Entscheidung zu NRW Soforthilfe Rückforderungen
Die Corona-Pandemie ist offiziell überstanden und auch aus der Berichterstattung ist das Thema weitestgehend verschwunden. Doch die juristische Aufarbeitung der Ereignisse dauert an. So gibt es noch immer laufende Verfahren zu den Maßnahmen.
Worum geht es?
Viele selbständige Unternehmer wie zum Beispiel Inhaber von Hotels, Kosmetikstudios, Friseursalons oder Gastronomen waren während des Lockdowns auf staatliche Hilfen des Bundes und der Länder angewiesen. Die gezahlten Gelder werden jetzt teilweise zurückverlangt, was in allen Bundesländern emotionale Debatten auslöste. Viele Empfänger der Zahlungen sind verärgert. Sie hatten mit hohen Rückzahlungen nicht gerechnet oder sind mit der Berechnungsgrundlage der Länder nicht einverstanden. Die Landesregierungen haben bezüglich der Hilfen missverständlich kommuniziert, so die Ansicht vieler Unternehmer. Derzeit laufen dazu zahlreiche Widerspruchs- und Klageverfahren.
Entscheidung in NRW
Eine Entscheidung aus NRW könnte jetzt wegweisend für die weiteren Verfahren sein. Mitte März hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW in Münster die Rückforderungsbescheide für rechtswidrig erklärt.
Hintergrund des konkreten Falles waren die ausgezahlten Soforthilfen des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020. Mit dem Programm “Soforthilfe für Kleinstunternehmen und Soloselbstständige” wollte der Bund Einnahmeausfälle des harten Lockdowns schnell und unkompliziert abfangen. Das Land NRW beschloss, das Programm des Bundes in vollem Umfang an die vorgesehenen Zielgruppen auszuschöpfen und erweiterte das Bundesprogramm um die Empfängergruppen mit bis zu 50 Beschäftigten aus eigenen Mitteln. Die Verantwortung hatte das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen. Dieses bewilligte 430.000 Anträge und zahlte Zuschüsse in Höhe von rund 4,5 Milliarden € aus. Für eine schnelle Abwicklung hatte NRW zunächst bei jedem Antrag die maximale Fördersumme bewilligt. Mit den Bewilligungsbescheiden bekamen Soloselbständige und Kleinstunternehmen jeweils 9.000 €, mittelständische Unternehmen 15.000 € und große Betriebe 25.000 € als einmalige Pauschale ausgezahlt. Auf welche Förderhöhe die Unternehmen tatsächlich einen Anspruch hatten, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Jedoch mussten die Unternehmen bei der Beantragung bereits Fragen beantworten wie:
“Ich versichere, dass die in Nr. 1.1. genannten Antragsvoraussetzungen sämtlich vorliegen und ein Liquiditätsengpass nicht bereits vor dem 1. März bestanden hat.”
und
“Mir ist bekannt, dass ich den Zuschuss als Billigkeitsleistung erhalte und im Falle einer Überkompensation die erhaltene Soforthilfe zurückzahlen muss.”
Nach dem dreimonatigen Bewilligungszeitraum mussten die Unternehmer ihre Einnahmen und Ausgaben zurückmelden. Auf dessen Grundlage ergingen automatisierte Schlussbescheide, die sodann eine entsprechende Rückzahlungsaufforderung enthielten. Die Feststellung des Liquiditätsengpasses und die Festsetzung der Soforthilfe beruhten auf § 53 Landeshaushaltsordnung NRW (LHO) i.V.m. der Bundesregelung (Kleinbeihilfen 2020) sowie Verwaltungsvereinbarungen zwischen dem Bund und NRW.
Sowohl bei den Bewilligungsbescheiden als auch bei den Rückforderungen handelte es sich um Verwaltungsakte. Gegen diese konnten die Unternehmer Widerspruch einlegen und Klage erheben, wofür zumeist die Anfechtungsklage gem. § 42 VwGO die statthafte Klageart sein dürfte.
