Aufrechnung

Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB)

Unter Aufrechnung versteht man die wechselseitige Tilgung zweier sich gegenüberstehender Forderungen durch einseitiges Rechtsgeschäft.1 Die Aufrechnung ist ein Erfüllungssurrogat.2

Die Forderung, gegen die aufgerechnet wird, nennt man Hauptforderung, die Forderung, mit der aufgerechnet wird, nennt man Gegenforderung. Die Aufrechnung bewirkt, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, rückwirkend (ex tunc) als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie sich zur Aufrechnung geeignet gegenübergetreten sind (§ 389 BGB). Die Aufrechnung ist ein Gestaltungsrecht. Es müssen deshalb ein Gestaltungsrecht (Aufrechnungslage, § 387 BGB) und eine Gestaltungserklärung (Aufrechnungserklärung, § 388 BGB) vorliegen. Ferner darf die Aufrechnung nicht ausgeschlossen sein.

Aufrechnungslage, § 387 BGB

Die Aufrechnungslage ist in § 387 BGB beschrieben. Erforderlich ist das Gegenübertreten gegenseitiger gleichartiger Ansprüche, wobei die Hauptforderung erfüllbar und die Gegenforderung durchsetzbar sein muss.

Warum der Gesetzgeber an die Gegenforderung höhere Anforderungen als an die Hauptforderung stellt, erklärt sich durch die unterschiedlichen Funktionen der Aufrechnung. In Bezug auf die Hauptforderung stellt die Aufrechnung ein Erfüllungssurrogat dar, weil sie deren Tilgung bewirkt (Tilgungsfunktion).3 Die Erfüllbarkeit des Hauptanspruchs reicht deshalb aus, weil ein Schuldner, der im Zweifel sofort erfüllen kann (vgl. § 271 II BGB), gleichzeitig berechtigt sein soll, ein Erfüllungssurrogat geltend zu machen. Umgekehrt gibt die Aufrechnung dem Aufrechnenden die Möglichkeit, seine Gegenforderung im Wege der Selbsthilfe durchzusetzen. Sie ermöglicht einen der Zwangsvollstreckung ähnlichen Zugriff auf die Hauptforderung und dient insoweit der Befriedigung der Gegenforderung.4 Der Schuldner der Gegenforderung wird durch die Aufrechnungsmöglichkeit mithin in die Lage versetzt, seinen eigenen Anspruch durch bloße Ausübung eines Gestaltungsrechts ohne Titulierung und Zwangsvollstreckung selbst durchzusetzen. Das Recht der Aufrechnung hat damit auch eine Sicherungs- und Vollstreckungsfunktion.5

Mit der Gegenseitigkeit der Forderungen ist gemeint, dass jeder der Beteiligten zugleich Gläubiger und Schuldner des anderen sein muss.

Ausnahmen vom Erfordernis der Gegenseitigkeit sind in den §§ 406, 409 BGB und in § 566d BGB geregelt und können sich ferner aus § 242 BGB ergeben.6 Ein Dritter, der nicht Schuldner des Aufrechnungsgegners ist, kann grundsätzlich nicht aufrechnen (Ausnahme: § 268 II BGB).7

Haupt- und Gegenforderung müssen ihrem Gegenstand nach gleichartig sein.

Damit kommen für die Aufrechnung nur Geld- und Gattungsschulden in Betracht. Eine Konnexität (= rechtlicher Zusammenhang) zwischen den Forderungen ist nicht erforderlich.8 Die Gleichartigkeit muss grundsätzlich im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung bestehen; nur ausnahmsweise genügt die Gleichartigkeit im Zeitpunkt der Aufrechnungslage.9

Die Hauptforderung muss erfüllbar10 sein. Ihre Klagbarkeit und Fälligkeit sind nicht erforderlich.

Mangels Erfüllbarkeit nicht möglich ist die Aufrechnung gegen aufschiebend bedingte oder künftige Forderungen.11

Die Gegenforderung, mit der aufgerechnet wird, muss durchsetzbar, d. h. fällig, einredefrei (vgl. § 390 BGB12) und erzwingbar13 sein.

Aufrechnungserklärung, § 388 BGB

Die Wirkung der Aufrechnung tritt nur ein, wenn bei bestehender Aufrechnungslage eine Aufrechnungserklärung gegenüber dem anderen Teil abgegeben wird (§ 388 S. 1 BGB). Dabei handelt es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die die Rechtslage gestaltet wird. Deshalb kann sie nicht unter einer Bedingung oder Zeitbestimmung abgegeben werden (§ 388 S. 2 BGB).

Eine Eventualaufrechnung im Prozess ist aber zulässig, weil die (Hilfs-)Aufrechnung dann lediglich unter eine innerprozessuale Bedingung (Begründetheit der Klage bzgl. der Hauptforderung) gestellt ist.

Die Aufrechnung ist vom Schuldner der Hauptforderung zu erklären.14 Ein Dritter kann die Schuld zwar für den Schuldner erfüllen (§ 267 BGB), grundsätzlich aber nicht durch Aufrechnung tilgen.

