Hat der Mieter einen Rückzahlungsanspruch?
Kann der Sozialleistungen beziehende Mieter überzahlte Miete von dem Vermieter an sich zurückfordern oder gehen diese Ansprüche auf den Sozialleistungsträger über?
A. Sachverhalt
Der Kläger (K), Bezieher von Leistungen nach dem SGB II durch das Jobcenter, ist Mieter einer Wohnung der beklagten Vermieterin (B). Die Miete leistete das Jobcenter. Für die Zeit von September 2018 bis Juni 2020 verlangt K Rückzahlung der Miete mit der Begründung, dass die Miete sittenwidrig überhöht sei, da sie die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als das Doppelte übersteige und B bei den Vertragsverhandlungen die Unterlegenheit des K ausgenutzt habe. Zudem sei die Wohnung aufgrund eines Wasserschadens von September 2019 bis März 2020 nicht nutzbar gewesen und die Miete daher für diese Zeit vollständig gemindert.
Eine Rückübertragung durch das Jobcenter hinsichtlich übergegangener Ansprüche gegen B auf K ist nicht erfolgt.
K verlangt von B die Rückzahlung überzahlter Miete i.H.v. 11.513,77 Euro an sich.
B. Entscheidung
K macht insofern einen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch geltend.
I. § 812 I 1, 1. Alt. BGB
(Vertragliche, vertragsähnliche, dingliche oder deliktische Ansprüche kommen nicht in Betracht). Es könnte ein bereicherungsrechtlicher Anspruch bestehen. Ein Anspruch aufgrund der Leistungskondiktion nach § 812 I 1, 1. Alt. BGB (condictio indebiti) setzt voraus:
Etwas erlangt
durch Leistung
ohne Rechtsgrund.
Dementsprechend müsste B etwas durch die Leistung von K ohne Rechtsgrund erlangt haben.
1. Etwas erlangt
Dann müsste B etwas erlangt haben. Erlangen bedeutet Bereicherung und eine Bereicherung liegt vor, wenn ein irgendwie gearteter Vermögensvorteil (z.B. Eigentum, Besitz, Forderungsinhaberschaft, Befreiung von einer Verbindlichkeit) feststellbar ist. B wurde insgesamt eine Miete i.H.v. 11.513,77 Euro auf ihr Konto überwiesen. Damit hat sie einen entsprechenden Auszahlungsanspruch (im Falle eines Girokontos) gegen ihre Bank aufgrund eines unregelmäßigen Verwahrungsvertrages nach §§ 700 I 1, 488 I 2 BGB sowie bei endgültiger Gutschrift nach §§ 780, 781 BGB analog.
2. durch Leistung
Dies müsste durch Leistung von K erfolgt sein. Leistung ist die bewusste und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens zur Erfüllung einer bestehenden oder vermeintlich bestehenden Verbindlichkeit. Die monatlichen Überweisungen der Miete erfolgen zur Erfüllung einer vermeintlich bestehenden Verbindlichkeit aufgrund des Mietvertrages nach §§ 549 I, 535 II BGB. Zwar hat K nicht die Überweisungen vorgenommen, sondern das Jobcenter. Dies ist jedoch nur erfolgt, da K den Mietvertrag mit B geschlossen hat und Bezieher von Leistungen nach dem SGB II ist. Insofern ist die Leistung des Jobcenters K zuzurechnen.
3. ohne Rechtsgrund
Ferner müsste dies ohne Rechtsgrund (sine causa) erfolgt sein. Dies ist der Fall, sofern der Mietvertrag aufgrund von Sittenwidrigkeit nach § 138 I, II BGB nichtig ist beziehungsweise, wenn die Miete aufgrund eines Mangels entsprechend gemindert ist nach § 536 I 1, 2. Alt. BGB. Sofern die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch aufgehoben ist, ist der Mieter von der Entrichtung der Miete befreit. Die Minderung ist kein Anspruch, sondern erfolgt kraft Gesetzes. (In der Entscheidung wird nicht weiter darauf eingegangen, sondern von einem Rückzahlungsanspruch nach § 812 I 1, 1. Alt. BGB wegen überzahlter Miete ausgegangen.)
Ergebnis
K hat gegen B einen Rückzahlungsanspruch wegen überzahlter Miete i.H.v. 11.513,77 Euro nach § 812 I 1, 1. Alt. BGB.
