Kann der Vermieter bei einem Wohnraummietvertrag die Aufrechnung mit verjährten Schadensersatzforderungen wegen Beschädigung der Mietsache gegen den Kautionsrückzahlungsanspruch des Mieters erklären?
A. Sachverhalt
Die Klägerin (K) war bis zum 8.11.2019 Mieterin einer Wohnung der beklagten Vermieterin (B). Sie verlangt von B Rückzahlung der geleisteten Mietkaution einschließlich Zinsen i.H.v. 785,51 Euro. Mit Schreiben vom 20.05.2020 rechnete B über die Mietkaution ab und rechnete mit einer Gegenforderung i.H.v. 1.175 Euro wegen Beschädigung der Mietsache auf. K hat die Einrede der Verjährung erhoben.
K verlangt von B die Rückzahlung der Kaution einschließlich Zinsen i.H.v. 785,51 Euro.
B. Entscheidung
K macht insofern einen Rückforderungsanspruch bezüglich der gestellten Kaution geltend.
I. §§ 311 I, 241 I i.V.m. 551 III 1 BGB
K und B haben vereinbart, dass K eine Kaution für die gemietete Wohnung leisten muss, §§ 311 I, 241 I BGB. Diese Kaution hat K gestellt. V hat sie entsprechend § 551 III 1 BGB verzinslich angelegt. Der sich aus der Sicherungsabrede nach §§ 311 I, 241 I BGB ergebende Rückzahlungsanspruch des Mieters gegen den Vermieter ist nach § 158 I BGB aufschiebend bedingt durch die Beendigung der Mietsache und die Rückgabe der Wohnung. Eine Bedingung ist ein zukünftiges ungewisses Ereignis. Diese Bedingung ist am 8.11.2019 eingetreten. (Fällig wird der Anspruch nach Ablauf einer angemessenen Prüfungs- und Überlegungsfrist, i.d.R. spätestens 6 Monate nach Ende des Mietverhältnisses.)
Ergebnis
Der Anspruch von K auf Rückzahlung der Kaution einschließlich Zinsen i.H.v. 785,51 Euro ist entstanden.
II. Untergang durch Aufrechnung nach § 389 BGB
Der Anspruch könnte ex tunc durch eine Aufrechnung von B i.H.v. 1.175 Euro untergegangen sein nach § 389 BGB. Eine Aufrechnung hat folgende Voraussetzungen:
Aufrechnungserklärung, § 388 S. 1 BGB
Kein Aufrechnungsverbot, §§ 392 f. BGB
Aufrechnungslage, § 387 BGB
1. Aufrechnungserklärung, § 388 S. 1 BGB
B hat mit Schreiben vom 20.05.2020 die Aufrechnung gegenüber dem Kautionsrückzahlungsanspruch mit einer Gegenforderung i.H.v. 1.175 Euro wegen Beschädigung der Mietsache erklärt. Erklärungsgegner ist K und dieser ist das Schreiben zugegangen, § 130 I 1 BGB
2. Kein Aufrechnungsverbot, §§ 392 f. BGB
Es besteht kein Aufrechnungsverbot nach § 392 f. BGB
3. Aufrechnungslage, § 387 BGB
Eine Aufrechnungslage setzt voraus:
a) Gegenseitigkeit
b) Gleichartigkeit
c) Fälligkeit und Durchsetzbarkeit der Aktivforderung
d) Erfüllbarkeit der Passivforderung.
a) Gegenseitigkeit
Zunächst müsste die Gegenseitigkeit gegeben sein. Jeder müsste also Gläubiger und Schuldner des anderen sein. K hat gegen B eine Kautionsrückzahlungsanspruch i.H.v. 785,51 Euro nach §§ 311 I, 241 I i.V.m. 551 III 1 BGB (s.o.). B hat gegen K einen Schadensersatzanspruch wegen Beschädigung der Mietsache nach § 280 I 1 BGB sowie nach § 823 I BGB (das wird vom BGH nicht ausgeführt).
b) Gleichartigkeit
Ferner müsste die Gleichartigkeit der Ansprüche gegeben sein. K hat gegen B eine Geldforderung. B hat gegen K bei einem Schadensersatzanspruch nach § 249 I BGB grundsätzlich keinen Geldzahlungsanspruch, sondern einen Anspruch auf Naturalrestitution.
