Ist für eine Bank das Recht zur ordentlichen Kündigung bei einem Prämiensparvertrag ausgeschlossen?
Bei einem Prämiensparvertrag erfolgt eine stufenweise jährliche Erhöhung der Prämien auf die Sparbeiträge also z.B. 3. Sparjahr 3 %, 4. Sparjahr 4 % und so weiter. Ist dann für die Bank das Recht zur ordentlichen Kündigung nur bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe, also z.B. 15. Sparjahr 50 % ausgeschlossen oder auch wenn die Sparprämie für die Folgejahre nach dem 15. Sparjahr ausdrücklich im Vertrag aufgeführt ist?
A. Sachverhalt
Der Kläger K hat bei der beklagten Sparkasse B am 31.10.2001 einen Prämiensparvertrag geschlossen, wonach K Prämien auf die Sparbeiträge erhielt und zwar im 3. Sparjahr 3 %, im 4. Sparjahr 4 % und so weiter und die höchste Prämienstufe ab dem 15. Sparjahr mit 50 %. Diese Prämie war auch bis zum 20. Sparjahr vereinbart. Am 24.6.2019 kündigte B den Vertrag zum 1.10.2019 unter Hinweis auf die Niedrigzinsphase.
K hat beantragt festzustellen, dass der Prämiensparvertrag nicht durch die Kündigung beendet worden ist.
B. Entscheidung
K möchte bis zum 20. Sparjahr die Prämie von 50 % auf die geleisteten Sparbeiträge von B erhalten und begehrt daher die entsprechende Feststellung.
I. Prozessuales
Nicht nur Willenserklärungen z.B. im Rahmen eines Vertragsschlusses sind gegebenenfalls auszulegen nach §§ 133, 157 BGB. Auch prozessuale Erklärungen einer Partei sind einer Auslegung zugänglich.
“Die Auslegung darf auch im Prozessrecht nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht.”
K hat in seinen Feststellungsantrag zu Unrecht die Kündigung einbezogen. Diese ist jedoch kein Rechtsverhältnis im Sinne von § 256 I ZPO, sondern nur das jeweilige Vertragsverhältnis.
“Hiernach ist das Begehren des Kl. allein auf die Feststellung des zwischen den Parteien streitigen Fortbestands des Sparvertrags über den 1.10.2019 hinaus gerichtet. Denn während der (Fort-)Bestand eines Vertrags der Feststellung nach § 256 I ZPO zugänglich ist, kann die Wirksamkeit einer Kündigungserklärung nicht Gegenstand einer allgemeinen Feststellungsklage gem. § 256 I ZPO sein, weil es sich hierbei lediglich um eine Vorfrage über den Bestand eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses handelt. Trotz der Bezugnahme auf die Kündigung der Bekl. vom 24.6.2019 ist das Klagebegehren bei verständiger Auslegung daher nicht auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigungserklärung gerichtet, sondern dahin zu verstehen, dass Streitgegenstand der Feststellungsklage allein der Fortbestand des mit der Bekl. geschlossenen Sparvertrags über den 1.10.2019 hinaus ist.”
II. Materielles
Bei dem Prämiensparvertrag handelt es sich um einen unregelmäßigen Verwahrungsvertrag nach § 700 I 1 BGB, auf den die Vorschriften des Darlehensvertrages nach §§ 488 f. BGB entsprechende Anwendung finden.
1. Abgrenzung unregelmäßiger Verwahrungsvertrag und Darlehensvertrag
Die Abgrenzung zwischen einem unregelmäßigen Verwahrungsvertrag nach § 700 I 1 BGB und einem Darlehensvertrages nach §§ 488 f. BGB richtet sich nach den vereinbarten vertraglichen Pflichten. Bei einem unregelmäßigen Verwahrungsvertrag werden vertretbare Sachen (vgl. § 91 BGB) in der Art hinterlegt, dass das Eigentum auf den Verwahrer übergehen und dieser verpflichtet sein soll, Sachen von gleicher Art, Güte und Menge zurückzugewähren.
