. Staatsschutzdelikten in Betracht. Innerhalb des Amtsgerichts wird bei Vergehen Anklage vor dem Strafrichter erhoben, sofern mit einer maximalen Freiheitsstrafe von 2 Jahren zu rechnen ist, § 25 GVG. Zu beachten ist dabei allerdings, dass auch der Strafrichter eine Strafgewalt von 4 Jahren Freiheitsstrafe hat. Bei einer zu erwartenden Strafe zwischen 2 und 4 Jahren Freiheitsstrafe, wird Anklage vor dem Schöffengericht am Amtsgericht erhoben, § 28 GVG.
Entsprechend dem Vorgenannten macht sich die Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung Gedanken über die in Betracht kommende Strafe und erhebt Anklage vor dem ihrer Ansicht nach zuständigen Gericht.
Mit der Anklageerhebung endet das Ermittlungsverfahren und es beginnt das Zwischenverfahren. Das Gericht überprüft in diesem Verfahrensabschnitt unter anderem seine Zuständigkeit. Kommt es zu dem Ergebnis, dass ein Gericht niederer Ordnung zuständig wäre, dann kann es gem. § 209 I StPO das Verfahren direkt vor diesem Gericht eröffnen. Nimmt es hingegen die Zuständigkeit eines höheren Gerichts an, dann legt es die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft diesem gem. § 209 II StPO zur Entscheidung vor.
Gegen die Entscheidung des Gerichts, das Verfahren vor einem niederen Gericht zu eröffnen, steht der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde gem. § 210 II StPO zu.
Die Beschwerde ist geregelt in den §§ 304 ff StPO. Sofern das die Entscheidung erlassen habende Gericht der Beschwerde nicht abhilft, entscheidet gem. § 306 II StPO das nächsthöhere Beschwerde-Gericht, hier das OLG Celle.
In seinem Beschluss hat sich das OLG zunächst mit der Frage befasst, ob es neben der Zuständigkeit auch den hinreichenden Tatverdacht überprüfen muss. Im Ergebnis hat das Gericht dies mit folgender Begründung verneint:
„Der hinreichende Tatverdacht (§ 203 StPO) war vom Senat nicht zu überprüfen. Denn die Kammer hat den Sachverhalt, der der Anklageerhebung hinsichtlich des Angekl. zugrunde liegt, in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht identisch beurteilt wie die StA. Damit ist die Entscheidung, ob die Anklage zuzulassen und das Hauptverfahren zu eröffnen ist, in unanfechtbare Weise getroffen … Die hiervon abweichende Ansicht (vgl. BGH BeckRS 2014, 528; BayObLG NJW 1987, 511; Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl., § 210 StPO, Rn. 2) wird der eng auszulegenden Ausnahmevorschrift des § 210 II StPO nicht gerecht.“
Anschließend hat das Gericht die Zuständigkeit des Landgerichts wie folgt begründet:
„Eine Zuständigkeit des Schöffengerichts wäre nach § 28, § 24 I Nr. 2 GVG gegeben, wenn im Einzelfall eine höhere (Gesamt-)Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe nicht zu erwarten ist. Dabei ist in der Rspr. umstritten, ob es darauf ankommt, dass die amtsgerichtliche Strafgewalt mit Sicherheit ausreicht … oder ob die Zuständigkeit des LG erst dann gegeben ist, wenn bei überschlägiger Prognose aufgrund konkreter Umstände eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass eine Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren verhängt werden wird. … Letztere Ansicht stützt sich dabei auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis, so wie es in § 24 I 1 GVG zum Ausdruck komme, wonach Strafsachen erster Instanz grundsätzlich den Amtsgerichten zugewiesen seien. Jedenfalls im vorliegenden Fall hält der Senat es für erforderlich, dass die Strafgewalt des AG evident ausreichen müsste, um dessen Zuständigkeit zu begründen. Denn zum einen ist im Fall einer Anklage wegen § 252, § 250 II StGB durch die Anordnung des die Strafgewalt des AG über-steigenden Mindestmaßes der angedrohten Freiheitsstrafe von fünf Jahren, die nur bei einem minder schweren Fall unterschritten wird, das Regel-Ausnahme-Verhältnis bei der Zuständigkeitsbestimmung zwischen AG und LG gerade umgekehrt. Zudem bringt eine derartige Strafandrohung es – wie im vorliegenden Fall – regelmäßig mit sich, dass gegen einen betroffenen Beschuldigten Untersuchungshaft vollstreckt wird. Erkennt das AG im Laufe der HV, dass sein Strafrahmen nicht ausreichen wird, wäre zu befürchten, dass eine Verweisung nach § 270 StPO an das LG zu einer Verzögerung führen könnte, die wegen des besonderen Beschleunigungsgrundsatzes in Haftsachen möglichst zu vermeiden ist.
Ausgehend vom Regelstrafrahmen des § 250 II Nr. 1 StGB hat der Angekl. im Fall seiner Verurteilung mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe zu rechnen. Dass ein minder schwerer Fall vorliegt, der zu einer Strafrahmenverschiebung nach § 250 III StGB führen könnte, ist zumindest nicht evident.“
In der Tat überrascht die Entscheidung des Landgerichts, eine Zuständigkeit des Amtsgerichts anzunehmen. A war, wenn auch nur geringfügig, vorbestraft und befand sich auf Bewährung in der Freiheit. Selbst wenn man einen minder schweren Fall annehmen wollte, so läge der Strafrahmen immer noch bei 1 bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe.
C. Prüfungsrelevanz
Hinter den Zuständigkeitsregeln verbirgt sich das im Grundgesetz geschützte Prinzip des gesetzlichen Richters, Art 101 I 2 GG. Wird zu Unrecht die Zuständigkeit eines höheren Gerichts angenommen, dann ist dieses Prinzip nur bei Willkür verletzt. Zu beachten ist hier die sog. „bewegliche Zuständigkeitsregel“ des § 24 I Nr. 3 GVG. Im umgekehrten Fall liegt bei unrechtmäßiger Anklageerhebung vor dem Gericht niederer Ordnung aufgrund der eingeschränkten Strafgewalt immer eine Verletzung des Prinzips des gesetzlichen Richters vor.
In der Revisionsklausur ist die sachliche Zuständigkeit im Rahmen der Verfahrenshindernisse zu überprüfen. Fehlt die Zuständigkeit, dann ist die Revision begründet. § 338 Nr. 4 StPO ist an dieser Stelle ohne Belang. In der staatsanwaltlichen Klausur muss im B-Gutachten ausgeführt werden, vor welchem Gericht Anklage zu erheben ist. Entsprechend diesem Ergebnis ist dann die Anklageschrift zu verfassen.
(Beschl. v. 14.05.2024 – 1 Ws 130/24)
Du möchtest weiterlesen?
Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.
Paket auswählen