AG München zum Rücktritt im Pauschalreiserecht
Reisen in Coronazeiten waren stets von Unsicherheit geprägt, ob das Auswärtige Amt das Reiseziel nicht doch kurzfristig als Hochrisikogebiet einstuft und eine entsprechende Reisewarnung ausspricht. Doch reicht es in dem Falle, wenn man den Hinflug nicht antritt, um konkludent den Rücktritt von der Pauschalreise zu erklären?
Was war geschehen?
Im Juni 2021 schloss die Klägerin mit der Beklagten einen Pauschalreisevertrag über eine Reise nach Mallorca über 4 Tage zu einem Gesamtpreis von 1.114,00 Euro, einschließlich Flügen, Unterbringung und All-inklusiv-Leistungen. Sie beglich den Reispreis im Anschluss.
Im Juli 2021 stiegen im Zielgebiet die Zahlen der mit dem Coronavirus infizierten Personen und das Auswärtige Amt sprach eine Reisewarnung aus. Der Hinflug aus dem Pauschalreisevertrag war für den 23.07.2021 um 17:50 Uhr vereinbart. Die Klägerin tauchte aber nicht am Flughafen auf, sondern erklärte um 17:54 Uhr - also vier Minuten nach dem Abflug - den Rücktritt von der Reise.
Die Beklagte machte daraufhin pauschalisierten Schadenersatz in Höhe von 85 % des gezahlten Reisepreises, also 946,90 Euro, gem. § 651h II BGB geltend. Aus Kulanz reduzierte sie die Summe sogar noch auf 50 % des Reisepreises. Das wollte die Klägerin aber nicht akzeptieren und forderte die einbehaltene Differenz in Höhe von 543,47 Euro nun gerichtlich.
Entscheidung des Gerichts
Zunächst stellte das AG München fest, dass die Klägerin nicht gemäß § 651h I BGB wirksam vom Vertrag zurückgetreten sei, denn es fehle an einer ausdrücklichen Rücktrittserklärung, die auch wirksam sei. Zwar habe die Klägerin eine solche Erklärung abgegeben, doch erreichte sie die Beklagte erst vier Minuten nach Abflug. Zu diesem Zeitpunkt sei die Reise aber bereits begonnen im Sinne des § 651h BGB.
Sodann bleibe nur noch die Möglichkeit, dass in dem Nichtantritt der Pauschalreise eine konkludente Rücktrittserklärung zu sehen sein könnte. Zunächst stellt das Gericht fest, da keine weiteren Voraussetzungen in § 651h I BGB genannt seien, es könne grundsätzlich jedes Verhalten des Zurücktretenden als eine taugliche Rücktrittserklärung ausgelegt werden, welche den Willen, sich vom Vertrag zu lösen, deutlich mache. Allerdings müsse eine auf die Beendigung des Reisevertrags gerichtete Willenserklärung des Reisenden vorliegen. Ein Nichterscheinen am Flughafen genüge dafür nicht: Es gebe viele mögliche Gründe, warum jemand nicht pünktlich zum Abflug erscheine. Ohne weitere Anhaltspunkte ließe sich daher auch nach einem objektiven Empfängerhorizont nicht zwangsläufig schließen, dass der Reisende kein Interesse mehr an der Reise hat, wenn er die Reise nicht rechtzeitig antritt. Er kann sich nämlich einfach nur aus vielfältigen Gründen verspätet haben. Eine bloße Verspätung aber als konkludenten Rücktritt auszulegen ist zu weitgehend, da der Rücktritt als Gestaltungsrecht grundsätzlich unwiderruflich und damit „endgültig“ sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass eine solche weitgehende Auslegung aufgrund schützenswerter Interessen des Reiseveranstalters zwingend geboten wäre.
Das Gericht hält es zwar für möglich, dass ein „no show“ im Falle eines reinen Luftbeförderungsvertrags für eine wirksame, konkludente Rücktrittserklärung ausreichend sei. Hier handele es sich aber eben gerade um einen darüber hinausgehenden Pauschalreisevertrag, der weitere Leistungen beinhalte, sodass nur durch Nichterscheinen am Flughafen nicht ausreichend deutlich werde, ob der Reisende nicht nur anders anreisen wolle.
Ein Anspruch auf vollständige Rückzahlung des Reisepreises steht der Klägerin also nicht zu.
Prüfungsrelevanz
Der Rücktritt gehört neben dem Schadensersatz zu den klausurrelevantesten Gewährleistungsrechten, unabhängig davon, ob der Fall im Pauschalreiserecht oder Kaufrecht spielt. Der Fall bietet sich geradezu für Klausuren im Grundstudium an, weil auch die Auslegung von Willenserklärungen eine Rolle spielt. Diese Verknüpfung von Schuldrecht und BGB AT macht es für Prüfer:innen sehr reizvoll, Deine Fähigkeiten abzuprüfen. Für Referendare bietet der Fall eine weitere prozessuale Komponente. Die Beklagte hielt die Klägerin nämlich schon nicht für aktivlegitimiert. Sie hatte die Reise für sich und ihren Partner gebucht, beide hatten aber unterschiedliche Nachnamen. Das Amtsgericht München hält einen Familiennamen allerdings nicht für zwingende Voraussetzung. Die Klägerin habe nur eine Anschrift genannt und nur eine Bankverbindung angegeben. Zudem sei ein Doppelzimmer gebucht, sodass sich auf einen Familienzusammenhang schließen lasse.
Auch hat das Gericht von seinem in § 495a ZPO eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und das vereinfachte Verfahren angeordnet - ein Anlass, Dir die entsprechenden Exkurse noch einmal anzusehen.
Du möchtest weiterlesen?
Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.
Paket auswählen