Ausnahmsweise kommt die Aufrechnung durch einen Dritten in Betracht, wenn diesem ein Ablösungsrecht zusteht (z. B. §§ 268 III, 1142 II, 1150, 1249 S. 2 BGB).

Bei einer Mehrheit von Forderungen gilt § 396 BGB. Diese Vorschrift übernimmt die Regelungen der §§ 366, 367 BGB für die Aufrechnung.15

Primär bestimmt sich die Reihenfolge der Aufrechnung nach der Erklärung des Aufrechnenden (§ 396 I 1 BGB). Fehlt eine solche Bestimmung oder widerspricht der andere Teil unverzüglich (vgl. § 121 I 1 BGB), gilt gemäß § 366 I 2 BGB die Reihenfolge des § 366 II BGB. Für Zinsen und Kosten ist nach § 396 II BGB der § 367 BGB entsprechend anwendbar.

Kein Aufrechnungsausschluss

Gläubiger und Schuldner können den Ausschluss der Aufrechnung vereinbaren.

Eine Bestimmung in AGB, durch die dem Vertragspartner des Verwenders die Befugnis zur Aufrechnung mit einer unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderung genommen wird, ist unwirksam (§ 309 Nr. 3 BGB).16

Ein Ausschluss der Aufrechnung kann sich auch aus dem Gesetz ergeben.

Ist die Hauptforderung beschlagnahmt (gepfändet), so kann der Schuldner gegen sie nicht aufrechnen (§ 392 BGB).17 Durch die Beschlagnahme ist es dem Schuldner verboten, die Forderung zu erfüllen. Deshalb muss auch eine Aufrechnung (= Erfüllungssurrogat) ausscheiden. Dem Schuldner bleibt die Aufrechnungsmöglichkeit allerdings erhalten, wenn die Forderungen sich schon vor der Beschlagnahme aufrechenbar gegenüberstanden.

Gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ist die Aufrechnung nicht zulässig (§ 393 BGB). Die Forderung mit einer solchen Forderung ist nicht ausgeschlossen. Umstritten ist, ob bei gegenseitig vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen, die auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt (etwa einer Prügelei) beruhen, eine Ausnahme zu machen ist. Der BGH lehnt dies mit der Begründung ab, andernfalls müsste stets das Vorliegen eines einheitlichen Lebensvorgangs geprüft werden und dies würde zu einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit führen.18

Gegen eine unpfändbare Hauptforderung kann ebenfalls nicht aufgerechnet werden (§ 394 S. 1 BGB). Welche Forderungen unpfändbar sind, ergibt sich aus den §§ 850 ff. ZPO.

Gegen eine Forderung des Bundes oder eines Landes sowie gegen eine Forderung einer Gemeinde oder eines Kommunalverbands ist die Aufrechnung nur zulässig, wenn die Leistung an dieselbe Kasse zu erfolgen hat, aus der die Forderung des Aufrechnenden zu berichtigen ist (§ 395 BGB). Die Vorschrift erhöht die Anforderungen an die Gegenseitigkeit für die Aufrechnung gegen Forderungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften, indem eine Aufrechnung durch den Schuldner nur bei Kassenidentität von Haupt- und Gegenforderung im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung zulässig ist.19


  1. Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 387 Rn. 1.
  2. BGH, Urt. v. 16.08.2007 – IX ZR 63/06, Rn. 38.
  3. Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024 § 387 Rn. 1.
  4. BGH, Urt. v. 16.08.2007 – IX ZR 63/06, Rn. 38.
  5. Höhn/Kaufmann, JuS 2003, 751, 752. In der Insolvenz sind die §§ 94 ff. InsO zu beachten.
  6. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 387 Rn. 6.
  7. Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 16 Rn. 4.
  8. Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 16 Rn. 6; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 387 Rn. 8.
  9. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 387 Rn. 8.
  10. Dies ist sie gemäß § 271 II BGB im Zweifel sofort.
  11. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 387 Rn. 10.
  12. Man spricht insoweit von der Vollwirksamkeit der Gegenforderung. § 390 BGB bezieht sich nur auf materielle Einreden, nicht auf prozessuale. Der Aufrechnungsausschluss setzt nur das Bestehen der Einrede, nicht jedoch ihre Geltendmachung voraus (Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 390 Rn. 2).
  13. An der Erzwingbarkeit fehlt es bei unvollkommenen Verbindlichkeiten.
  14. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 388 Rn. 3.
  15. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 395 Rn. 1.
  16. Dies gilt auch im kaufmännischen Verkehr, § 307 BGB (BGH, Urt. vom 16.10.1984 – X ZR 97/83, BGHZ 92, 312, 316).
  17. Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 16 Rn. 17.
  18. BGH, Beschl. v. 15.09.2009 – VI ZA 13/09, Rn. 6.
  19. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 395 Rn. 1.