Besteht eine Verkehrssicherungspflicht für Verkäufer?
Gerichtsurteile ergehen in den kuriosesten Angelegenheiten. Dazu gehört sicherlich auch der folgende Fall, der sich im Bereich der Verkehrssicherungspflichten abspielt. Dass auch eine tragische Folge die rechtliche Beurteilung unberührt lässt, zeigt das kürzlich vom LG München I ergangene Urteil.
Was war geschehen?
Die Klägerin besuchte den Outlet Store der Beklagten und nutzte die Umkleide, um ein T-Shirt anzuprobieren. Dieses Shirt war genauso wie alle anderen Kleidungsstücke im Laden mit einem Preisschild sowie einigen anderen kleineren Schildern ausgestattet. Bei der Anprobe verletzte sich die Klägerin nun durch das Preisschild an ihrem Auge derart stark, dass in der Folge eine Hornhauttransplantation erforderlich war. Sie verlangt Schmerzensgeld von der Inhaberin des Outlet Stores.
Rechtliche Würdigung
Als Anspruchsgrundlage für das geltend gemachte Schmerzensgeld kommt ein Schadensersatz aus § 823 I BGB i.V.m. § 253 BGB in Betracht. Lässt sich mit der eindeutig vorliegenden Verletzung des Körpers eine Rechtsgutsverletzung noch bejahen, liegt das Problem hier in dem vorwerfbaren Verletzungsverhalten. Ein Tun scheidet aus, möglicherweise liegt aber ein pflichtwidriges Unterlassen vor. Das Unterlassen einer Handlung ist allerdings nur dann vorwerfbar, wenn eine Pflicht zum Handeln besteht – eine Verkehrssicherungspflicht. Hat die Beklagte eine solche verletzt?
Entscheidung des Gerichts
Verkehrssicherungspflichten gibt es in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen, aber das LG München I betont in seiner Entscheidung, dass immer anhand des Einzelfalls geprüft werden müsse, ob dieser Pflicht nachgekommen sei. Hier bestehe die Besonderheit, dass gem. § 10 PAngV - der den Studierenden natürlich nicht bekannt sein muss - eine Pflicht zur Auszeichnung der Kleidungsstücke mit einem Preisschild statuiert werde. Daher könne der Beklagten insoweit kein Vorwurf gemacht werden. Die Klägerin trägt allerdings vor, im konkreten Falle sei das Preisschild nicht gesichert und als solches deklariert gewesen. Dieser Einwand hat das Gericht aber nicht überzeugt, sondern es folgt insoweit der Argumentation der Beklagten. Eine Verkehrssicherung, die jede mögliche Schädigung ausschließe, sei nicht möglich. Es komme vielmehr darauf an, eine angemessene Risikoverteilung zwischen Sicherungspflichtigem und Geschädigtem zu erreichen. Hier falle insbesondere ins Gewicht, dass den Kunden bewusst sein müsse, dass an zu erwerbender Kleidung im Laden üblicherweise einige Schilder hängen würden. Deshalb könne man von ihnen verlangen, insoweit aufzupassen. Die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflichten dürften nämlich auch nicht überspannt werden, weshalb auch nicht erforderlich gewesen sei, dass die Beklagte Warnhinweise auf das Preisschild oder den Kleidungsständer anbringe. Zwar seien die Folgen hier besonders dramatisch gewesen, es habe sich aber nur ein allgemeines Lebensrisiko für die Klägerin realisiert.
Prüfungsrelevanz
Zwar ist der Fall in seiner rechtlichen Lösung nicht sonderlich komplex, Du solltest ihn aber in seiner Prüfungsrelevanz trotzdem nicht unterschätzen. § 823 I BGB stellt eine der häufigsten Anspruchsgrundlagen dar und die Problematik rund um die Verkehrssicherungspflichten ist für die Prüfungsämter verlockend, da sie Raum für eigene Argumentation der Prüflinge bietet und erfordert. Des Weiteren sind diese gleichermaßen im Bereich der culpa in contrahendo relevant, eine Rechtsfigur, die Dir bereits im Schuldrecht AT über den Weg laufen kann. Die Anspruchsgrundlage aus §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB wird häufig übersehen, sodass es lohnenswert ist, sich auch deren Voraussetzungen mal wieder zu vergegenwärtigen.
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