Ist für eine Personengesellschaft das Recht zur Eigenbedarfskündigung ausgeschlossen?
Wenn eine Personengesellschaft ein mit einem Gebäude bebautes und vermietetes Grundstück erwirbt, bestehen dann für die Personengesellschaft Kündigungsbeschränkungen und kann sie sich auf eine Eigenbedarfskündigung bei Familienangehörigen berufen?
A. Sachverhalt
Die Klägerin K, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, erwarb 2013 mit notariell beurkundetem Kaufvertrag ein mit einem Gebäude bebautes Grundstück in Berlin und wurde am 05.03.2014 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. In dem Gebäude sind mehrere Wohnungen. Die Beklagten B sind seit 2009 Mieter einer Wohnung. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts bestand zur Zeit des Erwerbs aus zwei Gesellschaftern, welche Cousins waren. 2016 verstarb ein Gesellschafter und dessen drei Kinder wurden als Gesamtrechtsnachfolger ebenfalls Gesellschafter und im selben Jahr auch im Grundbuch eingetragen. 2021 kündigte K das Mietverhältnis mit B aufgrund Eigenbedarfs eines der neu eingetretenen Gesellschafter.
K verlangt von B Räumung und Herausgabe der Wohnung.
B. Entscheidung
K möchte aufgrund der Eigenbedarfskündigung die Wohnung zurückerhalten und begehrt daher Räumung und Herausgabe der Wohnung von B.
I. § 546 I BGB
K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückgabe der Wohnung nach § 546 I BGB haben.
Dann müsste zwischen beiden ein Mietvertrag bestehen und dieses Mietverhältnis müsste beendet worden sein.
1. Mietvertrag
Ursprünglich ist ein Wohnraummietvertrag 2009 zwischen B und dem damaligen Eigentümer und Vermieter zustande gekommen nach §§ 549 I, 535 BGB. In dieses Mietverhältnis ist K als Vermieterin aufgrund des Erwerbs kraft Gesetzes nach § 566 I BGB eingetreten.
2. Beendigung durch Kündigung
Das Mietverhältnis könnte durch Kündigung nach §§ 549 I, 542 I BGB beendet worden sein. In Betracht kommt eine ordentliche Kündigung. Dafür bedarf es folgender Voraussetzungen:
-Kündigungserklärung
-Gegner
-Zugang
-Form
-Frist
-Kündigungsgrund
-Kein Ausschluss
a) Kündigungserklärung
K hat 2021 die Kündigung des Wohnraummietverhältnisses erklärt.
b) Gegner
Gegner der Erklärung waren B.
c) Zugang
Diesen ist die Erklärung zugegangen nach § 130 I 1 BGB.
d) Form
Die Schriftform nach § 568 I BGB wurde eingehalten.
e) Frist
Die Kündigungsfrist ist nach § 573c I 1 BGB spätestens am dritten Werktag eines Monats zum Ablauf des übernächsten Monats zulässig. Sie hat sich jedoch nach § 573c I 2 BGB aufgrund des schon seit 2009 bestehenden Mietverhältnisses um zweimal drei Monate verlängert. Diese Frist ist abgelaufen.
f) Kündigungsgrund
Ferner bedarf der Vermieter von Wohnraum eines Kündigungsgrundes. Nach § 573 I 1 BGB kann er nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat.
aa) Eigenbedarfskündigung, § 573 II Nr. 2 BGB
Dies liegt gem. § 573 II Nr. 2 BGB insbesondere vor, wenn der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt, sog. Eigenbedarfskündigung. Eine Gesellschaft an sich kann nicht wohnen oder Familienangehörige haben, sodass eine direkte Anwendung der Vorschrift ausscheidet.
bb) Eigenbedarfskündigung, § 573 II Nr. 2 BGB analog
§ 573 II Nr. 2 BGB könnte jedoch gegebenenfalls analog auf eine Personengesellschaft angewandt werden. Voraussetzung für eine Analogie ist ein vergleichbarer Sachverhalt und eine planwidrige Regelungslücke.
