OLG Hamm zum Beginn der kurzen Verjährungsfrist des § 548 I BGB

OLG Hamm zum Beginn der kurzen Verjährungsfrist des § 548 I BGB

Die Voraussetzungen des Rückerhalts eines Mietobjekts

Wenn es um Miete und Verjährung geht, sollte man die kurze Verjährungsfrist des § 548 I BGB auf dem Schirm haben. Nach § 548 I 2 BGB beginnt die Verjährung mit dem Zeitpunkt, in dem der Vermieter die Mietsache zurückerhält. Die Entscheidung des OLG Hamm befasst sich insbesondere mit der Frage, wann dieser Zeitpunkt eintritt, wenn die Mieterin den Schlüssel des Objekts ungefragt in den Briefkasten des Vermieters einwirft.

A. Vereinfachter Sachverhalt

Vermieter V vermietete eine Halle zur gewerblichen Nutzung an Mieterin M. Das Mietverhältnisses begann am 15.07.2009. Der Vertrag sollte für ein Jahr gelten und sich um jeweils ein Jahr verlängern, falls er nicht drei Monate vor dem jeweiligen Jahresablauf gekündigt wird. Im März 2012 schlossen die Parteien eine schriftliche Ergänzung zu diesem Mietvertrag, um weitere Flächen an M zu vermieten. In dieser Ergänzung heißt es unter anderem:

“Das Mietverhältnis für die unter § 1.2.a. benannten Flächen beginnt am 03.04.2012 für die Dauer von zunächst einem Jahr. Das Mietverhältnis für die bisher bereits angemieteten Flächen verlängert sich ebenfalls bis zu diesem Zeitpunkt.“

und weiter

“Das Mietverhältnis für die dann insgesamt angemieteten Flächen verlängert sich nach Ablauf des ersten Jahres jeweils um 1 Jahr, falls nicht von einer Partei unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten vor Ablauf der Mietzeit gekündigt wird. Sofern die Übergabe der zusätzlich gemieteten Fläche erst nach dem o.g. Mietbeginn erfolgt, ist der Zeitpunkt der Übergabe maßgebend für den Beginn des Nachtragsvertrages.“

Als Mietzins wurde ein monatlicher Betrag von 2.544,37 Euro vereinbart. Die Übergabe der zusätzlich gemieteten Flächen erfolgte am 05.06.2012. M beschädigte das Mietobjekt während der Nutzungszeit fahrlässig.

M erklärte mit Schreiben vom 10.03.2020 gegenüber V die Kündigung “zum nächstmöglichen Zeitpunkt 17.06.2020“. Nachdem V auf ein späteres Vertragsende hinwies, nutzte M das Mietobjekt bis zum Ende des Jahres 2020 weiter. Am letzten Tag des Jahres 2020 warf sie die Schlüssel in den Hausbriefkasten des V ein und nutzte das Mietobjekt nicht weiter. V fand den Schlüssel am 07.01.2021 in seinem Briefkasten. Er wies die Schlüsselrückgabe mit Schreiben vom gleichen Tag zurück. Für den Zeitraum ab Februar 2021 zahlte M keine Mietzinsen mehr.

Mit Schreiben vom 09.06.2021 forderte der V die M unter Androhung der Selbstvornahme auf, im Einzelnen benannte Schäden innerhalb von zehn Tagen zu beseitigen. Nach Fristablauf verlangte er mit Schreiben vom 25.06.2021 in der Höhe jeweils berechtigt die Zahlung von 10.516,73 Euro Miete und 32.075,52 Euro Schadensersatz. Er beantragt entsprechend am 26.08.2021 den Erlass eines Mahnbescheides, der M am 30.08.2021 zugeht. M erhebt die Einrede der Verjährung.

Hat V einen Anspruch gegen M?

B. Entscheidung

V könnte gegen M einen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB in Höhe von 32.075,52 Euro haben. Weiter könnte V gegen M ein Anspruch auf Zahlung der Mietzinsen in Höhe von 10.516,73 Euro aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag in Verbindung mit § 535 II BGB zustehen.

I. Schadensersatzanspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB

1. Anspruch entstanden

Indem zwischen V und M mit dem Mietvertrag ein Schuldverhältnis bestand, M aus diesem eine Pflicht zur Rücksicht auf die Rechtsgüter des V verletzte, dabei fahrlässig handelte und V hierdurch ein kausaler Schaden in Höhe von 32.075,52 Euro entstanden ist, ist V gegen M ein Anspruch auf Zahlung in dieser Höhe aus §§ 280 I, 241 II BGB entstanden.

2. Anspruch nicht erloschen

Dieser Anspruch ist auch nicht erloschen.

3. Anspruch durchsetzbar

Dieser Anspruch könnte aufgrund der Einrede der Verjährung aber nicht durchsetzbar sein. Voraussetzung ist, dass Verjährung eingetreten und M damit nach § 214 I BGB berechtigt ist, die Leistung zu verweigern.

a) Verjährungsfrist

Hier könnte die sechsmonatige Verjährungsfrist des § 548 I 1 BGB gelten.

Die Vorschrift soll zwischen den Parteien des Mietvertrags eine rasche Auseinandersetzung gewährleisten und eine beschleunigte Klarstellung der Ansprüche wegen des Zustands der überlassenen Sache bei Rückgabe erreichen. Ihr Anwendungsbereich ist deshalb weit auszulegen. So unterfallen u.a. Ansprüche auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands der Mietsache ebenso der kurzen Verjährung wie Ansprüche wegen einer vertraglich übernommenen Instandsetzungs- und Instandhaltungspflicht. Ferner sind sämtliche Schadensersatzansprüche des Vermieters umfasst, die ihren Grund darin haben, dass der Mieter die Mietsache als solche zwar zurückgeben kann, diese sich aber nicht in dem bei der Rückgabe vertraglich geschuldeten Zustand befindet (…).

Hiernach unterfallen dem § 548 I 1 BGB die vorliegend streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche. (…)

Die sechsmonatige Verjährungsfrist des § 548 I 1 BGB findet daher Anwendung.

b) Beginn der Verjährungsfrist

Die Verjährungsfrist beginnt gemäß § 548 I 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Vermieter die Mietsache zurückerhält.

Rückerhalt im Sinne des § 548 I 2 BGB ist nicht identisch mit Rückgabe im Sinne von § 546 BGB. Rückerhalt setzt grundsätzlich die unmittelbare Sachherrschaft (§ 854 BGB) des Vermieters und eine Besitzveränderung zu seinen Gunsten voraus. Entscheidend ist, dass der Vermieter die Mietsache auf Veränderungen und Verschlechterungen ungestört untersuchen kann und der Mieter mit Kenntnis des Vermieters den Besitz vollständig und unzweifelhaft aufgibt (…). Das gilt auch, wenn das Mietverhältnis erst nach Rückerhalt endet (…); die Beendigung des Mietverhältnisses ist nicht Voraussetzung des Verjährungsbeginns (…).

M hat den Schlüssel am am 31.12.2020 in den Hausbriefkasten des V eingeworfen und das Mietobjekt nicht weiter genutzt.

Darin ist eine vollständige Besitzaufgabe zu sehen. (…)

V hat von der Besitzaufgabe Kenntnis erlangt, als er die Schlüssel am 07.01.2021 in seinem Hausbriefkasten vorfand. Da M das Mietobjekt zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen hatte, war für V die vollständige Besitzaufgabe auch nicht zweifelhaft.

Die Verjährungsfrist könnte damit gemäß § 548 I 2 BGB in Verbindung mit § 187 I BGB am 08.01.2021 begonnen haben.

Fraglich ist aber, wie es sich auf den Rückerhalt im Sinne des § 548 I 2 BGB auswirkt, dass V zur Rücknahme der Mietsache nicht bereit war.

In Rechtsprechung und Literatur werden (…) unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, unter welchen Voraussetzungen der Lauf der Verjährungsfrist nach § 548 Abs. 1 BGB beginnt, wenn der Mieter dem Vermieter anbietet, die Mietsache zurückzuerhalten, dieser sie jedoch nicht zurücknimmt.

Nach einer Auffassung sind die Bestimmungen über den Annahmeverzug heranzuziehen mit der Folge, dass der Lauf der Verjährungsfrist des § 548 Abs. 1 BGB ausgelöst werde, sobald der Mieter die erfüllungstaugliche Rückgabe der geräumten Mietsache anbiete (…).