Denn die nach § 249 Abs. 1 BGB geschuldete Naturalrestitution durch den Schädiger ist nicht auf eine Geldzahlung, sondern auf die Wiederherstellung des Zustands gerichtet, der bestünde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre.
Damit ist die Gleichartigkeit insofern nicht gegeben. Allerdings
kann der Gläubiger eines Schadensersatzanspruchs wegen Beschädigung einer Sache nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Naturalrestitution durch den Schädiger den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen… Der Anspruch auf Geldersatz … setzt jedoch voraus, dass der Gläubiger die ihm zustehende Ersetzungsbefugnis ausübt.… Die Ersetzungsbefugnis ist eine Willenserklärung …, zu deren Wirksamkeit es des Zugangs beim Schuldner bedarf (§ 130 Abs. 1 BGB).
Mit dem Schreiben vom 20.05.2020 hat B die Ersetzungsbefugnis ausgeübt.
c) Fälligkeit und Durchsetzbarkeit der Aktivforderung
Ferner müsste die Aktivforderung fällig und durchsetzbar sein. Die Aktivforderung (auch Gegenforderung) ist die Forderung, mit der die Aufrechnung erklärt wird. Dies ist die Forderung von B. Aufgrund der Beschädigung der Mietsache ist die Forderung zu diesem Zeitpunkt sofort fällig nach § 271 I BGB.
aa) Grundsatz: Keine Aufrechnung mit einredebehafteter Forderung, § 390 BGB
Ferner müsste sie durchsetzbar sein. Das ist sie nach § 390 BGB, wenn ihr keine Einreden entgegenstehen. Es könnte die Einrede der Verjährung bestehen nach § 214 I BGB. Nach dieser Vorschrift ist der Schuldner nach dem Eintritt der Verjährung berechtigt, die Leistung zu verweigern. K hat eine entsprechende Einrede erhoben. Der Anspruch von B ist am 8.11.2019 entstanden. Die Frist zur Verjährung von Schadensersatzansprüchen des Vermieters wegen Beschädigung der Mietsache beträgt nach § 548 I 1 BGB 6 Monate und die Verjährung beginnt nach § 548 I 2 BGB, sobald der Vermieter die Mietsache zurückerhält, also am 8.11.2019. B hat die Aufrechnung erst am 20.05.2020 und somit nach Ablauf der sechsmonatigen Frist erklärt. Somit besteht die Einrede der Verjährung nach § 214 I BGB und der Aktivforderung ist grundsätzlich nicht durchsetzbar nach § 390 BGB.
bb) Ausnahme: Aufrechnungsmöglichkeit in unverjährter Zeit, § 215 BGB
Hiervon macht § 215 BGB allerdings eine Ausnahme. Danach schließt die Verjährung die Aufrechnung nicht aus, wenn der Anspruch in dem Zeitpunkt noch nicht verjährt war, in dem erstmals aufgerechnet werden konnte. Das war eigentlich erst mit Ausübung der Ersetzungsbefugnis am 20.05.2020 und somit nach Eintritt der Verjährung der Fall. Aber:
Unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessenlage, welche einer im Wohnraummietverhältnis getroffenen Barkautionsabrede typischerweise … zu Grunde liegt, ist diese regelmäßig dahingehend auszulegen, dass die Möglichkeit des Vermieters, sich nach Beendigung des Mietverhältnisses im Rahmen der Kautionsabrechnung hinsichtlich etwaiger Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung der Mietsache durch Aufrechnung befriedigen zu können, nicht an einer fehlenden Ausübung der Ersetzungsbefugnis in unverjährter Zeit scheitern soll.
Die beiderseitige Interessenlage der Vertragsparteien eines Wohnraummietverhältnisses ist hinsichtlich der Barkaution im Ausgangspunkt dadurch gekennzeichnet, dass diese … der Sicherung der Ansprüche des Vermieters dient. Der Vermieter soll sich nach Beendigung des Mietverhältnisses auf einfache Weise durch Aufrechnung gegen den Kautionsrückzahlungsanspruch befriedigen können … Ihm steht dabei eine sich an das Ende des Mietverhältnisses anschließende angemessene Überlegungs- und Abrechnungsfrist zu … Die Länge dieser Frist bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls; diese können so beschaffen sein, dass auch mehr als sechs Monate für den Vermieter erforderlich und dem Mieter zumutbar sein können.
