BGH zur Klammerwirkung im Strafrecht

BGH zur Klammerwirkung im Strafrecht

In welchem Konkurrenzverhältnis Taten zueinanderstehen, richtet sich nach den §§ 52 ff StGB. Für den Täter ist es im Rahmen einer Verurteilung wichtig, ob das Gericht Tateinheit oder Tatmehrheit bejaht, da sich dies auf den Strafrahmen auswirken kann. Wonach sich Tateinheit und Tatmehrheit bestimmen, wollen wir uns anhand einer BGH-Entscheidung einmal näher ansehen.

A. Sachverhalt

A fuhr, um Betäubungsmittel zu transportieren, mit einem Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr, ohne im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis zu sein, wobei er die Fahrt für einige Minuten unterbrach, ausstieg und danach mit einem anderen Kraftfahrzeug fortsetzte. Während der beiden Fahrten führte er Kokain in strafrechtlich relevanten Mengen bei sich.

Das Landgericht Kassel hatte A gem. § 21 I Nr. 1 StVG in 2 Fällen, die aufgrund der Zäsur tatmehrheitlich gem. § 53 StGB zueinanderstehen sollten sowie tateinheitlich dazu wegen Besitz von Betäubungsmitteln gem. § 29 I Nr. 3 BtMG verurteilt.

B. Entscheidung

Der BGH (Beschl. v. 04.07.2023 – 2 StR 178/23) änderte den Schuldspruch in eine insgesamt tateinheitliche Verurteilung.

Tateinheit (= Idealkonkurrenz) gem. § 52 StGB und Tatmehrheit (= Realkonkurrenz) gem. § 53 StGB richten sich zunächst nach der natürlichen Handlung. Eine solche natürliche Handlung liegt vor, wenn ein Willensentschluss zu einer Handlung im tatsächlichen Sinne führt. Verwirklicht der Täter durch eine Handlung mehrere Gesetze oder dasselbe Gesetz mehrmals, dann liegt Tateinheit gem. § 52 StGB vor. Geschieht dies durch zwei Handlungen, dann liegt Tatmehrheit gem. § 53 StGB vor.

Zündet ein Täter eine Bombe und tötet dabei 5 Opfer, dann hat er einen fünffachen Mord begangen, wobei jede einzelne Tötung in Tateinheit zu den jeweils anderen Taten steht. Erschießt er in einer Schule zunächst einen Lehrer und dann anschließend einen Schüler, dann hat er 2 Morde begangen, die zueinander in Tatmehrheit stehen.

Im vorliegenden Fall stellen das Aussteigen und der Wechsel des Fahrzeugs eine Zäsur dar, weswegen der Täter sich bis zum Anhalten gem. § 21 I Nr. 1 StVG und danach mit der Weiterfahrt erneut gem. § 21 I Nr. 1 StVG strafbar gemacht hat. Damit haben wir zwei natürliche Handlungen, die zu Tatmehrheit führen könnten.

Ein ähnliches Problem hast Du in einer Klausur häufig bei einer alkoholisierten Fahrt. Kommt es zu einem Unfall und bemerkt der Täter diesen Unfall, steigt gar aus und überprüft die Folgen, dann steht das spätere Weiterfahren in Tatmehrheit zu dem vorangegangenen, alkoholisierten Fahren.

Nicht berücksichtigt hat das LG aber nun, dass der Täter während beider Fahrten eine weitere Straftat begangen hat, nämlich § 29 I Nr. 3 BtMG.

Damit kommen wir nun zur juristischen Handlungseinheit, an die Du immer denken solltest, wenn Du gedanklich grundsätzlich in Richtung Tatmehrheit gem. § 53 StGB unterwegs bist. Mit der juristischen Handlungseinheit werden natürliche Handlungen zu einer juristischen Handlungseinheit zusammengefasst, sodass die Taten letztlich in Tateinheit zueinanderstehen.