Nach anderer Auffassung bleibt der Annahmeverzug mit der Rücknahme der Mietsache ohne Einfluss auf den Beginn der Verjährung nach § 548 Abs. 1 BGB; vielmehr könne nur die tatsächliche Besitzaufgabe durch den Mieter (z.B. durch Schlüsseleinwurf bei dem Vermieter) den Lauf der Verjährungsfrist auslösen, weil erst dadurch der Vermieter die Möglichkeit der ungestörten Untersuchung der Mietsache erhalte, von der der Beginn der Verjährungsfrist abhänge (…).

Schließlich wird vertreten, dass es - unabhängig vom Vorliegen eines Annahmeverzugs - der Erlangung der unmittelbaren Sachherrschaft durch den Vermieter gleichstehe, wenn dieser sich selbst der Möglichkeit begebe (in diesem Zusammenhang Synonym zu „beraube“), die unmittelbare Sachherrschaft auszuüben, etwa indem er ein Angebot des Mieters auf Übergabe der Schlüssel zurückweist (…).

Der Bundesgerichtshof hat die Beantwortung dieser Frage bislang offengelassen (…). Einer Entscheidung hierüber bedarf es auch vorliegend nicht.

Nach sämtlichen vorgenannten Ansichten beginnt die Verjährungsfrist nämlich jedenfalls mit Rückerhalt des Mietobjektes durch den Vermieter und Aufgabe des Besitzes an diesem durch den Mieter.

Nach den letztgenannten beiden Auffassungen hat die tatsächliche Besitzaufgabe durch M den Lauf der Verjährungsfrist auslöst, weil V hierdurch die Möglichkeit der ungestörten Untersuchung der Mietsache erhalten oder er sich mit der Verweigerung der Besitzergreifung selbst dieser Möglichkeit begeben hat.

Soweit nach der erstgenannten Ansicht die Bestimmungen über den Annahmeverzug heranzuziehen sind, ergibt sich schon deshalb kein anderes Ergebnis, weil nach dieser Rechtsauffassung sogar ein Verjährungsbeginn ohne Rückerhalt des Mietobjektes durch den Vermieter möglich sein soll. Davon abgesehen lagen aber auch die Voraussetzungen eines Annahmeverzugs vor. Die von V angeführten Beschädigungen und (…) hätten allenfalls eine Schlechterfüllung der Rückgabeverpflichtung begründet, jedoch nicht schon eine Erfüllungsleistung an sich entfallen lassen. V konnte die tatsächliche Inbesitznahme des Mietobjekts auch mit Blick auf das (lediglich) noch bis zum 04.06.2021 fortdauernde Mietverhältnis nicht berechtigt verweigern. Er war bereits gegenwärtig ohne weiteres dazu in der Lage, das Mietobjekt ungestört zu untersuchen, ohne dass eine Besitzposition der M verblieben war. Bis zum Mietende bestand kein erheblicher Zeitraum. Entgegenstehende schutzwürdige Belange des V sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Da ein Vermieter jedenfalls in einer solchen Lage nicht den Eintritt der kurzen Verjährung zu Lasten des Mieters hinauszögern können soll, lässt sich der Erlangung des unmittelbaren Besitzes durch den Vermieter gleichsetzen, wenn er - wie aus den vorgenannten Gründen hier - davon absieht, die Mieträume in Besitz zu nehmen, obwohl er von der Besitzaufgabe durch den Mieter weiß und die Möglichkeit der Inbesitznahme hat (…).

(…)

Die Verjährungsfrist des § 548 Abs. 1 S. 1 BGB ist aus diesen Gründen spätestens am 08.01.2021 in Lauf gesetzt worden.

c) Ende der Verjährungsfrist

Zwar hemmt bereits der Eingang eines Mahnantrags, der alsbald zugestellt wird, die Verjährung grundsätzlich nach § 204 I Nr. 3 BGB iVm § 167 ZPO, die Verjährung kann aber nur gehemmt werden, wenn nicht vorher schon Verjährung eingetreten ist. Vorliegend endete die Verjährungsfrist mit Ablauf des 08.07.2021.

Der erst am 26.08.2021 eingegangene Mahnantrag hat die zu diesem Zeitpunkt mithin bereits vollendete Verjährung deshalb nicht mehr hemmen können.

4. Ergebnis

M ist aufgrund der von ihr erhobenen Einrede der Verjährung gemäß § 214 BGB zur Leistungsverweigerung berechtigt. Der Anspruch des V gegen M auf Schadensersatz ist nicht durchsetzbar.