Insofern steht die Abrechnungsfrist in einem Spannungsverhältnis mit der kurzen Verjährungsfrist des § 548 I 1 BGB.
Im Hinblick auf den Sinn der Kautionsabrede, dem Vermieter eine Befriedigung durch Aufrechnung zu ermöglichen, widerspräche es den beiderseitigen Interessen der Parteien eines Wohnraummietvertrages, wenn die Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 215 Alt. 1 BGB alleine daran scheitern würde, dass der Vermieter in unverjährter Zeit die ihm zustehende Ersetzungsbefugnis nicht ausgeübt hat.
Vielmehr dient die Ersetzungsbefugnis dem Interesse des Geschädigten.
Jedenfalls im Wohnraummietverhältnis ist es … der Regelfall, dass der Vermieter bei der Beschädigung der Mietsache durch den Mieter seine Ersetzungsbefugnis ausübt. Dies entspricht dem Interesse des Vermieters, nach Beendigung des Mietverhältnisses eine Schadensbeseitigung in eigener Regie vorzunehmen, um deren möglichst zeitnahe und fachgerechte Durchführung - mit dem Ziel einer möglichst nahtlosen Weitervermietung oder sonstigen Weiternutzung der Räume - zu gewährleisten.
Die … Ausübung der Ersetzungsbefugnis erfolgt nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts in der Regel - zulässigerweise und konkludent -… bei der Kautionsabrechnung “zusammen mit der Aufrechnungserklärung”. Mit dem Zugang der Aufrechnungserklärung bei dem Mieter … ist der dem Vermieter zustehende Schadensersatzanspruch in Geld zu erfüllen und wird damit die für eine Aufrechnungslage nach § 387 BGB erforderliche Gleichartigkeit zu dem Kautionsrückzahlungsanspruch geschaffen.
Die …isolierte Erklärung des Vermieters innerhalb der Verjährungsfrist des § 548 Abs. 1 Satz 1 BGB, er übe - möglicherweise auch nur vorsorglich - die ihm zustehende Ersetzungsbefugnis nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB aus, bringt dem Mieter in der geschilderten Konstellation keine ersichtlichen Vorteile, weil er bis zu der Abrechnung des Vermieters über das Kautionsguthaben ohnehin nicht weiß, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe sich dieser auf Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung der Mietsache beruft. Anders als das Berufungsgericht gemeint hat, besteht demnach kein berechtigtes Vertrauen des Mieters, nach Ablauf der Verjährungsfrist nicht mehr - im Wege der Aufrechnung - wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache in Anspruch genommen zu werden, solange der Vermieter noch keine Abrechnung erteilt hat.
d) Erfüllbarkeit der Passivforderung
Ferner ist die Passivforderung (=Hauptforderung), also die Forderung von K, gegen die aufgerechnet wird, erfüllbar. (Nicht erfüllbar sind z.B. aufschiebend bedingte oder künftige Forderungen.)
Ergebnis
Der Anspruch von K ist ex tunc durch eine Aufrechnung von B untergegangen nach § 389 BGB.
C. Prüfungsrelevanz
Das allgemeine und besondere Schuldrecht sind sehr häufig Gegenstand von Prüfungsklausuren. In der vorliegenden Entscheidung ging es dabei um die Frage, ob ein Vermieter mit Schadensersatzansprüchen aufgrund der Beschädigung der Mietsache gegen den Kautionsrückzahlungsanspruch des Mieters aufrechnen kann.
Die Prüfungsrelevanz der Entscheidung ergibt sich daraus, dass Kenntnisse des Mietrechts hinsichtlich der Kaution nach §§ 311 I, 241 I, 551 BGB sowie der kurzen Verjährungsfrist des § 548 BGB erforderlich sind sowie eine exakte Prüfung der Aufrechnungslage nach § 387 BGB geboten ist.
(BGH Urt. v. 10.7.2024 – VIII ZR 184/23)
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