Zu diesem Ergebnis gelangt man u.a. mit der Klammerwirkung. Zu den Voraussetzungen hat der BGH (a.a.O.) Folgendes ausgeführt:

„Zwischen zwei eigentlich selbständigen Delikten kann durch das Vorliegen eines dritten Delikts Tateinheit hergestellt werden, wenn mit diesem jedes der beiden Delikte ideal konkurriert. Eine solche Klammerwirkung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn zwischen dem dritten und zumindest einem der beiden verbundenen Delikte „annähernde Wertgleichheit“ besteht …. Dabei ist der Wertevergleich nicht nach einer abstrakt-generalisierten Betrachtungsweise, sondern anhand der konkreten Gewichtung der Taten vorzunehmen; minder schwere Fälle oder wegen vertypter Milderungsgründe vorzunehmende Strafrahmenverschiebungen sind mithin zu berücksichtigen.“

Die zu verklammernden Delikte müssen also mit dem Klammerdelikt in einer Wertgleichheit stehen. Eine solche hätte nicht vorgelegen, hätte A während des Besitzes des Kokains jeweils 2 potenzielle Käufer mit einem Baseballschläger verprügelt. Hier wögen die beiden gefährlichen Körperverletzungen schwerer als der Besitz von Betäubungsmitteln.

Die Wertgleichheit hatte das LG auch im vorliegenden Fall abgelehnt, der BGH (a.aO.) bejaht diese jedoch mit folgender Begründung:

„Der vorzunehmende Wertevergleich ergibt ‒ auch bei konkreter Gewichtung der Taten ‒ vielmehr, dass der Unrechtsgehalt des Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG jedenfalls nicht hinter demjenigen des Straßenverkehrsdelikts zurückbleibt. Dies folgt schon aus dem Vergleich der Strafrahmen, der deutlich macht, dass § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG im Ausgangspunkt weit größeres Unrecht erfasst als § 21 Abs. 1 StVG, und gilt hier auch unter Berücksichtigung von § 29 Abs. 5 StGB, der ein Absehen von Strafe beim Besitz einer geringen Menge zum Eigenverbrauch ermöglicht. Denn ein solcher Fall ist nicht gegeben, weswegen das Landgericht § 29 Abs. 5 BtMG in seine „konkrete“ Betrachtung gar nicht hätte aufnehmen dürfen.

In der Sache nimmt die Strafkammer bei ihrem Vergleich der verwirklichten Delikte auch keine „konkrete Gewichtung“ der von dem Angeklagten begangenen Taten vor, denn dann hätte sie einerseits etwa Art und Menge des Betäubungsmittels sowie Dauer des Besitzes und andererseits Länge der Fahrstrecke und damit einhergehende Gefährdung von Verkehrsteilnehmern in den Blick nehmen und daran den Unrechtsgehalt der Taten bestimmen müssen. Sie gewichtet letztlich den abstrakten Unrechtsgehalt der vom Angeklagten begangenen Straftaten, dies allerdings unter Missachtung der vom Gesetzgeber getroffenen Wertungen nach eigenen Maßstäben.“

Bei der juristischen Handlungseinheit (teilweise auch natürliche Handlungseinheit genannt) geht es letztlich darum, ob zwei Handlungen im natürlichen Sinne bei wertender Betrachtung als eine Tat erscheinen. Jenseits der Klammerwirkung kann eine natürliche Handlungseinheit angenommen werden, mehrere gleichartige Verhaltensweisen auf einem einheitlichen Willen beruhen und räumlich und zeitlich eng verbunden sind.

So kann eine juristische Handlungseinheit zwischen Diebstahl und Brandstiftung vorliegen, wenn der Täter sich im Brandobjekt umsieht, dabei eine Geldkassette entdeckt und diese an sich nimmt, bevor er sodann von außen - wie von vornherein beabsichtigt - Benzin in dem Gebäude verschüttet und es anzündet (BGH Beschl. v. 29. 8. 1996 - 4 StR 396/96).

C. Prüfungsrelevanz

Eine klausurrelevante Norm, der ebenfalls eine Klammerwirkung zukommen kann, ist § 238 StGB. Beleidigt der Täter an einem Tag sein Opfer und bedroht er es am nächsten, dann hat er bei entsprechendem Vorsatz nur einmal § 238 StGB verwirklicht. Darüber hinaus hat er an einem Tag § 185 StGB und am anderen § 241 StGB verwirklicht. Ohne § 238 StGB stünden die beiden Taten zueinander in Tatmehrheit. Aufgrund er Klammerwirkung des § 238 StGB jedoch stehen alle Taten zueinander in Tateinheit.

(BGH Beschl. v. 04.07.2023 – 2 StR 178/23)

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