Nach der - vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts vom 10. August 2021 (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz - MoPeG, BGBl. I S. 3436) ergangenen - ständigen Rechtsprechung des Senats kann sich eine (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts in entsprechender Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf den Eigenbedarf eines ihrer Gesellschafter oder dessen Angehörigen berufen…
Eine analoge Anwendung kommt nur dann nicht in Betracht, wenn
der Gesellschaftszweck der (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts derart prägend ist, dass der personale Bezug der Gesellschafter zu der Gesellschaft und damit auch deren persönliches Nutzungsbedürfnis vollständig in den Hintergrund tritt und ein Mieter schon aufgrund dieses Gesellschaftszwecks redlicherweise nicht mit einem möglichen Eigenbedarf eines Gesellschafters oder dessen Angehörigen rechnen muss, so bei Publikumsgesellschaften, insbesondere Fondsgesellschaften…
Eine derartige Ausnahmesituation ist hier weder festgestellt noch dargetan. Allein aus dem von der Revision zur Begründung vorgetragenen Umstand, dass die Klägerin … Eigentümerin mehrerer Wohnungen und damit auch (immobilien-)wirtschaftlich tätig ist, ergibt sich nicht, dass nach dem Geschäftszweck der Gesellschaft der potentielle persönliche Nutzungsbedarf der Gesellschafter so weit in den Hintergrund getreten ist, dass die Beklagten als Mieter schon deshalb nicht mit einem möglichen Eigenbedarf eines Gesellschafters der Klägerin und einer darauf beruhenden Kündigung rechnen mussten. Ebenso erfüllt der Umstand, dass der Gesellschafter, zu dessen Gunsten die Klägerin den Eigenbedarf geltend macht, nur mit einem … Anteil von einem Sechstel am Gesellschaftsvermögen beteiligt ist, die genannten Voraussetzungen, nach denen ausnahmsweise von einer analogen Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf eine (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts abzusehen ist, nicht. Die entsprechende Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB bei einem Eigenbedarf eines Gesellschafters ist nicht auf kleine Gesellschaften mit einer geringen Zahl an Gesellschaftern - und einem im Regelfall dementsprechend hohen Anteil jedes Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen – beschränkt…
g) Kein Ausschluss
Die Kündigung dürfte nicht ausgeschlossen sein.
aa) Kündigungsbeschränkung nach § 577a Ia 1 Nr. 1, II BGB
Eine Kündigungsbeschränkung könnte sich aus § 577a Ia 1 Nr. 1, II BGB ergeben. Gem. § § 577a Ia 1 Nr. 1, I BGB kann eine Personengesellschaft sich erst nach Ablauf von 3 Jahren seit der Veräußerung auf den Eigenbedarf berufen und diese Frist beträgt nach § 577a II BGB 10 Jahre, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in einer Gemeinde oder einem Teil einer Gemeinde besonders gefährdet ist und diese Gebiete entsprechend bestimmt sind. Das Land Berlin hat eine diesbezügliche Kündigungsschutzklausel-Verordnung erlassen.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Denn die Klägerin als Personengesellschaft hat das Eigentum an dem Gebäude, in dem sich die streitgegenständliche Wohnung befindet, erst nach der Überlassung der Wohnung an die Beklagten erworben. Die Kündigung vom 16. August 2021 erfolgte noch innerhalb der mit der Eintragung als Eigentümerin im Grundbuch am 5. März 2014 beginnenden … Kündigungssperrfrist, die durch § 2 der Kündigungsschutzklausel-Verordnung des Landes Berlin von drei Jahren (§ 577a Abs. 1a, Abs. 2 Satz 1 BGB) auf zehn Jahre verlängert wurde.
Damit ist die Kündigung grundsätzlich unwirksam.
bb) Ausnahme Familienangehörige, § 577a Ia 2 BGB
Die 10-jährige Kündigungsbeschränkung gilt allerdings nach § 577a Ia 2 BGB nicht, wenn die Gesellschafter oder Erwerber derselben Familie angehören. Dabei ist auf den Zeitpunkt des Eigentumserwerbs abzustellen. Zu prüfen ist also, ob es sich 2014 bei den Cousins als erwerbende Personengesellschafter um Familienangehörige im Sinne der Vorschrift handelt.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind Cousins - wie hier die ursprünglichen Gesellschafter der Klägerin - nicht als Familienangehörige im Sinne dieser Vorschrift anzusehen.