Missverständliche Formulierungen
Das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf erklärte in einem Fall den Schlussbescheid für rechtswidrig. Das VG erklärte, dass die ursprünglichen Bewilligungsbescheide bezüglich einer Rückzahlungspflicht missverständlich formuliert seien. Es sei nicht nachvollziehbar, welche Kriterien das Ministerium für den Rückzahlungsbetrag zugrunde lege.
Das Land NRW ging daraufhin in Berufung. Das OVG bestätigte jetzt jedoch die Rechtswidrigkeit der Rückforderungsbescheide der Soforthilfen. Nach Ansicht des OVG, habe NRW die Vorgaben der Bewilligungsbescheide nicht beachtet, die für die endgültige Festsetzung bindend seien. Danach dient die Soforthilfe ausschließlich zur Milderung Pandemie bedingter finanzieller Notlagen, insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen. Das später vom Land geforderte Rückmeldeverfahren finde in den Bewilligungsbescheiden keine Grundlage. Die darin von den Zuwendungsempfängern verlangten Angaben seien ungeeignet, um die letztendliche Fördersumme unter Berücksichtigung der bindenden Festsetzungen der Bewilligungsbescheide zu bestimmen. In welchem Umfang die Empfänger die Fördermittel während des Bewilligungszeitraums tatsächlich im Rahmen der Zweckbindung verwendeten, konnten die Empfänger nicht entsprechend angeben.
Das Land NRW darf neue Schlussbescheide erlassen
Allerdings stellte das OVG auch klar, dass das Land NRW berechtigt sei, die den Empfängern zustehende Höhe der Soforthilfe in Form von neu zu erlassenden Schlussbescheiden endgültig festzusetzen und überzahlte Beträge auf dieser Grundlage zurückzufordern. Es sei für die Empfänger bei der Beantragung ersichtlich gewesen, dass die Zahlungen des Landes unter dem Vorbehalt einer möglichen Rückzahlung standen. Die Zahlung sei ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen während des Bewilligungszeitraum gewesen. Den Empfängern musste sich deshalb aufdrängen, dass die Soforthilfe nur zur Kompensation der unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe genutzt werden durfte, entsprechende Mittelverwendungen nachzuweisen und nicht zweckentsprechend benötigte Mittel anschließend zurückzuzahlen seien.
Wie geht es jetzt weiter?
Das OVG NRW ließ die Revision nicht zu. Gemäß § 132 VwGO wird eine Revision zugelassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht oder ein Verfahrensmangel vorliegt. Der Landesregierung steht nun noch das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde zur Verfügung. Sie hat jetzt auf gemeinsamen Vorschlag der Ministerin für Wirtschaft und des Ministers der Finanzen beschlossen, die Rückzahlungsfrist für die Soforthilfe über den 30. Juni 2023 hinaus zu verlängern. Soforthilfe Empfängerinnen und Empfänger müssen ihre Rückzahlung nunmehr bis zum 30. November 2023 an das Land überweisen. Es ist damit zu rechnen, dass das Land die bisherigen Bescheide aufheben und neu erlassen wird.
Aufhebung eines Verwaltungsakts, § 48 VwVfG
Nach § 48 VwVfG ist eine Behörde grundsätzlich zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes ermächtigt. Rechtswidrige Verwaltungsakte widersprechen nämlich dem verfassungsrechtlichen Gebot gesetzmäßigen Verwaltungshandelns, Art. 20 III GG . Belastende, rechtswidrige Verwaltungsakte dürfen einfach zurückgenommen werden, da sie den Adressaten ungerechtfertigterweise belasten. An dem Fortbestand von begünstigenden Verwaltungsakten könnte der Empfänger jedoch ein schutzwürdiges Interesse haben. Eine Rücknahme ist deshalb nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich.
(OVG Münster - 4 A 1986/22)
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