II. Anspruchsübergang auf Jobcenter nach § 33 I 1 SGB II
Dieser Anspruch könnte auf das Jobcenter nach § 33 I 1 SGB II übergegangen sein. Dann würde die Aktivlegitimation des K fehlen. Es handelt sich um einen gesetzlichen Forderungsübergang (Legalzession). Nach § 33 I 1 SGB II geht, wenn Personen, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen, einen Anspruch gegen einen Anderen haben, der nicht Leistungsträger ist, für die Zeit, für die Leistungen erbracht werden, der Anspruch bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen auf die Träger der Leistungen nach diesem Buch über, wenn bei rechtzeitiger Leistung des Anderen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht erbracht worden wären.
1. Leistungsbezieher
K war Bezieher von Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts.
2. Anspruch des Leistungsbeziehers gegen einen anderen
K hat gegen B einen Rückzahlungsanspruch wegen überzahlter Miete i.H.v. 11.513,77 Euro nach § 812 I 1, 1. Alt. BGB (s.o.).
Der Bereicherungsanspruch eines Mieters auf Rückerstattung überzahlter Miete gegen seinen Vermieter unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB ist ein Anspruch gegen einen Anderen, der nicht Leistungsträger ist, im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Dieses Merkmal umfasst auch Bereicherungsansprüche gegen den Vermieter wegen überzahlter Miete. Entsprechendes hat der Senat bereits für den Schadensersatzanspruch gegen den Vermieter nach § 536a Abs. 1, § 536 Abs. 3 BGB wegen eines Mangels der Mietsache entschieden … Für Bereicherungsansprüche gegen den Vermieter wegen überzahlter Miete gilt nichts anderes …
3. Hypothetische Kausalität
Es ist zudem eine Kausalität erforderlich zwischen der nicht rechtzeitigen Erfüllung des Anspruchs durch den anderen sowie der Hilfegewährung durch den Leistungsträger, das Jobcenter. Ein Forderungsübergang findet also nur statt, sofern der Leistungsempfänger die Leistung des Anderen für seinen Lebensunterhalt hätte einsetzen müssen (=hypothetische Kausalität). Insofern steht fest,
dass Leistungen an den Kläger nach dem SGB II zur Sicherung des Lebensunterhalts im Umfang überzahlter Miete vom Jobcenter im jeweiligen Folgemonat nicht erbracht worden wären, wenn die Beklagte dem Kläger die überzahlte Miete rechtzeitig zurückerstattet (beziehungsweise von vornherein nicht eingefordert) hätte. Denn bei sofortiger Erfüllung des Erstattungsanspruchs durch die Beklagte wäre der Bedarf des Klägers um diesen Betrag geringer gewesen, weil eine Rückerstattung überzahlter Miete durch die Beklagte als Einkommen des Klägers im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu bewerten gewesen wäre …
Ergebnis
Der Anspruch von K gegen B auf Rückzahlung wegen überzahlter Miete i.H.v. 11.513,77 Euro nach § 812 I 1, 1. Alt. BGB ist auf das Jobcenter nach § 33 I 1 SGB II übergegangen. Daher war K nicht aktivlegitimiert und die Klage war abzuweisen.
III. Keine gewillkürte Prozessstandschaft
Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus einer gewillkürten Prozessstandschaft.
Zwar darf nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jemand ein fremdes Recht aufgrund einer ihm von dem Berechtigten erteilten Ermächtigung im eigenen Namen im Prozess verfolgen, sofern er hieran ein eigenes schutzwürdiges Interesse hat (gewillkürte Prozessstandschaft…). Dabei bedarf es hier keiner Entscheidung, ob der Leistungsträger losgelöst von der - hier nicht erfolgten - Rückübertragung der Bereicherungsansprüche auf den Kläger nach § 33 Abs. 4 SGB II eine solche Ermächtigung überhaupt wirksam erteilen könnte. Denn der Leistungsträger hat eine dahingehende Ermächtigung im Streitfall nicht erteilt.
C. Prüfungsrelevanz
Das Bereicherungsrecht nach § 812 I 1, 1. Alt. BGB ist nicht selten Gegenstand von Prüfungsklausuren. In der vorliegenden Entscheidung ging es dabei um die Frage, ob ein Mieter, der Sozialleistungen nach dem SGB II bezieht, einen Rückzahlungsanspruch gegen den Vermieter hat, sofern er zu viel Miete gezahlt hat.
Die Prüfungsrelevanz der Entscheidung ergibt sich daraus, dass ein Bereicherungsanspruch in Kombination mit einem gesetzlichen Forderungsübergang zu prüfen ist und es insofern auch einer Auseinandersetzung mit der Aktivlegitimation bedarf.
(BGH Urt. v. 5.6.2024 – VIII ZR 150/23)
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