Die Privilegierung von Familien- und Haushaltsangehörigen in § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB ist bei der Einfügung des § 577a Abs. 1a BGB durch das Gesetz über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln (Mietrechtsänderungsgesetz) vom 11. März 2013 (BGBl. I S. 434) der Regelung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nachgebildet worden. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll zur Auslegung der Vorschrift auf die zu § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden …
Danach
konkretisieren die Regelungen über ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen (§ 383 ZPO; § 52 StPO) mit Rücksicht auf eine typisierte persönliche Nähebeziehung den Kreis der durch § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB - und damit auch durch § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB - privilegierten Familienangehörigen, und zwar unabhängig davon, ob tatsächlich eine persönliche Bindung besteht …. Damit sind diejenigen Personen, denen das Prozessrecht ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gewährt, unabhängig vom Vorliegen eines tatsächlichen Näheverhältnisses Familienangehörige gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, zu deren Gunsten eine Eigenbedarfskündigung ausgesprochen werden kann …. Für den im Streitfall in Rede stehenden privilegierten Personenkreis der Familie im Sinne des § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB, zu dessen Gunsten die Kündigungsbeschränkung des § 577a Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BGB nicht eingreift, gilt nichts anderes.
Damit
gehört ein entfernterer Verwandter, der - wie ein Cousin - nicht nach § 383 ZPO, § 52 StPO zur Zeugnisverweigerung berechtigt ist, auch dann nicht zu dem von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB privilegierten Personenkreis, wenn zwischen ihm und dem Vermieter eine enge persönliche Bindung besteht. Dementsprechend gilt auch die Privilegierung des § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB selbst im Falle einer engen persönlichen Verbundenheit zwischen den Mitgesellschaftern oder Miterwerbern dann nicht, wenn das Verwandtschaftsverhältnis zwischen ihnen so entfernt ist, dass es sie nicht zur Zeugnisverweigerung nach § 383 ZPO, § 52 StPO berechtigt.
Der BGH hat dieses Ergebnis im Wege der Auslegung zudem wie folgt hergeleitet.
(1) Wortlaut
Der Wortlaut lässt eine entsprechende Auslegung zu,
dass hiervon nur die nach § 383 ZPO, § 52 StPO zeugnisverweigerungsberechtigten Personen umfasst sind.
(2) Systematik
Eine systematische Auslegung wird darüber hinaus vom BGH nicht vorgenommen.
(3) Historie
Die historische Auslegung ist nicht ergiebig hinsichtlich der Begriffe „Familienangehörige“ oder „Familie“.
(4) Sinn und Zweck
Die teleologische Auslegung bestätigt das Ergebnis.
Mit der Privilegierung von Familienangehörigen in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB hat der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen wollen, dass innerhalb einer Familie aufgrund enger Verwandtschaft typischerweise ein Verhältnis persönlicher Verbundenheit und gegenseitiger Solidarität besteht, das die Ermöglichung einer Kündigung zu Gunsten Familienangehöriger rechtfertigt …. Auch die Privilegierung von Familienangehörigen in § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB beruht auf der Überlegung, dass aufgrund der engen persönlichen Bindung ein legitimes Interesse an der (zeitnahen) Geltendmachung des Eigenbedarfs besteht…
Es ist sachgerecht, diese gesetzgeberischen Wertungen auch für die ebenfalls in der persönlichen Verbundenheit begründeten Privilegierungen von Familienangehörigen nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB heranzuziehen …. Der Umstand, dass der Gesetzgeber in diese Vorschriften keinen Verweis auf die Regelungen des Zeugnisverweigerungsrechts aufgenommen hat, steht dem … nicht entgegen.
Somit gehören Cousins nicht derselben Familie im Sinne des § 577a Ia 2 BGB an. Dementsprechend besteht eine Kündigungsbeschränkung von 10 Jahren seit dem Erwerb im Jahr 2014. Folglich ist die 2021 ausgesprochene Kündigung unwirksam.
Ergebnis
K hat gegen B keinen Anspruch auf Rückgabe der Wohnung nach § 546 I BGB.
II. § 985 BGB
Ferner hat K gegen B keinen Anspruch auf Rückgabe der Wohnung nach § 985 BGB, da B aufgrund der unwirksamen Kündigung und des damit noch fortbestehenden Mietverhältnisses ein Recht zum Besitz nach § 986 I 1, 1. Alt. BGB haben.
C. Prüfungsrelevanz
Die Kündigung von Mietverhältnissen ist häufig Gegenstand von Examensklausuren. Der vorliegende Fall bietet die Möglichkeit, sich mit dem Erwerb einer vermieteten Wohnung und der anschließenden Kündigung durch eine Personengesellschaft wegen Eigenbedarfs zu beschäftigen.
Die Entscheidung ist zudem sehr prüfungsrelevant, da auch grundsätzliche Dinge wie die genaue Auslegung des Gesetzeswortlauts abgeprüft werden können.
(BGH Urt. v. 10.7.2024 – VIII ZR 276/33)
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