II. Anspruch auf Zahlung der Mietzinsen

V könnte gegen M ein Anspruch auf Zahlung der Mietzinsen in Höhe von 10.516,73 Euro aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag in Verbindung mit § 535 II BGB zustehen.

1. Vertragsschluss

V und M haben einen Mietvertrag nach §§ 535 ff. BGB geschlossen.

2. Ordentliche Kündigung

Für den strittigen Zeitraum könnte M den Mietvertrag jedoch bereits wirksam nach § 542 I BGB ordentlich gekündigt haben. M hat mit Schreiben vom 10.03.2020 das Mietverhältnis gekündigt. Fraglich ist jedoch, zu welchem Zeitpunkt diese Kündigung wirksam wurde.

Die mit Schreiben vom 10.03.2020 “zum nächstmöglichen Zeitpunkt 17.06.2020” ausgesprochene Kündigung wahrt nicht die (…) ursprünglich vereinbarte Kündigungsfrist von drei Monaten zum Ablauf der am 15.07. eines jeden Jahres endenden Mietzeit.

Sie wahrt auch nicht die mit der Nachtragsvereinbarung der Parteien vorgesehene Frist. Denn aus § (…) des Nachtrags zum Mietvertrag folgt, dass ein Gleichlauf der Mietzeit von einem Jahr für die sodann insgesamt vermieteten Flächen von den Parteien gewollt war. Die Vermietung der zusätzlichen Gewerbeflächen sollte für die Dauer von zunächst einem Jahr erfolgen. Ausdrücklich heißt es sodann, dass das Mietverhältnis für die bisher bereits angemieteten Flächen sich ebenfalls bis zu diesem Zeitpunkt verlängere.

Die Übergabe der zusätzlichen Gewerbeflächen ist am 05.06.2012 erfolgt.

Hiernach war die ordentliche Kündigung zum Ablauf des 04.06. eines jeden Jahres zulässig. Sowohl der Mietvertrag als auch der Nachtrag sehen hierfür eine Frist von drei Monaten vor, die im Zeitpunkt der Kündigung vom 10.03.2020 zum Ablauf des 04.06.2020 nicht mehr einzuhalten war.

Die ordentliche Kündigung mit Schreiben vom 10.03.2020 konnte mithin erst zum Ablauf des 04.06.2021 wirksam werden. Dahingehend musste V die Kündigungserklärung der M schon aufgrund des Zusatzes “zum nächstmöglichen Zeitpunkt” auch verstehen.

Damit ist die Kündigung erst zum Ablauf 04.06.2021 wirksam geworden.

3. Mietzahlungsanspruch

M schuldet V daher für die Monate Februar bis einschließlich Mai 2021 die volle Mietzinshöhe und für den Monat Juni 2021 einen Anteil von 4/30. Damit ergibt sich insgesamt der V geforderte Betrag in Höhe von 10.516,73 Euro.

Die kurze Verjährungsfrist des § 548 BGB findet auf die Mietzinszahlungen keine Anwendung, sodass der Anspruch auch nicht verjährt ist.

4. Ergebnis

V steht gegen M ein Anspruch auf Zahlung der Mietzinsen in Höhe von 10.516,73 Euro zu.

III. Ergebnis

V hat keinen Anspruch gegen M auf Schadensersatzanspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB, da der Anspruch verjährt ist.

V steht gegen M jedoch ein Anspruch auf Zahlung der Mietzinsen in Höhe von 10.516,73 Euro aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag in Verbindung mit § 535 II BGB zu.

C. Prüfungsrelevanz

Ein Examensdurchgang ohne Verjährung und Fristberechnungen irgendeiner Art kommt so gut wie gar nicht vor. Diese Entscheidung bietet daher eine wichtige Gelegenheit, sich seiner Arithmophobie (der Angst vor Zahlen) zu stellen. Die gilt es nämlich von Anfang an konsequent durch Konfrontation zu bekämpfen. Wer sich seiner Angst stellt und sich mit Fristberechnungen auseinandersetzt, wird mit der Erkenntnis belohnt, dass es am Ende dann auch wieder nur halb so schlimm ist.

(OLG Hamm, Urteil vom 01.09.2023 - 30 U 195/22)