Schleppender Start im Zivilprozess

Schleppender Start im Zivilprozess

Muss die Postulationsfähigkeit bei der Prozesskostenhilfeentscheidung vorliegen?

Wer selbst schon einmal Partei eines Rechtsstreits war, der weiß: Anwaltlicher Beistand kostet. Da ist es nur nachvollziehbar, wenn man den ein oder anderen Gedanken daran verschwendet, diese Kosten einzusparen, indem man den Prozess ohne einen Profi durchzieht. Unabhängig davon, ob das taktisch klug ist, schiebt der § 78 ZPO dem jedoch grundsätzlich einen Riegel vor, wenn es um Prozesse vor Kollegialgerichten, also dem Landgericht, dem Oberlandesgericht und dem BGH geht. Gem. § 114 FamFG gilt der Anwaltszwang auch in Familiensachen, sodass hier sogar im Amtsgericht ohne Prozessvertreter nichts läuft. Denn ohne Postulationsfähigkeit fehlt es an einer Prozesshandlungsvoraussetzung, weswegen die Klageerhebung der nicht vertretenen Partei eine fehlerhafte Prozesshandlung darstellt. Das Gericht weist eine solche Klage als unzulässig ab. So viel dürfte bekannt sein.

Aber wie verhält es sich, wenn eine Partei einen Prozesskostenhilfeantrag stellt, ohne dabei einen vertretungsbereiten Anwalt im petto zu haben? Das OLG Köln hat die Antwort.

Sachverhalt

Um Schmerzensgeldansprüche in Höhe von 25.000 Euro aus Arzthaftungsrecht einklagen zu können, beantragte ein früherer Patient beim Landgericht Dresden Prozesskostenhilfe (PKH). Diesen lehnte das Gericht mit der Begründung ab, dass die Klage nicht die gem. § 114 ZPO erforderliche Erfolgsaussicht vorweise. Schließlich sei der Antragsteller nicht anwaltlich vertreten. Die Voraussetzungen der Beiordnung nach § 121 ZPO lägen zudem nicht vor, da der Antragsteller trotz wiederholter Aufforderungen des Gerichts nichts zu seinen Bemühungen, einen vertretungsbereiten Rechtsanwalt bzw. Rechtsanwältin zu finden, darlegte. Der Antragsteller hat hierauf überhaupt nicht reagiert. Mehr Aktivität entfaltete er allerdings als der Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen wurde. Hiergegen wehrte er sich mit einer sofortigen Beschwerde.

Entscheidung des OLG Köln

Das OLG Köln konnte sich mit der Argumentation des Landgerichts nicht anfreunden und stellte fest: Mit dieser Begründung kann der Prozesskostenhilfeantrag jedenfalls nicht zurückgewiesen werden. Es hob also den landgerichtlichen Beschluss auf, weil die sofortige Beschwerde nach Ansicht der Richter begründet ist.

Aber Moment mal, wie kann es denn nun sein, dass der Patient ohne Anwalt überhaupt eine zulässige sofortige Beschwerde gem. § 567 ZPO einlegen kann? Das zuständige Gericht ist schließlich das OLG, vor dem bekanntlich eigentlich auch Anwaltszwang herrscht. Die Antwort darauf liefert wiederum die ZPO: Die nach § 127 II 2 ZPO (Achtung gerade nicht gem. § 127 III ZPO) seitens des Antragstellers statthafte sofortige Beschwerde unterfällt § 569 III Nr. 2 ZPO. Aus der Möglichkeit, die sofortige Beschwerde auch zu Protokoll der Geschäftsstelle einlegen zu können, ergibt sich, dass gerade ausnahmsweise kein Anwaltszwang bestehen kann.

In der Begründetheit der Beschwerde näherte sich der 5. Zivilsenat des OLG Köln über den Wortlaut des § 114 I 1 ZPO. Die von der Norm geforderte hinreichende Aussicht auf Erfolg der Rechtsverfolgung deutete das Gericht dahingehend, „dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehen muss, dass der Antragsteller mit seiner Klage Erfolg haben wird, diese also zulässig und begründet sein wird“. Die für die Zulässigkeit entscheidende Frage der Postulationsfähigkeit müsse dementsprechend nicht bereits bei der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag gegeben sein, sondern ihr zukünftiges Vorliegen lediglich wahrscheinlich sein.

Mit Blick auf § 121 ZPO ergäbe sich für den Senat auch kein anderes Bild, da sich aus dem Gesetz nicht entnehmen lässt, dass eine Beiordnung zwangsläufig zeitgleich mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfolgen müsse. Zwar werde dies in der Praxis regelmäßig so gehandhabt, jedoch sei dies nicht zwingend, zumal eine Beiordnung auch noch im Nachgang zur Bewilligung der PKH und gegebenenfalls mit Rückwirkung auf den Bewilligungszeitpunkt erfolgen könne.

Aus Sicht der Richter spräche vieles dafür, dass der Antragsteller eine zur Vertretung bereite Anwältin bzw. einen Anwalt mit speziellen Kenntnissen zum Arzthaftungsrecht finden werde. Mit bewilligter PKH würde sich die Situation des Antragstellers schließlich signifikant verändern, da nicht mehr damit zu rechnen sei, dass der Antragsteller wegen seines Wunsches nach einem gebührenfreien Beratungsgesprächs abgewiesen werde. Die anwaltliche Vergütung wäre mit der PKH jedenfalls gesichert.

Das OLG verwies die Sache somit zurück an das LG. Den dortigen Kollegen bleibt noch zu prüfen, wie die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage - insbesondere in Bezug auf die Schlüssigkeit der Klage und der Höhe des Schmerzensgeldes - aussehen und ob die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Billigung der PKH vorliegen.

Fazit

Ob im Studium und ersten Examen mit einer prozessualen Zusatzfrage oder im zweiten Examen im Rahmen der Zulässigkeit: An neuen prozessualen Sonderproblemen, die die Prüfungsämter in ihre Klausuren einbauen können, fehlt es in der Praxis bei Weitem nicht. Besonders kreative Geister scheinen auch ganze Anwaltsklausuren auf Basis des §§ 114 ff. ZPO zu kreieren, wobei die Erfolgsaussichten der Klage unter dem Prüfungspunkt „hinreichende Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung“ i.S.d. § 114 I 1 ZPO zugegebenermaßen ideal abgefragt werden kann. So wäre es jedenfalls nicht verwunderlich, wenn der Fall den Klausurersteller:innen als Inspiration dienen könnte.

Allen zukünftigen Anwältinnen und Anwälten unter uns dürfte die Entscheidung aber jedenfalls aus persönlicher Sicht wenig Kopfschmerzen bereiten: Wegen § 78 IV ZPO steht zugelassenen Rechtsanwält:innen nämlich ein Selbstvertretungsrecht zur Seite.

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