BVerfG zur Verhältnismäßigkeit der Wohnungsdurchsuchung

BVerfG zur Verhältnismäßigkeit der Wohnungsdurchsuchung

„Adbusting“ als Lappalie?

2020 berichteten wir bereits über den Fall einer Jurastudentin, die unmittelbar beim „Adbusting“ erwischt wurde. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens fand eine Wohnungsdurchsuchung statt, gegen die sie sich gerichtlich zur Wehr setzte. Nun hat das BVerfG über ihre Verfassungsbeschwerde entschieden – mit aufschlussreichem Ergebnis.

Sachverhalt und Vorgeschichte

Gerade als die junge Frau zusammen mit einer anderen Person ein Plakat der Bundeswehr mit der Aufschrift „Geht der Dienst an der Waffe auch ohne Waffe?“ aus einem verschlossenen Werbeschaukasten entnahm und im Begriff war, dieses durch ein ähnliches, aber verfälschtes Plakat mit dem bundeswehrkritischen Slogan „Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe!“ zu ersetzen, da stoppten sie zwei Polizeibeamte. Die beschriebene Handlung wird unter den Begriff des „Adbustings“ (von „ad“ als Kurzform für Werbung und dem umgangssprachlichen „to bust“ für zerschlagen) gefasst, das als Aktionsform der Kommunikationsguerilla aus der Streetart-Szene kommt und häufig auch im Kontext mit Wahlplakaten in Erscheinung tritt.

Wegen dieses Geschehnisses vom 13.05.2019 ordnete der zuständige Ermittlungsrichter noch im selben Monat eine Wohnungsdurchsuchung bei der 24-jährigen Studentin an, die zum Schutz ihrer Identität in der Öffentlichkeit nur unter dem Pseudonym „Frida Henkel“ auftritt. Nachdem im Juli 2019 weitere Fälle des „Adbustings” in der Berliner Innenstadt festgestellt wurden, fand die Durchsuchung im September 2019 statt.

Eine hiergegen eingelegte Beschwerde der Studentin blieb erfolglos, weswegen sie sich schließlich mit einer Verfassungsbeschwerde an das BverfG richtete. „Frida Henkel“ sieht sich durch die Ermittlungsmaßnahme in der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 I GG, in ihrer Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 1. Fall GG und der Kunstfreiheit nach Art. 5 III GG verletzt, da die Durchsuchung im Verhältnis zur Tat unverhältnismäßig sei. Weil es sich bei den Plakaten um geringwertige Sachen gem. § 248a StGB handele, käme schließlich ein besonders schwerer Fall des Diebstahls i.S.d. § 243 I 2 Nr. 2 StGB schon nicht in Betracht. Unterstützt durch zwei ehemalige Professoren der juristischen Fakultät in Bremen argumentiert die Beschwerdeführerin zudem, dass es ihr nicht auf die Wegnahme des Plakates angekommen sei, sodass die Zueignungsabsicht und der Enteignungsvorsatz in starke Zweifel gezogen werden dürften. In der Praxis überdecke man die Werbung beim Adbusting schließlich nur durch das selbstgestaltete, gesellschaftskritische Plakat.

Während die Rechtmäßigkeit der Wohnungsdurchsuchung verschiedene Gerichte beschäftigte, wurde das Verfahren gegen die Jurastudentin zwischenzeitlich nach § 153 I StPO wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Entscheidung des BVerfG

Die Beschwerdeführerin hatte mit ihrer Verfassungsbeschwerde Erfolg, denn das BVerfG sah in den Beschlüssen des AG und LG Berlin eine Verletzung in ihrem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art 13 I GG. Der Argumentation der Beschwerdeführerin in Bezug auf einen Verstoß gegen die Meinungs- und die Kunstfreiheit erteilte der Senat hingegen eine Absage. Während das Gericht offenließ, ob die Schutzbereiche überhaupt eröffnet seien, so lägen jedenfalls keine eigenständigen Eingriffe vor.

In seiner Prüfung stellte das BVerfG zunächst fest, dass der erforderliche Verdacht zum Zeitpunkt der Durchsuchung vorgelegen habe. Wenn auch ein Verdacht in Bezug auf eine vollendete Sachbeschädigung an dem mitgebrachten veränderten Plakat schwach gewesen sei, so habe ein solcher zumindest hinsichtlich eines versuchten (einfachen) Diebstahls am entnommenen Plakat vorgelegen. Im Umkehrschluss lässt sich diesen Ausführungen entnehmen, dass die Richter in dem Geschehen vom 13.05.2019 gerade keinen besonders schweren Fall des Diebstahls nach § 243 I 2 Nr. 2 StGB sehen.

Die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchungsanordnung sei jedoch nicht gegeben. Bei der umfassenden Gesamtabwägung überwiege die grundrechtliche Bedeutung des Art. 13 I GG. Hier stellte das Gericht den aufgezeigten schwachen Anfangsverdacht der vollendeten Sachbeschädigung, die fehlende Schwere der Taten, die geringe Wahrscheinlichkeit des Auffindens der erhofften Beweismittel sowie deren geringe Bedeutung für das Strafverfahren in die Abwägung ein.

Zum einen hätten sich die Gerichte nicht ausreichend mit der Schwere der Taten und der zu erwartenden Strafen auseinandergesetzt. Wie das BVerfG klarstellte, könne man sich gerade im Zusammenhang nicht auf die Aufklärung der bisher ungeklärten „Adbusting“-Fälle in Berlin stützen, da die Durchsuchungsanordnung ausdrücklich nur der Aufklärung des Ereignisses vom 13.05.2019 gedient habe. Entsprechend hätten diese bei der Einstufung der Schwere der Tat nicht berücksichtigt werden dürfen. Die Straferwartung eines versuchten Diebstahls sowie einer vollendeten Sachbeschädigung seien lediglich als niedrig einzustufen.

Zum anderen monierte der Senat die geringe Wahrscheinlichkeit, Beweismittel durch die Durchsuchung aufzufinden, die wirklich zur Aufklärung der Tat beitragen könnten. „Selbst wenn in der Wohnung der Beschwerdeführerin andere Werbeplakate, Werkzeuge zum Öffnen der Schaukästen, Schablonen und sonstige Materialien zur Umgestaltung der Plakate sowie Mobiltelefone oder Tablets, die die Umgestaltung der Plakate dokumentieren, gefunden worden wären“ so ließen diese Gegenstände kaum einen unmittelbaren Schluss auf eine erforderliche Zueignungsabsicht zum Zeitpunkt des 13.05.2019 zu. Vielmehr könnte man für den Fall des Auffindens höchstens entnehmen, dass die junge Studentin in der „Adbusting“-Szene aktiv sei.

Mit der Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses endete für „Frida Henkel“ ein jahrelanges Ringen um Gewissheit.

Ausblick

Egal in welcher Phase der juristischen Ausbildung man sich befindet: Dieser Fall enthält Lehrreiches von dem besonders schweren Fall des Diebstahls bis zur Verfassungsbeschwerde. Auch Referendare sollten hier hellhörig werden, da sich die Konstellation der Wohnungsdurchsuchung besonders gut mit Zufallsfunden und der Prüfung eines Beweisverwertungsverbotes kombinieren lässt.