“Insoweit ist der unregelmäßige Verwahrungsvertrag im Grundsatz einseitig verpflichtend. Der Hinterleger geht keine Verpflichtung zur Hinterlegung ein; ihm kommt es in der Regel in erster Linie auf eine sichere Aufbewahrung der überlassenen Sache und daneben auf die jederzeitige Verfügbarkeit darüber an. Eine unregelmäßige Verwahrung scheidet daher aus, wenn der Sparer zur Erbringung der Spareinlage verpflichtet sein soll; denn die Verpflichtung, einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen, ist gem. § 488 I 1 BGB die vertragstypische Pflicht des Darlehensgebers bei einem Darlehensvertrag.”
Eine Verpflichtung zur Einzahlung besteht für den Sparer nicht, auch wenn in dem Vertragsformular vereinbart wurde
„Der Sparer wird bis zum 1./15. jeden Monats … einzahlen.“
Bei dem Formular handelt es schon dem ersten Anschein nach um AGB (vgl. § 305 I 1 BGB). Auch diese Bestimmungen sind einer Auslegung zugänglich.
“Allgemeine Geschäftsbedingungen sind ausgehend von den Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht gebildeten Durchschnittskunden so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der regelmäßig beteiligten Kreise verstanden werden.”
Die bloße Regelung der Einzahlung enthält keine entsprechende Verpflichtung des Sparers.
“Eine Verpflichtung des Sparers zur Erbringung der Sparbeiträge wäre auch nicht interessengerecht.”
Ergebnis:
Bei dem Prämiensparvertrag handelt es sich um einen unregelmäßigen Verwahrungsvertrag nach § 700 I 1 BGB. K als Sparer ist Hinterleger und B als Sparkasse ist Verwahrer.
2. Recht zur ordentlichen Kündigung
B hatte nach ihren AGB ein Recht zur ordentlichen Kündigung nach Erreichen der höchsten Prämienstufe.
a) Keine Unwirksamkeit nach § 307 I, II Nr. 1 BGB
Die AGB sind nicht unwirksam nach § 307 I, II Nr. 1 BGB.
b) Ausschluss Kündigung nur bis Erreichen der höchsten Prämienstufe
Der Sparvertrag und die entsprechenden weiteren vertraglichen Bestimmungen, welche AGB darstellen, sind auszulegen. Bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe mit der vereinbarten Prämienstaffel hat B einen besonderen Bonusanreiz begründet. Diesen darf sie nicht durch vorherige Kündigung enttäuschen. Allerdings kann K als Sparer auch bei einem unbefristeten Sparvertrag redlicherweise nicht erwarten, dass ihm eine zeitlich unbegrenzte Sparmöglichkeit zusteht.
“Die ausdrückliche Fortschreibung der Prämien über das Erreichen der höchsten Prämienstufe hinaus dient aus der Sicht eines Durchschnittskunden lediglich der Verdeutlichung der Ausgestaltung der Prämienzahlungen für die Folgejahre. Bei dem vorliegenden Prämiensparvertrag handelt es sich um einen unbefristeten Vertrag, der dem Sparer auch für die Zeit nach Erreichen der Höchststufe einen Anspruch auf entsprechende Prämienzahlungen gewährt, unabhängig davon, ob die Prämien für die Folgejahre ausdrücklich aufgeführt sind.”
Eine anderweitige Auslegung
“überspannt den Wortlaut und ist im Übrigen auch inkonsequent. Wollte man aus der Nennung weiterer Sparjahre im Vertrag nach Erreichen der höchsten Prämienstufe eine geschützte Erwartung des Sparers ableiten, läge es vielmehr nahe, … den Kündigungsausschluss auch auf die (weiteren) Folgejahre zu erstrecken. Ein solches Verständnis liefe indes auf eine zeitlich unbegrenzte Sparmöglichkeit hinaus, die der Sparer aber redlicherweise nicht erwarten kann.”
c) Kündigungsvoraussetzungen
Allerdings bedarf eine Kündigung durch B, einer Sparkasse und somit einer Anstalt des öffentlichen Rechts, eines sachlichen Grundes.
“Ein solcher ist gegeben, wenn die Umstände, die die Sparkasse zur Kündigung veranlassen, derart beschaffen und zu bewerten sind, dass ein unvoreingenommener, vernünftiger Beobachter das Verhalten der Sparkasse für eine nachvollziehbare und der Sachlage nach angemessene Reaktion halten muss. Ein solcher Umstand ist in dem veränderten Zinsumfeld zu sehen, das sich zwar nicht wegen des variablen Zinssatzes negativ auf das Vertragsverhältnis auswirkt, es aber der Bekl. erschwert, die Erträge zu erwirtschaften, die sie benötigt, um die jährlichen Prämienzahlungen aufzubringen.”
Zudem sind die weiteren Kündigungsvoraussetzungen gewahrt, da der Vertrag erst für die Zeit nach Ablauf des 15. Sparjahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten gekündigt wurde.
d) Keine Unwirksamkeit nach § 242 BGB
Die Kündigung ist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB nicht unwirksam.
aa) Kein widersprüchliches Verhalten
Anerkannt als typische Fallgruppe der Generalklausel des § 242 BGB ist ein von Amts wegen zu berücksichtigendes widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium). Dies setzt allerdings voraus, dass
“das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen. … Der … allein angeführte Zeitablauf zwischen dem Ende des fünfzehnjährigen Kündigungsausschlusses im Jahr 2016 und der Erklärung der Kündigung im Jahr 2019 lässt die Interessen des Kl. nicht vorrangig schutzwürdig erscheinen. Die Bekl. war nicht gehalten, den Sparvertrag bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu kündigen.”
bb) Keine Verwirkung
Ferner ist keine ebenfalls von Amts wegen zu berücksichtigende Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung (wegen widersprüchlichen Verhaltens) nach § 242 BGB gegeben. Die Verwirkung setzt voraus, dass ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht wurde und der Verpflichtete aufgrund des Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass er das Recht zukünftig nicht mehr geltend macht. Zwar hätte die Kündigung schon drei Jahre früher 2016 statt wie erfolgt 2019 erklärt werden können. Aber:
“Neben dem – hier nicht erfüllten – Zeitmoment hat der Kl. auch keine besonderen, auf dem Verhalten der Bekl. beruhenden Umstände vorgetragen, die sein Vertrauen rechtfertigen, die Bekl. werde ihr Kündigungsrecht nicht mehr geltend machen.”
Ergebnis:
B hatte nach ihren AGB ein Recht zur ordentlichen Kündigung nach Erreichen der höchsten Prämienstufe.
C. Prüfungsrelevanz
Die Abgrenzung von verschiedenen Vertragstypen ist häufig Gegenstand von Examensklausuren, nicht nur von Kauf- und Werkvertrag. Der vorliegende Fall bietet die Möglichkeit, sich mit der Differenzierung von einem unregelmäßigen Verwahrungsvertrag nach § 700 I 1 BGB zu einem Darlehensvertrag nach § 488 BGB zu beschäftigen und somit der Auslegung nach §§ 133, 157 – auch bei AGB! Anspruchsgrundlage für den Sparer auf Rückzahlung ist im Falle eines unregelmäßigen Verwahrungsvertrages §§ 700 I 1, 488 I 2 BGB und bei einem Darlehensvertrag § 488 I 2 BGB.
Die Entscheidung ist zudem sehr prüfungsrelevant, da auch typische Fallkonstellationen des Grundsatzes von Treu und Glauben nach § 242 BGB abgeprüft werden können hinsichtlich der etwaigen Unwirksamkeit der Kündigung.
(BGH Urt. v. 17.10.2023 – XI ZR 72/22)
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